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HARVARD UNIVERSITY.
LIBRARY
OF THK
MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY.
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An
Zweiundaehtzigster
Jahres -Bericht
^ Schlesischen Gesellschaft
für vateiiänilische Ciiltur.
E n t li ii 1 t
(leji Gpruralberlcht Aber die Arbeiten und Veränderungen
der Gesellschaft
im Jahre 1904.
JJresliiu.
i;. r. Ailrrliolz' liiiclilüUHllung.
lOOf),
H
Zv/eiund achtzigster
Jahres-Bericht
Schlesischen Gesellschaft
für vaterländische Cultur.
Enthält
den tteiieralbericht über die Arbeiten und Veränderungen
der (jesellschaft
im Jahre 1904.
Breslau.
G. P. Aderholz' Buchhandlung.
1905.
fr'C^
Inhalt des 83. Jahres -Berichtes.
Seite
Allgemeiner Bericht
über die Verhältnisse und die Wirlssamkeit der Gesellschaft im Jahre 1904,
abgestattet vom General-Sekretär, Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Ponfick 1
Bericht über die Bibliothek 9
Bericht über das Herbarimn der Gesellschaft 10
KassenverwallungsbericUt pro 190t 10
Baufonds H
I. Abteilung: Medizin.
a. Sitzungen der medizinischen Sektion.
Alexander, C: Zum Vortrage (S. 6) von Gottstein 11
Anschütz: Demonstration zweier Fälle von Gastroduodenostomie 98
Asch: Zum Vortrage (S. 26) von Kausch 27
Brieger, 0.: Zum Vortrage (S. IM) von Gürich 146
Buchwald: Zum Vortrage (S. 1) von v. Mikulicz *
— = = (S. 22) von Stern u. Körte 23. 25
— - . (S. 60) von Ponfick 66
— = . (S. 130) von Cohn 132
— = = (S. 134) von Rosenfeld 135
Cohn, H.: Zum Vortrage (S. 70) von Uhthoff 72
— Erneute Demonstration eines Falles von Cysticercus subretinalis, der
vor 26 Jahren aus der Macula lutea extrahiert wurde 130
Czerny; Zum Vortrage (S. 60) von Ponfick 61
Determeyer: Über einen Fall doppelseitiger isolierter Lähmung des M.
extens. quadriceps cruris 1*8
Pilehne: Zum Vortrage (S. 31) von Jensen, 33
Pittig; Vorzeigung von Abbildungen eines mit Röntgenstrahlen erfolgreich
behandelten Falles von symmetrischer Erkrankung der Parotis (Miku-
licz'scher Krankheit) ^*
Fraenkel, L: Zum Vortrage (S. 28) von Licbtwitz jr 28
Freund, W.: Kind mit Pylorusstenose und Magenperistaltik 66
Freymuth: Zufälhg entdeckte beginnende Syringomyelie bei leichter Lungen-
tuberkulose 76
Gerhardt: Auszug aus den in „Pflügers Archiv" veröffentlichten Unter-
suchungen ^'^
Gottstein, G.: Über die Verwendbarkeit des Luysschen Separateurs anstelle
des Uretorenkatheters 6.14
— Prostatecto mie 85
— Vorstellung eines Falles von Pneumaturie 86. 88
Gürich; Über die Beziehungen zwischen Erkrankungen der Mandeln vind
Gelenkrheumatismus 53. 55
— Die tonsillare Therapie des GelenkrheumaJismus 141-. 148
Inhalts - Verzeichnis.
Seite
Halbers laedter: Mitteilungen über die Lichtbehandlung nach Finsen und
Dreyer ] 6
— Zur Röntgen- und Lichtbehandlung.
L Demonstration zur Röntgentherapie 66
n. Bemerkungen zur Lichtbehandlung 69
Harttun g: Demonstration einiger Fälle einer Hauterkrankung von höchster
Eigenart 140
Heine: Vorstellung von Patienten mit PseudoneuriLis optica congenita 77
— Demonstration einer Nachbildung des von Pulprich konstruierten Modells 78
— Demonstration Stereoskopischer Photogramme 78
— Demonstration einer nach Koster angefertigten Dose zur Mentholein-
almung 84
Heintze: Vorstellung zweier Patienten die durch Messerstiche schwerverletzt
wurden 11,3
Henke, F.: Demonstration von doppelseitigen Cystennieren mit gleichzeitiger
Cystenbildung in Leber und Pankreas 17
H en 1 e : Zur Casuistik des Ileus 35. 44
— Ein Fall von Aörocele colli 99. 101
— Zum Vortrage (S. 124) von Tietze 1 28
Hinsb erg: Zum Vortrage (S. 92—96) von Kausch 98
Hirt, W.: Zum Vortrage (S. 6) von Gottstein 7
Hürthle: Auszug aus den in „Pflügers Archiv" veröffentlichten Unter-
suchungen 30
— Zum Vortrage (S. 31) von Jensen 33
Jacoby, E.: Über einige seltenere Geschwulstformen in der Nachbarschaft
des Auges mit Krankendemonstration 78
— Demonstration eine.s Falles von Morbus Basedowii mit hochgradigem
Exophthalmus und Hornhautaffektion 133
Jensen, P.: Über die Innervation der Gehirngefäße 31
J ochmann: Über Bakteriämie (L Teil) 58
— Über Bakteriämie und die Bedeutung der bakteriologischen Blutunter-
suchung für die Klinik (Fortsetzung) 58
Karpel: Zum Vortrage (S. 99) von Henle 100
Kausch: Demonstration einer Handschelle zur Befestigung der Hand l)ei der
Operation resp. Narkose 26. 28
— Zur Demonstration (S. 33) von Wernicke 34
— Zur Krankendemonstration (S. 55) von Tietze 57. 58
— ■ 1. Kohle — imprägnierte Supraclaviculardrüse 95!
2. Implanation eines Silberdrahtnetzes in einem Bauchbruch 93
3. Spina bifida komphziert mit Naevus pilosus und Hydrocephalus 94
4. Hysterisches Ödem der Hand .■ 95
5. Lokale Asphyxie kompliziert mit Dupuytrenscher Kontraktion 96
— Zum Vortrage (S. 124) von Tietze 126
Kay ser, R,: Zum Vortrage (S. 118) von Partsch 124
K ohrak: Zur Demonstration (H. 33) von Wernicke 34
— Otogene Pyämie 142
Körte, W.: Über den Nachweis der bakteriziden Reaktion im Blutserum der
Typhuskranken 22
Inhalts - Verzeichnis.
Seite
Krause, P. : Über die zurzeit üblichen bakteriologischen Untersuclmngs-
methoden zur Sicherung der klinischen Typhusdiagnose 44. 47
— Zum VorLrage (S. 53) von Gürioh 54
— 1. Über therapeutische Versuche bei Kranken mit Leukämie und
Pseudoleukämie durch Bestrahlung mit Röntgenstrahlen 101
II. Demonstration von Röntgenbildern lOSi
III. Demonstration eines vor kurzem abgetriebenen Bothriooephalus latus 103
IV. Demonstration von einer Kurve mehrmonatlichen Fiebers ohne be-
kannte Ursache 103
— Demonstration eines Muskelgymnasten 128
Küstner: Zur Demonstration (S. 33) von Wernicke 34
Lichtviritz jr.: Zum Vortrage (S. 22) von Stern u. Körte 24
— Über Immunisierung mit Corpus luteum 28
Lilienfeld: Vorstellung eines Patienten mit multipler Atherombildung 51
— Vorstellung eines Jungen mit kompliziertem Bruch des Hinterliauplbeins 142
Loe wenhardt: Zum Vortrage (S. 6) von Gottstein 10
— Vorstellung eines Kranken, der nach ALropininjektion Purpura be-
kommen hat 26
Ludloff: Vorstellung eines Patienten mit Fraktur der Halswirbelsäule 90
Mann, Ludvfig: Demonstration über sogen. Tabes superior 74
— Zum Vortrage (S. 137) von v. Strümpell 137
V. Mikulicz: Zur Pathologie und Therapie des Gardiospasmus mit konse-
kutiver Oesophagusdilatation. (Ist anderweitig erschienen.) 1. 4
— Demonstration eines mittels Oesophagotomie entfernten Fremdkörpers 18
— Zum Vortrage (S. 31) von Jensen 33
— Über den heutigen Stand der chirurgischen Behandlung der Proslata-
hypertrophie 35
— Zum Vortrage (S. 80) von Wernicke 83
— Zur Vorzeigung der Ablnldungen (S. 84) von Fittig 85
— Demonstrierung eines durcli Sektion gewonnenen Präparates 90
— Zum Vortrage (S. 137) von Röhmann I3i>
Müller: Fall von Tabes dorsalis mit chronischem Morphinismus 105
Neisser: Demonstration eines Falles mit über den ganzen Körper verbreitetem
papulösen Syphilid mit gleichzeitiger Abducenslähmung rechterseils . . . 1
— Mitteilungen über die Lichtbehandlung nach Finsen und Dreyor 15
— Zum Vortrage (S. 22) von Stern u. Körte 25
Oppler, B.: Zum Vortrage (S. 1) von v. Mikulicz 3
— . . {S. 18) von Rosenfeld 20
~ . . (S. 36) von Henle 43
Ossig: Ein Fall von operativ geheiltem LungenabszeU 47
Bartsch: Zum Vortrage (S. 60) von Ponfick 62
Vorstellung eines Falles von osteoplastischer Gaumenresektion (nach
Partsch) 1 18. 124
1 aul: SchuUverletzung der linken Orbitalgegend und des linken Auges 79
— Demonstration zweier Geschwister mit Nystagmus bei monocularem
Sehen, Fehlen des Nystagmus bei binocularer Fixation 79
— Vorstellung einiger Patienten mit exzessiver Myopie. , 99
Ponfick: Zum Vortrage (S. 31) von Jensen - 33
— - = (S. 35) von Henle 43
— Zur Vorstellung des Patienten (S. 51) von Lilienl'eld 51. 52
Inhalts - Verzeichnis.
Seite
P 0 n fi c Ic: Zur Krankendeinonstration (S. 55) von Tielze 58
— Über Pylorospasmus 60. 65
— Zum Vortrage (S. 89) von Stern 8!)
^ Worte der Erinnerung an Carl Weigert 107
— Zürn Vortrage (S. 124) von Tietze 127
Richter: Zur Vorstellung des Patienten (S. 51) von Lilienfeld .5;{
Riegner: Zum Vortrage (S. (i) von Gottstein 13
— ' = (S. 80) von Wernicke 83
— Zur Vorstellung von Pneumaturie (S. 86) von Gottstein 87
— Zum Vortrage (S. 118) von Partsch 123
— Vorstellung dreier Fälle von Blasentumor 142
Riesenfeld, E.: Zum Vortrage (S, 134) von Rosenfeld 135
Rohm ann: Zum Vortrage (S. 134) von Rosenfeld 135
— Über das p-Jodoanisol (Isoform) und sein Verhalten im tierischen
Organismus i37
Rosenfeld: Zum Vortrage (S. 1) von v. Mikulicz 2
— Praxis der Entfettungskur 18. 21
— Demonstration der Entfettungskur einer Patientin 33
— Zum Vortrage (S. 60) von Ponfick 64
— = = (S. 73) von Ulithoff 76
— Zur Vorstellung von Pneumaturie (S. 86) von Gottstein S8
— Über die Bildung von Fett aus Kohlenhydraten 134. 136
Rothe: Zum Vortrage (S. 26) von Rausch 27
Sachs, A.: Zum Vortrage (S. 18) von Rosenfeld 20
Sackur: Zum Vortrage (S. 1) von v. Mikulicz 4
Sandberg jr.: Demonstration von zwei pathologisch-anatomischen Präparaten 106
Schmidt: Vorstellung von drei Nierenfällen 98
Seidelmann: 1. Fall von Dystrophia muscularis 104
— 2. Fall von Chorea hereditaria (Huntington'sche Chorea) 105
Stern, R.: Zum Vortrage (S. 18) von Rosenfeld 20
— Über den Nachweis der bakteriziden Reaktion im Hlutserum der Typhus-
ki'^fiken 22. 23. 25
— Zum Vortrage (S. 44) von Krause 47
— Zur Vorstellung von Pneumaturie (S. 86) von Gottstein 88
— Über Lungensteine 89
— Zum Vortrage (S. 124) von Tietze 125
— - - (S. 137) von Röhmann 139
Storch: Zur Demonstration (S. 33) von Wernicke 3B
— Demonstration eines Falles von multipler Sklerose mit hemiplegischem
Charakter 70
V. Strümpell: Zur Demonstration (S. 33) von Wernicke 33
— Zum Vortrage (S. 60) von Ponflck 62
— Vorstellung eines Knaben mit abgelaufener Poliomyelitis acuta anterior 77
— Vorstellung eines Kranken mit rechtsseitiger Hemiplegie 105
— Worte der Erinnerung an Carl Weigert 111
— Vorstellung eines jungen Mannes mit Friedrcich'scher Krankheil 137
— Über primäre Degeneration der Seitenstränge 140
Ti etze: Zur Vorstellung des Patienlen (S. 51) von Lilienfeld 51
— Krankendemonstrationen (Beiträge zur Osteoplastik) 55. 58
— Über Pankreatitis indurativa 124
Inhalts- Verzeichnis.
Seite
Uht.lioff: 1. Über Keratomahcie mit Xerose der Conjunctiva und Hemeralogie
bei Erwachsenen 70
— 2. Über einen forensisch beinerlcens werten Fall von sympathischer
Ophthalmie 73
— Vorstellung zweier Patienten mit Xeroplitlialmus luid Hemeralopie .... 83
— Zum Vortrage (S. 130) von Cohn 132
— ' . (S. 134) von Rosenfeld 135
W alter: Zum Vortrage (S. 22) von Stern und Körte 24
Weigert: Über einen Fall von angeborener Stenose der Aorta an der Ein-
mündung des Ductus arteriosus Botalli 149
Wernicke: Demonstration eines Patienten mit Muslcelkrämpfen (Crampus-
neurose) 33. 34
— Vorstellungeines Falles vonlinksseitiger PanOphthalmie nacliPyelonephritis 80
Winkler: Zur Vorstellung des Patienten (S. 51) von Lilienfeld .52
Wolffberg: L.: Zum Vortrage (S. 130) von Cohn 132
Ziegler, K.: Vorstellung eines Falles V(m typischer alkoholischer Polyneuritis 106
b. Sitzungen der hygienischen Sektion.
Asch : Zur Spezialdebatte (S. 51) 67
Buchwald: Zum Vortrage (S. 16) von Freymutb 22
— = = (S. 23) von H. Cohn 47
— Zur Spezialdebatte (S. 51) 66
Colin, H.: Rede zu dem Bericht der Kommission (S. 1) 2
— Über sexuelle Belehrung der Schulkinder 23. 50
— Zur Spezialdebatte (S. 51) 51
CljDlzen: Zum Vortrage (S. 23) von H. Cohn 38
— Zur Spezialdebatte (S. 51) 58
Diskussion über den Bericht der Kommission für Anstellung von Schulärzten
an höheren Lehranstalten 1
Praenkel, E.: Zur Spezialdebatte (S. 51) 62
Preymuth: Die Dispensaires antituberculeux in Belgien und Frankreich und
ihre Bedeutung für die Tuberkulosebekämpfung in Deutschland 16
Günther: Zum Vortrage (S. 23) von H. Cohn 45
H'ppau f : Zum Vortrage (S. 23) von H. Cohn 46
Jacobi: Zum Vortrage (S. 23) von H. Cohn 48
Ky nast: Zur Spezialdebatte (S. 51) 70
Leitsätze 51
Magen: Zum Vortrage (S. 16) von Freyrauth 18
Martins: Zum Vortrage (S. 16) von Freymutb 20
Michaelis: Zur Spezialdebatte (S. 51) ö4
Neisser, Clemens: Zur Spezialdebatte (S. 51) 69
Rosenfeld: Zum Vortrage (S. 23) von H. Cohn 48
Saniosch: Zum Vortrage (S. 16) von Freymutb 19
— . -. (S. 23) von H. Cohn 44
^ - Zur Spezialdebatte (S. 51) 70
Spezialdebatte über sexuelle Belehrung der Kimler 51
Stern, R.: Über Armenpflege und Tuberknlosekämpfung 14
Ti etze: Zum Vortrage (S. 23) von H. Cohn 4"^
Tschirn: Zum Vortrage S. 23) von H. Cohn *9
Wiedemann: Zum Vortrage (S. 23) von H. Cohn 41
VIII Inhalts -Verzeichnis.
Seite
II. Abteilung: Naturwissenschaften.
a. Sitzungen der naturwissenschaftliehen Sektion.
Fisclier, W.: Physikalisch-chemische Studien an MeLallhydroxyden 146
Flegel, K.: Heuscheuer und Ädersbach-Weckelsdoif 114
Herbing, J.: Über Steinkohlenformation und Rotliegendes bei Landesliut,
Schatzlar und Schwadowitz 38
Herz, W.: Über die Oxyhaloide des Wismuthes 2
— Über die Natur der alkalischen Lösung von Chromhydroxyd 144
Hintze, C: Demonstration krystalloplischer Erscheinungen mit einem neucu
Projektionsapparat 145
Milch, L.: Über Deformation von Quarzkörnern durch Gebiigsdruck 1
Rechenberg, G.: Allgemeine Übersicht der meteorologischen Beobachtungen
auf der Königl. Universitäts-Sternwarte zu Breslau im Jahre 1904 150
Sachs, A.: Über Zinkoxydkrystalle von der Falvahiitte in Oberschlesien.... 155
Scliäfer, C: Neuere Arbeiten über Elastizität "2
Schmidt, A.; Obercarbon und Rotliegendes ini Braunauer Ländchen und in
der nördhchen Grafschaft Qlatz 4
b. Sitzungen der zoologisch-botanischen Sektion.
Dittrich, R.: Über die psychischen Fähigkeiten der Ameisen und Bienen .. 1
Grosser, W.: Über einige Schädlinge unserer Kulturpflanzen 3
Holdefleiß, F.: Über vorgeschichtliche Funde von Rinderschädeln in
Schlesien 2
Knuth, R.: Die geographische Verbreitung der Primulaceen 0
Fax, F.: Über Bastardbildung in der Gattung Acer I
— Über succulente Euphorbien aus Afrika 1
— G'ber den Blütenbau der Primulaceen 21
— Über eine neue Euphorbia aus Afrika 23
Promnitz: Die Orchideenflora von Pyrmont 6
Remer, W.: Über den retardierenden Einfluß des Lichtes auf die Keimung
von Phaoelia tanacelifolia 13
— Die Früchte der Pomoideen 13
- Über Versuche mit Fanglaternen 21
— Mitteilungen über Pflanzenschädlinge in Schlesien im Sommer 1904 . . . 64
Richters: Triticum cylindricum 1
Schuhe, Th.: Ergebnisse der phänologischen Heobachlungen in Schlesien
im Jahre 1904 24
— Arbeiten zum Waldbuche von Schlesien 29
— Ergebnisse der Durchforschung der schlesiachen Gefäßpflanzenvvelt im
Jahre 1904 41
Zoltän von Szabo; Mykologische Beobachtungeu 16
0. Sitzungen der Sektion für Obst- und Gartenbau.
Dannenberg: Betrachtungen über die Verwendung von Pflanzen und Rluraon
in unseren Wohnräumen 10
Grabo wsky: Erinnerungen aus meinem Pflanzerleben 15
Haupt, C. E.: Über landwirtschaftlichen Obstbau . . 12
Kölscher, J.: Bericht über die Tätigkeit der Sektion lür Obst- und Garten-
bau im Jahre 1904 1
Inhalts -Verzeichnis. IX
Seite
ivirchner, H.: Regelmäßiger o(ier Landschaflsgarten S
Pax: Bodenstote Pflanzen Ü
Remer: Über einige Nützlinge des Land- und Gartenbaues in Tier- und
Pflanzenwelt , 17
Schütze, J.: Erzielung und Erhaltung des Rasens in den Stadtgärten C,
in. Abteilung: Grescliiclite und Staatswissenscliaften.
a. Sitzungen der historischen Sektion.
ßeyerle: Über ein neu entdecktes Rechtsdenkmal zur älteren deutschen
Stadtverfassung \
Krebs: Über den Feldzug des Kurfürsten Johann Geoi-g gegen Bauer bis zum
Eintreffen des kaiserlichen Feldmarschalls Melchior von Hatzfeldt
(1635^1636) 1
Langenbeck: Über den Reichstag von Regensburg (1640—1641) 1
Meyer, H.: Über die Handelsprivilegien der Juden und Lombarden ira Mittelalter 1
Simon son; Zur Geschichte der Gerichtsorganisation der Provinz Posen J
b. Sitzungen der Staats- und rechtswissenschaftlichen Sektion.
Beyerle: Ein neuentdecktes Rechtsdenkinal zur älteren deutschen Sladt-
verfassung j
Engelmann: Die Grundzüge des neuen österreichischen ZivilprozeJJrechtes '2
Hedemann: Neuere Papyrusforschung 1
KlingmtiUer: Zinsgesetzgebung Ü
Leonhard: Urteile des Reichsgerichts über die Eigentümerhypothek 1
— Eine französische Stimme über das deutsche bürgerhclie Gesetzbuch.. 3
Meyer, H.: Handelsprivilegien der Juden und Lombarden im Mittelalter .... SJ
Riemann: Das Schlesische Auenrecht 1
Simonson: Zur Geschichte der Gerichtsorganisation der Provinz Posen .... 2
Warnauth : Die Reform des Strafprozesses 2
Wolf, J.: Zur Taler- und Fünfraarkstückfrage 2
IV. Abteilung.
a. Sitzungen der philologisch-archäologischen Sektion.
B auch; Zu den Anfängen des Humanismus in Erfurt 2
Foers ter: Über eine cyprische Doppellierme mit Hermes 2
Leonhard, R.: Die antiken Völkerschaften des nördlichen Kleinasiens 1
Volkmann: Die Komposition des vierten Buches der Aeneide Vergils 1
— Lessings Vergilkritik (Laokoon XVIll) 3
Zacher: Die Ursprünge und der Name des lambus 3
b. Sitzungen der orientalisch-sprachwissenschaftlichen Sektion.
^'raenkel: Über Nachrichten der Mischnah 1
Hillebrandt: Über die Götter und ihre Opfertiere im indischen Ritual 1
Meißner: Neuarabische Volkspoesie im Irak 1
c. Sektion für neuere Philologie.
^Ppel, C: Zur Geographie der italienischen Gedichte Petrarcas, Reiseerinne-
rungen aus der Provence I
"Jantzen, H. : Eine bisher unbeachtete Schrift Gottscheds, seine Vorrede zur
Philosophie Terra.ssons 1
Inhalts-Verzeichnis.
Seite
V. Abteilung.
a. Sitzungen der mathematischen Sektion.
Franz: Über einfach erscheinende Doppelsterne 1
S türm; Nekrolog auf Luigi Cremona i
b. Sitzungen der philosophisch-psychologischen Sektion.
Allgemeiner Bericht der Sektion 1
Freudenthal: Über die Philosophie Lorenzo Vallas 9
Hamburger, G.: Einiges über den Begriff der Gesamtpersönlichkeit 2
Stern, W.: Die Sprachentwicklung eines Kindes, insbesondere in grammatischer
und logischer Hinsicht 2
c. Sitzungen der katholisch-theologischen Sektion.
Allgemeiner Bericht der Sektion i
Nürnberger: Der Einfluß des nationalen Faktors auf die Entstehung des
Kirchenstaates ^
— Der Bericht eines schlesisohen Zeitgenossen über die Ertränkung des
heil. Johannes von Nepomuk 17
Rohr: Über den Mithraskult 35
d. Sitzungen der evangelisch-theologischen Sektion.
Cornill: Über Probleme des Buches Hiob 3
Kawerau: Allgemeiner Bericht der Sektion 1
— Über Jesus als Davids Sohn 2
— Über Denifles Luther 9
Löhr: Über die Weltanschauung in dem Buche „Prediger Salomo" 2
— Zum Verständnis des Buches Hiob 3
Wrede: Über Jesus als Davids Sohn '_ g
Nekrologe auf die im Jahre 1904 verstorbenen Mitglieder i_24
ScWesJsclie Gesellschaft für vaterländische Cultur.
Jahresbericht. ,
1904.
Allgemeiner Bericht.
Allgemeiner Bericht über die Verhältnisse und die
Wirksamkeit der Gesellschaft im Jahre 1904,
abgestattet
von dem General -Sekretär
Herrn Geh. Medizinal rat Professor Dr. Ponflck.
Die am 17. Dezember 1904 unter dem Vorsitze des Präses, Herrn
Geh. Reg. Prof. Dr. Förster, gehaltene ordentliche Hauptversammlung,
welche auf Grund des § 17 der Satzungen durch einmalige Anzeige in der
nSchlesischen Zeitung", und in der „Breslauer Zeitung" bekannt gemacht
Worden war, erteilte zunächst dem Schatzmeister Herrn Dr. phil. Max
Wiskott sen. Entlastung für die vom Präsidium geprüfte Rechnung des
Jahres 1903. Der Präses sprach ihm und seinem Stellvertreter, Herrn
Reichsbankdireklor Mannowsky für ihre Sorgfalt und Umsicht den Dank
der Gesellschaft aus. Darauf gab der General-Sekretär eine Übersicht der
Verluste, welche die Gesellschaft während des verflossenen Jahres 1904
durch Tod oder Ausscheiden erlitten hat.
Aus der Reihe der Ehrenmitglieder ist verstorben:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Weigert in Frankfurt a. M.
Von wirklichen einheimischen Mitgliedern sind acht verstorben, nämlich
die Herren:
1. Redakteur und Rittergutsbesitzer H. Baum,
2. Apotheker W. Bluhm,
3. Domherr August Knoff,
4. Rentier Max Pringsheim,
5. Dr. med. Hans Wagner,
6. Stadtkämmerer Franz Weller,
7. Medizinalrat Dr. Wendt,
8. Universitäts-Professor Dr. J. Caro;
von wirklichen auswärtigen Mitgliedern die Herren:
1. Dr. med, Otto Basset in Glogau,
2. Realgymnasial-Professor H. Rose in Neisse.
1904. 1
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultii:
Infolge des Wechsels ihres Wohnortes sind 12 Mitglieder ausgeschieden.
Dagegen sind im Jahre 1904 aufgenommen worden als wirkliche ein-
heimische Mitglieder die Herren:
1. Ober- und Religionslehrer Freiherr von Kleist,
2. Vorsteher der Fürstbischof!. Geheimkanzlei Käsehagen,
3. Domvikar Richard Kretschmer,
4. Pastor Karl Schultz e,
5. Professor Dr. theol. W. Wrede,
6. Kaplan Paul Berndt,
7. Pfarrer Dr. Anton Her gel,
8. Domherr Joseph Klose,
9. Domherr August Knoff,
10. Ober- und Religionslehrer R. Kober.
11. Kuratus Georg Müller,
12. Kaplan Joseph Reimann,
13. Ober- und Religionslehrer Karl Bohn,
14. Kaplan Alfred Schubert,
15. Direktor Monsignore Dr. Steinmann,
16. Subregens Robert Stosiek,
17. Pastor Fritz Bederke,
18. Pastor Paul Wackernagel,
19. Propst und Pastor prim. J. Decke,
20. Kaplan Dr. Alfons Wolf,
21. Dr. med. Walter Freymuth,
22. Lic. theol. Professor Dr. E. Bratke,
23- Oberstleutnant a. D. von Riclithofen,
24. Domvikar Pius Gayde,
25. Kuratus Michael,
26. Kuratus Viktor Bohn,
27. Dr. med. Alfred Sommer,
28. Lic. theol. Professor Dr. Kropatscheck,
29. Lic. theol. Professor Juncker,
30. Kaufmann Gustav Pätzold,
31. Ingenieur Erich Mestel,
32. Privatdozent Dr. J. Ziekursch,
33. Pastor prim. Emil Zickermann,
34. Oberlehrer Dr. Karl Wenzig,
35. Generalsuperintendent Nottebohm,
36. Professor Dr. Bruno Meissner,
37. Dr. med. Kurt Ossig,
38. Landwirt Albert Disch,
39. Rentier Otto Salin g,
40. Professor Dr. med. C. Bonhoeffcr,
Allgemeiner Bericlit.
41. Oberregierungsrat Alfred Falkenhahn,
42. Oberregierungsrat Dr. Schauenburg, Direktor des Provinzial-
Schulkollegiums,
43. Landgerichts-Präsident Dr. Adolf von Staff,
44. Dr. med. Franz Heilborn,
45. Prof. Dr. med. H. Reichenbach,
46. Stadt. Gartenbau-Inspektor P. Dannenberg,
47. Bankdirektor Emil Berve,
48. Präfekt Lic. theol. Dr. Carl Lux,
49. Verwaltungs-Gerichts-Direktor Georg von Glasow,
50. Privatdozent Dr. med. Georg Gottstein,
51. Oberarzt Professor Dr. med. Walter Kausch,
52. Professor Dr. theol. F. J. von Tessen-Wesierski,
53. Rektor Friedrich Kern,
54. Apothekenbesitzer Fritz Seiffert;
als wirkliche auswärtige Mitglieder die Herren:
1. Pastor Otto Schnitze in Königszelt,
2. Pastor prim. Foerster in Landeshut i. Schi.
3. Stadtpfarrer Robert Huck in Reichenbach i. Schi.
4. Handelskammer-Syndikus Dr. Wildner in Schweidnitz,
5. Dr. med. Determeyer in Salzbrunn.
In der Präsidialsitzung vom 1. Dezember wurde Herr Archivar
Df. Heinrich Nentwig in Warmbrunn zum korrespondierenden Mitgliede
ernannt.
Die Gesellschaft zählt mithin:
596 Wirkliche einheimische Mitglieder,
154 Wirkliche auswärtige Mitglieder,
54 Ehrenmitglieder,
127 Koi-respondierende Mitglieder.
Die Sektion für Obst- und Gartenbau zählt außer 60 Gesellschafts-
Mitgliedern noch 119 zahlende Mitglieder.
In den Verwaltungs-Ausschuß für 1905/06 wurden gewählt die Herren:
Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Förster als Präses,
Oberbürgermeister Dr. Bender als Stellvertreter,
Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Ponfick als General-Sekretär,
Prof. Dr. Pax als Stellvertreter,
Dr. Max Wiskott sen. als Schatzmeister und
Reichsbank-Direktor Mannowsky als Stellvertreter.
Dem Präsidium gehören außerdem an:
Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. von Mikulicz-Radecki,
Herr Stadtrat Direktor H. Milch,
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Josef Partsch,
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
Fabrikbesitzer Dr. F. Promnitz und
Oberregierungs- und Kuratorialrat Schimmelpfennig;
ferner als Delegierte der Sektionen und zwar der Medizinischen:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Uhthoff, Geh. Med. -Rat Prof. Dr. Neisser
Prof. Dr. Carl Partsch, Dr. G. Rosenfeld und Prof. Dr. Tietze,
der Hygienischen: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Cohn,
Naturwissenschaftlichen: Prof. Dr. Hintze und Prof. Dr. Franz
Zoologisch-Botanischen: Prof. Dr. Schübe,
Für Obst- und Gartenbau: Kaufmann Paul Riemann,
Historischen: Archiv-Direktor Archivrat Dr. Meinardus,
Rechts- und Staatswissenschaftlichen: Geh. Justizrat Prof.
Dr. Leonhard und Prof. Dr. J. Wolf,
I'hilologisch-Archaeologischen: Prof. Dr. Norden,
Orientalisch-Philologischen: Prof. Dr. Hillebrandt,
Für Neuere Philologie: Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Nehring,
Mathematischen: Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Sturm,
Philosophisch-Psychologischen: Prof. Dr. Freudenthal,
Katholisch-Theologischen: Domherr Prof. Dr. Sdralek,
Evangelisch-Theologischen: Konsistorialrat Prof. Dr. Kawerau
Magnifizenz.
Über die Tätigkeit der einzelnen Sektionen berichten die Herren
Sekretäre das Folgende:
Die medizinisolie Sektion
hielt im Jahre 1904 21 Sitzungen ab, einschließlich drei klinische Abende.
Für die Periode 1904/05 wurden gewählt: als 1. Sekretär, zugleich
als Vorsitzender der Sektion: Herr Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Ponfick
und als dessen Stellvertreter Herr Prof. Dr. Buchwald.
Die hygienisclie Sektion
hielt 4 Sitzungen.
Die naturwissensckaftliclLe Sektion
hielt 3 Sitzungen.
Die zoologisck-botaniscke Sektion
hielt 7 Sitzungen.
Die Sektion fiir Obst- und Gartenbau
hielt 8 Sitzungen ab.
Die bistorisclie Sektion
hielt 5 Sitzungen, davon 2 in Gemeinschaft mit der für Rechts- und Staats
Wissenschaften.
Die Sektion für Eechts- und Staats-Wissenscliafteii
hielt 12 Sitzungen.
Die pMlologisch-archäologiscie Sektion
hielt 6 Sitzungen.
Allgemeiner Bericht.
Die orientaliscli-spracliwisseiiscliaftliclie Sektion
hielt, 2 Sitzungen.
Die Sektion für Neuere Philologie
lüelt 2 Sitzungen.
Die mathematisclie Sektion
hielt 2 Sitzungen ab. Zu Sekretären wurden gewälilt die Herren Geh.
Reg.-Rat Prof. Dr. Sturm und Prof. Dr. Tö plitz.
Die pMlosophiscli-psycliologisclie Sektion
hielt 5 Sitzungen ab. Zu Sekretären wurden gewählt die Herren Prof.
Dr. Ebbinghajis, Prof. Dr. Baumgartner, Prof. Dr. Freudenthal,
Privatdozent Dr. William Stern.
Die katholisck-tlieologisclie Sektion
hielt 3 Sitzungen ab. Zu Sekretären wurden gewählt die Herren Prof.
Dr. Nürnberger und Herr Kuratus Schade.
Die evangelisch-tlieologisclie Sektion
hielt 5 Sitzungen ab. Zu Sekretären wurden gewählt die Herren
Konsistorialrat Prof. Dr. Kawerau und Pastor primarius und des. städt,
Kircheninspektor Matz.
Pr äsidial-Si tzungen haben im Laufe des Jahres 6 stattgefunden.
In der allgemeinen Versammlung am 17. Dezember 1904 sprach
Herr Prof. Dr. Ebbinghaus „Über den klugen Hans".
Wenden wir uns den sonstigen Ereignissen im Leben der Gesellschaft
zu, so ist vor Allem die erfreuliche Tatsache hervorzuheben, daß 2 neue
Sektionen, eine für katholische und eine für evangelische Theologie
gegründet worden sind. Beide haben bereits eine lebhafte Tätigkeit entfaltet.
Außerdem hat die philosophisch- psychologische Sektion dadurch
einen willkommenen Zuwachs erhalten, daß sich die bisher hier bestehende
Psychologische Gesellschaft, nachdem sie sich als solche aufgelöst, mit
ihr verbunden hat.
Über die Aufbewahrung und Benutzung der Gesellschafts-Bibliothek
sind längere Verhandlungen mit der Direktion der Kgl. und Universitäts-
Bibliothek geführt worden. Aus ihnen ist ein für beide Teile vorteilhafter
Vertrag hervorgegangen, welcher zurzeit dem Herrn Kultusminister zur
Genehmigung vorliegt.
In Schriftenaustausch ist die Gesellschaft neuerdings mit folgenden
Vereinen bezw. Corporationen getreten:
der Universität Sassari,
der Asiatic Society of Bengal zu Calcutta,
dem Beskiden-Vereine zu Bielitz-Biala,
den Heraldisch-genealogischen Blättern zu Bamberg.
6 Jahresbericht der Scliles. Gesellschaft für vaterl. Cullur.
Die verstorbene schlesische Schriftstellerin Friederike Kempner
hat ihre Bibliothek und wertvolle an sie gerichtete Briefe namentlich von
Nees von Esenbeck der Gesellschaft vermacht.
Ganz besonderes Interesse hat das Präsidium während des abgelaufenen
Jahres dem Baue eines Gesellschafts-Hauses zugewendet, nachdem, die
reichen Schenkungen, welche der Gesellschaft bei ihrer Hundertjahrfeier
zuteil geworden sind, die Errichtung eines solchen der Verwirklichung
nahe gebracht haben.
Allen hochherzigen Gebern sei auch an dieser Stelle unser ehrerbietiger
und herzlicher Dank ausgesprochen. Doch bleibt noch viel zu tun übrig.
Eine dankenswerte Bereicherung des Baufonds stellt ^ucli ein Schritt
dar, welcher hoffentlich vielfache Nachahmung finden wird. Eine schon
jetzt ansehnliche Zahl von Mitgliedern hat seine Anteilscheine an dem
,,Vercinshaus-Unternehmen" der Gesellschaft überwiesen.
Gestützt auf diese dem angesammelten Vermögensbestande zu-
gewachsenen Verstärkungeu hat jüngst die für den Bau des Gesellschafts-
hauses eingesetzte Kommission vorgeschlagen, demnächst eine Konkurrenz
auszuschreiben für Pläne zur Herstellung eines auf der Matthias-Insel mit
Erbbaurecht zu errichtenden Gesellschaftshauses. Das Präsidium hat
dementsprechend beschlossen.
Die Sektion für Obst- und Gartenbau bat ein etwa 7 Morgen
großes, an ihr bisheriges Grundstück in Klettendorf anstoßendes Gelände
angekauft und in Aussicht genommen einen auf 15 000 Mk. lautenden
Grundschuldbrief auf dem schon in ihrem Eigentume befindlichen Grund-
besitz eintragen zu lassen.
In das Kuratorium des Museums der bildenden Künste wurde Herr
Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Ponfick und als dessen Stellvertreter Herr
Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Neißer wiedergewählt.
Von festlichen Anlässen, bei denen die Gesellschaft hervortrat, seien
folgende namhaft gemacht:
Bei dem 50jährigen Jubiläum des Kopernikus-Vereins zu Thorn über-
brachte der Vizepräses Herr Oberbürgermeister Dr. Bender die Glück-
wünsche der Gesellschaft.
Zu der 125jährigen Gedenkfeier der „Oberlausitzischen Gesellschaft
der Wissenschaften" überreichte der Präses in Gemeinschaft mit Herrn
Prof. Dr. G. Kaufmann ein Glückwunschschreiben. Die feiernde Gesell-
schaft ernannte den Präses zum Ehrenmitgliede. Das von Herrn Professor
Dr. Garo verfaßte Schreiben hatte folgenden Wortlaut:
Mit freudigem Anteil begrüßt und beglückwünscht die Schlesische Gesell-
schaft für vaterländische Cultur ihre ältere Schwesteranstalt in der Lausitz zu
ihrem Ehren- und Jubeltage. Mehr noch als die räumliche Nähe gibt uns die Ver-
wandtschaft der Wurzeln und Zwecke beider Vereine Anrecht und Antrieb dazu,
eine Verwandtschaft, die auch auf den Wegen unseres geistigen Betriebs nicht
selten in der Gemeinsamkeit der behandelten Gegenstände ihren Ausdruck fand.
Allgemeiner Bericht.
Anders jedoch war Ihre Entwickelung. Dem ruhmreichen und für die Pflege der
Ideale unermüdlichen und opferbereiten Gründer und Stifter Ihrer Gesellschalt
schwebte ein wissenschaMiches Arbeitsfeld vor, auf dem,Geistes- und Naturwissen-
schaften in gleicher Weise tietriebcu und zur Blüte geliraeht werdeu sollton. So-
Weit die verfügbaren Kräfte es enn<3gUcbleii, hiilien Sie dem hndigcspanuten Ziele
zu entspreclien gesucht. Allein die Scliwierigkeil war groß. Entbehrten Sie doch
des belebenden Zuflusses geistiger Nubn|uelleii, den die Nähe einer blühenden
Hochschule gewährt; standen Sie doch in wechselnden historisch-politischen Ver-
hältnissen, die Ihnen den andauernden Schutz und die Hilfe emes eingesessenen
fürstlichen Mäcenntentums fast ganz versagten. Wie einst auf Ihrem Territorium
anderthalb Jahrhunderte lang der Verband des Bürgertums in den Sechsstädten
die Wacht und Wehr des Landes bilden mußte, so war auch jetzt das Bürgertum
und der beimische Adel der Grund, auf den Sie einen Tempel für die edelsten
Güter der Menschheit aufzurichten strebten.
Wie mühsam das Werk auch war, so zeigte sich doch durch lel^cnslcräftige Aus-
zweigungen seine Fruchlharkeil, und Sprießkraft. Die Bildung der „Naturforschen-
den Gesellschaft", eines Sprosses aus Ihrem Stamm, ermöglichte Ihnen fortan
alle Ihre Kräfte .auf die Erforschung Ihrer Landesgeschichte in politischer, sozialer,
wirtschaftlicher und literarischer Hinsicht zu richten. Auch hier bot sich llnien
eine Aufgabe von besonderer Eigenart. Es galt zu erweisen und zu erklären, wie
sich hier ein von höherer Kultur getragener Teil des deutschen Volkes über einem
fremden Volkstum als veredelnder Überbau auftürmte, ohne dasselbe zu ver-
gewaltigen, zu unterdrücken und zu zerstören, und wie Sie vielmehr die Heim-
genossen fremder Zunge mit der ganzen Fülle llu'er sittliclieu Beziehungen durch-
zogen und ihre Liebe dem deutschen Vaterlande zu gewinnen und zu befestigen
vermochten. Sie mußten und konnten es ertragen, diilj mnii Sie bei der Kreis-
Einteilung Deutschlands außerhalb desselben stehen ließ. Deutsch war darum
doch Ihr Fühlen, Ihr Lieben, Ihr Handeln — deutsch bis in die Tiefe des
nationalen Grundes.
Aber nicht blos um der Erhellung dieses Problems willen ist der reiche Nieder-
schlag Ihrer wissenschaftlichen Leistungen, der in Ihrem „IVIagazin", in Ihren vorzüg-
lichen „Codices diplomatici" und in Ihren „Scriptores rerum Lusaticarum" aufge-
speichert ist, von der wissenschafthohen WeU aufgesucht worden. Wie hätte es auch
anders sein können bei literarischen Hervorbringungeu, an die ein J. G. Worbs,
ein Ernst Priedr. Haupt, ein Hermann Knothe, ein Richard Jecht und viele Andere
ihre besten Kräfte gewandt haben. Und als in einem zeitlich begrenzten Stadium
Ihres Fortwirkens die Neigung hervortrat, die Gegenstände Ihrer Bearbeitung der
Universalgeschichte zu entnehmen, da beschenkten Sie die Literatur mit jenen
schönen und wertvollen Dante-Forschungen, die den Namen Ihres IWitglieds und
langjährigen Vizepräsidenten Theodor Paur mit weithin schallendem Ruhme be-
deckten. Und aucli das ist unvergessen, daß in Ilirem Kreise der süße Sänger
des „Laienbreviers" seine geistige Heimat hatte, aus der seine sanften Weisen der
beifällig lauschenden Nation entgegentönten.
Wer lieute in Ihrer Provinz um sich schaut, begegnet gemeinnützigen Anstalten,
die entweder Iln-er Anregung entsprungen, oder durch Ihre Beiliilfe emporgekommen
sind. Sie sclmfen fast ganz aus eigenen Kräften und Mitteln Sammlungen von
einem Umfang und einer Bedeutung, die selbst mit vielen altberühmten den Ver-
gleich auszuhalten vermögen. Sie streuten vielfachen veredelnden Samen aus,
der in dem Glück, in dem hohen Bildungsstande der Bevölkerung, in der Blüte
Ihrer Provinz und in der dankbaren Anerkennung der gesamten Nation auf-
gegangen ist. Mit stolzer Genugtuung dürfen Sie auf Ihr Wirken und Schaffen
.Jahresbericht der Scliles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
in den 25 Lustren Uires l_^es(ancles zurückbhcken. Und wir — wir freuen uns
leilnahnisvoll li.res HochpietiiliLs; wir legen im Geiste Kränze auf die Gräber Ihrer
Heimgegangeneu und vercwife-tea Mitarbeiter, den Lebenden aber reichen wir
brüderlich die Hand mit dem innigen Wunsche: „Mögen Ihr Verband und sein
Werk fortbestehen, gedeihen und wachsen Jahrhunderte hindurch!"
Breslau, den 1. Juni 1904.
Zum 150 jährigen Jubiläum der „Akaderaio der Gemeinnützigen Wissen-
schaften zu Erfurt" hat die Gesellschaft ein von Herrn Konsistorlalrat
Prof. Dr. Kawerau verfaßtes Glückwunschschreiben abgeschickt. Dasselbe
lautete:
An die Königliche Aicatlemie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt.
Als die unterzeichnete Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur vor
wenigen Monaten die Feier ihres lOOjährisen Bestehens festlich beging, da erwies
die Kömghche Akademie zu Erfurt uns die Elire, daß sie ilire lierzlichen Glück-
wünsche zu unserem Jubiläuum uns durch eines ihrer hochgeschätzten Mitglieder
aussprechen heß. Es gereicht uns zu hoher Freude, daß das bevorstehende
Jubiläum des ISOJälirigen ßesteh..i,s ,;.. U., ..liehen Akademie uns Gelegenheit
bietet, diese Glückwünsche aufs Im , ,: , . .rwidern. Wir verehren in der
Jubilarin eine der ältesten Gesellscl,;,!!..- hui sehen Vaterlande, die den Zweck
verfolgen, die wissenschaftlichen Arbeiten ihrer Mitglieder zu fördersamem Aus-
tausch zu bringen, die Ergebnisse der strengen Arbeit der Wissenschaft weiteren
Kreisen zuzuführen und zugleich die Wissenschaft mit den praktischen Aufgaben
der Nation in Fühlung und Zusammenhang zu bringen. Ein Rückblick auf die
150 Jahre, während deren die Königliche Akademie ihr Werk getrieben, gil,t ilir
das Recht, auf den Weg, den sie dabei zurückgelegt hat, mit Freude und Gemi-
tuung zurückzuschauen. Siml es .loch mannigfache Hindernisse gewesen die sk'
in treuem Festhalten an ilirer scliönen Aufga.be glücklich überwunden 'hat. Sie
war gegründet in einer altberühmten Universitätsstadt und auf die geistigen Krafle
welche die Hochschule bieten konnte, in erster Linie angewiesen ^Aber'die
Universität war in sichtlichen Niedergang geraten und trieb bereits ihrem Unter-
gange entgegen. Um so höher ist es /,u sebiilzen, daß es der Königlichen Akademie
gelungen isl, trotz dieser Ungunst der Verhältnisse sich zu behaupten und nun
gerade nach dem Absterben der Universität der Mittelpunkt wissenschaftlicher
Arbeit und geistigen Lebens für Erfurt und die umliegenden Städte zu bleiben
Und weiter mußte sich du Königlieh. Akademu dun h den Wandel dei politischen
Geschicke Erfurts hindui Chi nifeen aus kuiminui <hei HeiTs.hift iluich die dunklen
Zeiten der französisclun Besit/eigicifung hmduich und hinein in die neuen Vu
haltnisse unter pieußischcm /<plu Fs ist keni ^enn^.r Ruhmesütel d. i Konig
hohen Akademie d iß ticue und ulnge Mitghedei diien oft gefährdeten Fmtbestind
durch diesen Wechsel de, Zeiten Inndmeh ihi cistiitlen und schheßhch sichei
gestellt haben Abei imh dirm möchten wu eimnern daß es m dei Gesclm ht(
der Jubdarin Zeiten gegeben hat in welchen die ihr von Anfang an milbig. b(m
Bestimmung, die nulzhchen oder wie mm l i h die gcmeiimut/i tu
Wissenschaften zu pflegen die Gefahi Iki i .on ih.ei H,uptuir,bt
der Pflege und Fördeiung dei vnssenschallh , , n „ uu, ihm sehist willen
abgelenkt zu Wird, n und si. h iuf Populansuiuu, d. i W isscnsdi ift und öfiintluhi
Wohhahrtsbesliehuiigen zu beschranken Es.nuihl du Ivoni^hchm Ak id, mie
zu besonderem i uhu,^ ] .jj sie der Versuüiuu,, m diesei Weise ihn Aufgab,
zu veraußcriichcn lapfti und < ntschlossen sich eiwelrrt und ohne jemals die Wuk
Allgemeiner Bericht.
samkeit auf weitere Kreise und die Förderung der Volkswohlfahrt aus den Augen
zu verlieren, doch den Charakter eines wissenschaftlichen Instituts sich zu wahren
gewußt hat.
IVIöge es der Königlichen Akademie vergönnt sein, in diesem Geiste noch auf
lange Zeit hinaus ein lebenskräftiger Mittelpunkt wissenschaftlicher Arbeit und
regen geistigen Lebens für Erfurt und das Thüringer Land zu sein und in ihren
Jahrbüchern kräftig und erfolgreich mitzuarbeiten an der Pflege der Wissenschaften
und einer gesunden vaterUindischen Kultur.
Aus Anlaß des am 10. Dezember d. J. stattgehabten öOjährigen philo-
sophischen Doktor-Jubiläums wurde dem Herrn Prälaten Geh. Regierungs-
rat Prof. Dr. Lämmer ein Glückwunschschreiben übersandt.
Die deutsche Geologen-Versammlung, welche im September d. J.
in Breslau tagte, begrüßte der Präses mit den Herren Professoren Geheimrat
Dr. Joseph Partsch, Hintze, Fax in der Aula Leopoldina, indem er gleich-
zeitig eine unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Frech verfaßte Festschrift
»Zur Geologie des böhmisch-schlesischen Grenzgebirges" nebst einer Ex-
kursionskarte überreichte.
Ebenso sprach er, begleitet von denselben Herren im Stadttheater der
vom 19. — 25. September hier tagenden Versammlung Deutscher
Naturforscher und Ärzte die Glückwünsche der Gesellschaft aus, indem
er gleichzeitig die kurz vorher vollendete ,, Geschichte der Schlesischen
Gesellschaft für vaterländische Cultur" in 200 Exemplaren überreichte.
Herr Professor Dr. Th. Schübe hat den zweiten (Schluß)-Teil seines
Werkes, ,,Die Verbreitung der Gefäßpflanzen in Schlesien, preußischen und
österreichischen Anteils", welches er der Gesellschaft als Festgabe zur
Hundertjahrfeier gewidmet hat, überreicht. Es sind noch jetzt Exemplare
für Mitgheder der Gesellschaft erhälthch.
Herr Archivar Professor Dr. Nentwig hat die ,, Literatur der Landes-
und Volkskunde Schlesiens 1900—1903" als Ergänzungsheft zum 81. Jalires-
bericht herausgegeben. Beiden Herren sei auch an dieser Stelle herzlich
gedankt.
Bericht über die Bibliothelt.
Die im Laufe des Jahres 1904 der Gesellschaft durch Schriften-
austausch und Geschenke zugegangenen Schriften wurden in 4 Sendungen
•ler hiesigen Königlichen und Universitäts-Bibliothek übergeben:
1. am 13. April 1904 No. 54—171,
2. ,, 30. Juni „ „ 172—320,
3. ,, 10. August „ „ 321.
4. „ 18. Oktober „ „ 322—477.
Als Geschenkgeber seien mit Dank genannt: Se. Exzellenz der Herr
Mmister der geistlichen, Unterrichts- usw. Angelegenheiten Dr. Studt,
das Kuratorium der Komraerzienrat Fraenckelschen Stiftungen, Prof.
10 Jaliresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur,
L. V. Graff in Graz, Gymnasialdirektor Guhrauer in Wittenberg, Fabrik-
direktor Krieg in Eichberg bei Schildau am Bober, Hofrat Prof. Prokop
in Wien, Rittergutsbesitzer v. Salisch auf Postel, Prof. Spribille in
Inowrazlaw, Prof. G. Stenzel, Kgl. schwedisch-norwegischer Konsul
V. Wallenberg-Pachaly, Baurat Wingen in Bonn.
In den Schriftenaustausch sind im Jahre 1904 eingetreten:
1. Die Schriftleitung derHeraldisch-GenealogischenBlätter inBamberg,
2. der Beskidenverein in Bielitz-Biala.
Die Bibliothekarsgeschäfte versah während des 1, Vierteljahres Herr
Dr. G. Marquardt, vom 1. April 1904 ab der Unterzeichnete.
Dr. G. Türk.
Bericht über das Herbarium der Gesellschaft.
Im Laufe dieses Jahres wurde der Rest der Metachlamydeen des Herbars
kritisch durchgearbeitet, sodaß jetzt der ganze Bestand an Gefäßpflanzen ge-
sichtet ist. Neue Beiträge spendeten außer dem Unterzeichneten die Herren
Alt-Bunzlau, Buchs-Zülz, Gzmok-Gleiwitz, Ei tn er -Breslau, Hellwig-
Grünberg, Liersch-Haynau, Limpricht-Breslau, Pfeiffer-Steinau,
Rieht er -Ober-Glogau, Schikora-Haynau, Schmidt- Grünberg, Schöpke-
Schweidnitz, Tischbierek-Beuthen, Weeber- Friedeck und Ziesche-
Breslau. Herr Richter lieferte auch Beiträge für die Sammlung von
Standortskarten und schenkte das mit den Eintragungen versehene Blatt
Ober-Glogau.
Für alle Gaben sei auch an dieser Stelle herzlich gedankt!
Breslau, den 8. Dezember 1904.
Theodor Schübe.
Kassen-Verwaitungsbericht pro 1904.
Zu dem Bestände des Gesellschaftsvermögens Ende 1903 von
in bar in Effekten
2 960,55 Mk. 96 200,00 Mk.
traten an Einnahmen im Jahre 1904 hinzu
einschließlich der gezahlten Beiträge zum
Baufonds (51 055,00 Mark) .... 6(5002,23 ,. —
ferner in Effekten die dem Baufonds der
Gesellschaft als einmalige Beiträge über-
wiesenen acht verschiedenen Breslauer
Vereinshaus- Anteilscheine mit ... . 5 100,00
Sa. 68 962,78 Mk. 101 300,00 Mk.
Allgemeiner Bericht.
11
in bar in Effekten
Übertrag 68 962,78 MIj. 101 300,00 Mk.
wogegen verausgabt wurden ... 12 309,40 ,, —
verbleiben 56 653,38 Mk. 101 300,00 Mk.
Von diesem Überschuß konnten angeschafft
werden :
Nom. 54 000 4 % Schles. Boden-
Credit-Pfandbriefe, Serie V— IX . . 55 263,75 „ 54 000,00 ,.
so daß sich Ende 1904 ergibt ein Bestand
von 1 389,63 Mk. 155 300,00 Mk.
in bar in Effelcten.
Das Vermögen der Gesellscliaft hat sich sonacli verringert um
1570,92 Mark in bar, dagegen vermehrt um 59 100,00 Mark in Effekten.
Breslau, den 31. Dezember 1904.
Mannowsky
Stellv. Schatzmeister der Schles.
Gesellschaft für vaterl. Cultur.
Geprüft, mit den Belägen und Depotscheinen verglichen und richtig
hefunden.
Breslau, den 6. März 1905.
Paul Riemann
Rechnungsrevisor.
Baufonds.
An einmaligen Beiträgen sind dem Baufond zur Erbauung eines
eigenen Geschäftshauses im Jahre 1904 zugeflossen:
Von Sr. Majestät Kaiser Wilhelm II. 30 000 Mk.; zweite Rate des
Provinzialbeitrages 10 000 Mk.; von der Schles. Generallandschaft 3000 Mk.;
von Frau Auguste Agath, Georg v. Giesches Erben, Frau Geheimrat
Heinaann, Frau Fabrikbesitzer Kemna, Se. Durchlaucht Fürst Pless, Frau
Kommerzienrat Rosenbaum je 1000 Mk.; Herrn Regierungsrat Udo Schulz
500 Mk.; Graf Viktor Matuschka 300 Mk.; Bankdirektor 0. Degenkolb,
Fräulein Marie von Kramsta-Muhrau, Bankdirektor Moritz Lyon je 200 Mlc;
Kaufmann Adolf Friedenthal, Rosenthal 150 Mk.; Geheimrat Professor von
Strümpell, Professor Dr. A. Tietze je 100 Mk,; Professor Dr. Gadamer
"0 Mk. ; durch denselben von Ungenannt 40 Mk. ; von Sanitätsrat
Dr. Burchard 50 Mk.; Dr. Jungnitz, Geistlicher Rat, Prof. Dr. F. Pax je
3ü Mk.; Prof. Dr. 0. E. Meyer, Prof. Dr. W. Volkmann, Prof. Dr. Julius
Wolf je 20 Mk.; Prof. Dr. Freudenthal 15 Mk.; Redakteur H. Baum, Prof.
J- Nickel je 10 Mk.
12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
Ferner wurden der Gesellschaft überwiesen an Brcslauer Vereinshaus-
Anteilscheinen :
Von Herrn Kommerzienrat Karl Skene, Fabrikbesitzer Georg Schöller,
Fabrikbesitzer Dr. Max Wiskott sen. je 1000 Mk.; Kaufmann Alfred Moser,
Prof. Dr. Carl Partsch, Geheimen Medizinalrat Prof. Dr. E. Richter je 500 Mk. ;
Stadtrat Fedor Pringsheim, Prof. Dr. Piöhmann je 300 Mk.
An Jahresbeiträgen von den Herren :
Oberbürgermeister Dr. Bender, Medizinalrat Dr. Wolffberg, Oberlandes-
gerichtsrat A. Simonson, Fabrikbesitzer Georg Schöller -Rosenthal je 10 Mk.;
Dr. med. V. Winkler 5 Mk.
Für diese Spenden sei auch an dieser Stelle im Namen der Gesell-
schaft bestens gedankt. Zugleich aber sei der Baufond allen Freunden
und Gönnern der Gesellschaft zu weiterer freundlicher Berücksichtigung
warm empfohlen.
Dr. Max Wiskott sen.,
Schatzmeister.
ä
Kassen -Abscliluss für das Jahr 10O4-.
Allgemeine Kasse.
Einnahme.
Zinsen von Wertpapieren:
pro I. Semester
„II. „
Zinsen aus dem Depot bei der städtischen Bank
Zinsen aus dem vorübergehenden Guthaben bei
Eichborn &, Co. hierselbst
1779 M 38
2381
107
87
65
a. von einheimischen Mitgliedern:
pro I. Semester von 530 Mitgliedern ä
M
11
5
1
5.57
5
ä 10 ^ .
ä 4,50 Ji
k 9 J( .
a 5 M .
a 4,50 M
2G50 Ji —
110 „ —
22 „ 50
•' „ —
2785 „ —
50
888
1). von auswärtigen Mitgliedern :
von 1 48 Mitgliedern h Q Ji
Jahresbeitrag des Provinzialausschusses
Jahresbeitrag des Magistrats zu Breslau
Beiträge zum Staats- und rechtswissenschaftl. Losezirkel für 1904:
von 17 Mitgliedern ä 2 Ji ?A J( — /\
„8 „ k l Ji 8 „ — ,
,, 2 ,, zusammen . , . . ■ . 5 ,, — ,
Jährliche Beiträge zum Baufonds:
von 1 Mitglied h h Ji
„ 4 Mitgliedern h 10 Ji .......
Außergewöhnliche Einnahmen :
A. in Bar: Einmalige Beiträge zum Daufonds .
II. Rate des Provinzialbeitrages (v. ^^30000) p. 1 904
durch Verkauf von Schriften
von Herrn Kommerzienrat Rosenbaum s. Z.
übernommenes Kassenplus
Wert-
papiere
■M
Ji -
41055
10000
152
B. in Wertpapieren: Als einmalige Beiträge zum Baufonds der Ge-
sellschaft überwiesene Breslauer Vereinshaus-Anteilscheine .
Neu erworbene Wertpapiere:
4 "/o Schlesische Bodenkredit-Pfandbriefe .
Hierzu: Bestand aus dem Jahre 1903. .
6487
3000
300
54000
96200
51245 51
66002 23
68962 78
Allgemeine Kasse.
Ausgabe.
Wert-
papiere I
M I
Miete für Versammlungsräume, für das Geschäftszimmer und Wohnung
des Kastellans . .
Honorare und Renumerationen ....
Gehalt dem Kastellan
Für Heizung
Beleuchtung
Schreib-Bedürfnisse
Zeitungs-Inserate
Druckkosten
Buchbinder-Arbeiten, bei Pos. 8 inbegriffen
Porto-Ausgaben
Kleine Ausgaben
verschiedene Sektionen
die Bibliothek
unvorhergesehene Ausgaben :
a. für 1500 Festschriften zur Hundertjahrfeier
der Gesellschaft 1603 JI. — aI,
b. für Herstellung von 200 geolog. Karten des
Heuscheuergebirges 500 ,, — ,,
c. für 200 Festschriften zum Geologcn-Kongress 1202 ,, 05 ,,
d. diverse Ausgaben 270 „ — ,,
gekaufte Wertpapiere:
54000 Ji 4 7(, Schles. Bodenkredit-Pfandbriefe
Bestand am Schlüsse des Jahres 1904 . . .
Wertpapiere:
^Vä % Pi'euss. konsol. Staatsanleihe . .
4 7o Schlesischer Rentenbrief
31/2 7o Schlesische Bodenkredit-Pfandbriefe
4«/o
3%7o
31/2 % Posener Pfandbriefe
3 % Schlesische Pfandbriefe
3% % » „ ....
Schlesischer Bankvereins-Anteil . . •
Breslauer Vereinshaus-Anteilscheine.
B ar
1050
330
1200
115
57
8«
369
4039
550
5 74
359
27900
300
10500
81200
10000
4000
5000
1000
300
15100
67573
1389
155300 68962
Breslau, den 31. Dezember 1904.
Mannowsky, st(;llvertr. Schatzmeister der Gesellschaft.
Geprüft,
mit den Belägen und Depotscheinen verglichen und richtig befunden.
Breslau, den 6. März 1905.
Paul Riemann, z. Z. Revisor der Gesellschaft.
Kassen -Abschluss der Sektion für Obst- und Gartenbau für das Jahr 1904
Einnahmen.
An Vortrag aus Rechnung 1903
,, Mitglieder-Beiträgen:
119 Beiträge für 1904
„ Garten -Erzeugnissen:
Verkaufte Baumschul-Artiliei ;2791 Ji 15
Verkauftes Gemüse, Obst etc 1144 „ 10
Verkaufte Schnittblumen 143 „ 15
,, Subventionen:
Subvention des Schlesischen Provinzial-Landtages
Zinsen:
31,2 7„ vom I./IO. 1903 bis 30./9. 1904 von
2000 Ji Schles. Bodenkredit - Pfandbriefe
Ser. IV 70 M —
4 0/^ vom l./l. bis 31./J2. 1904 von 1000 M
Schles. Bodenkredit-Pfandbriefe Ser. VII . . . 40 ,, —
Zinsen auf Rechnungsbuch der Schles. landschaft-
lichen Bank vom 1./12. 1903 bis30./ll. 1904 11 „45
Effekten
598 43
6991 I 28
Ausgaben.
Für den Garten:
Gärtner-Gehall. 1440 Jl
Arbeitslöhne . . . . • . . 1772
Dungstoffe 138
Wildlinge, Sämereien etc 1 3 1 (;
Baulichkeiten, Utensilien etc. . 292
Versicherungen, Steuern etc 211
Zinsen für Restkaufgeld 720
8«
25
17
Insgemein:
Gratis-Sämereien-Verteilung
Vereinsbeiträge, Honorare, Inserate, Porti etc.
97 Jl 15
245 „ 76
Cassa-Bestand im Vortrage
Effekten-Bestand im Vortrage:
Anteilschein Breslauer Vereinshaus .... 2000 M — xi^
37;^ 7o Schles. Bodenkredit-Pfandbriefe Ser. IV. 2000 „ -- „
4 7o v " " " ^^^_^^^" " — "
Effekten
M
B ar
342 : 91
75(i ! 84
Breslau, den 31. Dezember 1904.
5000
Max Müller, z. Z. Kassenvorsteher der Sektion für Obst- und Gartenbau.
Geprüft und richtig befunden: Dannenberg, Beckmann,
üclilesiscle Gessllsclsll fir faterläfiicle Cültiir.
S2.
Jahresbericht.
I. Abteilung.
[VIcdicin.
a. Medieiniselie Seotion.
Si('/iiiis;((n (Ici- nuMHcinisclien Sodion hu Jalire 1904.
Sitzung vom 15. Januar 1904.
ViiiHilzeixlor: Hoit Poufiok. Solirirtfrihror: Hiut NeissHr.
ITcii V. Mikulicz: Zur Pathohjgici usidThwflpäe dfl.s Cartüo-
siuiHmus mit conseeutiver OesophüKiisdiiatation. (Ist anddr=
\voi(,in- oraehioiUMi.)
iSitzuno- vom 22, .Tanuar 1904.
Vorsitzender: Herr B u oh w,i,l d. S oh ri f tfü hrer : Korr Noi a s « r.
Vor der Tagesordnung:
Herr Neisser: Demonstration eines Falles mit ültor doii
finnzeii Körper verbreitetem papulöson Sypliilii! mit sl«''i<'l>-
zeitiger Abducenslähmuiig rechteracits.
Der Fall wird wesentlich deshalb vorgestellt, um darauf hin-
zuweisen, daß derartige Lähmungsersoheinuugen ebenso wie sonstigo
f'i'ivbrale, spinale, intestinale Syphilisprocesso nicht ohne Weiteres,
wie OS gewöhnlich geschieht, als tertiäre Formen aufgofaüt
Worden dürfen, sondern jedes Mal auch der Möglichkeit, es köniitet\
Sficundilro Erscheinungen der Früliperiode sein, Eechnung ge
ti'agen werden müsse. Practisch-therapoutisoh ergielit sioli daraus.
•I'iü OS falsch wäre, einen solchen Kranken nur mit Jodkulium
^■" behandeln. Voraussichtlich würde der die Abducensliilimung
hertingende, vermutlich wohl periostale Proceß ebenso wonig oder
jedenfalls ebenso langsam einer reinen Jodkaliumbeliandlung
Weichen, wie es ein papulöses Hautsyphilid thut. Es ist (hilior
"1 diesem Falle, der sicherlich der Frühsyphilis angehöri, unt-or
allen Uinstäiulen eine Queoksilberbehandlung indicirt. Tat man
Wegen Mangels au genügender Anamnese zweifelhaft, ob man oe
"ei einer Abducenslähmung oder einer ähnlichen der directeii
örtlichen Untersuchung unzagängliohen Affection mit einer Früh-
°'1er Späterscheinung zu thun hat, so wird man \in tor allen Um
^t-änden sicherer vorgehen, eine co mbinirtc Qiiookailbor
^^i>d .Todbohandlung einzuleiten.
1
Jabresbericht der Scliles. Gesellscbaft für vatorl
T a. g e s 0 r (1 n u n g :
Disoussion zu dorn Vortrag dos Herrn v. Mikulic/.; Zur
Pathologie und Therapie dos Oardiospasmu s in it co n h o-
cutiver Oesophagusdilafcation.
Herr Rosenfeld: Zu den interessanten und wichtigen Aus-
führungen des Herrn v. Mikulicz, die eine Fülle von Beob-
achtungen bieten, möchte ich einige Bemerkungen liinzufugen.
Was die Diagnose anbetrifft, so hat Herr v. M i k u 1 i o z die Röntgen-
durchleuchtung für sehr wichtig erklärt; ich kann dem nur bei-
pflichten, besonders wenn man sie in der Art ausführt, daLi man
die von mir angegebene mit Luft zu füllende CondomBonde an-
wendet. Die helle Luftblase ist im Röntgensohirmbilde sehr
deutlich zu sehen und der lufterfüllte Ball gestattet durch Ver-
schiebung nach auf- und abwärts die Ausdehnung der Dilatation
zu beurteilen. Das Verfahren dieser Sondirung mit der Coudom-
sonde ist auch ohne Durchleuchtung schon im Stande, einiger-
maCen über die vorliegenden Verhältnisse der Speiseröhre zu
Orientiren. Damit kommt man über die complioirten diagnostischen
Methoden hinweg. Die Oesophagoskopie wird durch Aufklärung
von Details immer einen großen Wert behalten. Zu beachten
ist für die Sondirung, daß die Sonde von einer sonst
normalen Cardia Widerstände erfahren kann. Das koirimt
wohl auf die Art der Sonde an. Sehr dicke Sonden und sehr
weiche Sonden lassen vielleicht die zu schildernden Fälle über-
sehen. Es giebt nicht allzu selten Patienten, bei welchen eine
halbweiche Sonde mittlerer Dicke, die ich wegen der großen
Erleichterung des Sondirens für den Patienten vorziehe, an der
Oardia hacken bleibt und erst durch einen Druck in den Magen
eintritt. Gewöhnlich ist das bei nüchternem Magen zu sehen, und
verschwindet mit der Nahrungsaufnahme.
Die Bedeutung der Oesophagusdilatationen für die Ernährung
ist nicht von ihrer Größe abhängig. Faustgroße Erweiterungen
können sehr verderblich und größere ohne viel Bedeutung sein.
Die Therapie der Sondirung, der Auswaschung etc. führt oft zu
wesentlichen Besserungen. Einen Fall habe ich gesehen, in dem
längere Zeit die Flüssigkeitsaufnahme durch eine die Cardia
nicht passirende, ihr nur möglichst genähorte Sonde gelang,
während durch den normalen Schluokact fast nichts in den Magen
befördert werden konnte.
Aus den Erfolgen der Mikulicz'schen operativen Dilatation
müssen wir uns wohl die Malmung entnehmen, die Dilatations-
i. Abteilung. Medioiiiische Sectioii.
verfahren vom Munde aus eveut. unter Leitung des Oesophago-
sliops bei allen milderen Fällen moglichat stark 7,u betonen, um
ihnen so hifige wie angängig die Cardia, deren JBehandlvmg
das wesentliche Moment darzustellen scheint, ganz im Sinne der
operativen Dehnung vom Magen aus offen zu erhalten.
Herr B. Oppler: Auf die physiologischen und pathologisch-
anatomischen Thatsachen, die uns Herr v. Mikulicz mitgeteilt
hat, will ich hier nicht weiter eingehen, da eine Kritik derselben
nur auf dem Wege der Nachprüfung möglich ist, sondern mir
nur vom klinischen Standpunkte aus einige ergänzende Bemerkun-
gen gestatten.
Da muß ich zunächst betonen, dnß das Leiden durchaus
nicht so selten ist, wie es den Anschein hat; ich habe beispiels-
weise in den letzten Jahren 6 oder 7 Fälle davon gesehen. Frei-
lich sind dabei einige wesentlich leichtere dabei, bei denen ent-
weder die Erkrankung noch in den Anfangsstadien sich befand,
oder zum mindestens nicht so schwere Symptome machte. Ueber-
haupt sieht man niclit gar so selten Fälle, bei denen wohl gewisse
dyspliagische Beschwerden bestehen, jedoch die Untersuchung
keine Dilatation des Oesophagus, sondern lediglich einen gewissen
mit mäßiger Gewalt überwindbareu Widerstand an der Cardia
(nicht nur bei nüchternem Magen) und eine Oesophagitis ergiobt.
Diese lassen sich durch entsprechende Behandlung sehr leicht
bessern oder zum mindesten in dem betreffenden Stadium er-
halten. Aber auch die weiter vorgeschrittenen Fälle mit aus-
gesprochener Erweiterung des Oesophagus werden durch Behand-
lung der Oesophagitis, regelmäßige Spülungen der Speiseröhre und
teilweise Sondenfütterung, falls sie noch nicht gar zu weit vor-
geschritten sind, oft so weit gebessert, daß man auf eine chirur-
Kificho Behandlung verzichten kann und diese für so schwere
■ Fälle reserviren mag, wie sie uns der Herr Vortragende gezeigt hat.
Herr v. Mikulicz glaubt nun, daß den als spindel- oder saok-
torniige oder idiopathische Dilatation des Oesophagus bezeichneten
Päileu wahrscheinlich ausnahmslos ein Cardiospasmus zu Grunde
Ju-'ge, und hat das für seine letzten Beobachtungen durch exacte
Versuclio gestützt. Ich kann nicht sagen, daß ich bei allen meinen
""d den litterarisch bekannten Fällen diesen Eindruck gehabt
l'abe, sondern bin der Ansicht, daß es sich dabei doch wohl nur
"m eine, allerdings wohl eine Hauptgruppe von Fallen handelt.
'"^0 reclamirt auchKelling neuerdings in einer Arbeit einen Teil
'ißr Fälle für eine andere, Aetiologie, nachdem er in einem solchen
Pinen Schwund der Längsmusculatur des Oesophagus (der natür-
1*
4 Jalirosberiolit dor Scliles.'Gosollscliaft für vatovi. Ciiltnr.^
lieh ebenfalls eine gestörte Fortbewegung und Liegenbleiben der
Speisen, somit auch Erweiterung verursacliou muü) hat feststelleii
können. Es leuchtet ein, daß für derartige Fälle eine Delniung
der Cardia keinen Nutzen bringen könnte und dalier jodei- rin/ylii«
Fall auf seine Aetiologie vorher genau ku prüfen ist.
Herr Buchwald fragt den Vortragenden , «ob ihm eine Mor-
liiditrtts-Statiistik zur Verfügung stehe? Wie varhiUt es sich mit
dem Alter, Geschlecht der Patienten? Im Allgemeinen müsse
das Leiden doch ein sehr seltenes sein. Woim man auch jet/.t
infolge der neueren Arbeiten mehr auf solol\e Fälle achte als
früher, so würde doch bei dem großen Kraiikonmaterial, welches
im Allerheiligen-Hospital zur Beobachtung stehe, ein derartiger
Kranker öfter zur Beobachtung gekommen sein, als dies that-
slichlich der Fall sei. Event, hätte bei nicht gestellter Diagnose
die Section Aufschluß gegeben. Tu den 30 Jahr(!n hosiii(aliu-/,t-
Ücher Thätigkeit habe Buchwald jodocli mir nein- wniig dor-
artigo Kranke gesehen.
Herr Sackur: Herr v. IVIikulio?, hat die Aottologic des
Cardiospasmus als unsiolior bezeichnet; man müSBSo an eine
Reflex-Neurose oder dergleichen denken. Bei dor großen Aohnlicli-
keit, die das geschilderte Krankheitsbild mit dem Spliiiicter-
krampf bei Fissura ani hat, möchte ich mir die Frage erlauben,
ob Herr v. Mikulicz bei seinen Operationen, die ihm ja er-
laubten, durch die Mageuwunde hindurch die Schleimhaut der
Cardia-Gcgend mit dem Finger, vielleicht auch mit dem Auge,
'/u controliron, in dor Lage war, das Vorhandensein von Rhagaden
oder Fissuren dieser Schleimhaut als Ursache des Cardiospasmus
sicher auszuschließen. Wem; man nämlich eine solche Fissur als
Krankheitsursache annehmen dürfte, so würde das ganze Kvank-
hoitsbild unserem Verständnis viel näher gerückt werden uml
uns anch der heilende Effect der Cardiadohnung ~ analog dem
therapoutiBchen Verfahren bei Fissura ani — viel plausiblar sein.
Herr V. Mikulicz erwidert Herrn Buchwald, daß die bisher
sicher beobachteten Fälle von Cardiospasmus doch noch zu spärlich
sind, um statistisch vorwertet werden zu können. Nach seiner
Erfahrung kann Redner nur sagen, daß das mittlere Lebensalter
vorwiegend von der Krankheit befallen ist, und daß Männer und
Pnauen gloichmilLÜg daran partioipiren.
Eine Verijinderung analog der Fissura ani konnte Redner bei
den Operationen an der Cardia nicht wahrnehmen. Auch spriolit
der ösophagoskopische Befund n icht dafür. Der von Herrn 0 p p 1 e r
angeführte Kelling'sche Fall, in welchem dieser Cardiospasmus
I. Abteilung. Medicinisclie Soction.
mit yicberheit aussohließeu zu können glaubt und eine priraiVro
Atrophie der Liiiigsmusoulatur annimmt, erscheint Vortr. uictit
beweiskräftig. Wenn der Fall mit Stagnation von Flüssigkoiten
im Oesophagus vcrljunden war, was Herr Oppler bestätigt, so
kann dies unmöglich auf Atonio der Musoulatur zurüokgefiVhrt
worden, da eine solche, wie Redner nachgewiesen hat, allein nicht
VAX Rückständen im Oesophagus führen kann. Auch wäre es
nicht verständlich, wie eine Atrophie der Längsmusoulatur zur
Dilatation führen süUte. Es müßte vorwiegend die Ringmuscvdatur
atrophisch sein. Vortr. hält die Entscheidung, ob ein Cardio-
spasmus vorliegt oder nicht, in erster Linie von dorn Ausfallen
der in seinem Vortrage angegebenon Druckversuche abhängig.
Diese sind in dem Kelling'schen Falle sicher nicht vorgenommen
worden, da Redner dieses wichtige diagnostische Hilfsmittel oV)eii
erst veröffentlicht hat.
Was das Vorkommen leichter Fälle von Cardiospasmus ohne er-
hebliche Dilatation betrifft, so hat auch der Vortragende eine Reihe
von solchen beobachtet. Daß diese, sowie die leichteren Fälle von
Cardiospasmus mit Dilatation ohne chirurgisches Eingreifen geheilt
oder wenigstens erheblich gebessert werden können, hat Redner
schon in seinem Vortrage ausführlich hervorgehoben. Die chirur-
gischo Therapie bleibt nur für die schwersten Fälle rosorvirt, in
welchen nicht nur die subjeotiven Beschwerden bei der Nahrungs-
aufnahme, sondern auch ein constautes Heruntergehen des Körper-
gewichtes zu energischem Eingreifen auffordert. Ob eine rationelle
interne Therapie in jedem Falle vor der Entwicklung dieser
schworen Erscheinungen schützt, wie Herr Opplor meint, möchte
Redner doch bezwoifoln. Der letzte vom Vortragenden oporirte
und domonstrirte Fall war vor der Ausführung der Gastrotomio
ein Jahr lang von Boas, also gewiß mit allen modernen Hilfs-
mitteln der internen Therapie, behandelt worden. Nochmals hervor-
hoben möchte Redner daß die Sondenbohandluug ein zwei-
schneidiges Schwert ist, da sie in manchen Fällen des Cardiu-
' Spasmus geradezu steigern kann.
Der Vortragende hat selbstverständlich längst daran gedacht, die
forcirto Dilatation der Cardia anstatt vom eröffneten Magen vom
Munde aus vorzunehmen; er hat auchschon vor mehreren Jahren und
niiuerdings wieder lustrumonto construiron lassen^ die das sicher
bewerkstelligen können. Er hat es aber bisher nicht gewagt,
ein solches Instrument ohne jede Controle in der Tiefe des
Körpers wirken zu lassen, da eine Zerreißung der Cardia fast
sicher einen letalen Ausgang herbeiführen wurde. Die forcirto
Jahresboriclit der Sohles. Gesellscliatt füf vuterl. Cultur.
Dilatation vom Magen aus gestattet, den Grad der Dehnung
wenigstens mit den Fingern zu controiiren.
Herr (i. (Jottstein: lieber die Verwendbarkeit des Lujs-
schoü Separateurs an Stelle des üreterenkathefers.
Redner geht zunächst auf die verschiedenen Untersuchungs-
inethoden ein, erwähnt die Comxwessiou des Ureters, die Sondirung
der Ureteren und bespricht die Scheidung der Blase sowohl von
außen als von innen her. Er beschreibt genau die Technik der
Untersuchungen mit dem Cathelin'sohen Diviseur sowie mit
dem Luys'scheu Separatem-. Während das Oatheliu'sche In-
strument wegen seiner Coustruotion nicht ungefährlich erscheine,
ist der Luys'sche Separateur als ein technisch vorzügliches
Instrument zu bezeichnen.
Im Weiteren beschreibt Redner die bisherigen tlieoretischeu
Versuche und weist diese als unmaßgeblich zurück. Er maclit
darauf aufmerksam, daß vor jeder Untersuchung mit dem Harn-
soheider die Cystoskopie notwendig ist behufs Feststellung der
Lage der Ureterenöffnungen und von eventuellen Veränderungen
in der Blase selbst.
Redner geht ausführlich auf die großen Vorteile des In-
struments ein, verkennt aber keineswegs die Nachteile desselben.
Mit dem Instrument wurden 39 Untersuchungen in 24 Fällen
vorgenommen.
Vortr. schließt daran eine Kritik des Ureteronkathetorisinua
und vergleicht diesen mit dem Harnscheider. Er kommt zu dem
Resultat, daß beide Methoden, wie sie bisher gebraucht werden,
unvollkommen sind. Sowohl der Ureterenkatheterismus wie die
Untersuchung mit dem Separateur haben ihre Berechtigung, es
sind zwei Methoden, die sich gegenseitig ergänzen. Ergiebt der
Separateur einen characteristischen Unterschied der beiden ge-
trennt aufgefangenen Urine, so ist seine Wirksamkeit erwiesen.
Mit dem Ureterenkatheterismus köiuieu wir nur die anatomischen
Veränderungen der Niere nachweisen, erhalten aber kein sichoruH
funotionelles Resultat.
Der große Vorteil des Harnseheiders vor dem Urctei-on-
katheterismus ist insbesondere der, daß die Handhabung deH
Harnseheiders eine außerordentlich einfache ist, während der
Ureterenkatheterismus specialistische Technik, große Uebung \nid
Erfahrung voraussetzt.
Andererseits ist der Harnscheider absolut sterilisirl)ar inid
kann keinerlei Gefahren einer lufection eines noch gesunden
I. Abteilung. Mediciuische Seotion.
Organs horbeiführen, wie dies tlem üretereiikathetorismua viel-
fach luioligesagt wird. (Der Vortrag erscheint im Original in
den „Mittoilungeu zu dou CTreuzgobieteu".)
Sitzung vom 29. Januar 1904.
T a g e s o r d n u u g :
Dis<-,\i8siou /.um Vortrage des Herrn Gottstciii:
Uobcr die Verwendbarkeit des Luys'schon Separatours
au Stelle des Ureterenkatheters.
Herr Willi Hirt: Ich möchte mir erlauben, in Ergiinzvuig
der Ausführungen des Herrn Crottsfcein auf die großen Schwierig-
keiten hinzuweisen, die der Anwendung der Luys'schen und
alier ähnlichen Instrumente erwachsen aus der großen Ver-
Bohiodenheit der anatomischen Beschaffenheit des Blasenbodens
auoli bei normalen Blasen. loh habe hier eine Anzahl normaler
uionsohlichcr Blasen aufgestellt, die diese Verschiedenheiten demon-
striren.
Zunäclist springt das Ligamoutum interureterioum häufig als
ein starker musculösor Strang so stark in das Blasencavum
liervor, daß es eine wasserdichte Teilung des Blasonbodens durch
den Divisour absolut unmöglich macht. Ferner finden sich häufig
auf dem Trigonum sowohl, wie am übrigen Blasenboden starke
Faltcubildungen, die denselben Effect haben. Nicht anders steht
ÜB mit dou nicht selten auftretenden Trabckelbildungen. In dem
Netzwerk dos trabeculäron Blasenbodens ist eine Trennung der
beiderseitigen ürino ausgeschlossen. Auch finden sich hin und
wieder Vorlagerungen dos Ureterendreiecks derart, daß beide
Uroteren in einer Blasenhälfte sich befinden (Demonstration). Ich
habe absichtlich alle erheblich pathologischen Veränderungen,
wie sie sich namentlich bei Prostatahyportrophie einstellen, un-
beriicksiolitigt gelassen; die Unmögliclikeit, bei diesen Vor-
änderungen den Diviseur erfolgreich zu benutzen, liegt klar auf
der Hand.
Nun fijidet sich wiederholt in der Litteratur die Angabo, daß
liesundera in der weiblichen Blase das Luys'sche Instrument
erfolgreich verwendet worden kann. Meine Herren, wer viele
weibliche Blasen cystoskopirt hat, wird dieser Angabe recht
skeptisch gegenüberstehen. Gerade der Boden der weiblichen
Blase ist durch die zwischen Mastdarm und Blase dazwischen
gelagerten G enitalorgaue häufig überaus unregelmäßig gestaltet.
Das Trigonum springt als mächtig hervorragender Wulst,
Jahresbericht der Bchles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
häufig erheblich von der Meiliaiilinie abweichend, stark hervor,
zu seinen beiden Seiten finden sich tiefe, nacli hinten zu oft
commuuicirende Recesse. Ich habe mich selbst bei gegen 100
In den letzten Jahren in der hiesigen Frauenklinik vorgenommenen
Cystoskopien bei häufig sonst ganz normalen Blasen von diesen
Verhältnissen überzeugt und erblicke in ihnen große Schwierig-
keiten für die Anwendung des Diviseurs bei der Frau.
Man hat nun empfohlen, um sich vorher über Abnoi'mitäteu
des Blasenbodens zu informireu, vor der Anwendung des Harn-
scheiders zu oystoskopiren. Man kann diesen Zweck aber dadurch
nicht mit Sicherheit erreichen, da die Cystoskopie bei gefüllter,
die Anwendung des Harnscheiders bei absolut leerer Blase vor-
genommen werden muß, und die Configuration des Blaseninneru
bekanntlich vom PüUungsgrade wesentlich abhängig ist.
Trotzdem ist die vorherige Cystoskopie absolut notwendig
um andere Irrtümer zu vermeiden. Bei Hämaturie z. B. würde
auch der wiederholte Nachweis mit dem Harnsoheider, daß das
Blut nur von einer Seite herrührt, die Diagnose nicht wesentlich
fordern, da die Blutung dann sowohl aus einer Niere wie aus
einer einseitigen Blaseuaifection , z. B. einem am Ureterostium
sitzenden Papillom herrühren könnte. Bei Pyurie könnten ein-
seitige Blasendarmfisteln oder einseitige, mit eitrigem Urin gelullte
Divertikel dieselben Irrtümer hervorrufen, falls die Cystoskojiiu
unterlassen wird.
Wenn nun also ilio Forderung der vorherigen Cystoskopie
kategorisch gestellt werden muß, dann liegt doch .auf der Hand,
daß die Anwendung des Luys'sohen Instrumentes eine erhol)-
licho, unnötige Belästigung des Patienten mit sich bringt. Will
ich die Uroteren katheterisiren , so führe ich nach Füllung der
Blase das Ureterencystoskop einmal ein, kathetcrisiro die Uro-
teren, ziehe das Instrument heraus und lasse beide Uroteren-
katheter, die absolut keine Belästigung bei ihrem dünnen Kaliber
lier vorrufen, liegen. Der Patient kann sich dabei ganz ungenirt
bewegen. Will ich dagegen den Harnsoheider anwenden, so muß
ich erst die Blase anfüllen, dann das Cystoskop einführen luid
mich über den Blasenbefnnd informiren, dann die Blase wieder
sorgfältig mit dem Katheter entleeren und nun als vierten Ein-
griff das dicke Luys'sohe Instrument einführen und bei un-
tieweglichor Haltung dos Patienten längere Zeit, ev. eino halbe
Stunde lang und länger, in der Blase liegen lassen. Daß diese
Art der Untersuchung gerade Jiicht einfach und xait genannt
werden kann, liegt auf der Hand.
I. Abteiluiiff. Mediciiiische Section.
Man wird nun einwenden, es giebt .aber doch Fälle, in denen
auch der goübteste Speoiaüst den Ureterenkatheterismus Jiioht
zu Stande bringt.
Gewiß, das sind dann aber immer Fälle mit abnorm ver-
ändertem Blasenboden oder mit abnorm reizbarer Blase: und
diese Fälle sind auch für deu Harnscheider durchaus ungeeignet.
Was nun noch zum Schlüsse die dem Ureterenkatheterismus
innnor wieder vorgeworfene Infectionsgefahr betrifft, so leugnen
die competentesten und erfahrensten Untersucher, z. B. Kümmoll
in Hamburg, diese Gefahr vollkommen. Kilmmell bezeichnete
auf dem letzten Chirurgencongresse seine Erfolge hinsichtlich
der aseptischen Durchführung des Ureterenkatheterismus bei
vielen Hunderten von Fällen als geradezu glänzend. Hin und
wieder kommen Infectionen vor; diese aber dem Ureteren-
katheterismus zur Last zu legen, ist meiner Ansicht nach durch-
aus mibereehtigt; denn jeder Urologe wird bei schwer infioirten
unteren Harnwegen nach Eingriffen, die den Ureter überhaupt
nicht betreffen, z. B. nach Sondirungen der Urethra, schwere,
acute Infectionen der Niere und des Nierenbeckens erlebt haben.
Es kommt eben hier vor allem die hämatogene secundäre lu-
Ittction der oberen Harnwege in Betracht.
Von diesem Gesichtspunkte aus aber ist das Luys'solie In-
strument als ein äußerst gefährliches zu bezeichnen, da es V>oi
seinem langen Aufenthalt in der Blase, bei seiner Große und
Schwere leicht zu kleinen Verletzungen der Blasenschleimhaut
füiiren kann, die schwöre hämatogene Infectionen der oberen
Harnwego zur Folge haben können.
Derjenige Krankheitserreger, dessen Verschleppung in die
ol)oren Haruwege wir am meisten zu fürchten haben, der Tuliorkcl-
'liicillus, hat viel von seiner Gefährlichkeit in dieser Beziehung
verloren, seit wir durch die Untersuchungen Baumgartens und
V. Bruns wissen, daß er sich nicht dem Flüssigkeitsstromo ent-
gegen vorbreitet. Wenn man also die Vorsicht gebraucht, den
Urotoronkathotor nur ein kurzes Stück in den Ureter vor-
ausohieben, so würdo naoli diesen Anschauungen selbst der
etwaige Import von TvLberkolbacillen aus der Blase in den Ureter
keine üblen Folgen nach sich ziehen.
M. H. ! Herr Gottstein hat den Luy.s'.schon ilarnsegregalor
inir in sehr bedingter und roservirter Weise empfohlen und ich
glaube, wir müssen ihm für seine Versuche und Mitteilungon
dankbar sein; eine weitere, allgemoinero Vorwendung des In-
10 Jahreslierk'ht der SeUes. CosoUscliaft für vaterl. Cultur.
Btnrmeuts aber in der urologisohen Chirurgie würde meines Er-
aclitous einen Rückschritt bedeuten.
Herr Loowenharrtf: Die Bestrebungen den Ureteron-Ksitho-
torisiaus durch andere Methoden einzusühriiukeu oder zu ergänzen
sind gewiß berechtigte.
Es ist dankend anzuerkennen, daß Herr Gottstein wiederum
die Brauchbarkeit des Luys'schen Haruscheiders untersucht hat.
Er hat auch gezeigt, daß es möglich ist, aus jeder Seite vor--
schiodenen Urin zu erhalten.
In jedem einzelnen Falle muß sich aber ein Zweifel erhoben,
ob diese Verschiedenlieit auch den wirklichen Verhältnissen ent-
spricht und nicht doch eine teilweise Vermischung eintritt. Un-
zweifelhaft muß dieses unangenehme Ereignis aus anatomischen
Gründen öfters eintreten, also nur die ganz eindeutigen Fälle,
d. li. wo auf einer Seite normaler und auf der anderen patholo-
gischer Urin zu Tage tritt, wären brauchbar.
Aber auch in diesen Eällen kann ein Irrtum vorliegen, indem
z. B. bei einer einseitigen, nur wenige Eiterpfropfe abgcboiulon
Erkrankung zwar auf die gesunde Seite wegen der dicken Gon-
sistenz nichts übertritt, wohl aber von der gesunden auf die
kranke Seite klarer Urin herüberläuft, sich mit den dicken Eiter-
pfropfen vermischt und nun falsche functionelle Bestimmungen
ergiebt, wie mir ein eolcher Fall bekannt ist.
Wir sind also nioiiials sicher, ein richtiges Resultat zu er-
halten.
Herr Gottstoin hat selbst mit Rocht erwäiint, daß die vor-
herige Cystoskopie notwendig sei, um zu bostimraon, oli der
Diviscur augelegt werden könne. Mau möchte sagen, daß auch
noch nachher stets der Ureteren-Kathetorismus notwendig ist,
um. zu bestimmen, ob der Diviscur auidi ein richtigoy
Resultat ergeben hat.
Für Frauen halte icih den Apjiarat nooii für einen Notbehelf,
wenn die Blase nicht dio für den Ureteren-Kathetorismus notigo
Capacität besitzt.
Beim Manne ist von allem anderen abgesehen in solchen
Fällen die Einführung viel zu schwierig und verletzend.
Die sogen. Benirpo Krümmung, welche als orleichtonul lür
den Gebrauch des Instrumentes erwähnt wurde, liegt nämlicli
gar nicht in dem Teil, dem sie sich sonst aocommodirt, uändich
der liinteren Harnröhre, sondern muß in die Blase gebracht
werden, was bei Männern nicht ohne Schwierigkeiten ist und
mindestens eine stärkere Füllung wünschenswert macht, um mit
[. Abtolliiiig. Moiliciiiischo Section. 11
der Ivrüraraung nicht die Blasenwand beim Einführen zu stark
zu, drücken.
Der in meinem Besitz befindliche Luys'sche Harnscheidcr
zei<;hnet sich zwar durch geringes Caliber aus (Charriero 21), ist
aber docli unter anderem für den Mann eine große Belästigung.
Das Caliber der üreteren- Cystoskope ist neuerdings auch
sehr reducirt worden.
Ich habe ein üreteren- C^'stoskop mit einem Umfang von nur
18 mm und 30 .cm verwendbarer Sohaftläuge anfertigen lassen,
welches besonders sich für Prostatiker vorteilhaft erwiesen hat.
Für die Infectionsfrage halte ich das Trauma des Harn-
scheiders für viel schwerwiegender als alle gegen den Uretoren-
Katheterismus geäußerten Bedenken, Auch in der Litteratur ist
von den verscliiedensten Seiten aus der Harnsclioider ungünstig
beurteilt worden.
Immerhin ist es nicht unwichtig, wie Herr Gottstein beab-
sichtigte, nach Ergänzungsmittelu für den Ureterenkatheterisraus
zu suchen.
Ich möchte auf die von Voelcker und Joseph iu der
Heidelberger chirurgischen Klinik angewandten Indigokarmin-In-
jcctionen hinweisen, wodurch, wie ich mich überzeugte, man
KwoifelloB unter Umständen die Localisation sonst schwer erkenn-
barer Ureterenmünduugen an dem Blau-Urinstrahl feststellen kann.
In wie weitem Umfange aber der Ausscheidungstypus Rück-
Kclilüsse auf die Nierenfunctionen erlaubt, wie diese Autoren
angeben, darüber möchte ich mich noch zurückhaltend äußern.
Herr Carl Alexander: Am Schlüsse seines eingelienden
Vortrages hat Herr Gottstein die Vorteile und Nachteile
des Luys'schou Harnseparators abgewogen und ist dabei zu
einer Bewertung dieses Instruments — im Gegensatz zum Ure-
toren-Katheter — gelangt, welcher ich nicht beipflieliten kann.
Auch ich möchte, im Einklänge mit den Collegen, welche soeben
ihre Bedenken geäußert haben, feststollen, daß das Luys'sche
Instrument die wesentliche Forderung, nämlich die sichere
Trennung der Harnportionen der beiden Nieren, iu vielen Fällen
durchaus nicht erfüllen kann. Es genügt ein Blick in Nitzos
«'ystophotographischen Atlas (den ich zum besseren Verständnis
herumgebe), insbesondere auf die Bilder des ITlaseuinneru bei
Prostatahypertrophie, um das zu erweisen. Die Unebenheiten
des Niveaus, die Buclitungen und Falten der „A'cßsie ä colouncs",
die tlivortikelartigen Vertiefungen, wclclio durcdi stark vor-
springende Muskelbalken überljrückt werden, bedingen, sobald
Jaliresbericlit der Scbles. Gesellschaft für vaterl. Oultiir.
dcas Instrument auf einen oder mehrere solcher Balken zu liegen
kommt, die Unmöglichkeit, sich der Form der Blase derartig an-
zufügen, daß eine Communication zwischen rechter inid linker
Blasenhälfte ausgesohlosson werden kaini; vor allem ist dei'
„RocesBus prostatae" in der Blase in Form und, Größe so viol-
ycstaltig, daß das starre, in seiner Krümmung festgelogto
Luys'sche Instrument sicher nicht in jedem Falle zur Trennung
in zwei Hälften genügen würde. Hierzu kommt die knotenförmige
Verdickung unil Wulstung des Orilicium internum in ihren bi-
zarren, in den einzelnen Fällen so ungleichen Bildern, (s. Nitzo-
schcr Atlas), durch welche die Richtung des eingeführten In-
struments von der Medianlinie leicht abgelenkt werden kann.
Der von Luys empfohlene und von Herr Gottstein angenouunonc
Hilfsgriff: vom ßectum aus die Blase gegen das Instrument an-
zudrücken, erscheint mir sehr bedenklich; nach Vorschrift soll
ja der Separateur etwa eine halbe Stunde in der Blase liegen
bleiben, und es dürfte dann diese Manipulation für den Arzt
nicht angenehm und für den Patienten nicht sehr dienlicii
sein. Man unterschätze hierbei die Gefahr des Traumas nicht!
Aber noch mehr; bekanntlich führen starke Reizungen der
Urethra posterior und der Blase reflectorisch zu Aenderungou
der Niereufunotion und unter Umständen zur Eiweißabsondorung
aus einer sonst gesunden Niere; und so kann mau dann leicht
zu falschen Schlüssen kommen, die unser therapeutisches Handeln
in falsche Bahnen lenken.
Auf dioAnomalion des Ureters (boideUretercn auf einer Seite etc.) ,
wch.'.ho weitcrliin die Kichoriioit dos öoparateurs beeinträchtigen,
wdl ich, da Herr L ö w eu hard t uiul Herr H irt darüber gesprochen
JKiben, nicht mehr eingehen. Nun hat Herr Gottstoin zugegeben,
daß joder Benutzung des „Separateurs" die Cystoskopio voran-
gehen müsse. Ja, wozu daim noch die für den Patienten schmerz-
hafte und des Traumas wegen riskante Umwochselung der Instru-
mente':' Dann führe man doch lieber gleich das Uretorencystoskop
ein, welches zudem handlicher und dünner als der Luys'schö
Segtogator ist, und katheterisire dieUretercn oder den einen Ureter!
Die Behauptung, daß auch dieser Methode noch gewisse Mängel an-
haften, trifft in gewissem Sinne zwar zu; aber sie liefert wenigstens
sicherere Resultate. Denn wenn auch, wie es öfters vorkommt,
Harn aus dem Harnleiter neben dem Katheter vorbeilließt, ist
man wenigstens sicher, in domjenigou Teil des Harns, der durch
den Ureterkatheter abfließt, wirklich nur den Harn der einen
Niere au haben. Don Vorwurf, den Herr Gottstoin erhobt, daß der
t. Ablöiluiig Medicinisclui Scclidii.
la
TTrotci'kiit.hoter sich so häufig veratopfe, kann ich nicht anorkeniioii.
Moiatüiis handelt es sich dal^ei nicht um Verstopfung, soiuloni
uin ein Plineingelangeu des Katheterendes in eine Tasche oder
um eine Aspiration der erschlafften Wandung an der StoUö
des Katheterauges, Verlmltnisse, die ja z. ß. auch beim einfachen
Katheteriamus der Blase gelegentlich eintreten und eine Ver-
stopfung oder eine leero Blase vortäuschen. In solchen fallen
genügt eine geringe Drehung oder Zurüokjiiehung oder andere
Lageanderung dös Katheters, um die Schwierigkeit zu iil)orwindon.
Freilich, eine gewisse Technik gehört hierzu, und das iiat Herr
Gottstein, Luys folgeud, auch als einen Grund angoflihrt, mn dorn
Luys'achon Instrumente den Vorzug zu geben. Es geht aber,
meines Eraclitens, nicht an, ein derartiges Moment zum Kriterium
der Brauchbarkeit einer Methode zu machen.
Die von rair erhobenen Einwiinde richten sich n.'itürlich
durclMuia nicht gegen Herrn Gottstoin persönlich; im Gegen-
teil, ich meine, wir können ihm nur dankbar sein, (lall er
das Luys'sche Instrument aus Paris mitgebracht und uns die
Gelegenheit gegeben hat, uns darüber auszusprechen. Er wird
OS uns aber nicht verargen dürfen, wenn wir auf Grund eigener
Erwägung diesem Harnseparator nicht denjenigen Wort beinu^Haen,
welclien er in den Augen seines Erfinders besitzt.
Herr Riegner: Den Harnsegregator vonCatholin kann iih
nach den Erfahrungen auf meiner Abteilung leider gar niclit
empfohlen. Es hat sich niol\t nur unbrauchbar erwiesen zur
Bicheren Trennung des Harnes aus beiden Nieren, sondern ist
aiu'.h nicht einmal als ein ungefährliches Instrument zu bezeichnen.
In einem Falle ist der die Kautschuckmeinbran anSB]>annendö
Draht in der Blase gebrochen und ich hatte die größte Mülie,
duM Instrumont ohne größere Schädigung der Harnröhre wieder
herauszubekommen. Glücklicher Weise iat dem Patienten ein
dauernder Nachteil daraas nicht erwachsen.
Ich freue mich, aus den Mitteilungen dos Herrn HotiHtein
zu ersehen, daß ihm mit dem Luys 'seilen Segregator docii in
mehreren Fällen eine sicliere Hari\acheidung gelungen ist. Daß
es wünschenswert wäre, durch weitere Verbesserungen des In-
struments einen guten Ersatz für den Harnleiterkatheterismus
zu bekommen, erscheint mir schon deshalb gerechtfertigt, weil es
immer Fälle geben wird (und icli selbst habe deren mehrere ge-
sehen), in denen es auch einem sehr geübten Specialisten nicht
gelingt, die Ureteren zu sondiren.
Jahresbericht der Schles. GeselLscliaft für vatorl. Cultur.
Ilerr Güttstein: Es war vorauszusehen, daß der Luys'sohe
Harnscheider, der, wie ich ausführlich auseinandergesetzt habe,
eine Anzahl von Nachteilen besitzt, starke Anfeindungen von
Seiten der Speoialisten finden würde.
Der Hauptzweck, dem Harnscheider als Untersuchungsmethode
seine Berechtigung zu verschaffen, liegt darin, die Untersuchung
des gRtrennt aufgefangenen Urins auch dem Niohtspecialisten zu
ermöglichen, insbesondere dem Chirurgen und Internen.
Icli habe ausdrücklich in meinem Vortrage betont, daß nur
dann das Resultat de.s Ltiys 'sehen Harnscheiders als maßgebend
angesehen werden darf, wenn sich ein characteristischer Unter-
schied zwischen den Urinen der beiden Seiten ergiebt, sei es in
der Farbe, der Reaction, dem Albumengehalt, der kryoskopischen
Untersuchung, der electrischen Leitfähigkeit, der Methylenblau-
Untersuchung, dem Zuckergehalt naüh Phloridzininjectionen eic,
anderenfalls müßten wir zum Uretereidtatheterismus zurück-
greifen.
Allein die neuesten Untersuchungen, inabesondere die von
Kapsammer haben das Resultat ergeben, daß auch durch den
Ureterenkatheterismus selbst bei Einführung von zwei Ureteren-
knthetern — die Berechtigung der Einführung auch in den gesunden
Ureter ist bekanntlich eine umstrittene — für die funotionello
Untersuchung nur in einem gewissen Prooentsatz der Fälle sich
ein einwandsfreies Resultat ergiebt. Nur der Nachweis der
anatomischen Erkrankung ist mit Sicherheit möglich.
Was die Bemerkungen des Herrn Geheimrat Riegner über
den Cathelin'schen Diviseur betrifft, so bin ich ausführlich
darauf eingegangen, daß nach meiner Ansicht dieses Inatrumont
aus verschiedenen Gründen keine Verwendung finden sollte.
Wenn weiterhin Herr Dr. Hirt darauf aufmerksam gemacht
hat, daß Anomalien des Blasenbodcns vorkommen können, daß
ferner Blutungen der Blase sich von Blutungen der Niere duich
den Harnscheider nicht unterscheiden lassen, so bin ich in meiiKMU
Vortrage gerade auf diese Punkte so ausführlich eingcgang(>,n,
daß ich nur nochmals darauf verweisen kann.
Daß Blutungen durch den Separateur, wie Herr Dr. Hirt
behauptet hat, und wie auch Herr Dr. Loewenhardt meinte,
viel schwerwiegender sind, als die durch den Ureterenkathetor,
kann ich nicht zugeben; ein richtig und vorsichtig eingelegter
L\iys'scher Diviseur sollte noch viel weniger Blutungen hervor-
rufeii !ils ein Ureterenkathetor.
Weini Herr Dr. Loewenhardt an einem bestimmten Fall
1. Abteilung. Modicinisclio Seotion. 15
exempliticiron will, «laß bei einem auf der einen Seite normalen,
auf der anderen Seite pathologischen Urin, dieses scheinbar
hranohbare Resultat docli ein irrtümliches ist, so mnl.i ich ihm
darin entgegentreten. In jenem Falle lagen die Verhältnisse so,
dat'i auf der einen Seite ein völlig normaler klarer, intensiv gelb
gefärbter Urin entleert wurde, während auf der anderen Seite
nvir wenige Tropfen einer stark getrübten, Eiter enthaltenden,
aber ganz weißen Flüssigkeit ohne jedem Farbstoff entleert wurde.
Es erscheint mir" nicht recht angängig anzunehmen, dali in einem
solchen Falle Urin von der gesunden Seite auf die kranke
liorübergelioasen ist, denn dann müßte sich auch auf der kranken
Seite eine gewisse Gelbfärbung des Urins zeigen.
Ich glaube, es hat nicht viel Zweck, auf die einzelnen Punkte
nochmals näher einzugehen, da ich fast an allen Punkten, die
von den Herren Vorrednern bemerkt worden sind, bereits in
meinem Vortrag Kritik geübt habe.
Den besten Beweis dafür, wie ausgezeichnet das Instrument
wirkt, mögen Ihnen hier diese Nieren geben, die ich mir erlaube
Ihnen herumzugeben. In dem einen Fall handelt es sich um
eii\en Nierentumor, ein Hypernephrom, in dem anderen um einen
Fall von Nephrolithiasis mit enormen Steinen, bei dem auf Grund
der Untersuchung mit dem Harnscheider die Nephrectomie aus-
geführt worden ist. Beide Fälle sind ohne jede Störung ver-
laufen.
Betonen möchte ich nochmals, daß der große Vorzug des
Luys'sohen HarnBchciders vor dem Urelerenkatheterismus der
ist,' daß das Instrument seihst völlig sterilisirbar ist, daß dasselbe
niemals eine Infeotion eines höher gelegenen, noch gesunden
Organs hervorrufen kann, und daß, worauf es hauptsächlich an-
kommt, das Instrument ohne jede Schwierigkeit und ohne große
techni.sche Erfalirung und Hebung zu gebrauchen ist, so daß es
eine Emancipation dos Chirurgen und Internen Von dem S|iei'ia-
liatcn bedeutet.
Das ist der Hauptgrund für mich gewesen, den Versuch tm
machen, den Harnscheider als eine neben dem Urctercnkathrtev
wohl herechtigto Methode zu empfehlen.
Herr Neisser und Herr Halberstaedtftr : Mitteihmgeii über
die Lichtbehandlung nach Finsen und Dreyer.
Herr Neisser: Die Ltchttherapie, wie sie von Finsen aus-
gebildet ist, beruht auf drei Eigenschaften des Lichtes, der
bacteriontötenden, der entzündungserregenden und der Fähigkeit
in das Gewebe einzudringen. Was die beiden ersten Eigen-
16 JiihreHhericJil, (]ei- ßcliles. Öes(!l^cliaft f(ii- vaterl. Culliir.
sohiil'teii bütrifft, so sind dieselben schon lange liokiiinit iiiul
koinmon, wie durch eiucg roße Aiiüahl von Experimenten evwii'Sfii
iMl,, allen Strahlen des Spectrums iüu, den Strahlen des lolen
Endes: rot, orange, gelb, grün jedoch in nur sehr geringem MaÜt^,
den Strahlen des blauen Endes: blau, violett dagegen in aohi'
hohem Grade, weitaus am intensivsten jedoch den idtraviolelton
Strahlen. Auf Grund dieser Tiiatsaohen wählt Finson ein au
ultravioletten Strahlen reiches Licht, das ist das electrisclie
Bogenlicht, und ooncentrirt die Strahlen durch QuarsiconcentratioiiM-
apparate, um die ultravioletten Strahlen zu erhalten. Ebenso wie
Finsen haben sich aucli andere Lichttherapeuten stets bemüht,
möglichst ultraviolette Strahlen zur Behandlung zu verwendon.'
Was die dritte oben erwähnte Eigeuscliaft dos Liciites bctrift't,
so ^koramt dieselbe auch nicht allen Strahlen des SpcclrumM in
gleichem MaUe zu; hier verhalten sich dieselben aber gerade inii-
gekehrt, wie bezüglich der entzündungserregenden und bacteri-
ciden Eigenschaften, d. h. gerade die am meisten wirksamen
ultravioletten Strahlen haben so gut wie gar keine Penetratioiu-
kraft, wcährend die fast unwirksamen roten, gelben, grtinen
Str.ahlen eine sehr große Penetrationskraft besitzen. Nun hat
Dreyer in Kopenhagen gefuuden, daß man ßacterien und In-
fusorien durch Behandlung mit Erythrosiu für gelbe und grüne
Lichtstrahlen, die sonst beinahe völlig ohne Einfluß auf dieselben
sind, sehr empfindlich machen kann, ebenso wie man eine photo-
gi'aphische Platte durch dieselbe Lösung für die sonst nnwirk
samen roten, gelben, grünen Strahlen sensibilisircn kann. D reyer
liat weiterhin gezeigt, daß sich auch tierisclie Gewebe dundiLi-
jection einer Erytlirosinlösung (1 : 1.000) für gelbe uiul grtinj
Strahlen sensibilisircn ließen, so daß sie auf diese Str.ahlen dann
ebenso reagirten, als normale Gewebe auf ultraviolette Straldcn.
Auf diese Weise wird das Mißverhältnis zwisolien WirksamkoÜ
und Penetrationskraft, das bisher bestand, ausgügliohcn, d(Mni >-u
mt ilnrch die Sonsibilisirung möglich, stark penetrirende und
wirksame Strahlen ku benutzen. Es ist also durcli diont^ Knt
dcckung ein ungeheurer Fortschritt auf dem (^el)ictc der Licht-
iJierapie gemacht wordou.
Herr Halberstaedter: Durch eine Anzahl von UntcrHuclumgen
lionnl.Mi die Dreyer'achen Angaben bestätigt werden. Was
l)esonder8 die Einwirkung des Lichtes auf tierische und mensch
lieh.; Haut betrifft, so zeigt die histologisclie Untersuciinng, daß
man an sensibilisirtor Haut eine Liohtwirkung noch in 'l'iefen
oriialten kann, in denen sie bei normalen Geweben nie zu con-
I. Abteilung. Medicitiischo Soction. l7
sl.alirtMi ist, iiinl (i:iü diese. Einwirkung; beruitjS iincli beclovitend
kürzerer Zeit. iMiitrilL. Forner ist. es iiiöglioh, durch Sensihili-
airiing mir der tieferen Schichten eine Wirkung auf diese zu ho-
kommen, ohne die darüber gelegene Haut stärker zu schädigen,
was man bei keiner anderen Behandlung mit Strahlungen (Röntgen,
Radium, gewöhnliche Pinsenbehandlung) erreichen kann. Dia
Resultate der therapeutischen Versuche mit dieser Methode, die
nicht nur an Lvtpus, sondern auch au den früher einer Licht-
therapie völlig unzugänglichen tiefer gelegenen tuberoulösen Pro-
cessen: Sorophuloderma, tuberculösen Lymphdrüsen und bei
Carcinom der Haut versucht wurde, lassen sich zur Zeit noch
nicht absehen, doch läßt sich aus der Stärke der Reaction und
ihrem Verlauf schließen, daß dieselbe wirksamer und energischer
zu sein scheint als bei der gewöhnlichen Finsenbehandlung. Die
zu behandelnde Stelle wird mit einer Iprom. Lösung von Ery-
throsin in 0,85 pOt. Kochsalzlösung mittels Schleich'scher Spritze
infiltrirt und 2 — 5 Stunden später mit der Finsonlampe 10 bis
20 Blinuten belichtet.
Herr F. Henke: Demonstration von doppBlseitigen Cysten-
nieren mit gleichzeitiger Cystenbildung in Leber und Pankreas.
Der Vortragende erinnert an einen von ihm vor drei Jahren
demonstrirten Fall von Cystennieren und sehr fortgeschrittener
Cystenleber bei einem Neugeborenen (Allg. Itfed. C.-Ztg., 1902,
No. 5). Der damalige Fall wurde, auch nach dem Ergebnis der
mikroskopischen Bearbeitung, als eine Entwioklungsstörung auf-
gefaßt, unter eventueller Mitwirkung einer intrauterinen Ent-
zünilung. Die Benennung GrCfeohwulst für den ganzen Vorgang
(Hufschmidt-Nauvperok, v. Kahlden, Borst, Borrmann)
möchte Vortr. nicht für ganz zutreffend halten, da die Wucherungs-
erscheinungen doch zum Teil zurücktreten. Es wäre viel-
leicht richtiger, den ganzen Proceü mehr den Mißbildungen an-
zugliedern.
Indes soll nicht in Abrede gestellt werden, daß die in Rede
stehenden Cystenbilduiigen vielleicht das Produot sehr verschieden-
artiger Vorgänge sein können und die Aetiologie keine einheit-
liche ist,
Es hat aber Manches für sich, anzunehmen, daß die ätio-
logischen Momente alle in eine frühe Entwicklungsperiode zu
verlegen sind.
Die vorliegenden Präparate stammen von einem 48jährigen
Mann, der zwei Tage vor seinem Tode mit den Erscheinungen
'■-hies apoplectiachen Insultes in das Allerheiligenhospital auf-
18 Jahresbericht clor Soiilfis. Gosellaohaf't für vaterl. Gultnr.
genommen worden war. Die Obduction bestätigte diese Annahme.
Als unerwarteter Befund — der Mann hatte nur ganz geringe
Mengen EiweiLi im Drin und sollte bis daliin immer gesund ge-
wesen sein — ergab sieh I)eiderseit8 eine sehr fortgeschrittene
Cystenniere. Nur eine mäßige Hypertrophie und Dilatation des
linken Ventrikels wifs darauf hin, daß die Nioreuaffeotion doch
nicht ganz ohne Folgen für den Gesamtkörper geblieben war.
Man könnte auch entfernt daran denken, ob nicht eine gewisse
Gefäßschädigung durch das urämische Gift mit zu der verhältnis-
mäßig frühzeitigen Apoplexie beigetragen haben möchte.
Die in mächtige Cystenconglomerate verwandelten Nieren
enthalten, wie das herumgereichte mikroskopische Präparat zeigt,
doch noch mehr erhaltenes Nierengewebe, als der makroskopische
Eindruck es erwarten ließ. Die Nierenbecken sind nur gering-
fügig erweitert, die Ureteren von normaler Weite. In der Leber
eine größere Zalil meist an der Oberfläche gelegener kleinerer
und größerer Cysten mit einem serösen Inhalt. Das Besondere
unseres Falles ist, daß gleichzeitig auch im Pankreas eine An-
zahl glattwandiger Cysten von durclisohnittlioh Kirschgroße sich
fanden, auch mit einem serösen Inhalt erfüllt. Besondere mecha-
nische Momente für die CystenVjildung, Narben oder Steinbildung
im Ductus pancreaticus ließen sich auch hier nicht nacliweisen.
— Das mu](ij)lo Auftreten der GystenbiJilung in diesem Falle,
außer in den Nieren und der Leber auch noch im Pankreas,
scheint mir doch sehr für die Annahme einer Entwicklungsstörung
mit einer gemeinsamen ürsaelie (fölalo Entzündung?) zu sprechen,
und dagegen, den ganzen Proceß als eine echte Geschwulstbildung
aufzufassen. — Die nähere liistologische Untersuchung des Falles
soll folgen.
Heir V. Mikulicz: Deinoiisiration eines mii<e!s Oesophago»
toinis eiill'vnileii Fr(Miidkör|»iM'S.
Sitzung vom ti. Februar 190.3,
Vorsitz.: FTerr Ponfiok. — Schi'iftf. ; Herr Partsch.
Herr Roseiil'cld: Praxis der EiUMtungskiir.
Der Vortragende definirt die Fettleibigkeit, olnie Fälle von
vermindeiter protoplasmatischer Oxydationsenergie ganz aus-
zuschließen , als durch Uebermaß der Zufuhr erworbenen Fett-
ansatz. Diese]' Fettansatz kann nicht auf das Eiweiß der Nahrung,
muß vielmehr auf deinen Ft-tlo und Kohlenhydrate zurückgeführt
Alil.fiiliiiig. Mpdioiiiisohe Seolinn.
werden. Die beiden Nahruiigsstoffo sind für die Fettbildung
nicht, allein nach ihren calorischen Energien zu werten: denn
Fett sei diejenige. Substanz, welche am leichtesten Fettansatz be-
wirke. Hierfür führt Rodnor die stärkere Fettbildung in Hof-
m a n n s Speckversuch gegenüber dem W e i s k e 'sehen Kohlenhy drat-
mastverauehe als Beweis an; die Sparwirkung auf Eiweiß, welche
andererseits die Kohlenhydrate kennzeichnet, illustrirt ein eigener
Versuch an kartoffelgenährteii Eiiteu, die in der Hauptsache Eiweil,!
angesetzt hatten". Der Grund dieses Unterschiedes in der Wirkung
wird in der leichteren Oxydation der Kohlenhydrate gegenüber
^^en Fetten gesehen. — Die Mittel zur Verminderung übertriebenen
Fettgehaltes bestehen in Nahrungsbeschränkung, Dabei wird
erstrebt, den Eiweißbestnnd möglichst zu wahren. Eiweißverluet
ist entweder zu vermeiden oder.nur unbedeiitend, wenn das Ent-
fettungstempo nicht zu rapid ist, etwa 150 g Körperwichts-
abnahme pro die. Ein© wirkliche Einsicht in die N-Bilanz geben
nur vollständige Stoff'wechselversuohe, die Dapper'sohen Stich-
prob(!n reichen bei den großen Schwankungen der N-Bilanz nicht
aus. Die Eiwoißmengeu für Entfettungskureii sind für Muekel-
schwaoho 90—100 g pro die, für Musoulösero 120—130 g. Mehr
Eiweiß in der Nahrung führt zwar vielleicht zum Ansatz von
Eiweiß, der aber zu seinem späteren Foi'tbestehen wieder große
Mengen von Eiweiß verlangt und so zur Polyphagie führt. Als
Nebetdcost haben die schwerer fettbildenden und voluminösen
Kohlenhydrate den Vorzug vor den Bchleoht zu dosirondon Fetten,
liesonders sind Kartoffeln sehr zu empfehlen. Die Ent/.ichnng
von Wasser ist für den Zweck der Entfettung ganz wirkuuga-
lo8 : in keinem Versuche von Wasserentziehung ohne Nahrungs-
beschränkung ist etwas anderes als nur geringer Eiweiß-
verlust ohne joden Fettschwund und starke Wasserehibuße zu
beobachten gewesen. Die Wasser - Beschränkung ist also nur
eine Entwässerung des Körpers , die liei mangelnder Herzkraft,
leichter H3'dropsie oft gute Dienste leistet. Bei rein fettleibigen
Personen ohne Hydropsie ist gerade durch die reichliche Zufuhr
kalten Wassers eine Fettschmelzung zu erzielen: da zur Er-
wärmung und Austreibung des kalten Wassers pro Liter ca. 3 g
Fett verbrarnit werden müssen. Das Wasser muß vor der
Mahlzeit genommen werden, damit durch die Erfüllung des
Magens mit dem kalten Wasser der Magenraum für die Auf-
nahme consistenterer Speisen beschränkt werde. Aus demselben
Zwecke werden möglichst dünne Suppen in reichlicher Menge
empfohlen.
2*
20 Jahi'esiioi'iclit der ScLles. Gesollsdiaa Cdr vateii. Oiiltur.
Das Eegitne kann die verscliiedensten Formen haben; eine
sehr zweckmaüige ist die folgende: außer Kaffee, Thee werden
2 Liter kalten Wassers pro die vor den Mahlzeiten zu nehmen,
ordinirt, dazu 250 g (roh gewogen) gekochten Fleisches, etwas
Kcäse und 800—1200 g Kartoffeln, Salate, gekochte grüne Gemüse.
Muskelbewpgung ist mit Auswahl zu ordiniren: bei denjenigen
Patienten, welche nach einem Spaziergang von einer Stunde, der
13 g Fett consumirt, mit erhöhtem Appetit heimkehren, diesem
Appetitnicht wi<ler8tehen können und viel mehr als die abgearbeiteten
13 g Fett eonBumirt, ist sie zunächst nicht augezeigt. Auch ist
Bettruhe keine Ersohweiung der Entfettung, Gymnastik bei Ueber-
wachung der ELUeistung ist vorteilhaft für die Schulung der Mus-
en latur.
Es wird Wert darauf gelegt, daß häufig kleine Zwischen-
roahlzeiten ohne wesentliolien calorischen Inhalt und immer mit
reichlichen Mengen kalten Wassers genossen werden.
Disoussion:
Herr R. Stern betont, daß hei Fettleibigen häufig außer der
Indication der Entfettung auch eine solche der Entwässerung
besteht. Dies gilt namentlich von solchen Patienten, die jahre-
lang gi'oße Mengen alkohnlischei' Flüssigkeiten zu sich genommen
halieii. Hier wirkt eine voi'.sich ti «i' und milde l{nn<' h riui k u ng
dei' Flüssigkeitsaufnahme selir güiitilig. Füi' coiil,iaindi(,-irt
hält Redner reichliche Wasserzufuhr bei denjenigen Patienten, die
bereits Erschei:njngen von Herzinsuffioionz bieten. Lleberhaupt
empfiehlt es sich nicht, ein bestimmtes Schema für Entfettungs-
kuren aufzustellen, da man auf die verschiedenste Weise unter
Berücksichtigung der besonderen Indioationen des Einzelfalles
zum Ziele gelangen kaun.
Herr Albert Sachs äußert ebenfalls Bedenken gegen die
starke Waeserzufuhr. Er fragt den Vortragenden an, ob er auch
bei Compensationsatürung seitens des Herzens reichliches Trinken
verordnen würde.
Herr B. Oppler: Betreffs der Frage der Wasserentziehung
möchte ich mich dem vollkommen anschließen, was Herr Stern
gegenüber dem Vortragenden ausgeführt hat, und nur noch darauf
Hinweisen, daß bei jeder Entfettungskur auch die geringsten Mengen
Bier aufs Strengste zu verbieten sind, weil der hohe Nährwert
dieses Getränks die Bilanz sehr au verschieben geeignet ist.
Im Uebrigen kann ich mich mit den Principien des Voi-
trageuden durchaus ein^trstandon cjkluiMi, wenn ich mir auch die
I. Abteilung. Modieiiiisohe Section.
Bemerkung erlauben möchte, dali man schließlich auf alle Weise
entfetten kann, wenn man dafür sorgt, daß weniger zugeführt wie
verbraucht wird, und daß eine gewisse Individualisirung statt des
vom Vortragenden empfohlenen Schemas mitunter wohl am Platze
ist. Auch ich pflege unter Aussoliluß der Fette — wobei natür-
lich statt des gebraten«! gekochtes oder am Rost gesottenes Fleisch
vorzuschreiben ist - die voluminösen Kohlenhydrate als Beikost
zu bevorzugen, wende dabei aber statt der vom Vortragenden
empfohlenen Kartoffeln mit Vorliebe die voluminösen und wasser-
reichen Gemüse (Kohl, Kraut, Rüben etc.), Gurken, Blattsaiat etc.
an. Neben dem Vorteil, große Blengeu kalten Wassers (nach
Vorschlag des Vortragenden) auf diese Weise entbehren zu
können und dem ebenfalls erreichten Sättigungsgefuhl, werden
so eine Reihe für den Körperhaushalt durchaus nicht gieiohgiltiger
Salze in angenehmster Weise zugeführt. Ich habe so fast aus-
nahmslos ausgezeichnete Resultate erzielt, ohne eigentlich je
unangenehme Nebenerscheinungen beobachtet zu haben. Ich darf
schließlich darauf hinweisen, daß die heute hier vorgetragenen
Prinoipien jetzt schon vielfach, z. ß. auch bei Hirschfeld und
von Noorden, in Geltung stehen, so daß sich also der Vortr.
mit den Autoren in größerer Uebereinstimmung befindet, als er
selbst anzunehmen scheint.
Herr RosenMd: Der Anfrage von Herrn Kuznitzki sei er-
widert, daß bei einer mehrwöchentlichen Bettruhe eine Muskel-
atrophie nicht zu fürchten sei. Im Gegenteil zeigten Dapper'sche
Patienten, die sich auch im Bett hielten, einen N - Ansatz.
Herrn Stern gegenüber möchte ich betonen, daß ich in der Em-
pfehlung eines reep. mehrerer Schemata für die Entfettungskur
doch einen Vorteil für den Praktiker sehe, da auf solche Weise
noch am ehesten großen Eiweißverlusten, wie sie frei gewählte
und oh\ie jede Controle durchgeführte Methoden verursachen
können, vorgebeugt wird. Wenn Herr Stern die Wasserentaiehung
bei Fettleibigen mit Hydrämie angezeigt findet, so stimme ich ihm
völlig bei, wie ich auch in meinem Vortrage auseinandergesetat
habe; nur solle man sich eben klar werden, daß die Wasserent-
ziehung eine Entwässerungskur, nicht aber das, wofür sie
irrigerweise gehalten wird, nämlich eine Entfettungskur dar-
stelle, wie ich oben dargelegt habe.
.liihroyljoriclit der üvMim<. CiBsollscliafi lür vatorl. C'ultur.
iSitKung vom l'J. Februar 1904.
Vorsitz.: Herr Ponfiok. — üchriftf,: Herr Partsch.
Herr R, Stern und Herr W. Körte: lieber den Nachweis
der bactericiden Reaction im Blutserum der Typhuskranken.
Durch bactericiüe Reitg-ennglasverauche gol;ing es, im Blut-
Berum von 32 Typhusknmkeii eleu „Zwischimkörpei " stets noch
in über tausendfacher, mehrfach noch in milliouenfaoher Verdünnung
nachzuweisen. Die Versuclie wurden so angestellt, daü zu einer
an sich unwirksamen Combinatlon von frischem Kaninchensorum
und Typhusbacillen fallende Mengen des zu untorsuchonilon
(durch Erwärmung Rxii 56" inactivirteu) menschliolieu Serums
augesetzt wurden. Das Resultat des Versuches läßt sieh nach
ctwaHstundigem Stellen der Serum-Cultur-BIischuugen im Brütofen
(37"J durch directe Besichtigung feststellen (Trübung oder Klar-
bleiben der Mischungen); oder man gießt nach drei Stunden
(event. schon eher) Agarplatten und besichtigt diese am nächsten
Tage. (Demonstration eines Versuches.)
Im Blutserum von fünf Menschen, die vor mehreren Jahren
Typhus gehabt hatten, war die Reaction nicht in stärkerer Ver-
duiniung nachweisbar alfs im Blutserum mancher „Nicht- Typhösen".
Im Blutserum von 21 Menschen, die, soweit festzustulleu,
niemals Typhus gehabt liattou, war die Reaction oft selbst in
relativ hoher Serumooncentration (1 : 20) nicht nachweisbar. Doch
giebt es manche derartige Sera, die auch noch in 200fachor,
1000 fiicher Verdünnung und darüber — • wenn auch nur schwach —
wirksam sind. Ob sich eine bestimmte Verduunuugsgrenze des
menschlichen Serums wird nachweisen lassen, über welche hinaus
die Wirkung als sicher für Typhus beweisend angesehen werden
darf, erscheint zweifelhaft. Vielmehr dürfte es sich nach den
bisherigen Erfahrungen hier ähnlich verhalten wie bei der Agglu-
tination; d.h. eine derartige Grenze besteht nur in dem Sinne, daC
die diagnostische Bedeutung um so wahrscheinlicher ist, je mehr
der „baotericide Titro" darüber hinausgeht.
Tür die Idinischs Diagnostik wird sich die bacturioide Reaction
hauptsächlich in den Fällen verwerten lassen, in denen die Agglu-
tinationsreaction versagt oder nur in relativ hohen Serum Con-
centrationon nachweisbar ist und deshalb zu Zweifeln Anlat! giebt.
Zum Schluß werden einige Ergebnisse der angestellten Unter-
suchungen, welche Bezug auf die Prägen der Imznuuität und
I. Abteiiuug. Mudiciniscjlio Bection.
Sorumtberapie haben, besprooluMi. Besonders bemerkenswert ist
ein Fall in dem am ersten fieberfreien Tage der höchste bisher
beobachtete baotericide Titre (1 : 4000000) gefunden wurde nnd
einige Tage später ein schweres Reoidiv eintrat. Wiederholt
wurde eil) Absinken des bacterioiden Titres gegen Ende der
Fioberperiode oder in der ersten Zeit der Reconvalesoenz beob-
achtet.
Diacussion:
Herr Buchwald fragt den Vortragenden, ob er die Conradi-
Drigalaki'sohe Reaction vorgleiobsweiae bei seinen erneuten
Untersuchungen -berncksichtigt iiabe, und ob dabei ein brauchbares
Resultat für die Praxis herausgekommen sei. ^
Er hebt hervor, wie die G-ruber-Widal'sohe Reaotioii oe-
züglich ihrer Verdünnung immer weniger sicher wurde und aucii
bei Pyelo-Nephritis ihm selbst in zwei fällen positive Resultate
gegeben habe.
Für den practischen Arzt werde die Deutung hier immer
schwerer.
Herr R. Stern erwidert, dal.5 er bei den von ihm benolitoten
Blutuntersuohungen gleichzeitige Versuche mit Züchtung der
Typhusbaoillen aus dem Stuhlgang auf dem Conrad. -Drigalski-
schen Nährboden nicht vorgenommen habe. Der Wert dieser
letzteren Methode darf nach neueren Nachprüfungen nicht zu hoch
eingeschätzt werden.
Was den Wert der sogenannten Gruber- Widal'schen Reac-
tion anlangt, so habe er sich darüber ausführlich im vorigen Jahre
(Berl. klin. Woohenschr., 1903, No. 30 u. 31. )au8ge8proohen. Der
weitere Ausbau unserer Kenntnisse hat gezeigt, daß es unrichtig
ist, von positiver oder negativer Wi dal 'scher Reaction zu reden.
Mau muß vielmehr die Agglutinatiousreactiou als ein klinisches
Symptom ansehen, das ebenso zu verwerten ist, wie andere
Symptome. Lubowski und öteluborg haben im Laboratorium
der Breslauer Poliklinik gezeigt, daß os in oinzehieu Fällen von
Proteusinfectiou beim Menschen zu einer erhöhten Agglutinations-
wirkung des Blutserums kommen kann, und haben das Gleiche
im Tierexperiment gefunden. Derartige Beobachtungen zeigen,
daß zwischen dem Protoplasma verschiedenartiger Bacterien eine
Verwandtschaft besteht, die sich gerade durch derartige biologische
Reactiouen kund giebt (Analogie mit den Präoipitmeu). Freilich
werden die biologischen Reactionen durch die weitere Forschung
immer complioirter und können nicht vom practischen Arzt aus-
24 Jalirnglioriclit der Sohles. GosollFchaft fllr yatov). Oulttir.
geführt werden; aber ihr Nutzeu für die DiagnoHe und für den
weiteren Fortschritt unserer Kenntnis der Infeotionskrankheiton
ist so bedeuto/ul, daß ihr Wert bei Benutzung geeigneter Labo-
latorien auoli für die Praxis heute schon ein sehr hoher ist. Der
Arzt braucht nur eine kleine Menge Blut am Kraukenbett ent-
Jiehmen; er muß aber über den Stand unserer Kenntnisse so weit
unterrichtet sein, daß er weiß, welche Schlüsse er aus dem ihm
zugehenden Bescheide über das Ergebnis der Untersuchung
ziehen darf,
Herr Lichtwilz jr. (Ohlau): loh möchte mir erlauben, auf
den scheinbaren Widerspruch hinzuweisen, iu dem von Herrn
Stern erwähnten Falle, wo trotz des außerordentlich holieii
Immunkörpertitres der Exitus letalis eintrat. Es ist nicht das
Bacterium, welches die Krankheit hervorruft, sondern das von
den Bacterien abgegebene Gift. Kommen nun in einen Organis-
mus, der eine hohe baotericide Kraft besitzt, die betreffenden
Keime hinein, so wird gerade der hohe Immunkörpertitre den
fatalen Ausgang herbeifuhren, wenn die Antitoxinbildung keine
ausreichende ist. Es werden uämlioh durch die bactericiden
Kräfte die Bacillen gelöst; damit werden die Toxine frei, so daß
der Körper mit Giftstoffen überschwemmt wird. Es kommt also
für den Ausgang der Krankheit weniger auf die Bactericidine als
auf die Antitoxine an.
Nachträglicher Zusatz: Trotz eines hohen Immunkörper-
titres und gerade wegen desselben können sich die eingedrungenen
Bacterien vermehren (Neisser- Wachs berg'sohes Phänomen
der Complementablenkung). Mit der wachsenden Zahl der Bac-
terien ändern- sich aber die Verhältnisse der Complement-
verankerung dadurch, daß die Zahl der an die Bacterien ge-
bundenen Ambooeptoren scIilieOlich größer ist als die der freien.
Dann geht das Complement an die verankerten Immunkörper; es
kommt zu einer rapiden Baoteriolyse und Befreiung massenhafter
Toxine.
Herr Walter: Der klinisch diagnostische Wort der Conradi-
Drigalski 'sehen Methode des Typhusnachweises reicht nicht an
den der serodiagnostisohen Methoden heran. Aber für den Hy-
gieniker ist jene wertvoller als diese, und zwar deswogeii, weil
sie den Nachweis von Typhusbacillen bei „Nicht- Typhuskranken"
gestattet. Gerade, weil solche Leute nicht „krank" sind, ver-
streuen sie leicht die für sie unschädlichen, aber anderen leicht
gefährlich werdenden Keime aus und verbreiten die Seuche.
Serodiagnostisch sind solche Fälle nicht erkennbar. Ihre baldige
I. AtiteiUuig. Medicinische Seotion.
Erkennung bildet ein Hauptmomeut der Koch'solien Versuche
der Typhusbekämpfung.
Herr Neisser spricht sich auch dafür aus, daß die Fest-
steJluDg der Anwesenheit von Typhusbaoillen iu deu Dejectioiieu
als eine eminent wichtige hygienische Maßregel bei der
Typhusbekämpfung angesehen werden müßte; ja, man könnte
vielleicht sogar die Behauptung aufstellen, daß in all den Orten,
in denen durch geeignete Aufsicht und Desinfectionsmaßregeln
jetzt schon die wirklich Typhuskrankeu in sorgsamer Beob-
achtung stehen, die Weiterverbreitung des Typhus wesentlich
durch solche Nicht-Typhuskrauke aber mit Typhusbaoillen
Behaftete vor sich gehe. Damit sei allerdings noch nicht aus-
gesprochen, daß die Typhusbekämpfung in der Isoliruug aller
mit Typhusbaoillen beliafteten Menschen bestehen müsse. Man
könnte sehr wohl an andere Maßregeln , welche nur die Uji-
Bohädlichmaohung der Dejeotionen erreichen, denken. Ebenso
wenig brauche man ja jeden Mensclien , der Diphtheriebacilleti
im Halse habe, isoliren, während doch sehr wohl an eine Sterili-
sation der Mundhöhlen solcher Menschen gedacht werden könne.
Daß die Aufdeckung all dieser Infectionsherde nur auf bacterio-
logischem und nicht auf klinischem Wege erfolge, erschwere
zwar die Thätigkeit des praktischen Arztes, aber darin werde
doch wohl niemand einen Rückschritt für die Seuchenbekämpfung
und für das Wohl der Menschheit erblicken. Ganz dasselbe
Spielt sich ja bei der chronischen Gonorrhoe a-b, wo auch die
klinische Untersuchung vollkommen im Stiche lasse.
Herr Buchwald hebt im Anschluß an die Desinfeotion und
isolirung hervor, daß ein Zwang zur Isolirung Typhuskranker
nicht bestehe und diese ja auch in der hiesigen Klinik selbst,
wie in anderen Kliniken, nicht durchgeführt werde. Im AUer-
•leiligen Hospital trennt er jetet Typhuskranke von anderen. Man
solle auch bei der Isolirung nicht zu streng vorgehen, etwa auf
Grund von Laboratoriumadiaguoseu, sonst komme man event. zw
ilerqelbeu Grausamkeit wie jetzt bei den Tuberculosen.
Herr R. Stern hält auch eine Isolirung der Typhuskranken
'ür wünschenswert. Wenn eine solche bisher iu der medicinischen
■•^huik nicht vorgenommen worden sei, so liegt dies — so weit
seine Kenntnis der Verhältnisse reicht — daran, daß geeignete
■Räume dafür dort nicht vorhanden sind.
Herr Lichtwitz habe ihn mißverstanden, wenn er glaube,
daß er (Vortragender) den tätlichen Ausgang in einem Typhus-
26 Jaliresberichl der Schles. Gowellscliafl- für vaterl. Cultur.
falle mit hohem bacterioiden Titro als Beweis gegen die Bedeutuug
des sogeiianiiten Iminunkorpers für die Immunität augesehen habe,
Sitzung vom 19. Februar 1904.
Vor der Tagesordnung;
Herr Löweiihardt stellt einen Krankon vor, dor uach Itropin»
injection Purpura bekommen liat.
Tagesordnung:
Herr Kausch demonstrirt eine von ihm construirte. llantl-
sclielle zur Befestigung der Hand bei der Operation resp. Narcose.
Daa Prinoip derselben ist folgendes: Liegt der Arm aus-
gestreckt neben dem Rumpfe, so steht das Handgelenk etwas
unterhalb der Leistenbeuge. Eine Schlinge, welche einerseits
den Oberschenkel in der Leistenbeuge umfaßt, andererseits das
Handgelenk, fixirt so in einfacher Weise die Hand. Der Apparat,
den Redner construirt hat, besteht aus zwei aneinander befestigten
Bügeln, die entgegengesetzt zueinander gerichtet sind, der eine
für den Oberschenkel, der andere für das Handgelenk. Nachdem
die Extremität in tlen Bügel hineingelegt ist, wird derselbe ver-
schlossen mittels je eines durchlöcherten Riemens, welcher auf
einen Knopf des Bügels gehakt wird. Handschellen sind für den
Operateur ein sehr zweckmäüiges Hilfsmittel, sie ersparen ein bis
zwei die Hände haltende Personen. Eine gute Handschelle macht
das Zustandekommen einer Narooseulahmurig unmöglich. Bei der
Chloroformnaroose kann jedenfalls eine Hand, bei der Aother-
narcose, ohne bestehendes Herzleiden, können beide Hände an-
geschnallt werden; es genügt dabei die gelegentliche Putscontrole
an dar Carotis oder Temporaiis.
Die bisher in Gebrauch behndlichen Handschellen, wie die
auf der Breelauer chirurgischen Klinik, auf der Kocher'sohen
Klinik, befestigen die Hand am Operationstische; dies ist un-
zweckmäßig, indem jede Verschiebung des Körpers auf dem
Tisclie den an demselben befestigten Arm beeinträchtigt, ferner
schnellen Lagerangswechsel, Aufrichten, Entfernen vom Tische
erschwert oder verzögert. Außerdem functioniren alle Redner
bekannten Handschellen auch sonst solileoht.
Viele helfen sich, indem sie die Hände mittels Bindeuzügoln
fixireu, zusammenbinden oder auf ähnliche Weise. Diese Ver-
fahren sind sämtlich schlecht, indem sie die Hände einschnüren
oder abknicken, ungenügend fixiren, die Hände meist auch am
Tisch befestigen.
I. Ahteiluug. MediciiiLsche Secüoii. 27
Die Voizügo von lieduers Hauclsohelle beruhen iu Folgendem:
Die Hand resp. Häudo werden absolut fest fixirt.
Ein Schaden kann niemals entstehen, weder eine Einschnürung
noch eine Narcosenlähmung.
Die Hand folgt jeder Bewegung des Körpers; Patient kann
jeder Zeit aufgerichtet werden, ein Gelenk an der Verbindungs-
stelle der beiden Bügel erleichtert dies.
Für den Patienten hat diese Art der Fesselung das Angenehme,
dati die Hand nicht an eujem leblosen Gegenstaude, wie dem
Tisch, befestigt wird, sondern am eigenen Körper.
Die Handschelle wird seit einiger Zeit regelmäßig auf der
chirurgiselien Klinik angewandt zu allgunieiuer Zufriedenheit.
Anmerkung: Der Instrumeuteinuailier Georg Haertel
(BreHhui) liefert die Handschelle.
Disouasion:
Herr RüÜie: Mir scheint der Hauptwert von Arn)haltern bei
der Narcose iu der Vermeidung von Narcosenlähmungen zu liegen.
Dann muß man natürlich beide Arme dem Körper anlagern und
auf tlie Controle des Pulses au der Radialis verzichten. Herr
Kausoh meint, dies höchstens bei der Aetheriiarooso vorsuohea
zu wollen. Ich habe schon vor zwei Jahren Armhalter angegeben,
üiit denen beide Arme dem Körper angelagert werden. Wir
ohloroformiren schon über zwei Jahre, ohne jede Controle des
Pulses, da wir die natürlich um so genauere Beobachtung der
Piipilhin für viel wichtiger halten. Ich möchte also die von
^. Holst kürzlich in der „Münch. med. Wochenschrift" veröffent-
uchten Armhalter ablehnen, halte dagegen die von Herrn Kausch
f>i'gege))eno Befestigung für einen glücklichen Gedanken , wenn
siü sich auch gerade bei gynäkologisolien Operationen nicht immer
■wird anbringen lassen.
Herr Asch: Die Verschiedenheit der Construction solcher
■'Apparate hängt wohl im Wesentlichen von der verschiedenen
'Lage des Operationsgebietes ab. Bei gynäkologischen Operationc n,
" Steißrüokenlage, in der Leistengegend, auch bei Laparotomien,
■Würde die von Herrn Kausoh empfohlene Handschelle oft stören.
■[ifl Uebrigen kommen wir bei diesen Operationen stets damit aus,
daß man die Arme des Nareotisirteu in das nach oben umgeschlagene
üemd verwickelt luul letzteres nach oben mit Sicherheitsnadeln
ansteckt. Dabei kann man sich auch die Radialis freilassen, ohne
daß Jig Patientin nach unten greifen kann. Die Arme liegen
lüoad Lähmung unbedeuklich.
28 Jahresbericht der Sdiles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
Herr Kauscli: Auf die Aufrage des Collegen Rothe bemerke
ich, daß auf der Breslauer chirurgischen Klinik bei der Chloroform-
narcose, die nur ausnahmsweise angewandt wird, stets der Eadial-
puls gefühlt wird, bei der Aetheruarcose in der Regel auch. Bei
der Chloroformnaroose den Puls nicht ständig zu oontroliron, hält
Redner für gefährlich und unerlaubt.
Herr Lichtwitz jr. (Oiilau). lieber Immunisiruiig mit Corpus
luteum. (Die ausführliche Veröffentlichung wird an anderer
Stelle stattfinden.)
Nach einer kurzen Besprechung der Seitenkettentheoi'ie und
einigen Bemerkungen über die Cytotoxine, entwickelt Vortragender
die thcuretiöclicn Ueberlegungeu, die zu den Versuchen führten.
L. Fräukel hatte das Corpus luteum als eine periodische Drüse
erkannt, der die Function zukommt, die Insertion des Eies im
Uterus zu ormügiiohcn. Ein Serum gegen Corpus luteum müßte
also im IStande sein,, die Einbettung des Eies zu verhindern.
Außerdem schien der gelbe Körper ein sehr geeignetes IMaterial,
die Frage der Cytolyse zu studireu, da der freiwerdende Farb-
stoff, ähnlich wie das Hämoglobhi, einen guten Index für die
Zerstörung der Zellen abgeben konnte. Es gelang dem Vor-
tragenden, durch zum großen Teil mit L. Franke 1 gemeinschaft-
lich geführte Untersuchungen, ein Immunserum gegen Corpus
luteum herzustellen, das im Staude ist, die Zellen des gelben
Körpers in exquisiter Weise zu zerstören und die freiwerdenden
oder gelösten Eiweißkörper zu präoipitiren. (Demonstration von
Heagensglasversuchen undmikroskopisohen Präparaten.) Das Serum
ist nicht für das Corpus luteum der Kuh, das zur Immunisirung
diente, apecifisoh, sondern wirkt auch, auf die gelben Körper
von Schwein, Schaf und JVIensch. Außerdem hat es eine präci-
pitirende Wirkung auf Eigelb. Bezüglich seiner hämolytischei)
Eigenschaften zeigte sich, daß in der überwiegenden Anzahl von
Fällen das Blut gravider Kühe stärker gelöst wird als das Blut
nicht gravider Viezw. männlicher Tiere. Vortragender führt diese
Erscheinung auf eine Aeuderung des Receptoreriapparates der
roten Blutkörperchen in der Gravidität zurück. Der Frage der
Conceptionsverhinderung soll jetzt im Frühjahr nähergetreten
werden.
Disoussion:
Herr L. Fraenkeh Die hämolytischen Eigenschaften des
Corpus luteum- Immun serum müssen genau studirt werden, ehe
wir berechtigt sind, praktische Schlußfolgerungen zu ziehen.
I. Abteilung-. Medieinischfl Section. 29
Demgegenüber steht der Vorgang, den wir als „Luttiolyse" be-
zeichneten, einwandsfrei fest und führt zu der Erkenntnis, daß
die Einverleibung von artfremder Eierstockasubstanz die Er-
zeugung eines Gegenkürpera im Blutserum zur Folge hat. Daraus
ergiebt sich eine therapeutische Nutzanwendung, um sie zu
erläutern, ziehe ich den Vergleich mit der Schilddrüse, bei welcher
gleichfalls eine innere Secretion angenommen wird.
Eine Allgemtoinerkrankung, bedingt durch mehr oder minder
Tollständiges Fehlen der Schilddrüse, ist das Myxödem.
Diese Krankheit wird durch den Gebrauch von Thyreoidin
wesentlich gebessert.
Eine zweite Erkrankung, meist einh6rgehen<] mit anatomischer
Vergrößerung der Drüse, ist der Basedow.
Diese Krankheit wird durch den Gebrauch von Thyreoidin
verschlechtert, durch ßesection der Struma häufig gebessert.
In letzter Zeit hat man an Stelle der Strumectomie ein Anti-
thyreoidin-Serum empfohlen, welches nach Möbius aus der
Milch entkropfter Ziegen bereitet wird und laut Angabe vieler
Kliniker eine ausgesprochen günstige Wirkung besitzt.
Niui bitte ich, das Gesagte mutatis mutandis auf den Eier-
stock zu übertragen;
Eine Allgemeinerkrankung, bedingt durcli den Verlust dei-
Eierstocksfuiiction, sind die sog. Ausfallserscheinungen, besserungs-
fähig durch den Gebrauch von Oophorin, noch zuverlässiger
Lutein (s. meine Arbeit im „Aroh. f, Gyn.", Bd. 68).
Eine zweite Erkrankung wird durch die Function der Ovarien
verschlimmert, denn Castration heilt dieselbe mit Sicherheit, das
ist die Osteomalaoie.
Es liegt nahe, von einem „Anti oo phorin-Serum" eine
Besserung der Krankheit zu erhoffen. Wir müssen hierzu die
Milch oder das Blutserum castrirter Tiere verwenden; nach
unseren Versuchen werden sich auch durch überreichliche Ein-
verleibung von Oophorin die Gegenkörper in besonderer Menge
erzielen lassen.
Die organo-therapeutische Fabrik in Berlin ist mit Her-
stellung von „Antioophorin'' zu Versuchszwecken beschäftigt.
Die Aussichten dieses Präparats halte ich darum für besonders
günstige, weil die Heilwirkung des Luteia und der Castration
nach Ausfallaersoheinungen bezw. Osteomalaoie noch viel deut-
licher ist, als die der analogen Mittel bei den Sohilddrüsen-
erkrankungen.
30 Jahresbericht der Sohlos. Oesellschaft für vaterl. Cultur.
Sitzung vorn 4. Mari^ 1904.
Vorsitzender: Herr Poiifiok. — Sohriftführer: Herr Roaoii fehl.
Herr Hürthle: Dio ünaersuchungen 1 — 4 sind Bf.hoii in
„Pflügers Archiv", Bd. 97 vi. 100, verüffentliolit, im Folgenden
wird daher nur ein kurzer Auszug aus den Abhandlungen gegeben.
1. Bei Versuchen, isolirte Muskelfasern unter dem Mikro-
skop zur Contraction zu veranlassen, setzte Redner Muskelfasern
Animoniakdämpfen aus und beobachtete nun unter dem Mikro-
skop, daß im Verlauf einer Minute gefiederte Krystalle an den
Fasern entstehen. Dio chemische Untersuchung derselben ergab,
dal.! sie aus phosphorsaurera Ammoniak- Magnesium bestehen.
Solche Krystalle findet man mm nicht blos au Muskel-
fasern, sondern in fast allen tierischen Geweben, wenn sie
Ammoniakdämpfen ausgesetzt werden. Es scheint daher die
Giftwirkung des Ammoniaks darauf zu beruhen, daß es die
Phosphoraäure und das Magnesium aus der lebend.en Substanz
herausreißt und mit ihnen eine unlösliche Verbindung bildet.
2. Beim Hunde wird die Temperatur des aus der Glandula
Bubmaxillaris abfließenden Speichels gemessen und dio Drüse
abwechselnd durch Reizung der Chorda tympani und des Hals-
sympathicus zur Thätigkeit veranlaßt in der Weise, dal' in beiden
Fällen gleiche Secretmengen producirt worden; es zeigt sich nun,
daß die Temperatur des Speichels nach Ohordareizung wesent-
lich höher steigt, als nach Sympatiiicusreizung, auch wenn <lcr
EinHuß der veränderten Blutzufuhr durch Abldemitunig der
Speicheldrüsenarterio aufgehoben ist.
3. Herr (Jerhardt: Durchschneidung der Chorda tympani
beim Kaninchen hat eine starke Gewiclitsabnahme der Glandula
submaxillaris zur Folge; Durchschneidung des Halssympathicus
eine geringere, Bei der mikroskopischen Untersuchinig zeigt
sich, daß nach Chordadurohsohneidung im Wesentlichen das
Protoplasma der Drüsenzellen verändert ist, nach Syinpathicus-
durchschneidung dagegen der Zellkern.
4. Herr Hiirthl»; Die Blutversorgung verschiedener Organe
wird untersucht mit Hilfe der registrirenden Stroimihr von
Htlrthle und für die Gewichtseinheit des Organs (IQO g) und
einen Druck von 100 mm Hg berechnet. Dabei zeigt sich, daß
die relative Blutversorgung bei den verschiedenen Organen um
mehr als das 100 fache schwankt, die bisher untersuchten Organe
ordnen sich in folgende Reihe:
I. Abteilung. MediciniRcho Section
Organ
Zustand
Stromroliimen in Oc.
I proJüniitouncI 100p
Oi'f>aii. bei finein
ünu'k V. 100 nun Htr.
Hintere Extremität
do.
Kein Eingriff
Nerv, diirohsclmitten
4,7
12,0
Kopf
Kein Eingriff
20,0
Mnsl^^el graoilis
do.
Kein Eingriff
ISferv durchaohnitten
12,1
26,5
Niere
(nach E. Tigerstedt)
"
100
Gehirn (Dr. Jensen)
-
130
Rcliilddrüee
do.
Kein Eingriff
Nerv duroheohnitten
565
870
Im Muskel nimmt der Blntstrom während einer gleichmäßig-
andauernden Zusammenziehung ab und hescldeunigt aich nacli
derselben; bei rliythmiscli wechselnder ZuRammenziehimg und
Erschlaffung ist er beBchleiniigt.
5. Uirr P. Jensen: Heber die Innervation der JJehun-
gefässe.
Hyperämie und Anämie des Q-ehirns, Erweitei'ungen und
Verengerungen seiner Gefäße spielen in der Phj'siologie und
Pathologie dieses Organs eine wichtige Rolle. Solche Aenderungen
"Br Gefäßweite werden bei anderen Orgauen urd Körperteilen
durch Nerven bedingt, und es liegt daher die Vermutung nahe,
daß dies auch für das Gehirn gelte. Das ist aber durch eine
■Anzahl von Untersuchungen nicht bestätigt worden ; besonders
schwerwiegend schien der Umstand, daß sich bei Anwendung der
besten histologischen Methoden keine Nervenelemente an den
Öehirngofäßen nachweisen ließen. Demgegenüber haben freilich
Untersuchungen nach anderen Methoden Ergebnisse geliefert, die
■Gr die Existenz von Gehirnvasomotoren sprechen. Eine endgiltige
Entscheidung steht aber noch aus. Es schienen daher weitere
Untersuchungen nach neuen Methoden erwünscht.
3Ü Jahresbericlit der Sohles. Öesellsohaf't ffif vaterl. C'idtur.
Für solche Untersuchungen bot sich die registrlrende Strnin-
iihr von Hi'u'thlp drir. Zu diesom Zweck wurde von dorn Vorir.
eine experimentello Untersucluing der Frnge uiiternoiiiuieii, ob
der Halssympathicus des Kaiiinoheus, welcher GefUßnerven für
die CarotxB communis im Allgemeinen führt, auch solche für die
Carotis iiitorna und ihre Verzweigungen im Gehirn besitze.
Diese Frage war zu entscheiden auf Grund folgender Ueberlegung :
Weini der Sympathicus Gehirnvasomotoren enthält, so muß seine
Durchschueidung eine Erweiterung der Strombahn der Carotis
interna und damit eine Vergrößerung ihres Strom volumeas
liedingen, ohne gleichzeitiges Steigen des Blutdruckes, während
die Reizung eine Verengerung der Strombahn und Verminde-
rung des Stromvolumens erzeugen muü, ohne daß der Blutdruck
sinkt.
Das Ergebnis der Untersuchung war insofern auffüllend, als
die Durchschueidung des Sympathicus niemals eine Wirkung
hatte. Dagegen folgte auf die Reizung stets eine Abnahme
des StromvoluxBena um durchschnittlich etwa 60 pCt. Hieraus er-
giebt sich also eine Verengerung der Strombahn der Carotis
interna infolge der Nervenreizuug, d. h.: der Halssy mpathi cus
fühi't Vasoconatrictoreu für die G ehirngefäOe. Diese
Folgerung ist nicht zu erschüttern (hirch das Ausbleiben der
D uro hs ohnoi du ngs Wirkung,
Wie ist diese letztere, bei Vasoconstrictoren sonst nicht vor-
kommende Thatsache zu erklären:' Der Untersuchungsmethode
dürfte sie schwerlich zur Last fallen, da auch bei Anwendung
einer wesentlich anderen Methode, nach der die Blntdruok-
änderungen im Circulus arteriosus Willisii bei Durchsolmeidung
und Reizung untersucht werden, eine analoge Erscheinung ein-
tritt, wie Hürthle feststellte. Es handelt sich hier daher offenbar
um eine Eigentümlichkeit der Gehiruvasomotoren.
Unerhört ist diese Thatsache insofern nicht, als wir wissen,
daß überhaupt nicht alle Gefäßnerven in ihrem Verhalten völlig
übereinstimmen. Für den vorliegenden Fall giebt es verschiedene
Erklärungsmögliohkeiten: Zunächst könnte man daran denken,
daß die Nerven der Gehirngefäße keinen Tonus besitzen. Ferner
wäre mit der Möglichkeit zu rechnen, daß schon durch die Prä-
paration und Isolirung des zarten Nervenfadens eine dauernde
mäßige Erregung zu Stande käme, welche die Durchschneidungs-
wlrkuiig verdeckte; Beobachtungen in dieser Richtung hat schon
Tschuewsky gemacht. Diese und andere Erklärungsmöglioh-
keiten wären in weiteren Untersuchungen zu prüfen.
1
4
t. Abteilung-. Medicinische Section. 33
Discussion:
Herr Filehne : Lassen sich die am künstlich gereizten Muskel
gewonnenen Ergebnisse auch auf den willkürlich innervirten
übertragen?
Herr Hürthle: Wahrscheinlich qualitativ, aber nicht quanti-
tativ; deini die Versuche, die wir über den Blutstrom des will-
kürlich bewegten Muskels besitzen, ergeben eine weit stärkere
Vermehrung des Blutstroms bei rhythmischer Thätigkeit, als die
Versuche am künstlich gereizten Muskel. Vielleicht treten bei
<1er willkürlichen Thätigkeit Vasodilatatoren in Action , welche
bei der künstlichen nicht mitgereizt werden.
Herr von Mikulicz: Sind bei den auffallend hohen Werten
des Blutstromes der Schilddrüse Fehlerquellen durch Gefäß-
anastomosen ausgeschlossen?
Herr Hürthle versichert, daß sie ausgeschlossen sind.
Herr Ponfick vermutet, daß die verschiedene Stärke des
Blutstromes der einzelnen Organe eine Rolle bei der Erscheinung
spiele, daß die Häufigkeit der Erkrankung durch Embolie bei
den einzelneu Organen sehr verschieden ist.
Sitzung vom IS. Mäiz 1904.
Vorsitzender: Herr Ponfick.
Schriftführer: Herr Rosenfeld.
Vor der Tagesordnung:
Heir Roseiifeld demonstrirt eine Patientin, welche durch
eine Entfettungskur nach der von ihm am 5. Februar vor-
getragenen Methode 23 Pfund (176 auf 153 Pfund) in drei Monaten
»bgenomraen hat. Dabei shid auch Atemnot, Herzbeklemmung
und Magensohmerzen verschwunden. Die Diät der Pat. bestand
»1 mehr als 2 Liter kalten Wassers, 800 g Kartoffeln, 250 g
fleisch, 20 g Käse, 40 g Brot, welches Menü Pat. ohne jede Be^
sohwerdo durchzuführen vermochte.
Herr Wernicke: Demonstration eines Patienten mit Muskel-
Krämpfen (Crampusneurose).
Discussion:
Herr Strümpell: Ein Fall mit so ausgedehnten und heftigen
schmerzhaften Muskelkrämpfen, wie der von Herrn Wernicke
vorgestellte, ist mir noch nicht vorgekommen. Geringere Grade
des Leidens sind aber nicht sehr selten und ich habe sie oft
3
ä4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vatei'l. öulttir.
gerade bei Alkoholistoii gesehen. Außerdem habe ich das Auf-
treten tonischer Muskelkrämpfe bei willkürlichen Bewegungen
beobachtet, bei Kranken mit Schrumpfniere und chronisch-urämi-
schen Symptomen. Doch mag freilich auch in diesen Fällen der
Alkoholismus eine Rolle gespielt haben. In gewisser Hinsicht
erinnert das in Rede stehende Symptom auch an die Mj^otonie.
Manche vielleicht hierher gehörige Fälle sind als Myotonia acquisita
(im Gegensatz zur Myotonia congenita) beschrieben worden. Ein
Unterschied liegt aber in der großen Sohmersihaftigkei t der
tonischen Krämpfe bei den eigentlichen Crampis. Worauf diese
Schmerzen beruhen, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich handelt
es sich um eine Reizung der sensiblen Muskelnerven und diese
löst vielleicht den Krampf erst reflectorisch aus. Vielleicht handelt
es sich aber auch um rein musculäre Reizzustände.
Herr Wernicke: Der Myotoniker hat nur ganz kurze Krämpfe,
analog sind eher die Geburtskrämpfe durch Druck des Schädels
auf die Nervenstämme.
Herr Kausch fragt den "Vortragenden, ob bei dem Patienten
keinerlei hysterische Symptome vorhanden sind. Redner hatte
den Eindruck, als wenn der Pat, sich mit gewissem Wohlbehagen
vorstellen ließe, obwohl doch die Auslösung der Krämpfe ihm
lebhafte Schmerzen verursachte. Wenn Redner auch weit entfernt
ist das Krankheitsbild für hysterisch zu halten, so läßt sich viel-
leicht doch bei dem vielgestaltigen Bilde, unter dem die Hysterie
auftreten kann, eine solche Annahme nicht ohne Weiteres von
der Hand weisen.
Herr Kobrak berichtet über eine größere Anzahl von Fällen,
bei denen Grampi im Anschluß an einen sehr anstrengenden
Marsch bei heißem Wetter eintraten. Die Erscheinungen setzten
unmittelbar nach der Rückkehr der Soldaten in die Kaserne ein.
Herr Wernickii findet für seinen Fall keine Analogie in dem
sogen. Muskelkater.
Herr Rüstner spricht sich dahin aus, daß er in dem Ent-
stehungsmodus der Crampi bei dem Vorgestellten und dem meist
bei dem Eintritt des Kopfes in das Becken während der Geburt
auftretenden Waden- (seltener Adductoren-)Krampf Unterschiede
zu bemerken glaube. Bei den letztgedachten Krampfformen drückt
der Khidsteil auf den Stamm des Plexus ischiadicus, wo dieser
das Becken durch die Incisura ischiadioa major verläßt. Je größer
der Kindsteil, um so intensiver der Druck, um so lebhafter die
Krampferapfindung. Bei der gewöhnlichen Hinterhauptslage wird
folgerichtig der Krampf lebhafter oder aiissohließlioh auf der
1. Abteilung. Medicinische Sectioü. 35
Seite, wo das breitere, dickere Hinterhaupt des Kindes liegt,
empfunden,
Herr Storch berichtet von einem ähnlichen Fall bei einem
öiohtiker.
T agesordnuug:
Herr v. Mikulicz: lieber den heutigen Stand der chirurgi*
sehen Behandlung der Prostatahypertrophie.
Sitzung vom 6. Mai 1904,
Vorsitzender: Herr Ponfick. — Schriftführer: Herr Uhthoff.
Tagesordnung:
Herr Uenle: Zur Casuistik des Ileus.
M. H.! Der erste Fall, von dem ich Ihnen heute sprechen
möchte, ist dadurch bemerkenswert, daß sich an eine soheinbur
ganz harmlose und gelungene Operation ein schwerer Ileus an-
schloß, der durch eine Kette unglücklicher Verliältnisse den Tod
herbeiführte.
Die Krankengeschichte ist kurz folgende : Anfangs April d. J.
kam ein 44jähriger, sehr kräftiggebauter Mann mit starkem
Panniciüus adiposus zu mir mit einer taubeneigroßen, nicht ganz
J-eponiblen Nabelhernie. Wir machten zunächst einen Versuch
mit Heftpflastercompression; ich betonte aber gleich, daß außer
tlieaer nur eine Operation in Frage kommen könne, da ein brauch-
bares Nabelbruchband nicht existirt. Am 10. IV. kam der Pat
wieder mit der Bitte, die Radicaloperation möglichst bald aus-
zuführen; das Heftpflaster hatte ihm Ekzem gemacht und er hatte
trotz des Verbandes Beschwerden.
Am 11. IV. Radicaloperation, die ohne Besonderheiten ver-
lief. Ein adhärenter Netzstrang wurde mit zwei Ligaturen unter-
bunden und versenkt, Darm kam nicht zu Gesicht. Die Operation
war unter Schlei ch'scher Anästhesie ausgeführt worden, da mir
«ine Narcose contraindicirt schien. Ich fürchtete ein Fettherz
und wußte außerdem, daß der Patient erst nach sehr langem
Studententum ein tüchtiger Beamter geworden war. Sein Gesicht
war leicht cyanotisch gefärbt.
Am Tage der Operation und am nächsten ging es dem Pat.
gut; daß er katheresirt werden mußte und daß Winde nicht ab-
gingen, beunruhigte mich nicht, da wir derartige Erscheinungen
ja nach Bauchoperationen leicht eintreten sehen und sonst nichts
8*
Jahresberiolit der Sclilos. Gesellschaft filr vaterl. Ciiltur.
Bedrohliches vorlag, kein Erbrechen oder Aufstoßen, keine
Temperatursteigerung, keine erhöhte Pulsfrequenz.
Im Laufe der folgenden Nacht aber entwickelte sich das Bild
eines Ileus. Anstatt der leichten Auftreibung, die am Tage vorher
dagewesen war, sehr starker Meteorismus; durch Stäbchen- Pless-
meter-Percussion ließ sich eine gewaltige Sohlinge feststellen, die
oben quer und rechts senkrecht durchs Abdomen zog. Peristaltik
war überall zu hören; im Bereich der geblähten Schlinge waren
die Geräusche ausgesprochen metallische. Druokempfindlichkeit,
bestand nur an der Operationsstelle, dagegen hatte der Pat. alle
10 — 20 Minuten das Gefühl vergeblicher Darmcontractionen, ohne
angeben zu können, wo diese ihr Ende fanden. Zu sehen war
durch das Fettpolster weder der Contur der geblähten Schlinge,
noch Peristaltik. In der rechten Flanke war, so weit man
percutiren konnte, laut tympauitisoher Schall, auch sonst nirgends
Dämpfung; Leber etwas nacli oben verschoben. Zu palpiren war
nichts Pathologisches.
Ich machte zunächst noch Versuche mit Eingießungen, con-
atatirte dabei, daß reichlich 1 Liter einfloß, aber irgend welchen
Erfolg hatte der Einguß ebenso wenig wie eine subcutane In-
jeotion von 0,001 Atropin. sulfur. ; es entleerten sich weder Stuhl
noch Winde. Im Laufe des Vormittags einmal Erbrechen von
iia. 200 com nicht fäculenter Massen.
Ich mußte mich zur Relaparotoniie entschließen und fiihrfe
diese 48 Stunden nach dem ersten Eingriff aus. Vorher war zu
entscheiden, welcher Art der vorhandene Ileus wäre.
Es konnte nicht zweifelhaft sein, daß es sich um einen Dick-
darmverschluß handelte, und zwar mußte ich als Sitz der
Occkision die Flexura lienalis annehmen. Die geblähte Schlinge
entsprach offenbar dem aufsteigenden und Queroolon. Daß der
Vei'Bchluß nicht tiefer unten gelegen war, lehrte einmal das;
Fehlen einer nachweisbaren Blähimg der tieferen Darmabschnitte,
andererseits auch die Größe der per rectum einzugießenden
Wassermengen. Wodurch freilich der Verschluß herbeigeführt
wurde, war nicht zu eruiren. Denken mußte man an einen la-
tenten Tumor, oder noch mehr an eine innere Incarceration. Daß
diese mit der Operation in direotem Zusammenhang stände,
war mir höchst unwahrscheinlich. Da dies immerhin möglich
war, machte ich die Inoision in der Mittellinie unter Exciaion
der Operationswunde. Hier fand sich nichts Besonderes; das
Netz mit seinen reactionslosen Ligaturen bedeckte die Darm-
Böhlingen. AU ich dann aVjer versuchte, das Netz nach oben zu
T. Abteilung. Modicinisohe Section.
schlagen, zeigte sich, daß dieses durch strangförmige, zur Baucl\-
wand hiuziehoude Adhäsionen verhindert wurde. Somit wuchs
mein Verdacht, daß derartige Adhäsionen auch weiter oben ge-
legen wären und den Darmverschluß bedingten. Nachdem iclx
das Netz unten befreit und nacli oben geklappt hatte, lagen
mäßig geblähte, spiegelnde und nicht gerötete Dünudarmsclilingen
vor. Leider sah ich mich jetzt genötigt, die Operation so schnell
wie möglich zu beendigen. Der Pat. hatte nur unter der Be-
dingung einer Narcoso seine Einwilligung zum Eingriff gegeben.
Ich verwandte Morphium-ßromäthylAether. Trotz aller Vorsiclit
der Dosirung nahm die Cyanose alsbald bedenklichste Formen
an, der Puls wurde schlecht, die Wunde blutete fast gar nicht.
Ich entschloß mich daher, die Aufsuchung des Hindernisses auf-
zugeben und einen Anus coeoalis anzulegen, auf den ich auch
"ach Herstellung der Passage nicht hätte verzichten mögen. Um
Platz zu gewinnen, wurde das colossale Netz entfernt, die
mediane Wunde verschlossen und von einem in der recliten lu-
guinalgegend gelegenen Schnitt aus der Bhnddarm aufgesucht.
Auch die Anlogung des Anus begegnete besonderen Schwierig-
keiten infolge dos enormen Fettpolsters, dann auch besonders,
weil alle an dem vorgezogenen Darm angelegte Nähte durcli die
infolge der Blähung papierdünne Wand durchstachen und sich
aus den Stichkanäleu Darminhalt entleerte. Es blieb mir nichts
übrig, wie einen Zipfel des Coecums zwischen zwei Klemmen zu
fassen und mittels dieser nach außen zu ziehen. Nach aus-
giebiger Umstopfung mit Jodoformgazebeuteln wurde der Darm
zwischen den Klemmen eröffnet und in das Loch sofort ein
fingerdickes Glasrohr mittels vorher gelegter Schnürnaht ein-
gebunden. Sofortige Entleerung von reichlichen Gas- und Kot-
mengeu. Nach der Operation besserte sich der Puls nur kurze
Zeit, um dann trotz Kampher immer schlechter zu werden. Um
4 Uhr Nachts ist er nicht mehr zu fühlen, gegen Morgen Be-
nommenheit und dann Exitus. Stuhl hatte sich aus dem Anus
nur noch wenig entleert.
Die im Königl. pathologischen Institut ausgeführte Section
ergab Folgendes: Frische Peritonitis, offenbar herrührend von
tler Anlegung des Anua. Starke Blähung von Coecum und Quer-
colou, gerhige des übrigen Darms. Processus vermiformis normal
und frei. Das Ende des Quercolon ist durch einen dicken, vom
Ligamentum gastrocolicum zum Anfang des Colon descendens
hinüberziehenden Strang diesem stark genähert. Dadurch ist die
i'lexura lienalis in einen scharfen Knick verwandelt. Dieser
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
wird vermehrt durch ein vom Scheitelpunkt des Kniokes aufwärts
zur Bauohwand ziehendes Band. Sie sehen die Verhältnisse hier
wiedergegeben in einer Zeichnung, die ich habe anfertigen lassen
(Demonstration).
Der Verschluß des Darmes ist nicht etwa durch eine Um-
sohnürung zu Stande gekommen; es zeigen sich keine Ver-
änderungen an der Darmwand, welche auf einen Druck schließen
ließen. Vielmehr ist die Obturation lediglich Folge der Knickung
von deren Wirkung man sich ja an jedem Gummischlauoh leicht
überzeugen kann. Aehnliche Verhältnisse aber in geringerem
Grade und nur wenig stenosirend finden sich auch an der flexura
hepatica. Außerdem wird constatirt eine hochgradige Fett-
durohwachsung, besonders des rechten Herzens, eine colossale
Ectasia ventriouli nebst chronischem Katarrh. In der Gallenblase
zwei Steine und eine circuläre Einschnürung der Wand, die zu
einer Sanduhrform geführt hat. Weder die Magenerweiterung
noch die Gallensteine waren überraschende Befunde, erstere war
bei der der Narcose vorangegangenen Magenspülung constatirt
worden, bei der sich sehr große Mengen von Luft und flüssigem,
vielleicht ein klein wenig fäculent riechendem Inhalt entleert
hatten. Gallensteinkoliken waren anamnestisch angegeben worden
80 daß ich auch an pericholecystitische Adhäsionen als Ursache
des Ileus gedacht hatte, allerdings ohne größere Bestimmtheit,
da ja die Ooclusion links gelegen war. In der Umgebung der
Gallenblase waren keine Adhäsionen.
Nach diesem Befund waren einige Fragen zu stellen: Die
I. Abteilung. Medicinisohe Seotion.
erste nach der Ursache der Straugbildungen mußte unbeantwortet
bleiben. Die zweite nach der Möglichkeit eines Zusammen-
hanges zwischen Bruchoperation und Darmversohluß ist un-
bedingt zu bejahen.
Hochenegg hat vor einer Reihe von Jahren (Wiener khii.
Wochenschr., 1897, No. 51) eine Art des Ileus beschrieben, die
or als Combinationsileus bezeichnet. Die Genese eines solchen
ist kurz folgende: Irgendwo im Verlauf des Dickdarms besteht
eine allmählich zunehmende Stenose, die zu einer Blähung der
darüber gelegenen Darmpartien führt. Höher oben im Darm be-
findet sich ein Hindernis (ein Strang, ein Bruchring), das bei
normalem Darm die Fortschaffung des Inhalts kaum stört. Für
den geblähten Darm aber ist die Passage zu eng und es kommt
durch Einschnürung, Abkniokung etc. zum völligen Darmversohluß
an dieser Stelle. Wird jetzt laparotomirt, so impomrt die obere
Abschnürung als einziges Hindernis, da die darunter, d. h.
zwischen den beiden Stenosen gelegene Schlinge ihren Inhalt
inzwischen entleert hat, und zwar wie Gersuny wohl mit Recht
annimmt (Discussion zu H ochenegg's Vortrag) durch das nicht
vollständig verschließende untere Hindernis hindurch.
Was hat nun dieser Gegenstand mit unserem Fall zu thun?
Ich muß aus der Sectionsgesohichte noch Folgendes nachtragen:
Der Dickdarm wurde im Zusammenhang mit dem Peritoneum
parietale und unter Schonung der Stränge liorausgenommen.
Ließ man nun in das entleerte Quercolon Wasser einfließen, so
passirte dieses zunächst die Stenose ungehindert. Sobald aber
bei stärkerem Wasserstrom das Queroolou sich blähte, bildete
sich der oben beschriebene Knick und es trat ein ventilartig
wirkender, absoluter Verschluß ein.
Die eine Voraussetzung des Combinationsileus ist also ge-
geben, der infolge der Darmblähung eintretende Verschluß. Auch
die andere Componente ist vorhanden, aber nicht in Gestalt einer
v-weiten Ocolusion. Das tiefer gelegene Hindernis ist in diesem
IJ'alle vielmehr gegeben durch die Darmparese, die der Hernieu-
operation gefolgt ist. Wollen wir das Bild eines Combinations-
ileus in diesem Falle aufrecht erhalten, so müssen wir sagen, es
besteht eine Combination eines freilich nur angedeuteten para-
lytischen Ileus mit einer Ocolusion durch Abkniokung.
Wenn man das Präparat resp. die nach ihm hergestellte
Zeichnung betrachtet, kann man es nur bedauern, daß die Re-
laparotomie nicht zum gewünschten Ende geführt werden konnte.
40 Jahresbericht der Schles. G-esellschaft für vaterl. (Jnltiii-.
Ein Scheerensohlag hätte genügt, das an der richtigen Stolle
diagnostioirte Hindernis zu beseitigen.
Sollen wir nun aus diesem traurigen fall etwa den Schluß
ziehen, daß die Radicaloperation der Nabelbrüche wegen der mit
ihr verknüpfton Gefahren vermieden werden muß? Wir können
diese Frage getrost mit „Nein" beantworten. Glücklicher Weise
ist ein Fall wie der besprochene eminent selten. Wir dürfen sagen,
daß die Gefahr der Operation heutzutage geringfügig ist und
nicht im Vergleich steht zu der Gefahr, welche mit dem Besitz
enies Nabelbruches verbunden ist. Einen solchen dauernd reponirt
■Ml halten ist schwierig, oft unmöglich. Ist es aber enimal m
Incarceration oder was bei großen meist violkämmerigeu Nabel-
brüchen häufig ist, durch Abknickung von oft adhäronten Darm-
schlmgen zum Ileus gekommen, dann ist die Prognose immer
recht dubiös, auch wenn bald chirurgisch eingegriffen wird.
Endlich müssen wir von unserem Fall noch sagen, daß auch ohne
Eadicaloperation wohl über kurz oder laug einmal die Abknickung
erfolgt wäre und der Fall hätte auch dann vermutlich ein un-
glückliches Eude genommen.
Zweifellos hätte ich besser gethan, die fielaparotomie früher
vorzunehmen. Andererseits schien mir bei dem wenig stürmischen
Verlauf des Ileus der Vorsuch eines nicht operativen Vorgehens
wohl gerechtfertigt. Endlich kann der Verschluß im höchsten
Falle 48 Stunden bestanden haben. Der Hauptnaohteil, den das
Abwarten gebracht hat, war die inzwischen immer stärker ge-
wordene Darmblähung. Aus ihr entsprangen die Schwierigkeiten
bei der Anlegung des Anus praeternaturalis und damit indirect
die Peritonitis. Ob aber nicht auch ohne die letztere die Herz-
schwäche zum Tode geführt hätte, steht dahin.
Ich halte es für unzweifelhaft, daß Combinationen der be-
sprochenen Art vonparetischerDarinbläliung und relativem Hindernis
öfter zum Ausbruch eines Ileus führen. Wie oft finden wir bei
einer Laparotomie Stränge als Ursache einer Knickung oder Ein-
schnürung, deren Aussehen dafür spricht, daß es sich um Dinge
handelt, die schon längst vorhanden waren. Irgend eine Ver-
anlassung muß also in einem derartigen Fall den gelegentlichen
Verschluß herbeigeführt haben. Daß man diese Veranlassung
in Gestalt der postoperativeu Darmparese so eolatant nachweisen
konnte, halte ich für das Besondere des hier besprochenen Krank-
heitsbildes.
Viel erfreulicher ist der zweite Fall, von dem ich Ihnen
berichten möchte. Die 22jährige Patientin erkrankte
am
I. Abteilniig. Medioinische Seclion.
'"27. X. 1903 plötzlich beim Versuch der Defäoatioii. Patientin
wurde sehr blalJ, bekam Ohumachtsgefühl , furchtbare Leib-
schmerzen und Eibrechen. Letzteres wurde alsbald übelriechend ;
kein Stuhl, keine Winde. Am 3. Tage auf Xlystier reichliehe,
sehr stinkende Entleerung von schwarzer Farbe (Blut?). Am
5. Tage Nachlassen des Erbrechens, Nahrungsaufnahme. Am
18. Tage (14. XI.) Singultus, wieder Erbrechen. Am 22. Tage wird
ein wurstförmiger Körper entdeckt, der aus dem Anus hervorragt :
das freie, reichlich 15 om lange Stück wird abgetragen. Bei der
Besichtigung erweist es sich als ein Stück Darm. Trotz hoch-
gradiger Eäulnis ist zu constatiren, daß es sicli um Dünndarm
handelt. Am 30. Tage entleert sich mit etwas Stuhl die Fort-
setzung dos Darmstüokes, die noch etwa 13 cm lang ist, so daL5
stlso die Gesamtlänge des abgegangenen Darmstückes reichlicli
28 cm beträgt. Das Erbrechen läßt nach, Pat. nimmt Hüssige
Nahrung zu sich. Aber schon am folgenden Tage erneutes Er-
brechen wenig veränderter Ingesta mit Gallenbeimischung. Winde
gehen ab; Nährklystiere.
Als ich die Kranke am 1. XIL, am 37. Tage der Krankheit,
2uai ersten Male sah, fand ich (>ine hochgradige Abmagerung,
mätiige Anhydrämie, kleinen Puls von 110—120; Temperatur
normal. Der Leib war eingesunken, im Ganzen nicht ilruck-
empiindlich; Peristaltik überall zu hören, Darmsteifungen nicht
sicher zu sehen. Links oberhalb des Nabels leichte Resistenz und
uiäüige Druckempfindlichkeit.
Ueber die Diagnose konnte man nach dieser Anamnese niclit
'm Zweifel sein; sie war bereits von Herrn Dr. Oppler zwei
Tage vorher gestellt worden, der trotz dos schlechten Allgemein-
befindens zur Operation geraten hatte. Es handelte sich offenbar
um Eolgen einer luvaginatiou. Das gangränöse luvaginatura war
angegangen, aber es hatte sich im Anschluß daran eine sehr
hochgradige Stenose entwickelt. Diese mußte hoch sitzen; dafür
sprach vor allem das Eehlen tles Metoorismus, dann auch die
Beschaffenheit dos Erbrochenen.
In Bromäthyl-Aether-Narcose machte ich vom Nabel aufwärts
in der Mittellinie eine Incision und fand in der druckempfindlichen
Resistenz das Hindernis. Die Stelle, wo nach Abgang des gangrä-
nösen Invaginatums die beiden Darmenden miteinander verwachsen
waren, machte sich als tiefe, circuläre Einschnürung kenntlich.
«■Is ich den stenosirten Darmabschnitt vorziehen wollte, löste sich
plötzlich die "Verwachsung. Das eine Ende ließ sich nun unschwer
herauslagern, das andere, glücklicher Weise das abführende und
.lahroshericht der Sohles. Gesellschaft für vatcrl. Oultiir.
ganz leere war in der Tiefe Jixirt. Da sich aus seinem minimalen
Lumen Inhalt nicht entleerte, ließ ich es an Ort und Stelle,
nachdem ich es durch mehrfache Schnürnaht verschlossen hatte.
Nachdem von dem vorgeKOgenen Schenkel etwa 10 cm abgetragen
waren, wurde dieser nach Doyen verschlossen. Dann Herstellung
der Communication zwischen den beiden Darmpartien in Gestalt
einer breiten Naht-Anastomose. Verschluß der Bauchdeckon.
Vorher war noch constatirt worden, daß die Operationsstello sich
etwa 90 cm unterhalb der Plioa duodeno-jejunalis befand.
Der Verlauf war günstig, Pat. erholte sich. Im oberen Teil
der Wunde hatte sich eine oberflächliche Fistel gebildet, die sich
schloß, nachdem eine der versenkten Seidennähte entfernt worden
war. Sie können sich jetzt persönlich von dem Wohlbelinden der
jungen Dame überzeugen.
Das abgetragene Darmende, welches ich Ihnen hier herum-
gebe, zeigt an seinem Ende, aber nicht genau in der Darmaohse,
die Oeffnung, durch welche die Communication mit dem tiefer-
gelegenen Darm stattgefunden hat. Sie sehen ohne Weiteres,
welch colossale Stenose hier vorhanden war. (Demonstration.)
Es wird, m. IL, niemandem zweifelhaft sein, daB in einem
Falle wie der vorliegende nur von einer Operation Rettung zu
erwarten ist. Es sind derartige Eingriffe bisher nur wenige aus-
geführt; ich finde nur zwei analoge Fälle, einen vonKofmann')
und einen von v. ßramann'-) (bei Haasler). Der Grund für
diese Seltenheit ist gegeben einmal darin, daß Invaginationeu bei
uns wenigstens überhaupt selten sind, des Weiteren darin, daß
Stenosen der beschriebenen Art nach Invaginationeu sich nicht
häufig ausbilden. Das heißt nun nicht etwa, daß eine Spontau-
lieilung der Invagination ohne Stenose das Gewöhnliche wäre.
Auch solche Fälle sind freilich beschrieben in etwas größerer
Zahl als die mit Verengerung geheilten, aber immerhin spärlich
genug. Die bei weitem meisten Invaginationeu erliegen, wenn
nicht rechtzeitig eingegriffen wird, zweifelsohne der Perforations-
peritonitis.
Aus diesem Grunde kann man Naunyn nur recht geben,
wenn er der Ansicht ist, daß jode Invagination dem Chirurgen
gehört, wenn nicht in den allerersten Stunden durch Eingüsse
und sonstige innere Mittel die Desinvaginatiou herbeigeführt ist.
In frischen Fällen ist die operative Therapie einfach und die
») Centralbl. f. Chirurgie, 1895, pag. 941.
») V. Langenbecks Archiv, Bd. 68, pag. 817.
I. Abteilung. Medicinische Secüon. 43
Prognose als günstig zu bezeichnen. Ich erinnere mich eines
Falles, den ich in der chirurgischen Klinik operirt habe. Ein
Kind war wenige Stunden nach Entstehung der Invagi-
nation von Herrn Collegen Weile der Klinik zugeführt worden.
Nach Ausführung der Laparotomie gelang die Desinvagiuatioii
ohne Schwierigkeiten. Das Kind ist geheilt und gesund ge-
blieben, wie es ja überhaupt bekannt ist, daß Recidive der lii^
vagination im Allgemeinen selten sind. Auch wenn die Des-
mvagination nicht mehr möglich ist, wird die Darmresection mit
erheblich größerer Wahrscheinlichkeit einen guten Ausgang ver-
sprechen, als das Zuwarten, zumal wenn man extraperitoneal
operirt nach der Methode, welche von Herrn Geh.-Rat v. Mikulicz
angegeben, wiederholt mit Glück ausgeführt und vor einiger Zeit
auch an dieser Stelle besprochen worden ist. In dem vorliegenden
Fall wäre übrigens vermutlich auch viel früher zur Operation
geschritten worden, wenn nicht die Fat. und deren Eltern sich
gegen eine solche gesträubt hätten.
Wenn in dem ersten heute besprochenen Falle eine Summe
übler Faotoren den traurigen Ausgang herbeigeführt hat, so kann
man von dem zweiten das Gegenteil behaupten. Nur dem Zu-
iäammentreflen vieler glücklicher Umstände, wie dem Ausbleiben
tler Peritonitis und einer sehr erheblichen Widerstandskraft des
rlugendlicheu Oi-ganismus ist es zu danken, daß es noch mehr
'W'-ie fünf Wochen nach Eintritt der Invagination möglich war zu
"periren und durcli einen relativ einfachen Eingriff die Heilung
lierbeizuführen.
Disoussion:
Herr Pontick: Für das Verständnis der verhängnisvollen
*"ge, welche an der Stelle der narbigen Ausheilung der Invagi-
'^ation bestanden hat, würde es von Interesse sein, etwas über
*^ie Ursache der letzteren zu erfahren.
Ist der Herr Vortragende im Stande gewesen, liierüber eine
Ansicht KU gewinnen?
Herr B. Oppler: M. H.! Wenn ich zu dem zweiten der
■■'eiden vom Herrn Vortragenden besprochenen Fälle mir einige
Bemerkungen gestatten darf, so möchte ich zunächst darauf hin-
''^eisen, wie selten bei uns in Schlesien Fälle von Darminvagi-
nation überhaupt vorkommen, und daß im vorliegenden die Aetio-
^Ogie eigentlich ganz dunkel ist. Von der Patientin resp. deren
Angehörigen wurde mir damals mitgeteilt, daß längere Zeit vorher
Schon Obstipation bestanden habe, und daß der Ileus plötzlich
44 .luhresbericht, der Schles. Gesollschaft für vtil.orl. DriHur.
auf dorn Closet bei heftigem Pressen eiitstandüu sei; man wird
troUdom das starke Pressen für den Eintritt der Invagiiiation
nicht allein verantwortlich machen können und zu einer Ent-
scheidung dieser Frage nicht gelangen.
Als ich die Patientin zum ersten Mixle sah — oiiieu Tag
vor der Operation — , bot die DiagnoBo eigentlich keinerlei
Hohwierigkeit, nur über den Sitz der oitenbar vorliegenden
Darmstenose konnte man Zweifel hegen, die sich ebenfalls
duroll den Typus des Erbrechens und die Configuration dos
Abdomens bald lösten. Es mußte sich um eine sehr hoch-
sitzende Düundarmstonose handeln. Sehr schwierig war daiui
die Entscheidung, ob man im Hinblick auf den geradezu
elenden Kräflezustand der Patientin und in der Erwägung, daiJ
die Stenose vielleicht doch noch so weit durchgängig sei, daß
man eine Aufbesserung durch sorgfältige Ernährung erreichen
könne, die jedenfalls notwendige Operation noch etwas auf-
aohiehen oder wegen der bei hochgradiger Enge drohenden Gefahr
des weiteren rapiden Kräftevorfalls trotssdom sie sofort vornehmen
sollte. Ich hatte mich nach reiflicher Ueberleguug flir das letztere
entschieden und Herr Ilonle nahm denn auch den Eingriff boi
der nicht in Breslau befindlichen Patientin schon einen Tag daraui
vor. Sie haben sich selbst von dem günstigen Erfolge sowohl,
als auch von der ßorechtigung des sofortigen Eingreifens boi
dem fest absoluten Verschlusse des Darmlumens überzeugen
können.
Herr Uenie: lieber die Ursache der Invagination war Jiicljt«
zu eruiren, zumal die ursprünglich betroffene Stelle ja sich ab-
gestoßen hatte und wegen hochgradiger Fäulnis wohl kaum einen
Befund gegeben hätte.
Herr Paul Krause : lieber die zur Zeit üblichen bncterio-
lugischen üntersuchungsinethodeii zur Sicherung der klini-
schen Typhusdiagnose.
Nach einer kurzen historischeu Bemerkung giobt dur Vor-
tragende auf Grund meist eigener Erfahrung und eigener Unter-
suchungen eine Uebersicht über die bacteriologischon Unter-
suchungsmethoden, welche uns zur Zeit zur Sicherung der
klinischen Typhusdiagnose zur Verfügung stehen.
I. Methoden zum Nachweis der Typhusbacillen in den Fäces.
Die Nährböden von Capaldi, Marpmann, Petruschky,
Kruse, Loeseuer worden nur kurz kritisch besprochen; etwas
ausführlicher die Eis n er 'sehe Kartoffelgelatiue (mit Jodkalium-
zusatz) und vor allem der Piorkowski- und Conradi-Dri-
I. Abteilung. Medicinisohe Seotion. 45
galski'sche Nährboden. Die Piorkowski'sohe Nährgelatine hat
ilem Vortragenden iu einer ganzen Reihe von ITällen gute Dienste
geleistet; die Herstellung des Nährbodens, ebenso das Arbeiten
'lainit, erfordern aber viel iVIühe, groBe Erfahrung und strenge
Kritik.
Die ausgedehntesten Erfahrungen konnte der Vortragende
sieh iu der Verwendung des Conradi-Drigalski'sohen Nähr-
bodens sammeln. Er untersuchte damit über 800 Stühle, darunter
'lie von 72 Typhusfällen. In einer ersten Versuchsreihe
(104 Typhusstühle) hatte er in etwas weniger als 60 pCt., in einer
^Weiten Serie (ca. 560 Typhusstühle) etwa 64 pCt. positive Re-
sultate. Nach seiner Ansicht gewährt der Co nr ad i-Drigalski'sche
Agar wohl die Möglichkeit, mit verhältnismäßiger Leichtigkeit
und in kurzer Zeit den Typhusbacillus von seinem wichtigsten
Nebenbuhler, dem Baot. coli, zu unterscheiden; zur sicheren
Diö'erenzirung genüge aber die Agglutinationsprobe allein nicht,
vielmehr sei es unvimgänglioh notwendig, die bekannten biologi-
schen Differenzirungsmethoden anzuwenden.
Es unterliegt nach den Untersuchungsergebnissen des Vor-
^''■agenden keinem Zweifel, daß trotz aller Sorgfalt und Mühe in
3u_4o pCt. der Fälle die Conradi-Drigalski'sche Methode
^■iim Nachweis der Typhusbacillen aus dem Stuhle versagt; ein
R-osultat, welches sehr begreiflich ist, wenn man überlegt, daü
b'aglos nur immer verhältnismäßig wenig Material zur Ver-
wendung kommt, allerseits aber sehr wahrscheinlich in einem
gewissen Prooentsatze der Fälle überhaupt nur eine spärliche
'^ahl von Bacillen im Typlmsstuhle vorhanden sind. Die An-
gaben von anderen Autoren, welche in 90 — 100 pCt. Typhus-
bacillen in den Fäces von Tj^phuskranken nachweisen konnten,
'^anii der Vortragende nicht bestätigen.
Es stimmt in jeder Weise mit der Ansicht Neufelds über-
öi'i, daß es bei der bacteriologischeu Untersuchung von Typhus-
Stühlen nicht so sehr auf die Methode, als vielmehr auf die
^^ebung, welche man in ihr besitzt, \ind die Geduld, die man
'larauf verwendet, ankommt.
II. Die Milzpunction bei Typhuskranken vorzunehmen,
^^^ in dem auf diese Weise erhaltenen Blute Typhusbacillen
kulturell nachzuweisen, hält der Vortragende für durchaus un-
zulässig, trotz der Empfehlung dieser Methode durch Adler,
■^velcher in den letzten Jahren gegen 300 Milzpunctionen auf der
Jacksch'schen Klinik vornahm und dabei keine unangenehmen
Zwiachenfälle erlebte, trotz der Empfehlung durch Jane so,
46^ Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
welcher bei 36 Kranken 37 mal die Milz punctirte. Dabei hatte
der zuletzt genannte Autor, ebenso wie früher Haedke, eine
ernstliche Schädigung einem seiner Patienten verursacht.
Die Warnung von Oursohmann, E. Fraenkel vor dieser
Methode besteht zu Recht.
ITI. Die Züchtung der Typhusbacillen aus den Roseolen,
welche, früher schon geübt (Neu hauss,Rütimey er, Thiem ich),
durch die Empfehlung von Neufeld und Curschmann in'
neuerer Zeit wieder häufiger zur Anwendung gekommen ist,
führt bei richtiger Anwendung in einem großen Proeentsatze von'
Fällen zu positiven Resultaten und kann event. dort Anwendung
finden, wo eine Blutentnahme durch Venenpunctioi, nicht erfolgen
kann.
IV. Im circulirenden Blute gelingt es bei Anwendung
größerer Blutmengen und sofortiger Aussaat auf Agar — Methoden,
wie sie von Sittmann, Stern, Lenhartz, Schottmüller aus-
gebildet sind — mit Leioiitigkeit in 60-80 pCt. der Fälle
Typhusbacillen nachzuweisen. Die Methode ist speciell zur
Frühdiagnose in unklaren Fällen geeignet, wo die klinische Beob-
achtung und andere Methoden, wie die Serumreaction den Dienst
versagen. Castellani hatte bei 14 Fällen 12mal, Schottmüller
bei 220 Fällen 182 mal, Auerbach bei 10 Fällen 7 mal, Stern
unter 38 Fällen 2r)mal, Jochmann in 7 Fällen 6mal, Jochmann
und Krause (Med. Klinik zu Breslau) unter 29 Fällen 23mal
positive Resultate. Tn geeigneten Fällen sei die Methode auch
m der Privatpraxis anwendbar, allerdings stoße manchmal <lie
Bliitentnnhme bei den Patienten auf Widerstand.
V. Die Untersuchung des Urins, des Sputums, des
Schweißes auf Typhusbacillen ist leicht mit den gewöhnlichen
culturellen Methoden möglich, doch werden ijositive Resultate
zur Sicherung oder Klärung des Krankheitsbildes nur in
selteneren Fällen beitragen, da die Diagnose „Typhus" bei Cora-
plicationen seitens der Lungen oder des Harnapparats meist schon
durch klinische Beobachtung feststeht.
Zum Schlüsse bemerkt der Vortragende, daß er absichtlich
auf die Bedeutung der Widal'schen Reaction für die Diagnose
des Typhus nicht eingegangen sei; er bemerke nur, daß er auf
Veranlassung von Herrn Geheimrat von Strümpell in einer
großen Anzahl von Controlversuchen das Ficker'sche Typhus-
diagnosticum als brauchbar und zuverlässig zur Anstellung
der makroskopischen Agglutinationsprobe gefunden habe; die
mikroskopische Probe kann damit nicht angestellt werden. Ueberall
I. Abteilung. Medioinisclie Seotion.
dort, wo frische Typhusoulturen schwer zu beschaffen sind, dürfte
sich das Picker'sohe Präparat als nützlich erweisen.
D i s c u s s i 0 11 :
Herr R. Stern wendet die Milzpuoction zur Diagnose des
Ahilominaltyphus ebenfalls nicht an, da sie, wie ein erst kürzlich
von Jan OSO mitgeteilter Fall zeigt, nicht absolut ungefährlich
ist. Die Venenpunction giebt gute Resultate, namentlich für die
Frühdiagnose, ist jedoch außerhalb der Krankenhäuser nicht
iiäufig anwendbar. Weniger günstig sind die Resultate der
bacteriologischen Untersuchung des Venenblutes 1. nach der
dritten "Woche der Krankheit, zu welcher Zeit (steile Curven!)
in atypisch verlaufenden Fällen noch diagnostische Schwierigkeiten
bestehen können, ferner 2. in den ganz leichten und atypischen
Fällen, deren Diagnose auch in hygienischer Beziehung besonders
wichtig ist. Hier liefert die Serodiagnostik und die bacterio-
logische Untersuchung der Stuhlgänge bessere Resultate.
Herr Krause bemerkt, daß sich doch der Nachweis der
Typhusbacillen aus den Roseolen unter Umständen diagnostisch
Wertvoll erweisen kann, wie z. B. ihm selbst in einem Falle, wo
wegen eines verdächtigen Exanthems die Diagnose auf Fleck-
typhus gestellt war; der Nachweis der Typhusbacillen aus den
Roseolen klärte die Diagnose.
Sitzung vom 13. Mai 1904.
Vorsitzender: Herr Ponfick. — Schriftführer: Herr Uhthoff.
Herr Oasig berichtet über einen Fall von operativ ge-
hfillem Ijungonalnscess. ')
Der 40jährigo J. F. stammt aus einer Familie, deren Ana-
"Wese nichts Besonderes enthält. Er giebt auch an, selbst stets
Sesund gewesen zu sein bis zum Jahre 1888. Im Frühjahr dieses
Jahres, also vor 16 Jahren, nahm er Dienste bei der holländischen
^'olonialarmee und kam nach Batavia. Noch im selben Jahre
P-rkrankte er an Typhus. Nach Ablauf desselben hat er noch
"fter an rasch vorübergehenden hohen Fieberanfällen gelitten,
~~ dort als Morastfieber bekannt — ohne jedoch in sehiem All-
gemeinbefinden gestört zu werden. In der Zeit von März bis
Juni 1902 litt F. an Dysenterie. Im Laufe des December 1902
') In Vertretung von Herrn Geheimrni Dr. Riegner von Ür.
^^'^aig demonstrirt.
48 Jahresbericlit der Sohles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
begann er wieder zu fiebern und will zu dieser Zeit eine gelb-
Hohe Gesichtsfarbe gehabt haben, sowie Schmerzen in der rechten
Schulter. Dieser Zustand dauerte an bis Februar 1903; in diesem
Monat wurde unser Patient nach Europa wegen „schleppenden
Leberleidens" zurückgeschickt. Wahrend der Seefahrt stellte
sich, wie F. angiebt, ein quälender, trockener Husten ein. Einen
T.T,g nach der Ankunft in Europa trat plötzlich blutig-eitriger
Auswurf in großer Menge auf; wie F. angiebt, soll die Menge
des Ausgeworfenen etwa zwei Liter betragen haben. Die nächs't-e
Zeit ist charaoterisirt durch periodisch (besonders frühmorgens)
auftretenden, reichlichen, schleimig-eitrigen Auswurf, wechselndes
Fieber, Schmerzen in der rechten Schulter und leicht gelbliche
Verfärbung der Haut. Im Laufe des Juni 1903 wurde im
Militärlazareth n. Utrecht eine erfolglose Probepunotion im
VI. Interoostalraum in der Mammillarlinie gemacht. F. wurde
dann als Invalide aus holländischen Diensten entlassen, und
kehrte in seine Heimat Breslau zurück. Hier trat wieder eine
Verschlimmerung ein, die Fiebersteigerungen kamen häufiger nud
F. kam sehr in seinem Allgera einzustand zurück. N;ichdem von
verschiedenen Seiten eine operative Behandlung abgelehnt worden
war, t-Mid F. am 8. II. 1904 Aufnahme in der chirurgischen Ab-
teilung dos Allerheiligen-Hospitals.
Bei der Aufnahme machte F. einen schwer kranken Eindruck.
Die Gesichtsfarbe war blaß-gelblich, der Ernährungs- und Kräfte-
zustand schlecht, das Körpergewicht betrug 138 Pfd. Es be-
stand zeitweise starker Hustenreiz, und es wurde dann eine Menge
scldeimlg eitrigen Sputums ausgeworfen. Die Untersuchung der
Lungen ergab link.s normale Verhältnisse. Hechts vorn fand sich
eine ca. drei Finger breite, nach unten in die Leberdämpfung
übergehende Dämpfung, die aber vom Stamm leicht abüugrenzen
wer. Die Durchleuchtung mit dem Orthodiagraphen ergab an
der Stelle der Dämpfung eine reichlich hühnereigroße, dunkle
Stelle oberhalb des Zwerchfelles, die einen hellen Innenraum
aufwies.
Die mikroskopische Untersuchung des Sputinns zeigte Eiter
körperchen, rote Blntkörperchen und Fettaänrenadeln, son.ii nichis
Besonderes.
Bei wiederholten Durchleuchtungen, die in der nächsten Zeit
vorgenommon wurden, zeigten sich .ibwechselnd zwei verschiedene
Befunde; hatte eben vorher eine reichlichi^ Spntumentleerung
stattgefi;nden, so war der helle Innenraura des oben erwähnten
Schattsms deutlicher, und es gelaug bisweilen den Schatten selbst
I. Abteilung. Medioinisohe Section.
gegen den Lebersohatten abzugrenzen. Lag dagegen vor der
Durchleuchtung ein längerer, hustenfreier Zeitraum, so war die
Abgrenzung des Schattens gegen die Leber lli(^ht möglich und
auch der helle Innenraum undeutlicher.
Am 29. IL 1904 wurde im Bereich der Dämpfung eine Probe-
pnnction gemacht, es fand sich dabei dickflüssiger gelber Eiter
Von derselben. ßeschafi'enheit wie das Sputum.
Am 1. IIL 1904 wurde in Morphium-Aethernarcose im ße-
feich der Dämpfung ein Stück der V. Rippe entfernt. Die Lunge
Züigte sich hier der vorderen Bruatwand adhärent. Nach noch-
maliger Function wurde mit dem Thermocauter in der Richtung
cler Nadel eingegangen. Beim Herausziehen des Platinbrennors
hing an der Spitze desselben ein wenig Eiter von demselben
Aussehen, wie es der bei der Punotion gefundene Eiter gezeigt
hatte. Eine Entleerung von Eiter trat nicht ein, offenbar weil
der geschaffene Kanal noch zu eng war. Es wurde deshalb mit
<^em Thermocauter eine Erweiterung versucht, die aber schließlich
eingestellt wurde, weil Hämoptoe eintrat. Es wurde nun in den
Vom Platinbrenner geschaffenen Kanal ein feiiwa Streifchen Vio-
formgazo eingeführt und die übrige Wunde mit Vioformgaze
tamponirt. Der Kranke wurde zu Bett gebracht, erliielt Morphium
wid Eisblase. Abends stieg die Temperatur auf 38,7, Puls 100.
"■IIL 1904. Allgemeinbefinden gnt. Hämoptoe ist etwas geringer
geworden; Abendtemperutur 38,4, Puls 104. 3. III. 1904. Hä-
moptoe hat fast ganz aufgehört, das Sputum zeigt schon ein ganz
'ähnliches Aussehen wie das vor der Operation. G. IIL 1904.
Kntferrunig der Tampons. Die Wunde sieht sauber aus, aus dem
^anal entleert sich nichts. Derselbe wird wieder taraponirt. Der
Verband erhält sich andauernd fast trocken, das Allgemeinbefinden
ist leidlich, aber der Auswurf unverändert, bis plötzlich einmal
"ach einem HustenstoÜ der Kranke angiebt, daß der Verband
"aß geworden sei. Bei Abnahme .les Verbandes entleert sich
naassenhaft dicker, rotbrauner Eiter aus dem Kanal, der sich —
OHenbar durch Abstoßuug der verschorften Wände — bedeutend
erweitert hat. Lockere Tamponade des Kanals und der
^ unde. Von diesem Zeitpunkte an bewegt sich die Temperatur
^Wischen 36 und 37", der Auswurf hörte fast ganz auf und
''at nur ein, wenn die Tamponade etwas v.n fest ausgeführt
^ar. Das Allgemeinbefinden besserte sich nun zusehends.
8 , J"'*'^''^''^ f?'"P^ ^"''^ '^'''' «ecretion der Wunde zurück, hörte
schheßlich auf; der Kanal verengte sich und etwa Mitte April,
50 Jahresbericht der Schles. Geseliscliaft für Yaierl. Onltur.
also sieben Wochen nach der Operation, war die Wunde
bis auf eine minimale, kaum sichtbare Fistel geschlossen.
Der augenblickliche Zustand des F. am 13. V. 1904 ist ein
sehr guter, er hat seit der Operation 28 Pfund zugenommen.
Die Gesichtsfarbe ist immer noch ganz leicht gelblich. Der
Husten und Auswurf hat ganz aufgehört. Atemnot besteht nicht,
selbst nicht bei starker körperlicher Anstrengung. Nur bei tiefer
Inspiration hat F. etwas Spannuugsgefühl in der rechten Seite.
Der Peroussions- und Ausoultationsbefund des Herzens ist
normal.
Die linke Lunge zeigt ebenfalls normale Verhältnisse.
Ueber der V. Rippe rechts findet sich eine ca. 10 cm lange
eingezogene Narbe, in deren Mitte sich eine ganz feine, fast gar
nicht secernirende Fistel findet.
Rechts vorn über der Lunge normaler Percussionsschall. Bei
ruhiger Atmung nach unten begrenzt durch eine in Höhe des
unteren Randes der IV. Rippe beginnende Dämpfung. Bei tiefer
Atmung liegt die obere Grenze der Dämpfung weiter abwärts.
Diese Dämpfung geht direct in die Leberdämpfuug über, welche
in der Mamraillarlinie mit dem Rippenbogen abschließt.
Die Auscultation ergiebt rechts vorn oben abgeschwächtes
reines Vesiculäratmen , welches nach unten zu immer schwächer
wird und bis zur VI. Rippe hörbar ist.
Rechts hinten ergiebt die Untersuchung normale Verhältnisse.
Die Durchleuclitung (dorsoventral) mit dem Orthodiagraphen
ergiebt der unteren Hälfte des früheren Schattens entsprechend
einen Schatten, welcher sowohl bei Inspiration, wie auch bei
Exspiration vom Leberschatten völlig abzugrenzen ist; nur nach
unten und medialwärts besteht eine Verbindung zwischen beiden
in Gestalt eines etwa 1 cm breiten dunklen Striches.
Faßt man zum Schluß die Hauptmomente des Kranklieits-
bildes kritisch zusammen, so muß man wohl annehmen, daß an
December des Jahres 1902 eine Exacerbation eines auf die
Dysenterie zurückzuführenden Leberabscesses stattgefunden hat.
Der während der Seefahrt aufgetretene trockene Husten dürfte
zwangslos seine Erklärung finden durch die Annahme einer
adhäsiven Pleuritis, hervorgerufen von dem an der Convexität
der Leber vorgewölbten Absceß. Au dem Tage der Ankunft in
Europa, srar Zeit der Entleerung der großen Eitermenge per oö,
ist der Durohbruch des Leberabscesses in einen Bronchus anzu-
nehmen. Zur Zeit der Aufnahme iu's Allerheiligen-Hospital war
der Leberabsceß vielleicht schon so gut wie geheilt und es lag
I. Abteilung. Medicinische Section.
nur noch ein Lungenabsceß vor, welcher durch die Operatioa
eröffnet wurde und der nach dem jetzigen Befunde ersetzt ist
durch eine etwa halb so große, bei der Durchleuchtung sich als
Schatten darstellende Narbe. Von diesem Narbenschatten zieht
ein schmaler dunkler Schatten zum Leberschatten, so daß man
darin vielleicht eine Narbe zu sehen hat, die an die Stelle der
früheren Perforation des Leberabscesses getreten ist.
In Anbetracht des bis jetzt sich ständig bessernden Allgemein-
befindens ist wohl auf eine dauernde Heilung zu rechnen.
Herr Lilienfeld stellt einen 29jährigen Patienten vor mit
multipler Atherombildung. Einer der Tumoren hat das rechte
Scheitelbein in einem Bezirk von Kleinhandtellergrüße usurirt
und saß direct der Dura mater aif. Exstirpation des Tumors.
Heilung. Die mikroskopische ünterisuchung ergab reines Atherom,
feeine für Dermoid sprechende Characteristica.
D i 8 o u s s i o n :
Herr Tietze macht eine Reihe von Bedenken gegen die Auf-
fassung des fraglichen Tumors als Atherom geltend. Er ist
geneigt ihn für ein Dermoid zu halten, eine Auffassung, welche,
wie er im Gegensatz zu dem Herrn Vortragenden betonen muß,
ganz gut mit dem Sitise der Geschwulst vereinbar wäre. Die
letzte Entscheidung muß die mikroskopische Untersuchung der
ßalgwand geben, wobei freilich die Schwierigkeit besteht, daß
bei größeren Dermoiden die Bestandteile der Haut im Einzelnen
nicht mehr so gut erlialten sind wie bei kleinen, so daß auch
selbst auf diese Weise eine Abgrenzung gegenüber den Atheromen
^iK'ht immer ganz einwandfrei gelhigen dürfte.
Herr Ponflck: Die Frage, welche HerrTietze an mich ge-
ruhtet hat, vermag ich nur teilweise zu beantworten : nämlich in
Bezug auf den allgemeinen Punkt, ob und in welchem Um-
fange das Wachstum von Atheromen einen Schwund des Schädels
^tt liedingen vermöge.
Im Einklänge mit seinen Darlegungen halte auch ich es für
äußerst selten, daß eine so tiefe Usur des Knochens durch ein
Atherom hervorgebracht werde. Einen anschaulichen Maßstab
tlafür, wie zutreffend eine solche Ansicht sei, liefert z. B. auch
fhe Thatsache, daß unsere Sammlung keinen einzigen Schädel
enthält, wo ein Tumor der genaanten Art eine nennenswerte
Atrophie auch uur der äußeren Tafel bedingt hätte.
Was dagege» die zweite Frage anlangt, die sich auf den
52 Jahresbericht der Schles. Gosells<'haft für vatorl. Oultiir.
conoreten Fall bezieht, welcher uns in diesem Augenblicke
beschäftigt, so bin ich außer Stande, mich über die histologische
Beschaffenheit des von dem Herrn Vortragenden entfernten Ge-
wächses zu äußern. Denn die mikroskopischen Präparate, die
daraus gewonnen worden sind, habe ich selber gar nicht ku
Gesicht bekommen.
Zweifellos wird dazu alier der liier anwesende College
Winkler bereit seui, der sie ja genau geprüft hat.
HerrWinklor: Die mikroskopisclie Untersuchung des Atheroms
ist auf Ersuchen dos Herrn Vortragenden von mir vorgenommen
worden. Ich muß gestehen, daß ich angesichts einer so weit-
gehenden Usur des Knocliens, welche der Tumor verursacht hatte,
selbst zuerst Bedenken trug ihn als „Atherom" anzusprechen.
Ich dachte vielmehr, daß es vielleicht ein Dermoid oder ein in
carcinomatöser Umwandlung begriffenes Atherom darstelle.
Die mikroskopische Untersuchung der entfernten Neubildung
ergab nun lediglich massenhafte Plattenepithelien, die zum größton
Teile verhornt, kernlos waren, dazwischen viele Eetttröpfohen
und Cholestearin tafeln. Dagegen war es nicht möglich, weder
in der Wand des Tumors, noch in seinen centralen Partion Haar-
bälgo, Talg- oder Schweißdrüsen nachzuweisen, welche für das
Vorhandensein eines „Dermoides" sprechen. Demnach halte ich,
trotz der auffallenden Veränderung am Schädeldaohe , die vor-
liegende Neubildung auf Grund des mikroskopischen Bolüiulea
für ein „Atherom".
Herr Ponfick: Sicherlich könnte man, wenn man lediglich
den Sitz des in Rede stehenden Tumors berücksichtigt, auch
nach meinen Erfahrungen die Möglichkeit eines Dermoids wohl
gelten lassen.
Allein wenn man dosson von Herrn Winklor angeführte
Eigenschaften in Betracht zieht, so muß man billiger Weise doch
sagen, daß eine derartige Annahme in dem mikroskopischen
Verhalten keine Stütze fiudot. Ebenso spricht die Thatsache da-
gegen, daß der Patient gleichzeitig eine solche Menge Tumoren
der nämlichen Art auf seinem Kopfe trägt: ein Zusammentreffen,
das nach allem, was wir sonst wissen, unleugbar weit mehr auf
Atherom als auf Dermoid hindeutet.
Alles in allem muß ich es sonach, trotz der ungewöiuilichea
Ausdehnung des Scliädeldefectes, für wahrscheinlicher erachten,
daß der Tumor, welcher ihn verursacht hat, ebenso die übrigen
in der Kopfhaut sitzenden, ein einfacheH Atherom sei.
I. Abteilung. Modiciuische Section.
Herr Richter glaubt nicht, daß man im vorliegenden Fall ein
sicheres Urteil über die Eigenart der entfernten Geschwulst ab-
geben kann. Zu Gunsten der Annahme eines Atheroms spricht
die gleichzeitige Entwicklung einer Anzahl sicherer Atlierome und
das Alter des Mannes; dagegen die Erfahrung, daß Atherom©
den Knochen nicht durchbohren, die auch durch das vorgezeigte
Scheitelbein aus dem Besitz des Herrn Prof. Lesser, Über das
Genaueres nicht bekannt ist, nicht vimgestoßen wird. Gegen ein
Dermoid — dessen Neigung den Knochen zu durchwachsen be-
kannt ist — spricht, daß das angeborene Mißbildungen sind, die
sich weit früher, als es im vorliegenden Falle geschehen, zu
größeren Geschwülsten auszuwachsen pflegen.
Herr (üüricli: Ucbpr die Beziohungon zwischen Erkraiikun-
gciu der Mandeln und Gelenkrheumatisnius.
Nach den UnterttuclTungeu des Vortragenden ist der Gelenk-
rheumatismus in vielen Fällen durch die chronische desquamative
Entzündung der Maudelgruben , die Angina fossularis chronica
bedingt, welche sich meist durcli die sogen. Mandelpfröpfe kenn-
zeichnet. In den Mandelgruben bleibt das Virus virulent, aber
latent. Acute Steigerungen der chronischen Angina, welche
namentlich durch die infectiöeen Fremdkörper, die Mandelpfröpfe,
Verursacht werden, öffnen dem Gift die Eintrittspforten in den
Körper und verursachen die rheumatischen Attacken. Die angi-
nöseu Beschwerden können dabei sehr unbedeutend sein, so daß
sie vom Patienten ganz in Abrede gestellt werden ; sehr oft aber
leitet eine Angina jeden neuen Anfall von Rlieumatismus ein.
Dadurch kam Vortr. auf den Gedanken, durcli Behandlung der
iossulären Angina den Gelenkrheumatismus zu heilen. Die Erfolge
dieser Behandlung waren frappireiid; jahrelang bestehende, häufig
rooidivirende Rheumaiisimüi verschwanden nach der Curettage
und Aetzung der Maudelgruben ohne Anwendung innerer Mittel
Sofort. Wenn trotzdem ein Rückfall eintrat, so waren noch un-
behandelt gebliebene, Pfropfe enthaltende Gruben daran schuld.
Die Diagnose der fossuläreu Angina besteht im Wesentlichen im
Nachweis der Mandelpfröpfe. Sie erfordert in den meisten Fällen
eine sorgfältige Durchsuchung der Maudelgruben mit der Hakeu-
sonde; sie kann sehr schwierig sein. Die landläulige einfache
J^'ispeotion dos Pharynx unter Benutzung des Zungenspatels ist
''i'f Stellung der Diagnose ganz ungenügend.
Vortragender stellt eine Patientin vor die vor, vier Jaluen
^'> (Gelenkrheumatismus erkrankt ist und häufig Recidive bekommt,
^■fan sieht bei ihr auf den Mandela zahlreiche Pfropfe und als
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Ciiltur.
besondere Rarität eine große Zahl Pfropfe in der Zungen man clel,
den Seitensträngen und der Rachenmandel. Auf Grund dieses
Falles glaubt Vortragender, daß nicht nur die Gaumenmandeln,
sondern auch die übrigen Teile des lymphatischen Schlundringes
die Eintrittspforte des rheumatischen Giftes sein könne. Vielleicht
seien selbst die lymphatischen Apparate des tieferen Darmtracfcus
gelegentlich das Eingangsthor.
Discussion:
Herr Paul Krause: M.. H.! Im Anschlüsse an den inter-
essanten Vortrag von Herrn Gürioh, auf dessen therapeuti-
schen Teil ich nicht eingehen will, weil erst größere Erfahrung
uns über den Wert desselben aufklären muß, erlaube ich mir,
ein paar Bemerkungen über die Angina und ihre GomplioatioiiBn
anzuschließen auf Grund einer Zusammenstellung von
207 Fällen der medicinischen Klinik aus den letzten Jahren,
welcheHerr Dr. Martin als Dissertation veröfientlichte (Dissortat.
Leipzig).
Wenn ein Zusammenhang zwischen Angina und anderen
Infectionskrankheiten besteht, so ist er nur auf dem Woge der
bacteriellen , meist wohl hä-matogenen Infection möglich. Da
bisher der Erreger des Gelenkrheumatismus nicht bekain.it ist,
trotz der Arbeiten von Meyer, Michaelis, Münzor u. A., igt
es zur Zeit unmöglich, aus der bacteriellen Flora (Streptokokken,
Staphylokokken, Diplokokken, Mischinfectionen dieser Keime,
Tetragonus, Bact. coli u. a.) der Angina irgend welchen be-
rechtigten Schluß zu machen. Sehr wichtig ist es im Augfi zu
halten, daß nach der trefflichen Arbeit von Hubert stets Strepto-
kokken, und zwar zum Teil sehr virulente, auf den normalen
Tonsillen vorkommen.
Unter unseren 207 B'ällen trat im Anschluß an die Angina
in 13 Fällen (3mal bei Männern, lOmal bei Frauen) Gelenk-
rheumatismus auf; in einigen Fällen traf der Beginn des
Gelenkrheumatismus mit dem der Angina zusammen; in 2 Fällen
verging bis zum Auftreten des Gelenkrheumatismus 1 Tag, in
7 Fällen 2—8 Tage, in einem Falle 19 Tage, in einem Falle 3 Wochen.
Der klinische Begriff der Angina rheumatica ist auch
meiner Ansicht nach überflüssig, weil es unmöglich ist, einer An-
gina anzusehen, ob ein Gelenkrheumatismus sich daran anschließen
wird oder nicht.
Der Vollständigkeit wegen sei erwähnt, daß sich unter den
207 Fällen von Angina in 33 Fällen Herzgeräusche an-
I. Abteilung. Miedicinisohe Section. 56
schlössen, 9mal verschwanden dieselben nach einiger Zeit, 24mal
persistirten sie, 10 mal handelte es sich um sichere Endo-
carditis recens.
In 2 Fällen trat septische Venenthrombose auf (1 mal
eine Thrombose des Sinus cavernosus, ausführlich be-
schrieben von Herrn Dr. Tollens); je Imal entwickelte sich
kurze Zeit danach eine Pleuritis und Pneumonie.
Albuminurie wurde 9mal beobachtet, 9mal Nephritis
acuta (unter 1261 Anginafällen der Leipziger medicinischen
Klinik fand Heinze in 38 Fällen Nephritis); die letztere trat
meist 2—6 Tage, Imal 3 "Wochen nachher auf.
In 3 Fällen wurde im Anschlüsse an die Angina eine acuta
Appendicitis beobachtet (ausführlich publicirt von Herrn Dr.
Weber, „Münch. med. Wochenschrift", 1903); experimentelle
Versuche, welche ich an Mäusen und zwei Hunden anstellte, um
den Zusammenhang sicher zu stellen, führten zu keinem sicheren
Ergebnis.
Von Hautkrankheiten wurden 8raal Herpos facialis,
Imal Herpes zoster, Imal Purpura rheumatica, Imal
Urticaria beobachtet.
Ueber den Zusammenhang von chronischer Angina mit
Infectionskraukheiten vermag ich Ihnen keine Zahlen an-
zugeben; in unseren Fällen handelte es sich meist um acute
Angina lacunaris (die Fälle der Scharlachabteilung wurden
nicht berücksichtigt).
Herr (iürich: DaL5 das Gift des Gelenkrheumatismus bei
seinem Einmarsch durch die Mandeln eine acute Angina erzeugen
könne, hält Vortr. für sehr möglich; er bezweifelt aber, daB die
Fälle der Klinik vorschriftsmäßig mit der Hakensonde auf Mandel-
pfröpfe untersucht worden seien. Die sog. Angina simplex acuta
biete bei der Inspection oft dasselbe Bild wie ein acutes Recidiv
einer chronischen Angina.
Sitzung vom 10. Juni 1904.
Vorsitzender: Herr Ponf ick. — Schriftführer: Herr Kosen fei d.
Herr Tietze: Krankendemonstrationon. (Beiträge zur
Osteoplastik.)
I. Vorstellung zweier Patienten mit osteoplasti-
schem Verschluß von Schädeldefecten nach der Methode
von Müller-König. Im ersten Fall handelt es sich um ein
15,iähriges Mädchen, bei welchem Vortragender vor fOnf Jahren
56 Jahresbericlit der Seliles. Gesellschaft für vater], Ciiit.ur.
einen otogenen Hirnabsceü operirt hat. Die Eigenart dos Falles
brachte es mit sich, daß eine große Lücke im Schädel angolegt
werden mußte, die sich senkrecht vom linken Ohr in die Hoho
zog und eine Höhe von 10 cm, eine Breite von 5—8 cm besaß.
Nach der vor einem halben Jahre ausgeführten plastischen
Operation ist knöcherner Verschluß des Defeotes eingetreten.
Im zweiten Fall handelte es sich um einen traumatischen
Defect auf dem Schädeldache von etwas geringerer Ausdehnung.
Heilung.
n. Zwei Fälle von Autoplastik. Im ersten Falle wurde
vor vier Jahren das untere Ende des Eadius, das wegen Sarkoms
resecirt worden war, durch eine Großzehenphalange ersetzt. Beide
Knochen, d. h. centrales Ende des Radius und iraplantirter Zehen-
knoohen sind nunmehr zu einem einheitlichen Knochen ver-
schmolzen, die eine Gelenkfacotte der Handwurzel .Tiukehrt. lieber
den Fall wurde 1902 auf dem Chirurgencongreß berichtet. Ende
1902 trat ein Woichteilrecidiv ein, seitdem ist Patientin gesund.
Im zweiten Falle handelte es sich um ein periostales Sarkom
der linken ülna, das die Resootion erforderte. Ersatz des De-
fectes durch ein aus der Tibia ausgesägtes Knochenstüok. Die
Operation fand Anfang 1904 statt. Der Knochen ist eingeheilt
und es beginnt sich eine verbindende Knochenspalte zu bilden
von der allerdings nicht gesagt werden kann, ob sich an ihrer
Entstehung auch der implantirte Knochen beteiligt. Im ersten
Falle glaubt Vortragender nach den Röntgenbildern eine Knocheu-
production aus dem Periost des implantirten Knochens annehmen
zu sollen.
III. Bericht über eine atypische Resection am Fuße
bei welcher die schließlich restirende hühnereigroße Höhle iu
der Gelenkspalten klafften, und die von den Muskeln der Fuß-
sohle begrenzt wurde, durch Paraffin ausgegossen wurde. Es
kam Heilung zu Stande bis auf zwei kleine Fisteln, die sich
aber schließen. Der Fall ist jedoch noch nicht abgeschlossen.
In zwei anderen Fällen hat Vortragender mit Erfolg aus-
gedehnte Fußgelenksreseotionen vorgenommen, obgleich nament-
lich in dem einen von sehr competenter Seite bereits Amputation
vorgeschlagen war. Vortragender wendet bei der Fußgelenks-
resection einen hinteren Q,uerschnitt an. In dem zuletzt erwähnten
Falle fiel aus Fuß und Unterschenkel ein Viereck fort, das außer
den schwer erkrankten Weichteilen ein ca. 4 cm langes Stück
der Unterschenkelknochen , den Talus und die obere Hälfte des
horizontal abgesägten Calcaneus enthielt. Der Fuß hing nur
I. Ahlpiliiiipf, Mrdiriiiiischo SecUon.
noch an einer knapp 5 cm breiten Weichteilbrücke. Die Unter-
sohenkelknocheii wurden auf den Rost des Calcaneua aufgesetzt.
HeiJung mit knöcherner Vereinigung in fünf Wochen. Patient
war 45 Jahre alt. Vortragender glaubt, daß das Gebiet der Re-
sectio)ieii zur Zeit mit Unrecht etwas zu eingeschränkt sei.
Herr Kausch: Im Anschluß an die Demonstration der inter-
essanten Fälle von Knochenplastik des Herrn Tietze gestatte
ich mir, Ihnen ein Präparat zu demoustriren , welches ich der
Liebenswürdigkeit des Herrn Tietze verdanke.
Ich habe im April 1902 ein lOjähriges junges Mädolien
wegen Sarkom der Tibia öperirt, indem ich die Continuitäts-
rosection ausführte und ein Knoclienstück von 7 cm Länge im-
plantirte. Ich entnahm das-Knoohenstück aseptisch einem Tags
ztivor wegen frisclier oomplicirter Fractur amputirtou I3ein, extra-
liirto es mit Alkohol und Aethor und kochte es dann aus. Da
der Tumor bis nahe an die Gelenkilächo der Tibia heranreichte,
mußte ich die Gelenkfläche mitontfernen. Ich sägte die Knorpel-
flache am Femur ab und verband das implantirte Knochenstück
sowohl mit dem Femur als mit dem unteren Tibiaende mittels
eingeschlagener Elfenbeinstifte. Auf dieselbe Weise verband ich
das abgesägte obere Fibulaende mit dem Oondylus externus.
Das Knoohenstüok lieilte anstandslos ein; das Bein war um
3 cm verkürzt. Leider trat nach einem Vierteljahre ein Reoidiv
auf. Patientin verweigerte die nimmehr vorgeschlagene Ampu-
tation. Diese Amputation wurde später von Herrn Tietze vor-
genommen, welcher mir, wie bemerkt, das Präparat überließ.
Sie sehen, meine Herren, daß in diesem Falle eine feste
knöcherne Vereinigung des implantirten Knochenstücks sowohl
am unteren, wie am oberen Ende eingetreten ist; es ist keine
Spur von Beweglichkeit vorhanden. Sie sehen auch, namentlich
am unteren Ende, wie Knoohensubstanz von dem stehengebliebenen
Knochen über den implantirten herübergewaohsen ist. Es sind
das die hier sichtbaren Zacken, während bei der Operation au
dieser Stelle eine glatte Sägefläche bestand, deren Niveau Sie
noch orkonuon. Auf der anderen Seite sehen Sie, daß der im-
plantirte Kjioohen an mehreren Stellen angenagt ist.
Es wird Ihnen bekannt sein, daß das Scliicksal implantirter
toter Knocheiistücke, gleiohgiltig ob sie mit oder ohne Periost
eingepflanzt werden, stets das ist, daß der implantirte Knochen
im Laufe der Zeit allmählich durch neuen Knochen ersetzt wird,
welcher vom stehengebliebenen aus, namentlich dem Periost, ge-
bildet wird. In diesem Falle war nun natürlich das Periost im
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterJ. Oultnr.
ganzen Bereich des entfernten Knochenstüoks mit entfernt worden.
Es konnte folglich der Ersatz nur von den beiden Knochenenden
her erfolgen. Sehr interessant wäre es gewesen zu sehen, ol)
im Laufe der Zeit das ganze implantirte Knochenstlick ersetzt
worden wäre. Auf jeden Fall ist es aber auch jetzt bereits von
höchstem Interesse zu sehen, daß solch' implautirter Knochen
wirklich fest verwächst. Meines Wissens ist es das größte bisher
eingepflanzte Knochenstüok, welches festgewachsen ist.
Im Uebrigen habe ich das Präparat erst soeben erhalten,
werde es noch genauer untersuchen und an anderer Stelle aus-
führlich darüber berichten.
Herr Tietze: Ist Periost aber den toten Knochen gewachsen ?
Herr Kauseh: Auch mir wäre es von höchstem Interesse zu
erfahren, ob die auf dem implantirten Knochonstück liegende
Schicht neugebildetes Periost ist oder nicht. Es scheint mir
denkbar, daß es nicht Periost ist, sondern nur Bindegewebe,
welches, da es der glatten Knochenfläche aufliegt, gleichfalls
glatt geworden ist. Ich frage Herrn Ponfick an, ob er es für
möglich hält, daß sich auf solch' weite Strecken hin Periost
neu bildet?
Herr Ponlick: Es ist möglich und hier gewiß geschehen.
Herr Jochinann hält den ersten Teil seines Vortrages : lieber
Bacteriämie.
Sitzung vom 17. Juni 1904.
Vorsitz.: Herr Ponfick. — Schriftf.: Herr Neisaer.
Herr Jochmanii setzt seinen Vortrag: „Ueber Bacteriämie
und die Bedeutung der bacteriologischen Blutuntersmuhung
für die Klinik" fort.
An der Hand von eigenen Beobachtungen worden die ver-
schiedenen Typen der Bacteriämie besprochen. Gleiolizeitig wird
die Bedeutung der bacteriologischen Blutuntersuchung für die
Klinik, soweit das für den inneren Mediciner Interesse hat, er-
örtert.
Die Prognose der Streptokokkenbacteriämie nach primärer
Streptokokkeninfeotion ist nicht absolut ungünstig. In acht der-
artigen Fällen sah Vortragender dreimal einen günstigen Ausgang,
und zwar in einem näher beschriebenen Fall von Streptokokken-
bacteriämie nach Pneumonie, in einem Fall von Puerperalsepsis
und einer Sepsis nach Strumaoperation. Genauer geschildert
wird ferner ein Fall von septischer Endocarditis, der nach sieben-
1. Abteilung. Medicinischo Seotion.
monatlicher Erkrankung an chronischer Streptokokkensepsis zu
Grunde ging. Erreger war der von Schottmi'i Her beschriebene
Streptococcus mitior seu viridans.
Als weitere Beispiele für die Streptokokkeubacteriämie nach
primärer Infection werden erwähnt: eine Sepsis, die von einer
einfachen katarrhalischen Angina ausgegangen war, ferner eine
von den Harnwegen ausgehende Sepsis nach Cystitis und Urethral-
strictur und eine Streptokokkenblutinfeotion im Anschluß an eine
Sinusphlebitis nach Cholesteatombildung.
Bei der Streptokokkenbacteriäraie nach secuiuliirer Infection
ist die Prognose ungünstiger. Von den Scharlach- und Diphtherie-
kindern, bei denen Vortragender Streptokokken im Blut nachwies,
blieb nur äußerst selten eins am Leben.
Sechs Eälle von Staphylokokkenbacteriämie konnte Vor-
tragender beobachten. Kein einziger kam mit dem Leben davon.
Der eine dieser Fälle war eine „kryptogenetische Septico-
pyämie", d. h. der Ausgangspunkt der Staphylokokkenblutinfeotion
war in diesem Falle nicht nachzuweisen.
In 18 Fällen von Pneumonia orouposa fand Vortragender
sechsmal Pneumokokken im kreisenden Blut. Zwei von den
Fällen mit positivem Befund blieben am Leben ; bei einem davon
war es zu septischer Gelenkentzündung gekommen.
Auch nach des Vortragenden Beobachtungen ist demnach der
Uebergang der Pneumokokken in's Blut bei Pneumonie nicht immer
80 constant, wie das Prochaska und Fraenkel hinstellen.
In zwei Fällen wurden an der medioinischen Klinik Gono-
kokkeji im kreisenden Blut nachgewiesen. Genauer beschrieben
sind die Fälle durch Krause in der „Berliner klin. Wochen-
schrift".
In einem dritten Fall von Gonokokken-AUgemeinerkrankuug
fanden sich im Gelenkexsudat des Ellenbogens Gonokokken, nicht
aber im Blut.
Typhusbacillon fand Vortragender unter 30 Fällen 25 Mal,
also in 83,3 pCt., fast regelmäßig während der Continua.
Von den fünf Fällen mit negativem Blutbefund hatten drei Fälle
remittirendes Fieber. Kurz vor der endgiltigen Entfieberung
pflegt die Blutentnahme häufiger zu versagen. Zwei von den
negativen Fällen waren drei Tage nach der Blutentnahme völlig
entfiebert.
Fünf von den Fällen mit positivem Blutbefund ergaben noch
keine positive Agglutination sreaction.
.Es giebt Fälle, die weder anamnestisch, noch nach ihrem
60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für val.erl. Cnif.iir.
klinischen Bilde zunächst die Annahme einer typhösen lufoction
nahe logen, Fälle, die erst durch den Nachweis der Typhus-
bacillen im Blut in das richtige Licht gesetzt werden. Dafür
werden drei sehr bemerkenswerte Beispiele angeführt.
Eine geringe Einschränkung erfährt die diagnostische Be-
deutung des Nachweises der Typhushacilleu im Blut dadurch,
daß bei Eälleri mit unregelmäßigem Fioberverlauf und bei Abortiv-
fällen die Blutuntersuchuug häufig versagt. Hier wird die Sero-
diagnostik oder die Stern 'sehe bacterioide ßeaction vou besserem
Erfolge begleitet sein.
Zum Schluß wird darauf hingewiesen, daß wir aucii für das
Studium in ihrer Aetiologie noch unbekannter Infeotionskrank-
heiteu durch systematische Blutuntersuchungen manch wichtigen
Fingerzeig bekommen.
Auf Grund einer großen Reihe eigener Untersuchungen lohnt
Vortragender die Annahme einer Stroptokokkenätiologlo des
Gekukrhoumatismus ab. Auch beim Scharlach habe die Blut-
untorsuchung zu dorn Resultat gefülirt, daß den Streptokokken
nur eine secundäre, nicht eine specifisohe Kelle zukomme.
Herr Ponflck: lieber Pylorospasmus.
Ihnen Allen, meine Herren, wird der Vortrag noch in leb-
hafter Erimierung sein, welchen Herr v. Mikulicz über den
merkwürdigen Symptomencomplex des Cardiospasmus hier ge-
halten hat. Im Hinblick darauf dürfte mein Befund doppeltes
Interesse bieten, welchen ich gestern bei einem längere Zeit an
Pylorospasmus leidenden Kinde beobachtet habe.
Sie sehen hier einen Magen vor sich von so gewaltigen Di-
mensionen, daß man wohl glauben könnte, er müsse einem Kinde
von mindesten vier Jahren angehören. In Wirklichkeit stammt
er von einem Säuglinge, der erst zwei Monate alt ist.
Allerdings geben sich diese Ersclieinungeu heute längst nicht
mehr so handgreiflich kund wie gestern an dem noch nicht er-
öffneten Organe, an welchem die starke Wölbung der Vorder- wie
Hinterfläohe und die Prallhoit beider so sehr auffiel.
Obwohl sich also jetzt, wo der Magen bereits aufgeschnitton
ist, jene außerordentliche Zunahme des Kalibers nicht mehr mit
voller Sicherheit beurteilen läßt, so ist doch die Steifheit der
Wand des Behälters auch jetzt noch sehr ausgesprochen. Wie
eine genauere Prüfung ergiebt, beruht diese auf allgemeiner
Verdickvuig seiner Wandung, insbesondere der Muskelsohicht.
Neben dieser allgemeinen Hyperplasie der contractilen Elemente
besteht aber noch eine ungleiche stärkere, örtlich begrenzte,
1. Abteilung. Mediciuische Soction. tit
indem der Pylorusteil eine unverhältnismäßige Zunahme erfahren
hat. Je näher dem Pförtner, um so dicker wird nämlich die
Wand und um so enger die Lichtung. Unmittelbar oberhalb
derselben erreicht dieser Zustand einen so hohen Grad , daß die
Pars pylorica lediglich eine feste Masse zu bilden und ein Lumen
überha\ipt nicht mehr zu besitzen scheint. In der That ist es
nicht nur mit der Spitze des kleinen Fingers, sondern auch mit
einem weiblichen Katheter ganz unmöglich, von oben her in das
Duodenum einzudringen. Erst mit einer Sonde gelingt es, den
Pjrlorus KU passiren. Aber selbst dann drängt sich die Schleim-
haut in so mannigfachen Falten und Wülsten dicht gegen das
Instrument heran, daß es nur mit Mühe in den Darm zu gelangen
vermag.
Weit mehr als alle diese noch so merkwürdigen Erscheinun-
gen befremdet uns aber ein anderer Umstand, eben der, welcher
(Ho Analogie mit dem eingangs erwähnten Cardiospasmus hiii-
stellt: ich meine das Fehlen jeder organischen Veränderung an
der Wand des Magens, insbesondere an dessen Schleimhaut.
Vergebens sucht man nämlich nacli irgend welchem ursächlichen
Momente, welches sich heranziehen ließe, um einerseits den
Kramjif, d. h. die habitxielle Neigung des Säuglings zum Er-
brechen zu erklären, andererseits einen so hohen Grad von Aus-
weitung des Behälters und von Hypertrophie seines Stratum
muHcnlare, wie wir das hier am ganzen Pförtnerteilo wahrnehmen.
Eine ähnliche Anomalie des Magens ist zwar schon früher,
ailenliiigs nur recht selten, beobachtet luul als „idiopathische
Hypertrophie", vor Zeiten auch wohl als „Induratio benigna
ventriculi" bezeichnet worden. Ihr Zusammentrefi'en mit einer
solchen kaum stillbaren Neigung zu habituellem Erbrechen jedoch,
wie sie sich bei diesem zweimonatlichen Säuglinge geltend ge-
macht hat, ist erst neuerdings beobachtet oder wenigstens mit
dem erforderlichen Nachdrucke hervorgehoben werden.
Im Hinblicke auf die ungemein eingreifende Störung der
Verduuungsfunctionen, durch welche bei dem Kinde ein schließlich
zum Q.^ode führender Erschöpfungszustand hervorgerufen worden
ist, habe ich Herrn Czerny gebeten, Ihnen vor allem über den
Krankheits verlauf Näheres zu berichten.
Herr €«orny bespricht im Anschluß an die Demonstration
die klinischen Erscheinungen, welche die Pj'lorusstenose bei
Säuglingen charaoterisiren. Er weist darauf hin, daß eine An-
zahl einschlägiger Fälle bei lediglich diätetischer Behandlung in
eine scheinbare Heilung ausgeht, während ein anderer Teil Ver-
^^ Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
anlassung giebt zu operativen Eingriffen, wenn nicht die Kinder
an Inanition zu Grunde gehen sollen. Sich über die ausschließ-
hohe Berechtigung der einen oder anderen Methode zu äutieni
ist vorläufig unmöglich, da nicht genügend bekannt ist, was aus
den Kindern, welche im ersten Jahre die Symptome der Pylorus-
stenose aufwiesen, wird.
Die nicht operative Behandlung ist vorläufig keine ziel-
bewußte, sondern nur empirische, fortgesetzte Magenausspülungen
haben sich als wirkungslos gezeigt. Die Erfahrungsthatsache,
daß Säuglinge am häufigsten an Erbrechen leiden, wenn sie sehr
fette Nahrung zugeführt bekommen, läßt die Verwendung fett-
armer Nahrung bei Pylorusstenose als empfehlenswert erscheinen.
Die klinischen Erfahrungen sprechen zu Gunsten der Richtig-
keit dieser Ansicht. Hyperacidität und Hyperchlorhydrie, welche
als Ursachen der Pylorusstenose vermutet wurden, ließen sich
bisher nicht durch Untersuchungen des Mageninhalts siclier be-
stätigen.
Die trotzdem gegen die hypothetische Hyperacidität ge-
richteten Ernährungsversuohe mit unverdünnter Kuhmilch und
Zugabe von Alkali (Karlsbader Mühlbruunen) waren zwar in
einzelnen Fällen von Erfolg begleitet; doch läßt sich nicht aus
den Erfolgen die Richtigkeit der Voraussetzung beweisen, da noch
andere Erklärungsversuche möglich sind.
D i s c u s s i o n :
Herr ron Strümpell: Analoge Pälle kommen auch beim Er-
wanhsaii.ni vor. Ich beobachtete einen Kranken, l)ei dem die
Diagnose auf Pyloruscarcinom gestellt war. Es bestanden alle
Anzeichen der stärksten Pylorusstenose: Dilatation des Magens,
ungenügende Entleerung, Erbrechen, Abmagerung etc. Der
Kranke starb und die Section ergab eine sehr l)eträchtliche
Pylorusstenose infolge einfacher Hypertrophie des Pylorua,
Nichts von Garcinom oder von Ulcusnarbe. Derartige Fälle sind
vereinzelt auch sonst beobachtet worden (z. B. von Zahn in Genf)
Möglicher Weise liegt auch hier ursprünglich ein Pylorospasmus
vor. In therapeutischer Hinsicht könnte man — abgesehen
von chirurgischen Eingriffen — an die Anwendung von Atropin
(Belladonna) denken.
Herr Partsch: Zu dem vorgelegten Präparat und den in der
DiscHSsion erwähnten Fällen von Pylorusstenose möchte ich mir
vom chu-urgisohen Sfcaudpu.ikt noch eiinge Bemerkungen erlauben :
In dem vorgelegten Präparat tritt die Erweiterung des Magens
I. Abteiluiin'. Medicinische Section.
trotz der hochgradigen Verengerung des Pförtners ziemlich stark
zurück, und die Magenwand hat anscheinend durch Verdickung
ihrer Musouiatur etwas Starres, erscheint dicker und mäclitiger,
als das in ähnlichen Fällen der Fall ist. Der Zustand ist bei
neugeborenen Kindern bis zum Ende des ersten Lebensjahres
anscheinend nicht so selten, als man früher angenommen;
wenigstens konnte, als vor drei Jahren auf dem Chirurgen-
congreß dieses Thema zur Debatte stand, von mehreren Rednern,
namentlich von Loebker, über eine größere Zahl von Fällen, die
chirurgisch erfolgreich behandelt worden waren, berichtet werden.
Gegenüber diesen Fällen der ersten Lebensperiode müssen ähnliche
Verändervmgen auch im späteren Kindesalter vorkommen, wenn-
gleicli mir das Bild, welches derartige Fälle bieten, nach meiner
Erfahrung etwas von dem heut demonstrirten abzuweichen scheint.
Ich habe vor kurzem einen Fall bei einem IBjährigen Knaben
und vor zwei Tagen bei einem 18jährigen jungen Menschen zu
operiren Gelegenheit gehabt. Im ersten Falle handelt es sich
um einen Knaben, der schon wiederholt auf der inneren Ab-
teilung unserer Anstalt gelegen und an den Erscheinungen der
Mageodilatation behandelt worden war. Sowohl die verschiedenen
medicamentösen und diätetischen Methoden, als auch die Aus-
spülung des Magens hatten nur ganz vorübergehend Besserung
zu erzielen vermocht, und waren nicht im Stande gewesen, die
allmähliche Entkräftung aufzuhalten. Als der Patient auf die
oliirurgische Station verlegt wurde, bot er das Bild vollkommener
Inanition; das Fettpolster war ganz geschwunden, die Augen
tiefliegend, tiefe Furchen im Gesicht prägten ihm greisenhafte
Züge auf. Er hatte an Körpergewicht über 40 Pfund verloren.
Bei dem gänzlich al.igemagerten Kranken ließ sich der stark er
weiterte Magen nicht nur abtasten, sondern seine Zusammen-
ziehungen auch durch die Bauchdecke hindurch deutlicli sehen.
Die untere Grenze des Magens lag in der Mitte zwischen Nabel
und Symphyse. Links neben der Leber, etwas unterhalb, ließ
sich gelegentlich eine etwas stärkere Resistenz fühlen. Bei der
Eröffnung der Bauchhöhle zeigte sich der Magen so verdünnt,
daß seine Wand die Dicke eines Kartonblattes nicht überschritt.
Die Gegend <les Pförtners war ganz wie in dem vorgezeigten
Falle in der ganzen Peripherie verdickt auf eine Strecke von
5—6 cm, aber doch noch so weit, daß man mit dem kleineu
Finger bis zur Mitte der Verdickung mit Einstülpung der Magen-
wand vordringen konnte. Einige stralilige Züge liefen von der
Verdickung auf die Magenwand hinüber; die Breite der Ver-
04 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vatevl. Cultur.
dickung ließ eine Pyloroplastik nicht rätlich erscheinen, so daß
ich mich zu einer Gastroenteroanastomia anterior entschließen
mußte. Die starke Verdünnung der Magenwand erschwerte
technisch die Ausführung der Operation sehr erheblich, aljer sie
gelang deiniooh und ich hatte die Freude, innerhalb der nächsten
vier Wochen den kleinen Patienten um 25—30 Pfund zunehmer)
zu sehen. Er hat sich dann in dem mit unserer Anstalt ver-
bundenen (-f-enesungsheim in Lilienthal so außerordentlich erholt,
daß er jetzt einen gesunden kräftigen Eindruck macht. Re-
merkenswert ist dabei, daß die vor der Operation vollständig
verschwundene Salzsäurereaction nuiunehr bereits wiedergekehrt
ist, wenn sie auch die normale Höhe noch nicht erreicht hat.
Der zweite Fall, der erst vor zwei Tagen operh-t wurde, bot
nicht so erhebliche Dilatationserscheinungen, auch keine so deut-
liche spindelförmige Verdickung des Pförtners. Der ersterwähnte
Fall bot bei der Aehnlichkeit des Befundes am Pförtner doch
die Zeichen einer erheblichen Verdünnung und Erweiterung des
Magens und gerade nach dieser ßichtung hin ein wesentlich
anderes Bild als der heut vorgeführte Fall. Es müssen demnach
Unterschiede in den verschiedenen Formen der Pylorusstenose
bestehen, auf welche ich durch Erwähnung meines Falles hin-
zudeuten mir erlauben wollte.
Herr Rosenfeld: Bei meinen Untersuchungen über die Form
des Magens habe ich abweichend von Luschka eine vertioale
Füllhornform des Magens gefunden.
Diese Form erfährt in zwei Grundtypen eine Erweiterung:
entweder tritt eine Verlängerung in die Verticale (Gastromakrosis)
od,T eine Verbreiterung in die Horizontale (Gastroplateosis) auf.
Die Verlängerung führt zur Bombardonform, die Verbreiterung
zur Schinken form '), wie ich diese Magenformen nach den ihnen
ähnlichsten Objecten genannt habe. Bei jungen Kindern findet
sich nun keineswegs selten eine Erweiterung des Magens, und
zwar allermeist mir die sich in die Horizontale erstreckende
Plateosis, die Sohinkenform. Sie ist etwas häufiger als bei Er-
wachsenen (20 pCt. bei Kindern gegen 15 pCt. bei Erwachsenen)
und vielleicht dadurch bedingt, daß das Queroolon, das bei
Kindern wirklich quer verläuft, einen Schutz gegen die verticale
') Vergl. I-iosenfeld: Vorträge in der Schlesischen Uesellschaft,
95. XI. 1898. Ceiitralblatt für innere Med., 1899, No. 1; Zeitschrift
für klinische Medicin, Bd. 37, Heft 1/8; Congreß für innere Medioin,
1899, Münoh. med. WocheDSchr., 1900, No. 85.
1. Abteilung. Meflicinisolio Seotion. 65
Verlängerung, gegen die Gastromakroais, bietet. Ob diese Di-
latationen mit Pylorusstenosen zusammenhängen, habe ich damals
nicht untersucht.
Wenn Herr Parts ch in dem einen Falle Dilatationen fest-
stellen kann, im anderen sie vermißt, so hängt das wohl von dem
Widerstand der Wandung, der Leichtigkeit des Erbrechens und
der für die Ausbildung dieser Dilatationsformen verfügbaren Zeit
ab, obwohl ich Schinkenmägen schon bei Kindern von fi/o, 8 und
9 Monaton gesehen habe.
Lieber die Behandlung der Pylorusstenose beim Säugling
kann ich nicht berichten, wohl aber über die Therapie bei Er-
wachsenen. Hier haben wir reiche Erfolge zu verzeichnen:
denn die „Nichts -als -Sahnenkost" im Anfang, darauf die „Pett-
Eiweißkost" in der von mir beschriebenen 2) Methodik, erreichen
auffallend günstige Resultate, welche die Zuziehung des Chirurgen
fast stets überflüssig machen. Während die kohlenhydratreiche
Kost solche Patienten gewöhnlich kränker macht, wirkt die Pett-
Eiweißkost wie eine Panaoee.
Herr PonRck: Legt mau im Hinblick auf die Entstehungs-
weise des rätselhaften Vorganges diejenigen Erfahrungen zu
Grunde, welche wir über Erweiterungen des Magens sonst be-
sitzen, oder überhaupt von Hohlorganen, so wird man auch im
vorliegenden Pallo zu dem Glauben geneigt sein, daß für die
Dilatation und Hypertrophie eine habituell gewordene Ueber-
füUung des Magens mit Nahrung verantwortlich zu machen sei.
Aehnlioh wie in anderen sackförmigen Behältern ließe sich
hier ebenfalla annehmen, daß ein üebermaß von Dehnung,
wenn es auch nur einmal oder wenige Male wirksam geworden
wäre, im Stande sei, eine bleibende Erweiterung des Cavums zu
Wege zu bringen. Mag es nun auf dem Wege des Erschlaffens
der Muscularis geschehen oder durch Bildung einer Art Ventil-
verachluß; sicherlich bedarf es keiner näheren Darlegung, daß
sich diese Momente, deren jedes geeignet ist, einen Circulus
vitiosus einzuleiten, vermöge des ungleich schwächeren Tonus
eines Säuglingsmagens sehr viel leichter geltend machon werden.
Li diesem Sinne hätte man vermuten mögen, daß das Kind
auf künstliche Weise ernährt worden sei.
Diesmal trifft dies indessen, wie wir soeben von Herrn Czerny
gehört haben, keineswegs zu. Ja, er versichert uns, daß das
2) Vergl. 31. Schlesisoher Bädertag vom 11. Docembor 1902,
B-üiuerz 1903, und Balneologische Ceutrakeitung, 4. Mai 1908.
66 JahresbericM der Schles. Gesellschaft für vaterl. Oultur.
hartnäckige, von ihm auf Pylorospasmus zurückgeführte Erbrechen
bei Brustkindern sogar häufiger zur Beobachtung gelange als
bei Flaschenkindern.
Angesichts dessen kann ich nur sagen, daß es mir völlig
dunkel ist, wie sich die uns beschäftigende Dilatation und Hyper-
trophie des Magens entv7iokelt haben mag. Bios die negative
Behauptung läßt sich vertreten, daß sie keiner organischen Ver-
änderung der Wand der Pars pylorica entsprungen sei.
Herr Buchwald hebt hervor, daß die genannte Erkrankung
des Säuglingsalters und die bei älteren Personen beobachteten
Verengerungen am Pylorus mit ihren Folgezuständen wohl nichts
miteinander zu thun haben. Vielleicht handele es sich um eine
Entwicklungsanomalie, die nur deswegen nicht öfter beobachtet
werde, weil der kindliche Magen sich allmählich den abnormen
Verhältnissen anpasse, und ein Ausgleich und damit Besserung
und Heilung eintrete. Er ist auch der Meinung, daß es wichtig
sei, über das Schicksal dieser Kinder, ganz gleich, ob sie operirt
worden seien oder nicht, genaue Daten zu sammeln und fragt
Herrn Professor Cizerny an, ob derartige Nachforschungen,
namentlich bezüglich operirter Kinder, schon gewisse Schlüsse
auf die Indication zur Operation zulassen.
Klinischer Abend vom 24. Juni 1904.
Vorsitzender; Herr Uhthoff.
Herr W. Freund zeigt im Anschluß an die Demonstration
des Herrn Ponfick aus der vorigen Sitzung ein Kind mit Pylorus-
stenose und Magenperistaltik.
Herr Halberstädter: Zur Röntgen- und Lichtbehandlung.
I.
Demonstration zur Röntgentherapie.
M. H.l Ich gestatte mir, Ihnen zunächst einen Patienten zu
zeigen, der schon 1896 und seitdem sehr häufig wegen eines
schweren Lupus der inneren und äußeren Nase in unserer
Behandhuig war. Trotz wiederholter Auskratzung, Behandlung mit
Cos me'scher Paste und Pyrogallussalben etc. traten immer wieder
Reoidive auf, die zu einer hochgradigen Zerstörung der Nase
führten. Anfang 1903 wurde Pat.mitEöntgenstrahlen behandelt, und
zwar wurden sehr energische Bestrahlungen vorgenommen,
die zu einem tiefgreifenden Röntgonulcus führten. Diese
Ulceration heilte, wie stets, nur ganz allmählich und war erst
I. Abteilung. Medioinisohe Sectiori. 07
nach einem halben Jahr epithüliBirt. Damit aber war und ist
eine völlige Heilung erzielt worden. Heut sehen Sie an
Stelle des erkrankt gewesenen Gebietes eine glatte Narbe, in der
nirgends lupöse Stellen mehr zu entdecken sind, und ebenso ist,
was das Wichtigste und Bemerkenswerteste ist, das Innere des
Nasenrestes vollkommen geheilt. Am Rand der völlig geheilten
Partie finden sich dagegen jetzt noch einige Lupusknötchen. Es
sind das aber nicht frisch entstandene, sondern, wie ein Vergleich
mit der vor der Bestrahlung augefertigten Photographie und
Moulage zeigt, Knötchen, die vor der Behandlung bereits vor-
handen waren, auf welche aber die Einwirkung der Röntgen-
strahlen keine genügend starke war. Dies liegt jedenfalls daran,
daß bei der nur von vorn vorgenommenen Bestrahlung die seit-
lichen Partien an der Wange vom Pocus weiter entfernt waren,
als die centralen und daß erstere von schräg auffallenden
Strahlen getroffen wurden. Au diesen weniger beeinflußten
Stellen war auch die jetzt vorgenommene Tuberoulinreaction noch
positiv, während das ganze Centrum keine Reaction mehr zeigte,
also als völlig ausgeheilt betrachtet werden kann.
Im Anschluß an diesen Fall zeige ich Ihnen die Moulage
einer Patientin, die Anfang 1897 wegen Lupus vulgaris faciei
et nasi mit Röntgenstrahlen behandelt wurde, und zwar
ebenfalls bis zum Auftreten einer tiefgreifenden und langsam
heilenden Röntgenulceration, welche Nase und benachbarte
Wangenteilo einnahm. Auch hier trat eine Monate in Anspruch
nehmende spontane Heilung mit glatter, weißer Narbe ein, die,
wie Sie an der Moulage sehen, nur am Rand die typischen, stern-
förmigen Grefäßectaaieu aufweist, aber völlig frei ist von lupösem
Gewebe. Auch späterhin blieb dieser Zustand unverändert , die
vorgenommene Tuberoulinreaction war negativ. Pat. starb 1902
an Darmtuborculose und war bis dahin bezüglich des Lupus
völlig geheilt.
Die Patientin, die ich Ihnen nun noch zeige, litt ebenfalls
an einem ausgebreiteten Lupus der Nase und Wange,
der zwar reichlich und wiederholt mit Aetzungen, Paquelin etc.
behandelt, aber nie völlig geheilt wurde. Anfang 1903 wurde
die Nasengegend bestrahlt, aber nur bis zu einer nicht sehr
heftigen Erosion, die in kurzer Zeit heilte und eine, wie Sie
sehen , oosmetisch sehr schöne Narbe zurückließ. Jedoch war
hier die Heilung keine vollkommene; es blieben in der
Narbe wie in der Umgebung derselben noch einzelne Knötchen
bestehen, die nachträglich mit dem Spitzbreuner , z. T. mit con-
5*
68 Jahresbcficlit der Sckles. GeseJlscImft für vatorl. C'uH-ur.
centrirtem Licht behandelt wurden. Jetzt ist völlige Heilung
mit kosmetisch sehr gutem Effect erzielt wordeu, Tuberculinreaotion
war negativ; Pat. ist jetzt etwa acht Monate unbehandelt.
Es ist also bei diesen Tällen nur nach sehr intensiver
Röntgenbestrahlung eine völlige Heilung des Lupus erfolgt
und diese Erfahrung ist an unserer Klinik bei der großen Anzahl
bestrahlter Lupusfälle noch öfters gemacht worden. Nur be
den Fällen, in denen Röntgenulcerationen eintraten
haben wir völlige Heilung gesehen, in den milder be-
strahlten Fällen trat wohl erhebliche Besserung: Heilung lupöser
Ulcerationen , Eilckgang der Schwellung und Hypertrophie etc.
ein, aber es blieben doch hartnäckig die Lupusknötchen
bestehen. Es besteht für die Wirkung der milden Bestrahlungen
eine große Aehnliohkeit mit der Wirkung der Tuberculiuinjeotioneu
auf den Lupus- Die Röntgenulcerationen sind nun freilich be-
kanntlich äußerst hartnäckig, heilen meist erst nach monatelangem
Bestehen und verursachen Schmerzen, die \mv schwer, oft gar
nicht zu bekämpfen sind. (Sehr empfehlenswert ist die Appli-
cation einer lOproc. Anästhesinvaselin und öfteres Auftupfen von
2proc. Euoainlösung.) Es können sogar bei sehr starken Be-
strahlungen auch Ulcerationen — richtiger: Necrotisirungen —
entstehen, die schließlich überhaupt nicht mehr spontan heilen
und durch Transplantation beseitigt werden müssen. Außerdem
giebt es cosmetisch vinschöne Pigmentirungen, Gefäßectasien und
sklerodermieähnIicheVeräuderungen,die nach sehr starkenRöntgen-
bestrahlungen zurückbleiben. Aus allen diesen Gründen haben
wir in letzter Zeit nur mildere Bestrahlungen angewandt, aber
alle völlig ausgeheilten Fälle, die dann auch auf Tuber-
oulin nicht mehr reagirten, stammen in der That aus der
Zeit, wo bis zur Eöntgenuloeration bestrahlt worden ist.
Bei einer Anzahl von Röntgennecrosen hatten wir den Ein-
druck, als ob diejenigen die schwersten und hartnäckigsten
wären, bei welchen trotz bereits eingetretener Röntgenreaction
event. trotz schon bestehender Erosion, die Bestrahlungen fort-
gesetzt oder bei noch nicht abgelaufener Reaotion schon wieder auf-
genommen wurden, während dort, wo die Bestrahlungen an einem
oder mehreren aufeinander folgenden Tagen in starker Dosirung
upplicirt, aber vor Eintritt oder mit Eintritt der ersten Reactions-
zeicheu ausgesetzt wurden, zwar auch sehr ausgedehnte und hoch-
gradige Ulcera entstanden, diese aber doch milder verliefen als
die ersteren. Bei den von uqs beobachteten spontan nicht
mehr heilenden Eöntgenneorosen war jedenfalls immer auf
[. Abteilung. Modicinische Section. 69
in Reaotion befindliche Gewebe oder schon bestehende
Neorotisirungen bestrahlt worden. Es wird also davor zu
warnen sein, Röntgenbestrahlungen vorzunehmen, wenn die Stelle
sich in Röntgenreaotion befindet, auch dann, wenn man die Ab-
sicht hat, sehr starke Röntgenwirkung zu erzielen. —
II.
Bemerkungen zur Lichtbehandlung.
Anknüpfend an eine früher an dieser Stelle gemachte Mit-
teilung möchte ich in Folgendem noch einige Bemerkungen über
die Lichtbehandlung mit Zuhilfenahme der Sensibili-
sirung durch Erythrosin nach Dreyer zufügen.
Was zunächst die Experimente an Tieren (Meerschweiuohen)
betrifft, so wurden von mir in früherer Mitteilung (Deutsche med.
Wocheusohr., 1904) starke Infiltrate und sogar Necrose im Centrum
derselben bei sensibilisirter und dann belichteter Meerschweinchen-
haut beschrieben. Ich habe bei späteren Versuchen, wenn jede
Wärmewirkung peinlich vermieden wurde — was bei Tieren
wegen des Fehlens der Controle durch die Angabe des Schmerzes
schwer ist — weder so deutliche Infiltrate noch die Necrosen
bei Meerschweinchen erhalten, so daß ich glaube, jetzt annehmen
zu müssen, daß dieselben auf Wärmewirkung zurückzuführen
sind. Auch bei menschlicher Haut sind anfangs ähnliche ober-
flächliche Necrosen eingetreten, die aber späterhin stets ver-
mieden werden konnten, so daß dieselben wohl auch nicht auf
Lichtwirkung beruhen. Dagegen zeigte sich bei weiteren Ver-
suchen an menschlicher Haut oonstaut Folgendes: Bei 30 Mi-
nuten langer Belichtung (nach vorhergehender Sensibilisirung)
mit Quarzlinsen (also bei Mitwirkung der ultravioletten Strahlen)
traten stets tiefe furunkelartige Anschwellungen und
oberflächliche Blasenbildung ein, bei Belichtung mit Glas-
linsen (also ohne ultraviolett) 30—50 Minuten lang, traten nur
die tiefen, furunkelartigen Infiltrationen ohne Blasenbildung auf.
Nur einige Male sind bei lupöser Haut bei Glascoucentratiou
auch oberflächliche Blasen entstanden; es ist aber noch nicht
sicher, ob dies reine Lichtwirkung ist.
Aus diesen Beobachtungen ging also hervor, daß nach vorher
gehender Sensibilisirung durch die Belichtung auch in größeren
Tiefen eine entzündliche Reaotion sich einstellt, und daß die
ganze Reaotion eine viel intensivere ist, als bei der reinen
Finsenbehandlung.
Es war aber damit noch nicht erwiesen, wenn auch a priori
70 Jalircsboricljt dor Sclilos, Gosellschaft ftlr vatcri. Cullur.
dio Annahme nahe lag, ob dieser viel stärker in die Erscheinung
tietenden Eeaction auch ein größerer therapeutischer Effect
entsprechen würde. Freilich ist die Abschätzung und der Ver-
gleich der bei den verschiedenen Lichtbehandlungsmethoden er-
zielten Effecte, zumal heim Lupus, um den es sich ja fast aus-
schließlich handelt, äußerst schwierig, so daß es begreiflich ist
daß wir auch heut, trotzdem wir bereits ca. 40 Fälle so be.
handelt haben, noch kein definitives Urteil abgeben können. Es
ist uns aber aufgefallen, und das müohto ich schon jetzt er-
wähnen, daß trotz eingetretener, sehr starker Eeaction,
von der wir einen guten therapeutischen Erfolg erwarteten
nach Ablauf derselben Lupusknötohen fast unbeeinflußt
wieder zum Vorschein kamen. Es scheint also, als ob in
diesen Fällen die sehr starke entzündliche Eeaction auf das
Lupusknötohen selbst keinen Einfluß gehabt hätte. Anderer-
seits haben wir rasche Heilung lupöser Ulcerationen gesehen,
ferner günstige Einwirkung bei tumiden und hypertrophischen
Formen und bei subcutan gelegenen Infiltraten und
Drüsen; aber, wie gesagt, auch ein völliges Unbeein-
flußtbleiben von Lupusknötohen, trotz starker Eeaction.
Wie weit dies noch an der Unvollkommenheit der Technik liegt
und inwiefern diese noch zu ändern ist, müssen erst weitere Ver-
suche ergeben. Ebenso ist noch klar zu stellen, welche Eolle
die starke entzündliche Eeaction bei den Heilungs vergangen im
lupösen Gewebe spielt, ob sie allein zur Heilung führen kann
und ob es möglich ist, TuberkelbaciUeu im lebenden Gewebe zu
sensibilisiren und mit Hilfe der tief penetrireuden gelb-grünen
Strahlen zu töten.
Bemerken möchte ich schließlich noch, daß die Versuche
Hautcarcinome nach Sensibilisirung mit Licht zu behandeln
bisher absolut resultatlos waren. Es wurde wohl ein besseres
Aussehen der öeschwürsfläohen und teilweise Epithelisirung der-
selben erzielt, aber von einer Heilung war absolut nicht die Eede.
Herr Storch domonstrirt einen Fall von multipler Sklerose
mit hemiplegischem Character.
Herr ühihoff: 1. üeber Keratomalacie mit Xeroso der
Coiäjunctiva und Hemeralopie bei Erwachsenen.
Vortragender stellt einen 57jährigen Mann, W. F. mit
Keratomalacie und Xerose der Conjunctiva nebst Heme-
ralopie vor. Der Patient wurde am 1. VI. 1904 in die Klinik
aufgenommen unter dem Bilde einer beginnenden linksseitigen
Panophthalmie nach vollständigem necrotisoheu Zerfall der Cornea
1. Abteilung. Mf'.^licimscbe Section.
mit Secuudärinfection des ganzen Bulbus. Eine Verletzung war
angeblich nicht voraufgegangeu.
Auf dem rechten Auge zeigt sich die Cornea diffus ober-
flächlich getrübt mit leichter Rauhigkeit der Epithelschicht. Die
Conjunctiva bulhi war weitgehend in ganzer Ausdehnung xerotisch.
Durch die getrübte Cornea war die Papille und der Augen-
hintergrund noch undeutlich sichtbar und boteu, soweit zu con-
Btatiren war, keine pathologischen Veränderungen, die Sehschärfe
war infolge der Hornhauttrübung stark herabgesetzt, es bestand
ausgesprochene Hemeralopie. Das rechte Auge hat sich
ersCm allerletzter Zeit so sehr verschlechtert, während das linke
Auge seit drei Wochen vor der Aufnahme erkrankte und relativ
schnell völlig zur Grunde gegangen war.
Mit der Aufnahme des Kranken besserte sich der Zustand
unter einer reichlichen Verpflegung und roborirender Diät sehr
schnell, so daß nach einer Woche, sowohl die Xerose der Con-
iunctiva und der Cornea des rechten Auges, sowie die Hemeralopie
gewichen war; auch die diffuse oberflächliche Trübung der Cornea
war rückgängig geworden. Es waren also in erstaunlich kurzer
Zeit unter einer reichlichen guten Ernährung die bedrohlichen
Erscheinungen verschwunden und damit das rechte Auge vor
dem Zerfall der Hornhaut und der Patient vor der Erbhndung
Vortragender hält es nach dem ganzen Krankheitsverlauf für
gar nicht zweifelhaft, daß hier thatsächlich ein solcher schwerer
Fall von Xerophthalmus mit Keratomalaoie bei einem Erwachsenen
vorliegt, wie wir sie sonst eigentlich nur bei kleinen Kindern
unter dem Einfluß schwerer Ernährungsstörungen vorkommen
sehen.
Eine solche Hornhautnecrose mit Xerophthalmus infolge hoch-
gradiger allgemeiner Ernährungsstörungen bei Erwachsenen ist
eiv sehr seltenes Vorkommen, besonders hier in Mitteleuropa.
Vortragender sah im Ganzen drei EäUe auf ca. 120000 Augen-
kranke. Bekanntlich sind in der ausländischen Litteratur öfter
derartige Beobachtungen mitgeteilt, so namentlich aus Brasilien
bei sohlecht genährten Negersklaven u. s. w. (de Gouvea,
Teuscher, Gama Lobo u. A.).
Der vorgestellte Patient war Epileptiker, Insasse eines Arbeits-
hauses, sehr schwerhörig, mäßig dement. Die Verpflegung war
oflenbar eine durchaus unzureichende (nie Fleisch u. s. w.) ge-
wesen Dazu kam die Indolenz und die Hilflosigkeit des Patienten
und so wurde es möglich, daß diese schweren Augenstörungen
72^ Jabrflshericht rlor ScMos. Gesollschaft für vaforl. Cultur.
eintraten auf Grund dieser durchaus abnormen Existenzbedingungen,
Wie wir sie glücklicher Weise doch als sehr selten bezeichnen
müssen. Tür die Richtigkeit dieser Auffassung spricht nach
Vortragenders Ansicht unbedingt die prompte Einwirkung der
besseren Ernährung. Wcäre Pat. noch länger uuter den alten
Bedingungen verblieben, wäre er wahrscheinlich erblindet.
Disoussion:
Herr Hermann Cohn : Der Fall des HerrnUhth off gehört gewiß
zu den allergrößten Seltenheiten. Hier in Schlesien ist sowohl
die trianguläre als aucJi die totale Xerose überhaupt selten In
meiner Klinik sah ich unter 100000 Augenkrankheiten nur 46 mal
Xerose der Bindehaut und nur 22mal Xerose der Hornhaut also
4 resp. 2 Fälle auf 10000. (Vergl. meine Schrift: 30 Jahre
augenärztlioher und akademischer Lehrthätigkeit. Breslau 1897 )
- Ganz anders ist die Häufigkeit in Aegypten. Fast vor jeder
Moschee, namentlich in Ober- Aegypten, fand ich blinde Bettler
mit Xerophthalmus, freilich meist infolge von Trachomschrampfung.
Ich habe mich für die Xerose stets besonders interessirt, da
ich vor 36 Jahren meine Habilitationsschrift über diese Krankheit
geschrieben; ich lege sie Ihnen hier vor, da sie auch heut noch
einen gewissen historischen Wert hat. Sie enthält nämlich die
erste mikroskopische Zeichnung des xerotischen Bindehaut-
epithels, und zwar von Prof. Waldeyer, der damals die von
mir abgeschabten Schuppen der Conjunotiva maß und sie mit den
verhornten Zungenepithelien verglich. An Bacillen dachte im
Jahre 1868 noch kein Mensch.
In dieser Abhandlung habe ich 17 Fälle von Xerose be-
schrieben, von denen 11 Kinder, die schlecht ernährt waren be-
trafen. Nur bei 6 Erwachsenen sah ich die Krankheit, aber 'auch
hier nur infolge alten Trachoms. Die Hemeralopie kam bei der
triangulären Form der Kinder vor und verschwand nebst den
Schuppen in einigen Fällen von selbst.
Die Berichte aus Rußland, wo in der Fastenzeit vor Ostern
die Xerose epidemisch viele Personen befällt, die später bei
Fleisohgenuß die Trockenheit und Hemeralopie wieder verlieren
hat auch meinen Lehrer Förster vor 40 Jahren bewogen, den
Kranken gute Kost zu verordnen. Aber bei Erwachsenen sah
ich die Xerose dadurch nicht heilen.
Jedenfalls ist es hier, wo es sich um einen Einäugigen
handelt, sehr wichtig zu hören, daß gute Nahrung, wenn die
Krankheit erst im Beginne ist, Genesung herbeigeführt hat
(. Abieiliiiiji:. Merliciiiischö Socüoii. 73
Herr ühtli off: 2. IJober einen forensisch bemerki^nswerteii
Fall von sympathischer Ophthalmie.
Der zweite vorgestellte Krankheitsfall betrifft einen Patienten
mit sympathischer Ophthalmie. Der 46j;lhrige Mann, B. II.,
kommt am 7. November 1903 mit einer schweren Verletzung
seines linken Auges und einer ausgesprochenen, frischen sym-
pathischen Ophthalmie des rechten Auges zur Aufnahme. Das
linke Auge war vor sieben Wochen in einer Schlägerei angeblich
durch einen Schlag mit der Hand verletzt worden, es war zu
einer Euptur der Sklera am oberen Hornhautrande gekommen
mit Vorfall der Iris und Austritt der Linse. Die Iris fehlte bis
auf geringe Reste in der Nähe der Wunde vollständig, sie war
fast völlig dialytisch geworden und ein Teil derselben war in
der Wunde eingeklemmt (traumatische Irideremie). Patient war
anfangs nicht augenärztlioh behandelt worden, dann aber in die
Behandlung eines Augenarztes übergegangen, als schon die Er-
scheiniuigen der sympathischen Ophthalmie (Iritis, Beschläge auf
der Descemetisohen Membran u. s. w.) sich entwickelt hatten.
Die entzündlichen Erscheinungen an dem verletzten linken Auge
waren relativ gering, der Bulbus nicht schmerzhaft, der Druck
normal, Gesichtsfeld frei, Fingerzählen ca. 30 cm, starke Glas-
körpertrübungen (Blutungen).
Bei dieser Lage der Dinge war es schwierig zu entscheiden,
ob Enuoleation des linken Auges vorgenommen werden sollte,
um eventuell die beginnende sympathische Ophthalmie des rechten
Auges im günstigen Sinne zu beeinflussen. Die Entscheidung
mußte gegen die Enucleation ausfallen, denn erstens war es
fraglich, wie weit und ob die sympathische Ophthalmie des
linken Auges noch beeinflußt werden könne durch die Enucleation
des verletzten Auges, und zweitens war das letztere noch nicht
absolut verloren zu geben, sondern es bestand noch Aussicht
auf Besserung. Eine längere klinische Behandlung (Inunotions-
kur u. s. w.) führte denn auch allmählich zu Besserung auf beiden
Augen. Das verletzte linke Auge besitzt jetzt S=i/^2, Gesichts-
feld frei, Papille sichtbar, die Glaskörpertrübungen erheblich
aufgehellt, die Beschläge auf der Descemet, geschwunden, keine
entzündlichen Erscheinungen. Das rechte Auge hat eine Seh-
schärfe von Vg der normalen, freies Gesichtsfeld, es ist frei von
entzündlichen Erscheinungen. Die Beschläge auf der Desoemeti
sind sehr zurückgegangen, Tension normal, es bestehen noch fast
ringförmige hintere Synechien, die Glaskörpertrübungen sind er-
fiRblich vermindert und ist die Papille gut sichtbar. Da jetzt über
Jahresbericht der Scliles. nosolL-ir-huTt fib' vatcri. Cnlltir.
ein Jialbes Jahr seit Ausbruch der Erkranltung vergaugeu ist, und
beide Augen frei von entzündlichen Erscheinungen geblieben sind,
ja das Sehen sich in letzter Zeit noch erheblich gebessert hat, so
steht wohl zu hoffen, daß beide Augen oder wenigstens ein Teil
der Sehkraft auf beideu Augen dem Patienten duuernd erhalten
bleiben.
Vortragender geht dann auf die forensische und sonstige
Bedeutung des Falles näher ein. Dio Fälle sind immer noch als
sehr selten zu betrachten, wo nicht nur das zweite erkrankte,
sondern auch das erste verletzte A\igo erhalten bleibt. Die an-
fängliche Entscheidung der Frage vor Ausbruch der sympathi-
schen Entzündung, ob Euuoleation des verletzten Auges oder
nicht, war außerordentlich schwer und verantwortungsvoll, doch
glaube ich, daß in diesem Falle ärztlicherseits nicht anders ge-
handelt werden konnte. Zunächst ließen die relativ geringen
entzündlichen Erscheinungen dou Ausbruch einer sympathischen
Erkrankung des zweiten Auges kaum wahrscheinlich erscheinen,
zweitens bot das verletzte Auge zur Zeit des Ausbruchs der Er-
krankung des anderen Auges noch relativ gute Chancen für Er-
haltung eines Teiles der Sehkraft, eine Annahme, die durch den
weiteren Verlauf auch ihre Bestätigung im günstigen Sinne ge-
funden hat. Wie schwer aber bei ungünstigem Verlaufe die
Folgen einer Unterlassung der Enucleation sich hätten gestalten
können, liegt auf der Hand, nicht nur, daß die Erblindung des
Verletzten dadurch hätte herbeigeführt werden können, sondern
auch die Strafe für den Thäter wäre eine sehr viel höhere ge-
wesen. Nachdem die sympathische Entzündung des rechten Auges
aber einmal eingetreten war, konnte unter obwaltenden Umständen
die Enucleation des verletzten Auges nicht mehr iti Frage
kommen.
Herr Ludwig Mann: Deinoaslration über sogen. Tabes
superior.
Vortragender demonstrirt einen Tabeskrankeu, bei dem seit
ca. zwei Jahren Atrophia optici besteht (links Fingerzählen in
1 — 2 m, rechts etwa Y-t Sehschärfe). Außerdem findet sich nur
eine gürtelförmige Hypalgesie am Thorax und eine Sensibilitäts-
störung im Gebiet des Trigominus. Sonst nichts von tabisohen
Symptomen, speciell keine Spur von Ataxie.
Vortragender hat diesen besonderen Typus der Tabes dor-
salis in der Augenklinik sehr häufig zu beobachten Gelegenheit
gehabt. Es sind Fälle, bei dem zuerst nur eine Optiousatrophie
(bisweilen auch reflectorische Pupillenstarre) bemerkt wird.
I. Abteilung. Morliomische Serüon. 76
Die übrige UntersuoLung ergJebt daiiu in sehr vielen Fällen
nichts als eine Sensibilitätsstörung am Thorax, meist au
den oberen Partien desselben, die sich in der Regel zuerst für
Schmerzempfindung nachweisen läßt; in manchen Fällen finden
sich auch noch, wie in den vorliegenden, Störungen im Bereich
des Trigeminus; an den unteren Extremitäten findet sich aber
nichts von sensiblen ataotischen Eracheiniingeu etc. (Uebrigens
ist kürzlicli von einem französischen Autor ein Fall anatomisch
untersucht worden, welcher iutra vitam nur refleotorische Pupillen-
starre gezeigt hatte. Es fand sich eine Degeneration mehrerer
Wurzeln im mittleren Brustmark.)
Der Verlauf dieser Fälle ist meist der, daß die Optious-
atrophie ziemlich rasch fortschreitet, während im Uebrigeu die
tabisohen Symptome keine oder nur eine ganz langsame Ver-
mehrung zeigen, so daß die Patienten viele Jahre in vollkommen
amaurotischem Zustande zubringen können, ohne auch nur eine
Spur von Ataxie zu zeigen.
Solche Fälle haben bekanntlich Dejerine u. A. veranlaßt,
den Satz aufzustellen, daß der Eintritt der Opticusatrophio das
Fortschreiten der Tabes zum Stillstand bringt.
Diese Auffassung kann ich nicht bestätigen; ich habe nie
einen Fall gesehen, bei dem der Eintritt der Atrophie im ataoti-
schen Stadium die Ataxie zum Rückgang gebracht hätte.
Die Fälle wie der vorgestellte sind vielmehr nach Ansicht
des Vortragenden folgendermaßen zu deuten:
Es giebt eine Form der Tabes, die die oberen Abschnitte
des Cerebrospinalsystems, speoiell das Gebiet des Opticus zuerst
befällt und dann nach unten fortschreitet, gewöhnlich aber (für
die Dauer oder doch für längere Zeit) im Brustmark zum Still-
stand kommt, so daß die unteren Extremitäten in den meisten
Fällen frei bleiben. Diese Form kann man passend als „Tabes
Buperior" bezeichnen und in Gegensatz bringen zu der gewöhn-
lichen Tabes oder „Tabes inferior", welche im Sacral- und Lenden-
mark beginnt, zur Ataxie der Beine führt, dann nach oben bis
zum Brustmark fortschreitet, aber nur in vereinzelten (etwa 10 pCt.)
Fällen die oberen Gebiete, speciell den Opticus, befällt.
Die Tabes nimmt also bei diesen beiden Typen gewisser-
maßen eine entgegengesetzte Verlaxifsrichtung und es geschiebt
nur relativ selten, daß sie von der einen oder der anderen
Richtung her bis an das andere Ende fortschreitet, daß also das
gesamte Cerebrospinalsystem ergriffen wird.
Daß übrigens dieser Stillstand in der Mitte nicht so ganz
76 Jaliresboricht der Koliios- Oesullschiiil flii' vatorl. Ciiltiir.
strenge innegehalten -wird, wie es soeben schematisch dargestellt
wurde, sondern daß auch in dem Gros der Fälle einzelne Gebiete
aus dem entgegengesetzten Abschnitte herausgegriffen werden,
ersehen wir daraus, daß bei der Tabes inferior ganz gewöhnlich
reflectorische Pupillenstarre (bei iutactem Opticus) und bei der
Tabes superior sehr häufig Fehlen der Achillessehnenreflexe oon-
statirt wird. Letzteres ist auch bei dem demoustrirten Patienten
der Fall, während alle sonstigen Tabessymptome an den Beinen
durchaus fehlen.
Herr ßosenfold berichtet von einem analogen Fall, wo die
totale Erblindung vor 23 Jahren eintrat, bis jetzt aber außer der
gürtelförmigen anästhetischen Zone, mangelnden Patellarreflexen
keine Störung vorliegt. Dabei ist die Function der Beine so
wenig gestört, daß der blinde Patient tadellos orientirt ist und
gehen kann. Er hat in seiner Blindheit sogar, als er seinen
Lehrerberuf aufgeben mußte, mit kaufmännischen großartigen
Unternehmungen, die er persönlich zu leiten verstand, ein Ver-
mögen zu erringen verstanden. Diese Lebensgeschichte zeigt,
von dem medicinisoh wichtigen langen Verlauf einer Tabes nach
Erblindung abgesehen, noch wie wenig wir die restirenden
sinnlichen und geistigen Fähigkeiten nach Verlust der Sehkraft
auf ihre Bedeutung für das sociale Leben voll zu würdigen
gewohnt sind.
Herr Preymuth: Zufällig entdeckte beginnende Syringo-
myelie bei Idehtor Langentuborculose.
Bei Aufnahme der Anamnese wurde entdeckt, daß Patient
sich eine ausgedehnte Hautverbrennung, deren Narbe unter der
rechten Brustwarze sichtbar ist, im Sommer 1903 ohne es zu
merken, zugezogen hat; erst Abends beim Auskleiden entdeckt
er die Wunde.
Symptome.
1. Leichte Atrophie des rechten Daumenballens, rechter Unter-
arm 1,5 cm schwächer wie der linke. Einsinken der Spatia inter-
ossea, Händedruck links kräftig, rechts sehr schwach.
Andere Muskelgruppeu noch nicht ergriffen, auch nicht Bauch-
muskeln und untere Extremität, Gang intact.
Reflexe ohne Besonderheiten.
Sensibilitätsstörungen ganz typisch, halbseitig.
Halbseitige Lähmung des Schmerz- und Temperatursinnes
an der rechten Körperhälfte, am ausgesprochensten am Bauch,
Rücken, Arm und Hand, weniger stark, aber doch gegen links
I. Abteilung. Mediciuische Section. 77
stark herabgesetzt an der rechten Kopfhälfte und der rechten
unteren Extremität.
Berührungsempfindung erhalten, aber herabgesetzt.
Anästhetisohe Gürtelzone in der Höhe der .Darmbeinkämme.
Leichte Skoliose im Dorsalteil der Wirbelsäule.
Kein Eomberg. Keine refleotorisohe Pupillen starre.
Die Lungentuberonlose ebenfalls rechtsseitig.
Herr v. Strümpell «teilt einen 12jährigen Knaben mit ab-
gelaufener Poliomyelitis acuta anterior vor. Die Krankheit
trat plötzlich mit nur geringen Allgemeinerscheinungen vor ca.
l^o Jahren ein. Dauernd nachgeblieben ist eine Lähmung der
Bauchmuskehi , der Glutaei und einer Anzahl von Muskeln am
Ober- und Unterschenkel bezw. der rechten Seite. Die dadurch
bedingten eigentümhchen Veränderungen der Körperhaltung und
des Ganges werden eingehender erörtert.
Herr Hoine stellt einige Patienten vor mit dem typischen
Bild der Pseudoneuritis optica congenita: Völlig verwaschene
Papillengrenzen , Rötung der Papille, Schlängelung der Gefäße,
Prominenz von 2 D., also ganz das Bild der beginnenden Stauungs-
papille. Nur ist der Zustand stationär und durchaus nicht als
pathologisch aufzufassen. Bisweilen ist er mit Hyperopie oder
Astigmatismus oombinirt, verschwindet aber durch Brilletragen
nicht. Die Differentialdiagnose gegenüber wirklich pathologischen
Processen ist mitunter erst nach längerer Beobaclitnug möglich.
Jedenfalls empfiehlt sich bei der großen Tragweite der Diagnose
die größte Reserve.
In einem Falle handelte es sich um ein junges Mädchen,
der eine eiserne Wage auf den Kopf gefallen war. Die Diagnose
schwankte zwischen Absceß, Meningitis und Hysterie. Der Augen-
spiegelbefund war außerordentlich verführerisch. War die Papille
als pathologisch aufzufassen, so sollte trepanirt worden, handelte
es sich um Pseudoneuritis, so mußte exspeotativ verfahren werden.
Letzteres geschah. Nach Jahr und Tag war der ophthalmo-
skopische Befund derselbe, so daß die Diagnose Pseudoneuritis
damals complioirt mit Hysterie gerechtfertigt erscheint. Abgesehen
davon, daß die Papillengrenzen völlig verwaschen, die Gefäße
geschlängelt, die Papillen selbst hyperämisch und deutlich pro-
minent waren, lag die Versuchung, einen pathologischen Proceß
zu diagnosticiren in diesem Falle noch ganz besonders nahe, da
einige Drusen an der Grenze der Papille leicht Exsudationen oder
verfettete Blutungen vortäuschen konnten.
In einem zweiten Falle, der ein sonst kerngesundes Mädchen
78 Jahresbericht der Sohles. Qesellscluift für vaterl. CuRur.
betraf, veranlaßten leichte cerebrale Anfälle von Kopfweh ohne
Erbrechen eine ophthalmoskopische Untersuchung: das Bild der
Neuritis optica wurde als vorläufig nicht pathologisch im Sinne
der Pseudoneuritis congenita aufgefaßt und weitere Beobachtung
abgewartet. Bald war das Bild der typischen Stauungspapille
mit kranzförmig angeordneten Blutungen ausgebildet. Obwohl
für Lues keinerlei Anhaltspunkte waren, wurde Inunotion ver-
ordnet: nach wenigen Wochen war das Kind gesund und die
Stauungspapille war ad integrum zurückgekehrt. Da auch nicht
einmal das Bild der Pseudoneuritis zurüokblieb, muß nachträglich
die damals bei der ersten Untersuchung angenommene Pseudo-
neuritis als wirklich bereits pathologisch aufgefaßt worden. Ein
Reoidiv der cerebralen Symptome mit Stauungspapille wurde
durch dieselbe Therapie beseitigt.
Diese beiden Pälle scheinen recht geeignet, die Schwierig-
keiten der Differentialdia,gnose unter gewissen Verhältnissen dar-
Herr Heine demonstrirt ferner die Nachbildung eines von
Pulprioh (Jena) oonstruirten Modells für einen Apparat, durch
den mau gleichzeitig mit normaler und vergrößerter Pupillen-
distanz einfach oder doppelt sieht.
Bei einer bestimmten Justirung des Apparates stehen die
Doppelbilder nur dann in einer Front, wenn man eich in einer
ganz bestimmten Entfernung von dem geseheneu Object befindet,
bei größerer Annäherung tritt das mit größerer Pupillendistanz
gesehene Bild vor, bei größerer Entfernung zurück. Praktische
Anwendungsmöglichkeiten werden erörtert.
Herr Heine demonstrirt ferner Stereoskopische Photogranime,
welche mit normaler Pupillendistanz aufgenommen sind und am
besten im Z ei ß 'sehen Doppelveranten betrachtet werden. Dabei
zeigt sich, daß es ziemlich irrelevant ist, ob man storeoskopisohe
oder identische Copien der Bilder betrachtet. Es handelt sich
überhaupt nicht um Tiefen Wahrnehmung, sondern um Tiefen-
vorstellung, von einer richtigen Plastik kann daher keine Rede
sein. Eine solche demonstrirt Vortragender vielmehr an den
Stereogrammen, welche unter 11" Convergenz der Cameraachsen
mit einem Seitenabstand der Objective aufgenommen wurden,
welcher dem genannten Convergenzgrad entspricht, (of. Zeitschr.
f. wiss. Phot, Bd. II, H. 2 u. 3.)
Herr E. Jacoby: üeber einige seltenere Geschwulstformen
in der Nachbarschaft des Auges mitKrankenderaonstrationen.
Im ersten Falle handelte es sich um ein junges Mädchen,
I. Abteilung. Medioinische SectioB. 79
bei dem sich ein orbitaler Tumor unter mäßigem Exophthalmus
entwickelt hatte. Der Tumor hatte sich klinisch durcli sehr
malignes, flächenhaftes Wachstum ausgezeichnet und erwies sich
histologisch als ein adenomatös gebautes, von der Thränendrüse
ausgegangenes Oaroinom.
Im zweiten Falle hatte sich ein Tumor des Oberlides auf
der Grundlage eines chronischen Ekzems entwickelt. Histo-
logisch fand sich ein Carcinom von tuberculös drüsigem Bau,
das von den Ausführungsgängen der Talgdrüsen seinen Ursprun g
genommen haben dürfte.
Bei dem dritten Patienten hat sich eine eigentümliche
Anschwellung am Limbus corneae gebildet, die auf die Cornea-
oberfiäohe hinübergewachsen war. Histologisch fand sich Tumor-
gewebe vom Bau eines alveolaren Endothelioma, wie es aber gut-
artig auch bei Warzen etc. vorkommt.
Herr Paul: Schussverletzung der linken Orbitalgegend
und dos linken Auges.
Eindringen einer Revolverkugel von der linken Sohläfen-
gegend in die linke Orbitalhöhle, wo sie durch Röntgenaufnahme
nachweisbar ist. Zeichen von hinterer Skleralruptur des linken
Auges. Sehr heftige Schmerzen im Ausstrahlungsgebiet des
I. Trigeminusastes. Enucleatio bulbi auf Drängen des Patienten.
Die Kugel fand sich eingekeilt in der oberen Skleralwand, die
von ihr zerrissen worden war.
Die Schmerzen waren ausstrahlende Ciliarnerveuschmerzen
gewesen und sofort mit der Enucleation beseitigt.
Herr l'«ul: Demonstration zweier (Jesehwister mit Ny-
stagmus bei monocularem Sehen, Fehlen des Nystagmus bei
binocularer Fixation.
Bei dem älteren, 11jährigen Patienten stellen sich, sobald
das eine Auge verdeckt wird, horizontale N3'stagmu8bewegungen
beider Augen ein, die jedoch sofort wieder verschwinden, sobald
das verdeckte Auge freigelassen wird, der Patient also binooular
fixiren kann. Wird vor die Nase eine Scheidewand gehalten,
so daß seitlich vorgehaltene Gegenstände nur monooular gesehen
werden können, so stellt sich auf beiden Augen der Nystagmus
ein. Nur solche Gegenstände, die in der Mitte in dem binocular
gesehenen Gebiet liegen, können ruhig und sicher fixirt werden.
Bei Aufhebung des binooularen Sehactes, z. B. durch Vor-
schaltung eines Höhenprismas vor das eine Auge, tritt der Ny-
stagmus meist dann ein, wenn die Aufmerksamkeit des Patienten
künstlich nur auf das Bild des einen Auges gelenkt und von
80 Jahresbericht der Schles. Geaollsohaft für vatorl Ciiltur.
dem anderen Auge abgelenkt wird, wird jedoch erheblich ge-
ringer, wenn beide Bilder gleichzeitig mit voller Aufmerksamkeit
betrachtet werden.
Bei dem fünfjährigen jüngeren Bruder bestehen nicht ganz
so ausgesprochen die gleichen Erscheinungen.
Bei beiden Patienten findet sich geringe Hyperopie mit fast
voller Sehschärfe, sonst keine Abnormitäten oder Krankheits-
erscheinungen.
Als Erklärung paßt am besten die von Wilbrand auf-
gestellte Hypothese, nach der das verdeckte Auge, auf welches
der Kranke seine Aufmerksamkeit nicht ausreichend richtet, in
Nystagmushewegungen gerät, an denen secundär das fixirende
Auge teilnimmt. Nur wenn beide Augen gleichzeitig zum Fixiren
verwendet werden und ihre Stellung mit der nötigen Aufmerk-
samkeit controlirt wird, kann der Nystagmus unterdrückt werden.
Klinischer Abend vom 8. Juli 1904.
Vorsitzender: Herr von Mikulicz.
Herr Wernicke: Vorstellung eines Falles von linksseitiger
Panoptithalmie nach Pyelonephritis.
67 jähriger, früher gesunder Patient. Anfang Mai 1904
plötzliche Erkrankung mit Blasenbeschwerden; vier Wochen lang
Katheterisation und ßlasenausspülungen. Im Juni beginnt ohne
erhebliche Schmerzen der linke Bulbus sich vorzuwölben und zu
entzünden ; wenige Tage später stellt sich stärkere Eiterung nach
außen ein. Aufnahme in die Universitäts-Augenklinifc am 6. Juli
1904. Pyelonephritis. Links: starker entzündlicher Exophthalmus,
vorderer Bulbusabschnitt ist verhältnismäßig wenig ergriffen,
jedoch besteht vollkommener Pupillarverschluß. Im oberen äußeren
Quadranten findet sich nahe am Hornhautrande ein oberflächliches,
schmierig belegtes Ulcus mit einer in die Tiefe des Bulbus
reichenden Fistel, aus welcher reichlich Eiter quillt. Aus dem
Glaskörper wird Staphylococcus pyogenes aureus in Eeinoultur
gezüchtet. Der Absceß geht wahrscheinlich von der Chorioidea
aus. Bei diesem an und für sich seltenen Fall von einseitiger
metastatisoher Augenerkrankung ist noch besonders der Durch-
bruch der Eiterung nach außen bemerkenswert.
Herr Hinsberg: Zur Behandlung von Larynx- und
Trachealstenosen vermittelst der Mikuliea'schea Glascauiile.
M. H. ! Ich möchte Ihnen kurz die Resultate einer Methode
Abteilung. Modicinischo Section.
zur Beseitigung von Stenosen im Bereiche der Larynx und der
oberen Trachea demonstriren, die Herr von Mikulicz zuerst im
Jahre 1888 angewandt hat, und über die Kümmel später aus-
führlioli berichtet hat (Archiv für Laryngologie, 1896, Bd. 4).
Man geht dabei im Princip so vor, daß mau nach Spaltung des
Luftrohrs die verengte Stelle freilegt und eventuell operativ be-
seitigt, dann aber, um die Bildung einer neuen Stenose zu ver-
hüten, ein mit solidem Griff versehenes, gerades Glasrohr so
lange einlegt, bis sich ein genügend weites Traoheallumen um
dasselbe herum definitiv gebildet hat.
Das, was der Methode eine erhebliche Ueberlegenheit über
andere zum Teil ähnliche (z. B. Dupuis'scher Canüle) verleiht,
ist die Wahl des Materials für die Canüle. Glas besitzt nämlich
die sehr wertvolle Eigenschaft, daß es nicht wie Metall, Kaut-
schuk, Horu etc. bei längerem Oontact mit dem Wundaeoret von
diesem oberflächlich arrodirt wird, so daß das Rohr sich leicht
mit Schleim incrustirt, und oft zur Reinigung herausgenommen
werden muß, sondern daß an seiner stets glattbleibenden Ober-
fläche das Secret nur schlecht haftet.
Während, wie bekannt, die Metalloauülen fast täglich event.
mehrmals gewechselt werden müssen, kann das Glasrohr wochen-
lang liegen bleiben, wie sie an diesem kleinen Patienten (Knaben
von IY2 Jahren) sehen. Er trägt seine Canüle bereits vier Wochen,
ohne daß sie nur ein einziges Mal gereinigt worden wäre.
Seine Krankengeschichte ist nun folgende:
Er mußte im Februar dieses Jahres wegen Diphtlierie in der
medicinisohen Universitätsklinik tracheotomirt werden, die Er-
krankung selbst verlief ohne Störung, als man jedoch versuchte,
die Canüle fortzulassen, trat heftige Dyspnoe ein. Alle Versuche,
die Canüle durch den O'Dwyer'schen Tubus zu ersetzen, oder
die Passage durch Entfernung von Granulationen frei zu machen,
schlugen fehl. Anfang April wurde nun deshalb der kleine Pat.
zur operativen Behandlung überwiesen. Auf Grund verschiedener,
hier nicht näher zu erörternder Momente diaguostioirteu wir eine
Stenose durch Abknickung der hinteren Trachealwand, wie man
sie ja nicht selten oberhalb der Tracheotomiecanüle findet. Der
Befund bei der danach vorgenoramonen Spaltung des Larynx und
der oberen Trachea bestätigte diese Annahme: wir fanden weder
Narben noch Granulationen, nur die hintere Trachealwand war
stark vorgewölbt.
Gerade zurBeseitigung dorartigerStenosen ist die M i k ul i c z 'sehe
Canüle vortrefflich geeignet, wir legten deshalb ein Glasrohr mit
6
Jahresbericht der Schles. rTesellscliaft ftlr vatevl. Cultur.
solidem Griff von entsprechendem Kaliber ein, und zwar so, daß
sein oberes Ende nicht zwischen die Stimmbänder zu liegen
kam, wie das bei den Kü mm el'schen Fällen meist der Fall war,
sondern unterhalb der Glottis. Dadurch hofften wir unsern
Fat., der normale Stimmbänder besaß, den Gebrauch der Stimme
zu ermöglichen. Der Effect war zunächst ausgezeichnet: das
Kind atmete frei und schrie und sprach mit klarer, lauter Stimme.
Am zweiten Tage nach der Operation jedoch trat plötzlich ein
heftiger Erstickungsanfall ein, der uns zwang, schleunigst das
Glaarohr mit der gewöhnlichen Trachealoaniile zu vertauschen.
Die Atmung wurde nun wieder frei, die Stimme war jedoch voll-
ständig heiser. Als Ursache hierfür und für die Atmungsstörungen
fanden wir eine beträchtliche Schwellung beider Stimmbänder,
die offenbar durch den Reiz der dicht unter ihnen liegenden
Glascanüle bedingt war. Nach dem Schwinden dieser entzünd-
lichen Erscheinungen, etwa vier Wochen nach dem ersten Ein-
griff, legten wir zum zweiten Mal eine Glascanüle ein, diesmal
jedoch, um uns vor einem zweiten Erstickungsanfall zu sichern,
in etwas modifioirter Form: an Stelle des soliden Griffes hatten
wir nämlich ein zweites, mit dem ersten communicirendes, gleioh-
kalibriges Rohr angebracht, das nun, nachdem das Rohr an Ort
und Stelle lag, zur Laryngofissurwunde herausragte. Wurden
dessen äußere Schenkel verschlossen, so atmete das Kind nur
durch den Mund, nach Entfernung des Stöpsels teils ebenso,
teils durch das äußere Rohr. Während also das Kind im letzteren
Fall gegen Erstickungsgefahr vollständig gesichert war, konnte
es, wie ein normales, durch den Mund atmen und sprechen, so
lange der Stöpsel einlegt war. In der ersten Woche nach der
Operation mußte die äußere Oeffnung manchmal zu Hilfe genommen
werden, in den letzten drei Wochen — das Kind wurde mittler-
weile in ambulatorische Behandlung entlassen — konnte sie
dauernd verschlossen bleiben. Das Rohr ist, da sich die Larynx-
fistel mittlerweile sehr verklehiert hat, durch die Narbe voll-
kommen fixirt, es kann also nur nach deren Spaltung entfernt
werden. Das soll in kurzer Zeit vorgenommen werden, gleich-
zeitig wollen wir die Fistel plastisch schließen.
Ein zweiter Fat., bei dem wir in ganz analoger Weise vor-
gingen, wurde vor 14 Tagen bereits geheilt nach Hause entlassen,
so daß ich ihn heute nicht mehr zeigen kann. Bei ihm war die
Stenose durch eine Perichondritis der linken Ringknorpelhälfte im
Anschluß an Typhus bedingt. Der Herd wurde operativ frei-
gelegt, auch hier wieder legten wir eine Mikulicz'sche Canüle
I. Abteilung. Medioinische Seotion.
unterhalb der ralativ wenig veränderten Stimmbänder ein. Auch
bei diesem Fat. bedingte jedoch nach 24 Stunden der ßeiz der
Canüle ein Glottisödem, dessen Gefahren durch eine modifioirte,
T-förmige Glasoanüle beseitigt wurde. Das Rohr konnte in
diesem Fall bis zur Bildung einer soliden Narbe in der ßing-
knorpelgegeud, etwa 14 Tage lang, bei Verschluß der äußeren
Schenkel, liegen bleiben, dann wurde es, nachdem der obere
Mundwinkel etwas gespalten, entfernt. Die Heilung ging glatt
von statten, der als Ganzinvalide vom Militär entlassene Patient
atmete heute ganz normal und spricht mit heiserer, aber lauter
Stimme.
Da durch den Ersatz des soliden Griffs durch ein offenes
Rohr die Br.iuohbarkeit der Canüle in keiner Weise beeinträchtigt
wird, andererseits dieser äußere Schenkel ein oft sehr erwünschtes
Sicherheitsventil bildet, so glaube ich, diese kleine Modifioation
allgemein für das Mikulicz'sohe Glasrohr empfehlen zu dürfen.
Discussion:
Herr v. Mikulkz hält die Hin sb er g 'sehe Modifioation der
Glascanüleu zur Behandlung von Kehlkopf- und Trachealstenosen
für sehr wertvoll, hauptsächlich aus dem Grunde, weil bei sub-
glottischen Stenosen die Qlascanüle nicht über die Stimmbänder
hinausreiühon muß, diese also nicht ohne Not dem längeren Druck
der Cauülen ausgesetzt zu werden brauchen, v. Mikulicz hat
früher die Glascanülen stets so eingeführt, daß sie über die
Stimmbänder hinausragten.
Herr Riegner: Ich habe die v. Mikulicz'sohen Glascanülen
bei Trachealstenosen mehrfach mit Erfolg angewandt und zwar
ebenfalls in der von Herrn Hinsberg angegebenen Modification
und aus denselben Gründen wie dieser; den einzigen Nachteil
der Glascanülen fand ich in deren Zerbrechlichkeit. Eine Frau
bei welcher sich die Stenose nach einer in selbstmörderischer
Absicht ausgefahrten Durohschneidung der Trachea entwickelt
hatte, erhielt von ihrem Manne einen heftigen Schlag, wobei die
Canüle zerbrach. Es kostete einige Mühe, die Glasscherben zu
entfernen.
Herr Uhlhoflf stellt im Anschluß an seine Demonstration am
klinischen Abend in der Universitäts-Augenklinik am 24. Juni
zwei weitere Patienten mit Xeroplithalmus und Hemeralopie aus
derselben Anstalt vor.
Bei dem Einen, einem ca. 50jährigen Manne, ist es wiederum
zu einer Keratomalaoie mit totalem Zerfall der Hornhaut gekommen,
6*
84 Jabroßlericht der Sohles. Gesellschaft für vuterl. Cnltur.
■während auf dem zweiten Auge weitgehende epitheliale Xerose
der Conjuuctiva und Hemeralopie besieht. Auch hier muß dieser
schwere Verlauf in erster Linie auf eine gänzlich unzureichende
Ernährung mit anstrengender Arbeit im Freien und in der Sommer-
hitze zurückgeführt werden. Die Hornhaut des zweiten Auges
ist noch intaot.
Der zweite Patient, ein ebenfalls ca. 45 jähriger Mann, der
unter analogen Bedingungen wie der erste gelebt hat, bietet das
gewöhnliche Bild der partiellen epithelialen Xerose der Conjunotiva
bulbi im Lidspaltenteil (Bitot'sche Flecke) und Hemeralopie;
zu einer Hornhauterkrankung ist es hier bisher nicht gekommen.
Nach der Aufnahme der Patienten in die Klinik und bei aus-
reichender Verpflegung wird der Zustand sich hoffentlich bald
bessern und auch die Hemeralopie nebst Xerose der Conjunotiva
verschwinden, wie bei dem früheren Fall.
Herr Heine demonstrirt eine nach den Angaben von Koster
angefertigte Dose zur Mentholeinatmung durch die Nase z. B.
bei Heufieber (s. Zeitsohr. f. Augenheilkunde, IX, pag. 249).
Herr Fittig zeigt Abbildungen eines mit Röntgenstrahlen
erfolgreich behandelten Falles von symmetrischer Erkrankung
der Parotis (Mikulicz'scher Krankheit) und bespricht kurz den
Unterschied der Empfindlichkeit des lymphatischen Gewebes und
seiner Geschwülste gegen die Einwirkung der Röntgenstrahlen
gegenüber derjenigen der Haut und der Carcinome. Außer dem
Fall von symmetrischer Erkrankung der Parotis hat Redner auch
eine sehr große Geschwulst von malignen Lymphomen am Halse
nach zwei Bestrahlungen ohne Latenzstadium völlig zurückgehen
sehen entsprechend den in der „Münch. med. Wochenschrift"
kürzlich von Hei necke mitgeteilten experimentellen Unter-
suchungen, stellt es aber als fraglich hin, ob die Heilungen von
Dauer sein werden.
Weiterhin stellt Redner ein Sjähriges Mädchen vor mit
multiplen, in den Diaphysen der langen Röhrenknochen sitzenden
Cysten. Die Krankheit wurde erkannt infolge der mehrmaligen
Spontanfracturen und durch die deshalb von allen Extremitäten
angefertigten Röntgenbilder. Nach Meinung des Redners handelt
es sich im vorliegenden Fall nicht um erweichte Tumoren, auch
nicht um Osteomalaoie, sondern um die von v. Recklinghausen
als Ostitis fibrosa mit Cystenbildung bezeichnete Knochen-
veränderung.
I. Abteilung. Mudicinisclii» Seotion.
D i s c u s s i 0 n :
HoiT Y. Mikulicz bemerkt, daß der günstige Einfluß der
Röntgenstrahlen auf die vergrößerten Speicheldrüsen bei der sog.
Mikulioz'schen Krankheit sehr bemerkenswert ist, nicht nur in
praktischer Beziehung, sondern weil er auch zum Verständnis
der Aetiolgie dieses bisher noch wenig aufgeklärten Leidens
beiträgt. Es besteht zweifellos eine gewisse Aehulichkeit zwischen
dieser Erkrankung und den pseudoleukämischen Tumoren. Diese
Aehnlichkeit wird dadurch vermehrt, daß auch die pseudo-
leukämischen Tumoren nach unseren jüngsten Erfahrungen unter
dem Einflüsse der Eöntgenstrahlen in manchen Fällen rasch
zurückgehen.
Herr G. (xottstein spricht über Prostatectotnio.
Herr Geheimrat v. Mikulicz hat vor einigen Monaten in
dieser Gesellschaft einen üeberblick über den augenblicklichen
Stand der Behandlung der Prostatahypertrophie gegeben und
auf's Wärmste die Prostatectomia perinealis empfohlen, wie sie
in den letzten Jahren von England und Amerika aus eingeführt
worden ist. Es wurden bei der damaligen Demonstration fünf
Fälle vorgestellt. In der Zwischenzeit sind noch drei weitere
Fälle in der Klinik operirt worden, von denen der eine, ein
Mann von 66 Jahren, vorgestellt wird. Auch in den beiden
anderen Fällen handelt es sich um Männer über 60 Jahre.
Mit der Vervollkommnung der Technik hat sich die Dauer
der Operation immer mehr abgekürzt; bei dorn vorgestellten
Patienten dauerte sie nur 12 Minuten. Es werden die drei ent-
fernten Prostatae demonstrirt; in dem einen Falle wurde die
Prostata in einzelnen Stücken herausgeschält, in den beiden
anderen wurde die totale Prostatectomie mit Entfernung eines
Teiles der Harnröhre und der Blase vorgenommen.
Was den Endeffeot der Operation betrifft, so befindet sich
der vorgestellte Patient am 23. Tage nach derselben. Die Wunde
am Perineum ist fast ganz verheilt, Urin kommt nicht mehr
durch. Der Dauerkatheter wurde am 14. Tage entfernt. Patient
urinirt auf normalem Wege durch die Urethra und kann den
Urin jetzt schon 2 — 2^/2 Stunden völlig zurückhalten. Patient
selbst ist mit dem Effect der Operation sehr zufrieden. Die
beiden Patienten mit totaler Prostatectomie befinden sich am
12. und 26. Tage nach der Operation. Bei diesen entleert sich
vorläufig nur ein Teil des Urins durch die Harnröhre. Voraus-
sichtlich wird man in Zukunft von der totalen Prostatectomie
86 J.-ihresbericlit dor Selilea. Oesollschiift ftlr vuifiii. Ciiltui'.
Atistand nehmen und sich mit der Entfernung des größten Teiles
derselben unter mögliohstor Erhaltung der Urethra begnügen.
Der zuletzt operirte Fall ist besonders dadurch interessant,
daß die cystoskopische Untersuchung neben der Hypertrophie
der Prostata vier Steine zeigte, von denen drei in einem Diver-
tikel zusammenlagen. Die mehrmals vorgenommene Röntgen-
untersuchung hatte stets ein negatives Resultat ergeben.
Patient wurde unter Tropacocain-Rüokenmarksanästhesio,
die durch Herrn Professor v. Kader aus Krakau ausgeführt wurde,
operirt. Herr Professor v. Kader berichtete, daß er schon mehrere
100 Operationen unter dieser Anästhesie mit ausgezeichnetem.
Erfolge gemacht habe. Die Anästhesie trat schon eine Minute
nach der Injeotion ein und war eine totale. Während der Ope-
ration schlief Patient ein und hörte auf zu atmen, während das
Herz weiter schlug. Durch künstliche Atmung gelaug es, den
Patienten über dieses Stadium, das etwa eine Stunde anhielt,
hinwegzubringen. Herr Professor v. Kader ist geneigt, diese
Atemlähmung auf eine Combination des Tropacocain mit Morphin
— Patient hatte vor der Operation 0,01 Morphin erhalten — zu
beziehen.
In allen bisher operirten Fällen haben die Patienten trotz
des Alters und der meist schon weit vorgeschrittenen Arterio-
sklerose die Operation gut überstanden. Die Patienten stehen
schon am Tage nach der Operation auf, so daß die Gefahren
der Sohluckpneumonie dadurch vermieden werden. Wir können
auf Grund unserer bisherigen Erfahrungen diese radicale Ope-
rationsmethode behufs Heilung vorgeschrittener Fälle von Prostata-
hypertrophie warm empfehlen.
Herr G. Gottsteiu stellt einen Fall von Pneumaturie vor.
Der 37jährige Patient hat vor längerer Zeit eine Rippenfell-
entzündung durchgemacht, will im Uebrigen nie krank gewesen
sein. Ende Mai vorigen Jahres, vor IV4 Jahr, erkrankte er mit
Magenbeschwerden, Erbrechen und häufigem Urindrange. Der
Urin soll damals molkig und gelb ausgesehen haben; keine
sonstigen Beimengungen. Wegen hohen Fiebers, bis 40", ließ
er sich in ein Hospital aufnehmen, indem er sechs Woclien lang
mit Blasenspülungen behandelt wurde. Es trat eine Besserung
des Leidens ein, doch keine Heilung; der Urin blieb trübe. Der
Harndrang war geringer geworden. Vor etwa 14 Tagen erkrankte
er wiederum mit Magenbeschwerden, und da er an einen Zu-
sammenhang derselben mit seinem Blasenleiden dachte, ließ er
sich in der Klinik aufnehmen. Er machte die Angabe, daß am
1. AbUüluiig. Mcdioinisclio Soctiüii.
Schluß des Wasserlassens manchmal Schaum mit herauskomme,
besonders, wenn er zu Stuhl gehe oder presse.
Wir beobachteten bei dem Patienten am Schlüsse des Uriu-
lassens das Emporkommen zahlreicher Luftblasen. Am deutlichsten
sah man dieses eigenartige Symptom, wenn mau den Patienten
unter Wasser uriniren heß. Die herauskommende Luft roch
deutlich fäculent. Die cystoskopische Untersuchung ergab neben
einer ausgesprochenen Cystitis rechts oben, neben dem Vertex
der Blase, zwei feine Stellen, aus denen zwei silberhelle Strahlen
herauskamen. Betrachtete man den Blasenfundus, so sah man
daselbst zahlreiche feinste Luftbläschen anschlagen und nach
oben steigen. Es wurde daraufhin die Diagnose auf Pneu-
maturie gestellt.
Woher kam nun die Luft, die Patient in der Blase hatte?
Derartige Luft kann sich in der Blase von Diabetikern infolge
von Zuckergärung finden. Ferner giebt es eine Reihe von
Baoterien, die Schwefelwasserstoff entwickeln können. Ein
fäculent riechendes Gas, wie dieses, könnte durch derartige
Schwefelwasserstoff producirende Baoterien hervorgerufen werden.
Der cystoskopische Befund belehrte uns, daß eine Gomraunication
der Blase mit einem lufthaltigen Orgaue vorhanden war. Wir
konnten von vornherein eine Communication mit der Niere und
dem Ureter ausschalten, sowie den baoteriellen Ursprung der
Luft in der Blase. Es handelte sich um eine Blasendarmfistel.
Weiterhin war noch festzustellen, mit welchem Darmteil die
Blase communicirte. Zu diesem Zwecke wurde der Dickdarm
aufgeblasen; es zeigte sich, daß bei dem bald darauf erfolgenden
Uriniren eine größere Menge von Luft mit dem Urin sich ent-
leerte. Es ist daher wahrscheinlich, daß eine Blasendickdarm-
fistel vorliegt. Die Digitaluntersuchung per rectum ergab keine
Communication mit demselben. Im Stuhl ist Urin niemals beob-
achtet worden. Es handelt sich hier um einen Durchtritt von
Luft in die Blase, während von der Blase zum Darm nichts
(kirohzutreten scheint. Carmin in Kapseln per os gegeben ließ
im Urin nichts davon nachweisen, während die Fäces rot ge-
färbt waren. Bei einer späteren Untersuchung konnten aber im
Urin, was früher nicht der Fall war, Fäces auch Oxyuris vermi-
oularis nachgewiesen werden.
Discussion:
Herr Riegner: Ich habe den Paliouten längere Zeit aiif
meiner Abteilung behandelt. Er litt damals an heftiger, mit
88 Jahresbericht der Sclilcs. G(3Sollsclial't für vatorl. (Jultur.
Pneumaturie verbundener Cystitis. Letztere wurde durch geeig-
nete Ausspülungen und ürotropin erheblich gebessert. Da wir
damals weder oystoskopisoh eine Fistel zwischen Blase und Darm
nachweisen konnten, noch es uns trotz verschiedener Maßnahmen
gelang, Darminhalt im Urin nachzuweisen, glaubten wir schließlich,
wenn auch mit Widerstreben einen der seltenen Fälle von gas-
bildenden Baoterien in der Blase vor uns zu haben. Es wurden
solche auch durch Herrn Dr. Lubowsky (medicinische Poli-
klinik) nachgewiesen. Da es dem Patienten erheblich besser
ging, drang er auf seine Entlassung und hat sich unserer weiteren
Beobachtung entzogen.
Vor etwa zwei Jahren habe ich eine Pneumaturie, deren
Ursache durch eine oystoskopisch deutlich sichtbare Fistel zweifel-
los waren, durch Durchtrennung des Verbindungsstückes zwischen
Blase und Flexur und gesonderter Vernähung beider OeffnungoJi
zur Heilung gebracht.
Herr Rosenfeld macht darauf aufmerksam, daß man ver-
schiedene Kohlenhydrate bei Eingabe per os und per anum zur
Diagnostik insbesondere zur topischen Diagnostik der Blasen-
darmfistel verwerten kann, insbesondere Kohlenhydrate die
per os gegeben, nicht in Harn übergehen, da deren Auftreten
das Bestehen einer Darmblasenfistel beweisen würden. (Zucker
aus Stärke, die im Dickdarm verschwunden ist, könnte, wenn er
im Harn erscheint, für Düundarmblasenfistel sprechen; Dextrose
per anum gegeben, würde, im Harn erschienen, das Bestehen
der Fistel beweisen.)
Herr K. Stern: Zwischen den beiden vorhin erwähnten
Arten des Zustandekommens der Pneumaturie besteht kein stricter
Gegensatz. Besteht eine Communication zwischen Darm und
Blase, so können Darmbacterien eine Zersetzung des Harns
unter Gasproduction hervorrufen. Ob dies im vorliegenden Falle
in Betracht kommt, ließe sich durch baoteriologisohe Unter-
suchung des Harns feststellen.
Herr (J. Gottstein: Was die Aetiologie derartiger ßlasen-
darmfisteln betrifft, ao ist die Annahme eines latent verlaufenden
Darmcarcinoms mit Durchbruch nach der Blase nicht recht wahr-
scheinlich, da Patient die ersten Symptome schon vor l'/j Jahr
dargeboten hat, Erscheinungen von Kachexie nicht vorhanden
sind, er sogar auffallend gut genährt aussieht. Wahrscheinlicher
ist, insbesondere zusammengehalten mit der früheren Pleuritis,
daß es sich um eine Tuberculose handelt.
Es wird sich wohl bald eine Operation bei dem Patienten
I. Abtoiliiiig. Mediciiiisohe Section. 89
als notwendig erweisen. Die geeignetsto Operationsniethode ist
hier die Aussolialtung des pcrforirten Darmstüoiies und Anlegung
einer Anastomose, da sich die Vernähuug solcher Blasendarm-
fisteln sehr schwierig gestaltet.
Herr R. Stern: lieber Lungensteino. (Der Vortrag wird
au anderer Stelle ausführlich veröffentlicht.)
D i s c u s 8 i 0 n :
Herr Ponflck: Im Anschlüsse an die Demonstration von
Lungensteinen, die ja freilich bei weitem nicht so oft nach auBen
gelangen, wie sie im Innern von Lungen mit alten phthisisclien
Residuen angetroffen werden, möchte ich kurz der Anwesenheit
wirklichen Knochens in dem genannten Organe Erwähnung
thuu : eines Vorkommens, welches sich begreiflicher Weise un-
gleich seltener ereignet.
Vor einiger Zeit beobachtete ich bei einem 5jährigen Mädchen
die Anwesenheit dreier kleiner unregelmäßig gestalteter Knochen-
stückohen in der rechten Lungenspitze. Im Gegensätze zu der
den Lungensteinen, ursprünglich mindestens, zukommenden Eigen-
schaft, in das verdichtete Clewebe der Umgebung ungemein fest
eingebettet zu sein, lagen diese ganz lose und auch gegeneinander
frei verschiebbar inmitten eines etwa kirschgroßen, von einer
lebhaft geröteten Granulatiousschioht ausgekleideten Hohlraumes.
Woher stammten diese deutlich aus spongiösem
Knochen bestehenden Sequester? Und wie waren sie
wohl dahin geraten?
Die Beantwortung dieser Erage konnte nicht allzu schwer
fallen. Bestand doch eine Osteomyelitis tuberculosa der unteren
Halswirbel, die mit Necrose ansehnlicher Abschnitte der Wirbel-
körper verbunden war. Von diesem Blittelpunkte aus hatte sich
längs der vorderen Fläche der Wirbelsäule eine Eitersenkung
entwickelt. Nachdem nun mehrere allmählich gelöste Sequester
sei es zugleich hiermit, sei es im weitereu Verlaufe, nach unten
geglitten waren, hatten sie einesteils die hintere Wand der Speise-
röhre durchstoßen oder usurirend durchbrochen, anderenteils sich
einen Weg gebahnt in den obersten Abschnitt der rechten Lunge,
welcher ja bis dicht au den lateralen Rand der Wirbelsäule
hinanreicht.
Hieraus ergab sich der sehr eigenartige Befund einer in-
d Ir e et en Speiseröhren-Lungenfistel.
Die naheliegende Vermutung, daß die jene Knochenfragmente
enthaltende Höhle etwa eine tuberculöse Caverne sei, ließ sich,
Jalu-Oriliericht dor Sclilcs. GdscJlsduifl, liir Viilev). OuUiir.
gestutzt auf die mikroskopische Untersuohuug sowohl clor sie
auakleiJeutlen Membran wie des austoßendeu (und alles übrigen)
Luugeupareixohyms als unzutreffend nachweisen.
Herr Ludloff stellt einen Patienten mit Fractur der Hals-
Wirbelsäule vor. Vor einem halben Jahre ist der 43jährige
Zimmermann dadurch verunglückt, daß er rückwärts durch ein
„Leiterloch" ein Stockwerk hoch hinunter auf den gebeugten
Nacken fiel.
Von objectiven Befunden besteht eine etwas gebeugte Haltung
des Kopfes und eine vollständige Lähmung des linken Deltoides.
Die Bewegungen der Halswirbolsäulo mit Ausnahme geringer
Einschränkung der Flexion sind activ und passiv vollständig frei
und normal. Palpatorisch ist nichts Anormales nachweisbar.
Pat. klagt über Neuralgien im Hinterkopf und Qbor das
Gefühl, daß „das Genick nu lose sei" und bei unvorsichtigen
Bewegungen „knupse".
Mit Hilfe von zahlreiolien Routgenphotographien (27 von
Patienten und üahlreiohcn von normalen Personen) ist es Referenten
gelungen, einwandsfrei die Fracturstello nachzuweisen. Bruch
durch die Basis des Bogens des 6. Brustwirbels auf dor rechten
Seite. Vorschiebung dos 5. und 6. Halswirbelkörpers etwas nach
hinten, Störung im „Parallelismus" der Gelenkflächeu der Gelenk-
fortsätze. Zusammenstauchungder linken Hälften des 5. und G. Hals-
wirbels in der Gegend der Foramina intervertebralia.
Dieser Röntgenbefund der Fracturstelle wird bestätigt durch
die bestehende Deltoideslähmuug links, da der Nervus axillaris
gerade mit seinen beiden Wurzeln aus dem Foramen interverte-
brale des 5. und 6. Halswirbels heraustritt.
Referent betont, wie notwendig es ist, von allen schwierigen
Fällen, besonders aber von der Halswirbelsäule, zahlreiche Röntgen-
aufnahmen von den verschiedenen Seiten in verschiedenen Lagen
zu machen. Nur dadurch kann man sich vor Irrtümern schützen.
Ein Urteil, das sich auf einem Röntgenphotogramm aufbaut,
besonders mit negativem Befund, ist wertlos. Zu dieser Be-
liarrlichkeit in der Fortsetzung der Röntgenuntersuchung wurde
Referent besonders durch die Mitteilung eines Falles von Wirbel-
fractur von Dr. Stempel (Breslau) angeregt. Hier wurde erst
nach der Exhumirung des betreffenden Patienten die von ver-
schiedenen Speoialisten bei Lebzeiten geleugnete Fractur ver-
schiedener Halswirbel nachgewiesen.
Herr v. Mikulicz demonstrirt ein Präparat, welches durch
die Section eines 37jährigen Mannes gewonnen wurde Es handelte
T. Aliteiliiiig. 'Moiliomische Sectioii. 91
Hlch um eine seit vielen Jahren klinisch festgestellte t>-aekjirtige
ItüaiatJon des Oesophngua, zn welcher sieh _secundä.r ein Car-
cinoni im obersten Brustteil der Speiseröhre hinzugesellt hat.
Die Beschwerden des Verstorbenen fingen schon mit dem siebenten
Lebensjahre an und bestanden in Schwierigkeit und gelegentlich
krampfartigen Schmerzen beim Schlucken. Der Pat. — er lebte
in Berlin — wurde in verschiedenen Anstalten behandelt, und
sein Zustand durch diätetische Vorschriften gelegentlich auch
gebessert. Die richtige Diagnose auf sackartige Dilatation wurde
erst in der Berliner Charite durch Prof. Strauss gestellt. Dieser
hat den Fall auch in der „Deutschen med. Wochenschrift" vor
drei Jahren publioirt. Es waren die typischen Symptome, wie
wir sie beim Cardiospasmu s mit conseeutiver Oesophagus-
dilatatiou kennen. Vor einem halben Jahre steigerten sich die
Beschwerden derart, daß selbst Flüssigkeiten nur mit Scliwierig-
keit in den Magen befördert werden konnten. Pat. magerte rasch
ab. In diesem Zustand wurde Pat. von Prof. Strauss der Bres-
lauer Klinik zugeschickt. Er kam im Zustande höchster Inanition
an, und es wurde deshalb nur die Gastrostomie vorgenommen
und von jeder weiteren Therapie, sowie von einer genaueren
Untersuchung abgesehen. Auch die Oesophagoskopie wurde mit
Rücksicht auf den schlechten Allgemeinzustand unterlassen. Der
Ernährungszustand des Pat. hob sich nach der Gastrostomie sichtlioli,
jedoch nur auf kurze Zeit. Es stellten sich im rechten Obcr-
lappen der Lunge Erscheinungen ein, die für einen Gangränherd
sprachen. Die Gangrän wurde auf Aspiration des regurgitirten
Oesophagusinhalts bezogen. Da der Lungenherd au Umfang zu-
nahm, und der Pat. sichtlich herunterkam, wurde unter liesection
der 2. und 3. Rippe von vom her der Gangränherd eröffnet.
Pat. starb trotzdem eine Woche nach dem Eingriff. Die Section
ergab nun, daß das obere Drittel des Brustösophagus oberhalb
der am meisten dilatirten Partie von einem verjauchten Carcinom
eingenommen war, welches bis in die benachbarten Wirbelkörper
gedrungen und gleichzeitig in die Lunge perforirt war. Die
Lungengangrän war also durch Perforation des Oaroinoms in die
Lunge gesetzt worden. Interessant ist ein Versuch, welcher an
der Leiche noch kurz vor der Section vorgenommen wurde. Es
zeigte sich, daß in den Oesophagus eingegossene Flüssigkeiten
ohne erheblichen Widerstand in den Magen gelaugten, ein Beweis
dafür, daß es sich beim Cardiospasmus in der That um einen
muBCulären Verschluß handelt, welcher infolge der Erschlaffung
Ut'3 Muskels !in der Leiche aufgehoben ist.
92 Jahresbericht der Schlos. fiesolLschiift für vaturl. Oiiltur.
Ein analoger Fall von Seoundärentwicklung eines Carcinoma
an der oberen Grenze der sackartigen Dilatation des Oesophagus
wurde schon vor mehreren Jahren einmal in der \Breslauer Klinik
beobachtet. Der Fall ist seiner Zeit von Dr. Gottstein in seiner
„Klinik der Oesopliagoskopie" ausführlich mitgeteilt.
HerrKausch: 1. Kolilc-imprägnirte Supraclaviculardiüso.
Der 45jährige Patient, welchen ich Ihnen zunächst vorstelle,
kam in die chirurgische Poliklinik wegen eines Knotens oberhalb
der Mitte des rechten Schlüsselbeins. Der Knoten war zufällig
vor vier Wochen von einem Arzte bemerkt worden, machte dem
Patienten keine Beschwerden. Er hat die Größe einer Lambert-
nuß, war nicht empfindlich, außerordentlich hart, nicht höckerig,
wenig verschieblich. Weiter oben am Halse befanden sich noch
3 — 4 kleine Lymphdrüsen von Erbsen- bis Bohnengröße, sämtlich
auch hart,
Die Affection machte durchaus den Eindruck einer oarci-
nomatöseu Supraolaviculardrüse, doch war ' trotz eingehendsten
Suchens kein primärer Herd zu finden, weder im Abdomen, noch
im Larynx, Eachen u. s. w. Auf Drängen des behandelnden
Arztes und des Patienten, welche Gewißheit haben wollten über
die Art der ErkranJcung, exstirpirto ich in localer Anästhesie die
Drüse. Sie entpuppte sich bei der Operation als ein schwarzer
Knoten, welcher zunächst einen melanotischen Eindruck machte,
doch war er auf dem Durchschnitte so absolut gleichmäBig
schwarz, daß ich diesen Gedanken bald fallen ließ und eine mit
Kohlenstaub imprägnirte Drüse annahm.
Die mikroskopische Untersuchung bestätigte diese Annahme,
es lag eine schiefrig indurirte Drüse vor, von genau dem Typus,
wie ihn die Bronchialdrüson so gewöhnlich zeigen. Von Tuber-
culose war nichts zu finden, hingegen Fremdkörper-Riesonzellen.
Obschon wir Chirurgen doch sehr viele Drüsen am Halse
sehen, habe ich noch keinen derartigen Fall erlebt und weiß
auch nichts von solchen Supraclaviculardrüsen aus der Litteratur.
Die Erklärung für diesen Fall scheint mir folgende zu sein :
Patient arbeitet in der Schuh warenbran che als Modelleur
und sitzt infolgedessen fast den ganzen Tag im Staube. Er hat
nun vor 15 Jahren ein Lungenleiden durchgemacht, welches an-
scheinend tuberculöser Natur war. Als Rest davon finden wir
jetzt noch eine Schallverkürzung rechts vorne oben und eine ge-
ringe Absohwächung des Atemgeräusches. Im Uebrigen hat
Patient später nie wieder Lungenbeschwerden gehabt und hat
auch jetzt keine. loh nehme nun an, daß infolge dieses Lungen-
I. ÄliteiUing, Medioiuische Sectiou.' S3
leidens dor normale Lymphstrom von iler Lungu nach dorn Hikis
verlegt ist und die Lymphe direct nach den Supraclavioular-
drüeen abgeführt, hierhin infolgedeBsen auch der eingeatmete
Staub abgeleitet wird.
2. Im zweiten Falle handelt es sich um die Tiiiplaiitatioii
eines Silberdrahtnetzes in einen Bauclibnicli.
Der jetzt 4Bjährigen Trau wurde vor 14 Jahren wegen
Wanderniere die rechte Niere festgenäht. Ein halbes Jahr darauf
wurde sie wegen intensiver Abdominalbeschwerden relaparotomirt,
im Wesenthchen ein negativer Befund erhoben: es bestanden
nur einige unbedeutende Adhäsionen um den Magen herum. Es
ist wohl zweifellos anzunehmen, daß die Beschwerden', wegen
deren die Patientin zum zweiten Male operirt wurde, nervöser,
hysterischer Natur waren.
Die zweite Operation hatte eine locale Peritonitis zur Eolge;
es mußte die Bauchnaht wieder geöffnet werden und es resultirte
eine große Bauchhernie. Wegen dieser, welche im Laufe der
Jahre kindskopfgroß geworden war, und welche der Patientin
starke Beschwerden verursachte, kam die Patientin zur Aufnahme
in die Klinik.
Es handelte sich nicht etwa um eine Diastase der Recti,
wie ich hervorheben möchte , sondern um einen regelrechten
Bruch mit kreisrunder, soharfrandiger Bruchpforte. Da eine di-
recte Vereinigung der Bruchräuder von vornherein ausgeschlossen
war, faßte ich die Implantation eines Silbernetzos in's Auge.
Ich legte zwei Querschnitte au, je einen am oberen und unteren
Rande des Bruches, präparirte so einen breiten Brückenlappen
frei. Es war dies ziemlich schwierig, da die Haut direct dem
Bruchsacke, d. h. dem Peritoneum anlag, ohne jedes Eett und
Unterhautzellgewebe. Die Patientin ist, wie Sie auch jetzt sehen,
außerordentlich mager. Es gelang mir dies aber doch ohne Er-
öffnung des Bauchfells. Dann löste ich noch weiterhin den
Brückenlappen außerhalb der Bruchpforte von der Musculatur
ab. Da das mir zur Verfügung stehende größte Silbernetz,
welches nur 18 : 18 cm hatte, zur Deckung des Bruches zu klein
war, indem es nur eben die Bruohpforte überragte, verkleinerte
ich durch eine Anzahl von Drahtnähten, welche ich am oberen
und unteren Ende in der Medianlinie anlegte, wesentlich die
Bruchpforte, so daß sie nunmehr nur noch die Q-rößo einer
Männerfaust hatte. Das eingelegte Silbernetz übarragte nunmehr
die Bruchränder an der schmälsten Stelle um mehr als zwei
Einger. Ich fixirte das Netz mittels acht Drahtnähteu an der
94 Jn,lire«bericbt der Sehles. Gesellschaft für vaterL Cultur.
Bauchmusoulatur und verschloß ilami die liaufcwundo vollständig.
Das Netz ist primär, reactionalos eingeheilt. Sie fühlen es,
m. H., mit Leichtigkeit durch die Bauohwand hindurch.
Das Verfahren haben wir nunmehr in drei Fällen auf der
Klinik ausgeführt. In einem Falle trat ein Reoidiv auf, indem
am unteren Rande des Drahtnetzes eine neue Hernie durch-
schlüpfte. Gorade mit Rücksicht auf diesen Fall halte ich es
für notwendig, das Netz dauernd mit Draht zu befestigen, nicht
wie Göpel es thut, mit Catgut. Wir nehmen stets das
Göpel'sohe Silberdrahtnetz, welches ich Ihnen hier zeige. Es
scheint dies besser zu sein, als das aus Kettenringen gebildete
Netz, welches ich Ihnen auch herumgebe. Es ist auch besser,
als das Filigrannetz Witzeis, welches der Vorläufer dieser Be-
strebungen war. Dieses wird bekanntlich erst bei der Operation
hergestellt dadurch, daß lange Silbsrfäden in der Form eines
Filigrannetzes in das Gewebe selbst hineingelegt werden. Im
vorliegenden Falle wäre dies überdies gar nicht möglich ge-
wesen.
3. Spina bifida coraplicirt mit Naevus pilosus und Hydro-
cephalus.
Das ''/^ Jahre alte Kind, welches ich Ihnen hier zeige, kam
in die Klinik wegen einer Spina bifida von der Grüße einer
Männerfaust, welche im Bereiche der Lenden Wirbelsäule saß.
Complioirt war dieser Fall einmal durch einen Hydrocephalua
mäßigen Grades, die große Fontanelle ist etwa thalergroß.
Ferner besitzt das Kind ein Naevus pigmentosus, welcher den
größten Teil des Rückens einnimmt und auch nach vorn über
die Schulter hinüber etwas auf die Brust reicht. Der Nävus ist
mit langen braunen Haaren bedeckt bis zu 2 cm Länge. Eine
Anzahl von kleineren Pigmentmalen befinden sich über den
unteren Teil des Rumpfes zerstreut.
Die Operation der Spina bifida habe ich nun nicht in der
gewöhnlichen Weise ausgeführt, weil ich fürchtete, daß der
Hydrooephalus dadurch verschlimmert würde. Haben wir doch
hier auf der Klinik einen Fall erlebt, in welchem nach der
Radicaloperation einer großen Spina bifida ein Hydrooephalus
auftrat, während vorher der Schädel völlig normal war. Ich
ging deshalb so vor, daß ich nach Freilegung und Eröffnung des
Meningensackes denselben größtenteils abtrug bis auf ein recht-
eckiges-Stück, welches ich zu einem Schlauch vernähte, von
3 cm Länge und Y2 °^ Durchmesser. Mittels dieses Schlauches
wollte ich eine Dauerdrainage des Subaraohnoidalraumes in das
I. Abteilung. M''dic'uisclie Section. 95
subcutane Gewebe herbeiführen und so den Hydrooephalus ent-
lasten. Die Haut vernälite ich dann natürlich vollständig. Die
Wunde heilte primär.
Ich glaube, daß diese Drainage auch wirklich in Kraft ge-
treten ist. Die Fontanelle, die vorher prall gespannt war, ist
jetzt zweifellos viel weicher geworden, leicht eindrückbar. Das
Kind ist nach Ansicht aller, die sich mit ihm beschäftigen,
geistig reger geworden; es war vor der Operation ziemlich blöde,
kann noch nicht stehen.
Im Anschluß an diesen Tall möchte ich Ihnen kurz das
Präparat eines Falles von Racliischisis zeigen, welcher in die
Klinik kam und heute früh starb. Herr Ponfiok hatte die
Güte, mir das Präparat zur Demonstration zu überlassen. Sie
sehen am durchgesägten Präparate, wie das Rückenmark hier
schwer verändert ist, eine niedrige breite Platte darstellt, nach
unten in die Cauda equina übergehend, dorsal mit Granulationen
bedeckt. Ein Oentralkanal ist an dieser Stelle überhaupt nicht
vorhanden, an mehreren Stellen sickerte bei Lebzeiten der klare
Liquor cerebrospinalis aus der etwa markstückgroßen Rücken-
marksfläche hervor.
Den schweren Rüokenmarkveränderungen entsprechend waren
die Beine total gelähmt, anscheinend anästhetisch, auch die
Sphincteren waren total gelähmt.
Die Prognose ist in diesen Fällen bekanntlich absolut trist,
ein operatives Vorgehen durchau.?; zwecklos , es würde nur den
ungünstigen Ausgang beschleunigen. Auch iinser Fall ging an
einer Meningitis zu Grunde.
4. Hysterisches Oedem der Hand.
Dieser 18jährige junge Mann hat vor einem halben Jahre
eine Verletzung der Hand mittels Glasscherben erlitten. Im
Laufe der Zeit wurden mehrere Incisionen angelegt, um Glas-
splitter zu entfernen, da Pat. andauernd Schmerzen in der Hohl -
band hatte. Alles Suchen war aber vergeblich, hingegen ent-
leerten sich allmählich teils aus den Wunden, teils spontan durch
die Haut hindurch einige kleine Glasstückchen, Seit drei Mo-
naten wird Pat. in der chirurgischen Poliklinik behandelt. Audi
hier verlief eine Inoision ergebnislos, das Röntgenbild war negativ.
Spontan kamen aber wieder drei kleine Glasstückchen heraus,
das letzte vor vier Wochen.
Die Schmerzen waren damit wesentlich gebessert. Da Pat.
aber mit der Hand immer noch nicht recht zufassen konnte,
wurde zur Massage geschritten. Am dritten Tage nach der
96 JaJifOsberichf. der Soliles. Gosellschaft für vateii. Odltur.
Massage begann die ganze Hand stark anzuschwellen, besonders
der Rücken; gleichzeitig reißende Schmerzen. Die Schwellung
besteht nunmehr 14 Tage lang, ist bald stärker, bald schwächer,
nimmt auf Massage, Bewegungen, Herabhängen zu. Niemals
Temperatursteigerung, die Hand fühlt sich auch nicht wärmer
an. Die Farbe der Hand ist leicht bläulich. An einer Stelle
bildete sich auch eine erbsengroße Blase, die jetzt ein-
getrocknet ist.
Patient machte mir von Anfang au einen recht nervösen
Eindruck und auch das Oedem faßte ich bereits nach einigen
Tagen als ein nervöses auf. Diese Annahme ist meiner Ansicht
nach zur Gewißheit geworden durch einen Befund, den ich seit
zwei Tagen erhoben habe: Patient zeigt nämlich eine vollständige
Hemianalgesie der ganzen rechten Körperseite. Sie sehen, ich
kann die Nadel durch das ganze Ohrläppchen bindurchstecken,
ohne daß der Patient eine Miene verzieht, während er links sofoit
intensive Schmerzen äußert. Dasselbe kann ich, wie gesagt, an
der ganzen rechten Körperseite ausführen, auch an den Schleim-
häuten. Die Berührungsempfindung ist ebenfalls deutlich herab-
gesetzt; auch die höheren Sinne zeigen, wenn auch geringe, Ab-
stumpfung. Im Uebrigen zeigt der Pat. keine ausgesprochenen
hysterischen Stigmata.
Ich glaube, daß wir danach mit Sicherheit ein hysterisches
Oedem annehmen müssen. Bei uns sind diese Pällo jedenfalls
ziemlich selten. Ich habe noch keinen gesehen. Die Franzosen
sehen solche Fälle bekanntlich häufiger, ihr Oedeme bleu des
hyst6riques.
5. Locale Asphyxie complicirt mit Dupuytren'soher Con-
traction.
Der folgende Fall betrifft eine 25jährige, anämische, sonst
gesunde Frau, bei welcher sich einige Wochen nach der vor
l'/i Jahren erfolgten Entbindung allmählich Kriebeln und Absterben
der Finger einstellte. Seit einem halben Jahr werden die Finger
auch blau, namentlich in der Kälte, kurz, es handelt sich zweifellos
um einen Fall von localer Asphyxie, Eaynaud'scher Krankheit.
Auffallend in diesem Falle ist, daß sich zuweilen spontan,
mit Sicherheit nach Druck an den Fingern, wobei die Finger
zunächst einige Zeit blaß bleiben, zinnoberrote Flecke bilden,
welche den Händen ein ganz auffallend buntscheckiges Aussehen
verleihen, violett, weiß, hellrot. loh kann mir diese Eotfärbuug
nur als eine eigentümliche locale arterielle Hyperämie vorstellen,
bei Anämie der Venen.
I. Abteilung. Modioinische Seotioii 97
Auch sonst zeigen die peripheren Körperenden, Nasenspitze,
Ohrläppchen, Zehen, eine deuth'che abnorme Kälte, namentlich,
wenn man die außerordentlich warme Temperatur am heutigen
Tage und in, diesem Eaume in Erwägung zieht. Auch der Ge-
sichtsausdruok der Pat. erscheint pathologisch, Pat. ist selbst
von ihrer Umgebung darauf aufmerksam gemacht worden, daß
ihr Gesicht neuerdings ein maskenartiges Aussehen angenommen
habe. Möglicherweise begiinit sich hier eine Sklerodermie zu ent-
wickeln. Der Proceß an den Händen ist jedenfalls zur Zeit nicht
als Sklerodermie aufzufassen.
Auffallend ist ferner an diesem Falle, daß Pat. eine leichte
Verkrümmung beider 4. Finger zeigt, welche sie nicht völlig zu
Btreoken vermag. Die distale quere Hohlhandfalte zeigt an ihrer
Kreuzung mit den Beugesehnen des 4. Fingers jederseits eine
deutliche grübcheiiförmige Einziehung. Ich glaube, daß wir hier
eine beginnende D upuytren 'sehe Fingeroontractur annehmen
müssen, so daß dann eine Combination beider Erkrankungen vor-
läge, eine, wie es scheint, recht seltene Complication.
G. Dieses 19jährige junge JVIädchen verdankt ihr Leiden dem
Tragen von Ohrringen. Im Alter von 2 — 3 Jahren wurden ihr
in der üblichen Weise Löcher in die Ohrläppchen gestochen und
Seidenfäden durchgezogen. Ein halbes Jahr danach bildeten sich
allmählich Knoten, die bis zu Haselnußgröße wuchsen und dann im
Alter von fünf Jahren entfernt wurden. Bald bildeten sich neue
Knoten, die im Alter von 13 Jahren entfernt wurden, aber auch
bald wiederkehrten.
Der Knoten rechts ist wallnußgroß, geht, wie Sie sehen, von
der Vorderseite aus, während an der Rückseite vorhandene Narben
beweisen, daß hier früher einmal ein Knoten saß. Der haselnuß-
große Knoten links geht von der Hinterseite des Ohrläppchens
aus, das vordere Ohrringloch sehen Sie noch als trichterförmige
Einziehung deutlich gekennzeichnet. Die Knoten sind hart, ob
Sie sie als Fibrom oder als Keloid, wie wir vorziehen, bezeichnen
wollen, lasse ich dahingestellt. Hervorlieben möchte ich, daß
gleichzeitig mit der ersten Operation der Pat. eine kleine Ge-
schwulst vom Oberschenkel entfernt wurde, welche kein Keloid
zur Folge hatte und mit linearer Narbe heilte. Wir werden die
Geschwülste abtragen und suchen eine aseptische Heilung herbei-
zuführen, wissen wir doch, daß das Eintreten einer lufection das
Zustandekommen eines Keloids erleichtert. Im Uebrigen soll,
nach den Angaben der Pat. und dos Vaters, früher niemals eine
Eiterung bestanden haben.
Jalirosborioht der Schlos. GosoUschaft für vaterl. Cultnr.
D i s c u s s i 0 n :
Herr llinsberg: In tlor otologisohoii Littoratiir sind Beriohfe
über Keloide oder Fibrome der Ohrläppohon iiiclits Seltenoa. Sio
entstehen meist in der Umgebung der Ohrringlöcber. Die schwarze
Rasse soll eine besondere Disposition zur Bildung derartiger
Tumoren besitzen. Aus Amerika sind Fälle beschrieben, bei denen
die Geschwulst fast bis zur Schulter heruntorhing. Auch hier
in Breslau konnten wir verschiedentlich Keloide der Muschel
beobaohton.
Herr Ansckiitz domonstrirt zwfii Fiilie von Uastroiliiodoino-
stomie.
Herr Schmidt: loh mochte Union in aller Kürze noch drei
Nierenfälhi vorstellen.
Hier zunächst zwei Patienten, die beide eine subcutane Nieren-
quetschung durchgemacht haben. Der eine, ein ziemlich gebrech-
licher Mann im Alter von G2 Jahren, wurde am 18. Juni 1903
von einem 80 Centner schweren Zicgelwagen überfahren und erlitt
dabei einen Bruch der 7. — 9. Rippe rechts, der Dornfortsätze des
11. nud 12. Brust- und 1. Lendenwirbels und eine erhebliche
Quetschung der rechten Niere, welche sich durch Schwellung und
Druckschmerz der rechten Nierengegend und mehrtägiger Gehalt
des Harnes au roten Bhatkörperchen und Nierenbestandteilen zu
erkennen gab. Trotz der Schwere der Verletzung heilte sie glatt
aus. Der alte Mann ist jetzt bis auf einen mäßigen traumatischen
Gibbus an der Stelle der Wirbelbrüohe gesund. — Der zweite Fall,
ein junger Mann, der im Alter von 19 Jahren steht, stürzte im
Ootober 1903 fünf Stockwerk hoch herab und zog sich dadurch
eine subcutane Quetschung der linken Niere zu. Auch hier erfolgte
in kurzer Zeit reaotionslose Ausheilung. — Nach den statistischen
Zusanamenstellungen von Maass und Küster stellt sich die
Sterblichkeit der subcutanen Nierenquetsohung auf naliezu 50 pCt.,
bei complicivten Fällen, denen der erstgenannte wegen der anderen
Verletzungen und des Allgemeinznstande.'? des Kranken wohl zu-
gerechnet werden kann, sogar auf 90 pCt. Die bisher in der
Breslauer Klinik beobachteten sechs Fälle subcutaner Nioren-
quetschung sind sämtlich ohne weitere Folgen ausgeheilt. — Die
dritte Patientin, 30 Jahre alt, litt seit 1898 an periodisch wieder-
kehrenden, mit Schüttelfrösten, hohem Fieber, Erbrechen, starker
Störung des Allgemeinbefindens einhergehenden Sohmerzanfällen
zunächst in der rechten, bald auch in der linken Nierengegend.
Sie wurde lange Zeit wegen beiderseitiger Pyelitis behandelt,
1. Ahtciluiif!:. Mediciiiisclio Soction. 9H
kam immer weiter herunter, bis es gelang, durch Blenden-Röntgo-
gramme in beiden Nierengegenden fast symmetrische kreisrunde
Schatten zur DarstelUmg zu bringen, dio unzweideutig Steinen im
Nierenbecken entsprachen. (Demonstration.) Die nunmehr in-
dicirte Operation — Nephrotomie mit Sectionsschnitt, Entnahme
jo eines walnußgroßen Pjiospbatsteines (Deuionstration) aus dem
Nioronbeokcn und AuBspülung desselben, Naht der Niere bis auf
einen in's Becken führenden Drainkanal — wurde von Herrn
Geheimrat von Mikulicz am 9. III. links, am 16. VI. rechts
ausgeführt. Sie sehen hier rechts den Pistelkanal bereits ge-
schlossen, links — wo die Niere laut Cystoskople und Krjo-
skopie stärker angegriffen war — , noch einen dünnen, kurzen
Fistelgang, der keinen Urin mehr entleert und sich höchst wahr-
scheinlich auch bald schließen wird. Die Kranke hat sich gut
erholt, ist jetzt lieber- und schmerzfrei und wird nach Heilung
dos noch bestehenden Blasenkatarrhs in Bälde gesund dio Klinik
verlassen.
Klinischer Abend vom 15. Juli 1904.
Vorsitzender; Herr v. Strümpell.
Herr Paul stellt in Vertretung von Herrn Heine einige
Patienten mit excessiver Myopie vor, welche sehr schön dio
Weis 'sehen Schatten erkennen lassen. Die Indicationen der
Linsenentfernung untl die Prognose des Verfahrens wird be-
sprochen.
Herr llenle: Bin Fall von Aiiroi^ole colli.
Die an der rechten Halsseite gelegene Geschwulst war bei
einem älteren Mann im Verlauf von 10 Jahren allmählich ent-
standen. Sie reichte nach oben unter den Kiefervvinkel, nach
hinten an den Kopfnioker, endete unten vier Finger oberhalb
des Schlüsselbeins, vorne zwei Finger von der Mittellinie. Haut
über ihr intaot. Der Tumor bildet auch an der seitlichen Pharynx-
wand eine Vorwölbung und läßt sich dort palpiren, besonders
wenn man ihn von außen entgegendräugt, Kehlkopf befund ganz
normal. Patient konnte dio Geschwulst durch massirende Ma-
növer zum Verschwinden bringen, wobei ein lautes quakendes
Geräusch entstand. Im Verlauf von Stunden trat die Schwellung
wieder ein. Besonders groß war sie nach der Nachtruhe. Per-
cussionssohalldes gefüllton Tumors tyrapanitisch. Auch während der
Expression war laryngoskopisoh gar nichts wahrzunehmen. Es
7*
100 Jahresbei'icht der Sohles. Oesellgchaft für vaterl. Oultur.
handelte sich offenbar um einen mit den Luftwegen communi-
cirenden und sich mit Luft füllenden Hohlraum, eine Aerocele.
Die Commuuioation derselben mit den Luftwegen mußte sehr
klein sein. Dafür sprach, daß zur Entleerung und noch mehr
zur Wiederfüllung eine relativ lange Zeit nötig war. Einige
Male hatte sich der Ausgang verlegt. Dann wurde die Schwellung
noch größer und gleichzeitig traten Beschwerden beim Schlucken
und in geringerem Grade auch beim Atmen ein. Subjective
Störungen sonst geringfügig.
Am 14. Juni Exatirpation. Der Tumor ließ sich leiclit aus-
schälen. Gerade an dem Operationstage gelang die Expression
nicht. Um mit einem kürzeren Hautschnitt auszukommen, wird
der Tumor durch Incision verkleinert, wobei sich nur Luft ent-
leert. Bei der Ausschälung ist der Verbindungsgang nach dem
Kehlkopf durchrissen und nachher nicht mehr zu finden. Die
Gegend, in der er lag, läßt sich aus feineu Luftblasen eruireu,
die in Kochsalzlösung aufsteigen, mit der die Wundhöhle ge-
füllt wurde. Dieselben kommen von der Grenze zwischen Scliild-
und ßingknorpel. Das Suchen wird alsbald aufgegeben, da es
für die Heilung vermutlich irrelevant ist. Ein Drain. Naht.
Die Wand des Sackes ist papierdunn. Seine innere Oberfläche
bildet ein flaches, nicht flimmerndes Epithel. In der Nacht nach
der Operation hat Patient das Gefühl, daß beim Atmen und be-
sonders beim Husten Luft durch die Wunde entweicht, daini
nicht mehr. Heilung ungestört.
Mamlok hat 18 Fälle von Aerocele zusammengestellt, von
denen aber nur drei mit dem vorgestellten nahe verwandt sind.
Nicht hierher gehören die medianen Laryngocelen, ebenso wenig
die durch Aufblähung des Ventrikelblindsackes entstehende
Aerocele ventricularis, bei der sich immer ein intralaryngeal ge-
legener Luftsaok findet, der evont. mit einem extralaryngealen
communicirt. Es handelte sich hier um eine subglottische Aerocele,
von der wie gesagt drei Fälle bekannt sind. Der Vorgestellte
zeichnet sich aus durch die Größe des Tumors und durch die enge
Communioation zwischen Sack und Kehlkopf.
D i s c u 8 8 i o n :
Herr Karpel: Ich möchte den Herrn Vortragenden darüber
um Auskunft bitten, was er von der Möglichkeit oder Wahr-
scheinlichkeit eines ßeoidivs hält. Nach seiner Angabe be-
stand eine Verbindung der Geschwulst mit dem Kehlkopfinnern.
Es ist nicht gelungen den freien Gang zu sondiren. Der Gang
T. Abl:oiliiny. Mediciiüsclie Scction. 101
ist aber noch vorhanden. Ist es nun nicht möglich, daß durch
diesen feinen Kanal vom Kehlkopf aus Luft in das lockere Binde-
gewebe am Halse dringt und dadurch ein Eecidiv hervorruft?
Herr Uonle: Nach Analogie anderer Heilungsvorgänge an
den Luftwegen glaube ich, daß auch hier der Erfolg ein durchaus
sicherer ist. Eine Laxyngofissur schließt sich ebenso wie eine
Tracheotomiewunde ohne jede Naht von selber. Ganz analoge
Verhältnisse haben wir hier nach Abreißuug des Ganges unmittel-
bar am Kehlkopf, Daß der Verschluß eingetreten ist , dafür
spricht auch das schnelle Aufhören des Luftaustritts.
Ich liabe absichtlich die Genese dieser Tumoren nicht be-
sprochen, weil sie strittig ist. Am wahrsohehilichsten ist es
wohl für die subglottischen, daß os sich um oongenitale Bildungen
handelt, die sich durch den in ihnen lierrsohenden Druck all-
mählich weiten. Da ein Sack sicher nicht zurückgeblieben ist,
scheint mir auch die Gefahr eines Recidivs nicht vorlianden.
Herr Paul Krause: I. lieber tlierapcwtische Versuche bei
Kranken mit Leukämie und Pseudoloukämie durch Be-
strahlung mit Röntgenstrahlen.
Der Vortragende wurde durch die Arbeiten von Senn,
Bryant, ßrangor (American Medical Record), durch die Mit-
teilungen von Ahrons und Krooke (Münchner med. Wochen-
schrift) veranlaßt, auch seinerseits bei Leukämie- und Pseudo-
leukämiekranken die Röntgenbehandlung zu versuchen. Die in-
zwischen publioirten Versuche Heineckes schienen den Angaben
der oben genannten Autoreu eine gewisse experimentelle Grund-
lage gegeben zu haben, so daß ein solcher Versuch in jeglicher
Weise heutzutage seine Berechtigung liat. Naoli kurzen tecl\-
nischon Mitteilungen beriolitet der Vortragende, daß er bisher
zwei Eälle von Pseudoleukämie' und drei Eälle von Leukämie mit
Röntgenstrahlen behandelt habe.
1. JTall. Fat. R. , 30 Jahre alt, faustgroßes Drüsenpaket
pseudoleukämischen Ursprungs unter der rechten Achselhöhle.
Blutbefund normal. Der Kranke wurde 570 Minuten mit einer
liarten Röhre bestrahlt. Das Drüsenpaket, vor allem das peri-
glanduläre Gewebe erweichte sich, es trat eine Verkleinerung
mäßigen Grades ein. Das Allgemeinbefinden war ein gutes.
2. Fall. Pat. P, , 36 Jahre alt, Diagnose: lienale Pseudo-
leukämie. Die Milzgegend wurde im Ganzen 465 Minuten be-
strahlt. Subjeotiv große Besserung. Objeotiv konnte keine Ver-
kleinerung der Milz constatirt werden.
102 Jahreslienriit flor Soliles. Oow.llFoiiafl, liir valorl. Oiiltur.
3. Fall. Pttt. St., S7 Jahre alt, DiaguoBe: myelogene Lcju-
kämie. Die Milz und die laugen Eöhrenknoclien wurden im
Ganzen 570 Minuten lang bestrahlt. Die Leukocytenzahlen be-
trugen: Am 17. V. 156000, am 4. VI, 2G000, 13. VI. 24000,
20. VI. 29000, 26. VI. 31000. Die Erytlirocytenzahl stieg von
2,4 auf 3,2 Millionen. Das Allgemeinbefinden besserte sich sehr.
Ohjeotiv konnte eine Verkleinerung der Milz nicht constatirt
werden.
4. Fall. Fat. W., 31 Jahre alt, Diagnose: myelogene Leu-
kämie; bisher wurden im Ganzen 565 Minuten die Gegend der
Milz, des Sternums, der Oberschenkel, Unterschenkel, Unterarme
bestrahlt. Wegen eines aufgetretenen leichten Erythems (nach
340 Minuten) wurde von einer weiteren Bestrahlung der Milz
Abstand genommen. Leukocytenzahlen: am 21. III. 1904 243000,
bei der Wiederaufnahme am 13. VI. 281600, am 19. VI. 285800,
am 25. VI. 340000, am 2. VII. 240000, am 15. VII. 120000. Die
Erythrocyteuzahl hob sich von 1,5 auf 2,3 Millionen. Das All-
gemeinbefinden war in den letzten Wochen ein ungestörtes. Eine
objeotive Verkleinerung der Milz konnte bisher nicht constatirt
werden.
5. Fall. Patientin B. , 22 Jahre alt, Diagnose: myelogene
Leukämie. Die Kranke wurde bisher 585 Minuten bestrahlt
(Milz und Röhrenknochen).
Wegen eines leichten Erytlioms der Bauchdeckon wird von
einer weiteren Bestrahlung der Milzdecken vorläufig Abstand ge-
nommen.
Die Leukocytenzahlen betrugen am 28. V. 1904 220000, am
11. VI. 166400, am 19. VI. 100000, am 24. VI, 90000, am 28. VI.
80000, am 2. VII. 90000, am 4. VII. 105000.
Das Allgemeinbefinden hat sich gebessert; in den ersten
Tagen der Behandlung trat ein starkes palpatoriach nachweis-
bares Reiben über der Milzgegend auf.
Ueber den weitereu Verlauf uud die genaueren Befunde soll
an anderer Stelle berichtet werden. Bei der Aussichtslosigkeit
jeglicher anderer Therapie der Leukämie uud Pseudoleukämie
scheinen weitere Versuche mit Röntgentherapie angezeigt.
IL Demoiistrallosi voa ßöalgeiäbiSdern:
a. Röntgenbilder von arteriosklerotischen Arterien:
Es werden eine Serie von Röntgenbildern domoustrirt, auf welchen
die Ai'teriae radiales, ulnares, brachiales, zum Teil in ihrer ganzen
Ausdehnung als doppelt oonturirte breite Schatten in einwand-
r. Abtoüiiiig, Mediciiiische Soctiun. 103
freier Weise zur Darstellung gebracht sind; auf mehreren Bildern
ist auch die Arteria tibialis postioa, die Arteria pediaea gut
sichtbar.
Der Vortragende giebt im Anschluß au die Demonstration
eine kurze Uebersicht über die röntgograph Ischen Beobachtungen
au arteriosklerotischen Gefällen.
b. Röntgenbild eines Seropneumothorax nebst Be-
merkungen über die Diagnose des Pneumothorax durch
Röntgenstrahlen.
An dem demonstrirtöu Bilde sieht man die horizontale
Sohattenliuie des Exsudats scharf sich abheben vou dem leicht
für Röntgenstrahlen durehsichtigen Pneumothorax. In dem
medialen Teil ist ein uudurchsichtiger Schatten in Form eines
großen Zapfens zu sehen (comprimirte und infiltrirte Lunge).
Bei der Durchleuchtung wurde außerdem noch folgende
Phänomene constatirt: 1. eine feine undulatorische Bewegung der
oberen Schattenlinie verursacht durch die Herzschläge; 2. eine
großwellige Bewegung derselben Schattenlinie bei Hin- und Her-
bewegung des Kranken, „sichtbare Succussio Hippokratis"; 3. ein
geringes Höhertreteu der Exsudatgrenze bei tiefster Exspiration.
Das Herz war stark nach rechts gedrängt.
Die Section ergab die Richtigkeit der Deutung dieser Be-
funde.
Der Vortragende erwähnt, daß er bei drei weitereu Fällen
vou Sero- resp. Pyopnoumothorax ähnliche Beobachtungen ge-
macht habe.
III. Deraonstrattüu eines vor kurzem abgetriebenen Bo-
thriocophahäs latsis, dessen Träger den lebenden AVurm nach-
weislich mehr als ein Jahr beherbergt hatte, ohne irgend welche
Krankheitssymptome zu zeigen; vor allem zeigte eine genaue
Untersuchung des Blutes durchaus normale Verhältnisse.
Unter 75 in den letzten Jahren in der medioinischon Klinik
abgetriebenen Bandwürmern finden sich 43 Fälle bei Vi^eibern,
32 bei Männern; in allen Fällen handelte es sicli um Taenia
sagiuata. In den letzten 12 Jahren wurden, soweit aus den
Krankengeschichten ersichtlich, nur zweimal Taenia solium
und einmal Bothriooephalus latus, dessen Trägerin mäßige
Anämie hatte, nachgewiesen.
IV. Demonstration von einer Curvo niislirmonalüehon
Fiebers ohne bekannte llrsaehe.
Da dieser und m_ehrore ähnliclie Fälle an analerer Stelle
104^ Jalireshcriclit der Sclilos. CiescJlscliall für valoil f'iilliir.
publicirt werden, genüge hier der Hinweis, daß durch genaxieste
klinische Untersuchung mit Ausnützung sämtlicher gebräuch-
lichen experimentellen Untersuohungsmethoden eine UrsaQlie für
das nach sieben Monate langer Dauer zum Tode führende Fieber
nicht gefunden werden konnte; auch die sehr genau und sorg-
fältig ausgeführte Seotion brachte keine Klärung.
Herr Söidelmaiir. : 1. Fal! von Dysirophia muscularls.
Es handelt sich um einen 14jährigen Knaben, der angeblich
seit vielen Jahren an Schwäche in den Beinen leidet und seit
etwa drei Jaliren nicht mehr so herumlaufen kann wie früher-
besonders das Treppensteigen und das Aufrichten aus gebückter
Stellung macht ihm Schwierigkeiten. Auch die Arme seien nicht
mehr so kräftig wie früher.
Die Betrachtung des Patienten ergiebt, daß in erster Linie
diejenigen Muskeln von der Atrophie betroffen sind, welche dou
Schulter- und den Beckengürtel umgeben. Die Schulterblätter
können nicht genügend fixirt werden, beim Versuch, den Jungen
unter den Schultern emporzuheben, gehen diese mit in die Höhe
(sogen, „lose Schultern"). Die Oberarramusculatur ist beiderseits
nur wenig, die Vorderarm- und kleinen Hand- und Mngermuskelu
sind gar nicht betroffen. Von den Beckoumuskeln sind haupt-
sächlich die Glutaei befallen, wodurch die Streckung im Hüft-
gelenk unmöglich gemacht wird; daher erklärt sich die Unfähig-
keit, Treppen zu steigen. Auch die Ein- und Auswärtsroller der
Oberschenkel, sowie der M. quadrioeps und die Adduotoren sind
in ihren Functionen geschwächt, während die Unterschenkel- und
Fußmuskeln wieder intact sind.
Characteristisch ist die Lordose der Lendeuwirbelsäule, die
auch durch die Schwäche derjenigen MuakeLi bedingt ist, die
die Streckung im Hüftgelenke besorgen. Der Gang ist infolge
der ungenügenden Fixation des Beckens watschelad. Typisch ist
endlich das Aufrichten des Körpers aus der Rückenlage: der
Patient wälzt sich zunächst auf den Baucli, sucht darauf in kniende
Stellung zu gelangen, stützt sich dann mit den Händen auf die
Knie und klettert gewisserraaikn an seinen eigenen Beineu empor,
um sohlicßlicli mit einem Ruck den Oberkörper vollends auf-
zurichten.
Die Sensibilität ist alleuthalbeti lutaot, die Sehnenrellexe sind
ziemlich schwaoli, es bestehen keine fibrilläreri Zuckungen in den
atrophischen Muskeln, es findet sich keine Entartungsreaction,
sondern lediglicli eine quantitative Herabsetzung der electrischen
Erregbarkeit.
{. Abtoilunn;. Mcdiciiiisolio Sektion. 105
Bemerkt sei noch, daß die Gesiohtsmusculatur nicht ergriffen
ist, und daLi auch hinsichtlich der hereditären Vorhäitnisse niclits
zu eruireu war.
Eine sogen. Pseudoliypertrophie der Musculatur ist nirgends
nachweisbar.
Es ist der Fall ein klassisciios Beispiel für die uij'opathische
Form der infantilen progressiven Muskelatrophie ohne Beteiligung
der Gesiohtsmusculatur und ohne deutliche Pseudohypertrophie.
2. Fall von Chorea hereditnria (Hiniüngton'sclse Chorea).
Der Patient, ein 43 jähriger Schuhmacher, leidet seit etwa
6 — 7 Jahren an allmählich eutstaudener, allgemeiner körperlicher
Unruhe, die sich in ungewollten, ungeordneten und zwecklosen
Bewegungen der Arme und Beine äußert; auch die Gesiohts-
musculatur, der Kopf und in geringem Grade auch der Rumpf
sind betroffen. Seit l^/j Jahren hat die Krankheit an Intensität
zugenommen, so daß Pat. seiner Beschäftigung nicht mehr nach-
gehen kann. Bei körperlicher Ruhe lassen die Bewegungen nach,
im Schlaf sistireu sie gänzlich, bei Aufregungen und auch bei
längerer Beobachtung werden sie stärker. In psychischer Be-
ziehung finden sich bis jetzt noch keine Alterationen, wenngleich
der Pat. behauptet, daß sein Gedächtnis in der letzten Zeit nach-
gelassen hat.
In hervorragendem Maße ist bei dem Pat. das für die Chorea
chronica progressiva characteristische Moment der Heredität aus-
geprägt: sein Großvater, sein Vater, der Bruder des Vaters und
ein Bruder von ihm selbst haben viele Jahre hindurch an der-
selben Krankheit bis zu ihrem Lebensende gelitten!
Herr v. Striimpüll zeigt einen Krankeji mit reclitsscitiger
Hemiplegie, bei dem das sog. Tibialisphänotneu in besonders
starker Weise vorhanden ist. Es bespricht kurz die Bedeutung
dieser namentlich in theoretischer Hinsicht beachtenswerten Er-
scheinung.
Herr Müller: Fall von Tabes dorsalis rait chronischem
Morphinismus bei einem 41 Jahre alten Patienten. Beginn der
Erkrankung vor sechs Jahren, ungefähr ein Decennium nach der
syphilitischen Infeotion mit lancinirenden Schmerzen in den ünter-
extremitäten und gastrischen Krisen. Wegen der quälenden
Initialsymptome zunehmender Morphiumuiißbrauch; im Gefolge
der stetigen Injeotionen multiple Abscesse namentlich an Bruat-
nnd Bauohhaut sowie an der Vorderseite beider Oberschenkel.
Erfolgreiclie Entziehungskur. Kurze Besprechung der Therapie.
lüö Jalircshericlit dor Sclilcs. GosellBoluift für vaterl, Culliir.
Herr K. Ziegler &teilt einBii Eali von typischer alkoholischer
Polyneuritis bei einer 34 jährigen Gastwirtsfrau vor. Die Krank-
heit hatte mit starken Schmerzen und Parästhesien in den
Beineu und psychischen Störungen begonnen, bestand seit drei
Monaten und zeichnete sich durch periphere Lähmungen im Ge-
biete dor Nervi peronei, tibiales, radiales, mediani und ulnares
mit completer Entartuugareactiou aus.
Herr Sandberg jr.: Demonstration von zwei pathologisuh-
smatomischen Präparaten. Dieselben stammen von einer 39 jährigen
Frau, welche am 9. VI. 1904 in die medicinisohe Klinik auf-
genommen wurde und am 29. VI. 1904 daselbst gestorben ist.
Das eine Präparat zeigt einen typischen reitenden Embolus,
der auf dor Teilnnc;3SLcllo dor Aort:'. doscendens reitet, beiderseits
ein Stück weit in uio Iliacae liiiioinreicht, und sich dann weiter
in die Femorales und Hypcgastriciie in Geatalt von roten Thromben
fortsetzt. Mit der Wand der rechten Iliaca ist der Thrombus
im oberen Teil verwachsen.
Das andere Präparat ist die rechte Niere, welche durch
zahlreiche anämische Infarote hochgradig verändert ist. Die
Arteria renalis iat durch einen Embolus verstopft.
Der Ausgangrpuiikt beider Embolien ist ein großer wand-
ständiger Thi'ombus im liidieu Herüohr.
Am Herzen beatiind eine Mitralstenose und eine schwere
Myooarditis.
Der kludsühe Verlauf gestattete eine fast sichere Diagnose:
Patientin hat früher zweimal Gelenkrheumatismus durch-
gemacht. Im Anschluß an den zweiten Gelenkrheumatismus hat
sich ein Herzfehler entwickelt.
Wegen erheblicher Compensationsstoruugen suchte Patientin
die Aufnahme in die Klinik nach. Am IG. VI. 1904 klagte die
Patientin über einen plötzlich auftretenden Schmerz in beiden
Beinen. Die Beine waren eiskalt. Schon die bloße Berührung
der Beine war sehr schmerzhaft. Dabei Vertaubungsgofühl.
Crural- und Eußpulso fehlten beiderseits und waren bis zum
Tode nicht melir zu fühlen.
Im Laufe der nächsten Tage wechselte die Temperatur der
unteren Extremitäten etwas. Symptome einer beginnenden Gangrän
waren nicht vorhanden. Es war ohne Zweifel der Verschluß ein
nicht ganz vollständiger, und ein wenn auch geringer Blut-
zufluß zu den unteren Extremitäten möglich. Fünf Tage vor
dem Tode gesellten sich plötzlich heftige Schmerzen in der
rechten Nierengegond hinzu, am nächsten Tag auch in dor linken
I. Abteilung, fiiedicini.sche Soctidii. 107
Nierengegend. Die Urinmenge, die bis zu diesen letzten Sohmerz-
anfallen nicht auffallend vermindert war, verringerte sich jetzt
von Tag zu Tag. Der Urin enthielt große Mengen Eiweiß, Blut
und zahlreiche hyaline und grauulirte Cylinder. Die linke Niere
zeigte sich bei der Autopsie, wenn auch in geringerem Grade
als die rechte, durch anämische Infarcte verändert.
Sitzung vom 28. October lOOl.
Tagesordnung:
Herr Fossfik und Herr von StrümpelS: Worte tlivs- Er-
iiuicrnng an Cnri Weigert.
I. Rede des Herrn Gehcimrat Professor Ponfiek.
Hochgeehrte Herren !
In den Augusttagen dieses Jahrea drang, allen unerwartet,
die Trauerkunde an unser Ohr, daß das hochgeschätzte Ehren-
mitglied dieser Clesellechaft, daß Carl Weigert plötzlich aus
dem Leben geschieden ist.
Scheinbar in voller Gesundheit war er, inmitten der gewohnten
stillen Arbeit, der Wissenschaft und den Seinigen entrissen worden.
Nach einem im nächsten Freundeskreise harmlos und heiter ver-
lebten Abende hatte man ihn am folgenden Morgen tot im Bette
gefunden: ein Entschlafen, wie es die Götter nur ihren Lieblingen
EU gewähren pflegen! —
Zwar war in Prankfurt a. M., der Stadt, welcher seine au
wissenschaftlichen Erfolgen so reiche Wirksamkeit 20 Jahre hin-
durch angehört hat, die Teilnahme für den v/eithiu anerkannten
Forscher, den allgemein geschätzten und geliebten Menschen so
umfassend und so lebendig, daß sie sich in selten großartigem
Maße bethätigte.
Siolierlicli nicht minder tief war und ist aber die Trauer in
derjenigen Stadt, wo er nicht nur seine Universitätszoit verlebt,
sondern wo er auch seine besten Lebensjahre zugebracht hat, wo
er die Grundlagen legte zu der fruchtbaren Entwicklung der fol-
genden Jahrzehnte.
Und war diese Zeit des Eintrittes und der zunehmenden
Vertiefung in dasjenige Fach, welches er alsdann zu seinem
Lebensberufe erwählte, nicht insofern doppelt bedeutsam, als
gerade damals die neue Wissenschaft der pathologischen Anatomie
eben erst Leben und Gestalt gewann?
108 Jalire.'iiwricilt der Schlos. Gesolls^chaft für vatorl. OulUir.
So spiegelt uns denn die Thatsache, daß Weigert naoli-
einaiider als Asaisteiit von Leben, Waldeyer und Cohnheim
fungirt hat, in den Namen dieser drei in sich so verschieden-
artigen Männer die weoheelvoUe Reihe aller der an Mühen reichen
Phasen wieder, welche der Entwicklungsgang der jungen Disoiplin
zu durchlaufen hatte. Zugleich sagt sie uns aber, daß jeder
dieser drei Förderer der neuen, die Pathologie umgestaltenden
Richtung eifrig darauf bedacht war, sich die Unterstützung eines
80 begabten Mitarbeiters zu sichern, eines Mauues, dessen Sach-
kenntnis und Tüchtigkeit nur übertroffen wurde von seiner Hin-
gebung für die gemeinsame große Aufgabe.
In der That ward sein Verhältnis zu dem letzten der drei
Genannten, zu Julius Cohnheim, mit der Zeit ein so enges, das
Band, das ihn mit diesem geistvollen Forscher verknüpfte, ein so
unzerreißbares, daß es mit den Breslauer Jahren (1873 — 1878)
keineswegs seinen Abschluß fand. Vielmehr begleitete er den
bald zum Freunde gewordenen Meister auch nach Leipzig, um
an seiner Seite eine immer umfassendere Lehr- und Forsoher-
thätigkeit zu entfalten. Vollends als sich bei jenem immer
ernstere Zeichen des Leidens kundgaben, welchem seine kräftige
Constitution vor der Zeit erliegen sollte, übernahm er mehr und
mehr die gesamte Vertretung bis über Cohnheims 1884 erfolgten
Tod hinaus.
Von jenem Jahre ab bis vor wenigen Wochen hat er dann
in Frankfurt a. M. als Forscher gewirkt an jener weithin bekannten
Stätte naturwissenschaftlich -medicinischer Forschung, die der
Gemeinsinn eines einfachen Bürgers, des uns schon aus „Wahrheit
und Dichtung" vertrauten Arztes Johann Senckenberg ge-
stiftet hatte und deren Ansehen die folgenden Geschlechter immer
mehr zu steigern gewußt haben.
Hier entstand jene lange Reihe von Arbeiten, in denen uns
Weigert, ein Meister der histologischen Methodik, die Mittel
an die Hand gegeben hat, um bestimmte Gewebsbestandtoile,
deren Anwesenheit im Einzelfalle oft genug ungewiß, ja mannig-
fach bestritten hatte bleiben müssen, rasch und sicher zu erkennen.
Hiermit fuhr er freilich nur fort in einer Arbeitsriohtung, dem
Studium der specifischeu Tinctionsfähigkeiten, in welcher
er bereits lange zuvor, beinahe noch Anfänger, große Erfolge
erzielt hatte. War es ihm doch schon 1871 gelungen, auf dem
Wege der Färbung Baoterien als solche kenntlich zu machen,
wonige Jahre danach sogar, sie auch im Schnittpräparate so dout-
I. A.bteilinig. Modiciiusclie Sectiuii. 109
Höh gegenüber den sie umgobeudeii Elementen herauszuheben,
(lau sie sich unschwer von ihnen unterscheiden ließen (1876).
Welchen Nutzen die neue, eben dararils auftauchende Wissen-
schaft der Bacteriologie von diesem folgenschweren Fortschritte
gezogen hat, das lag bald klar vor aller Augen. Das hat denn
anoh kein Geringerer als Robert Kooh selber ausdrücklich an-
erkannt.
Allein erst die Uebertragung ähnlicher Principieu auf die
mannigfachsten anderen Gewebsbestandteile zeigte auch dem Kreise
der engeren Fachgenossen, wie wertvolle Ergebnisse sich bei
consequentem Verfolgen der von Weigert eingeschlagenen Bahn
erlangen ließen. Die Fruclit dieser äußerst mühevollen Unter-
suchungen war das Auffinden einer einfachen Methode zur Färbung
des Aohsenoylinders (1882) und einer eben solchen für die Mark-
scheiden der Nerven (1884).
Die lange erstiebte Ergänzung beider, die er jedoch, wegen
der Sprödigkeit des zu behandelnden Substrates, erst viel später
erreichte, ist verkörpert in seinem letzton großen Werke, den
„Beiträgen zur Kenntnis der normalen menschlichen
Neuroglia" (1896). Der Umstand, daß er diese Abhandlung
dem Frankfurter ärztlichen Vereine zu dessen SOjährigem
Jubiläum gewidmet hat, ist zugleich ein sprechendes Zeugnis für
die nahen Beziehungen, in welchen er zu der dortigen Aerzto-
sohaft stand als deren eifrig gesuchter Lehrer und Berater.
Indem er darin alle künftigen Bearbeiter eines so schwierigen
Objectes, wie der Neuroglia, eine für diese charaoteristische
Färbung lehrte, schuf er die Vorbedingung nicht blos für ein
gesiclierteres Verständnis von deren normalem Baue, sondern auch
von einer Fülle pathologischer Processe,
Inzwischen aber hatte er vormöge des Scharfsinnes, der un-
ermüdlichen Ausdauer, womit er es verstand, ein einmal gestocktes
Ziel — allen im Stoffe gelegeneu Hindernissen zum Trotz —
dennoch z\i erreichen, eine Methode entdeckt, um Fibrin kenntlich
zu machen (1887), der 1898 eine solche für den Nachweis von
Elastin folgte: Errungenschaften, die sehr mit Unrecht da und
dort als lediglich technische bewertet worden sind. Gewährten
doch erst sie die Möglichkeit, eine Reihe allgemein-pathologischer
Fragen der Entscheidung zuzuführen, au der nicht am wenigsten
er selber sich lebhaft beteiligt hat. Zogen ihn doch gerade solche
in besonderem Maße an, fand er doch auch dabei vielfach Ge-
legenheit, fruchtbare neue Wege einzuschlagen.
Ich erinnere nur an seine erste größere Abhandlung, die
no Jiilmisbaviolit der Sclilos. nosollwchaft für viitoi-I. Cultiiv.
Moiiograplüö über die Pocken (1874), weiterhin an die ver-
schiedenen Arbeiten, in denen er, ausgehend von dem Stadium
des Croup und der Diphtlierie, die Lehre von der Coagulatious-
necrose begründete. Er zeigte nämlich, daß derjenige Vorgang,
welcher die mannigfachen Erscheinungsforraen des örtlichen Todes
einleitet, auf einer Gerinnung beruhe, die sich unter dem Ein-
flüsse plasmatischor Saftatröme innerhalb des Zellproptoplasmas
vollzieht.
Von großem, zugleich praktisoh-klinisohem Interesse war sodann
die 1SV9 herausgegebene Abhandlung „lieber die Bright'solvo
Nierenkrankhoit vom pathologisch-anatomischen Stand-
punkte". Denn sie räumte nicht nur auf mit mancher Unklar-
heit, manchem inneren Widerspruche der bis dahin herrschenden
Anschauungen. Sondern es wohnte ihr auch eine erhebliche
Tragweite inne für die gesamte Entzündungslehre. Denn gestützt
auf die an der Niere erhobenen Befunde sah er sich gedrungen,
als Ursache und Ausgangspunkt jeder Entzündung die „Zell-
sohädigung" liinzustellen anstatt der bis dahin in den Vorder-
grund gerückten „Zellreizung".
Wie großen Wert er darauf legte, diesem Gedanken eine
immer weitere Verbreitung zu verschaffen, das geht klar hervor
aus der Thatsache, daß er für Beinen auf der Frankfurter Natur-
forsoherversammlung gehaltenen Vortrag eben dieses Thema ge-
wählt hat. Hier, in den „Neuen Fragestellungen in der
pathologischen Anatomie" war er bomülifc, die allgemeine
Giltigkeit der erwähnten Atiffassung darzuthun und ihr zugleich
eine noch bestimmtere Fassung zu geben.
Unstreitig noch universelleres Interesse erweckten seine
Untersuchungen über die Verbreitungaw eise der
Tuberculose. Führten sie ihn doch dazu, die getrennten oder
zerstreuten Erscheinungen, aus denen sich die Pathogenese der
acuten Miliartubercidose zusammensetzt, mittels neuer bedeut-
samer Zwisohongiieder z;i einer fortlaufenden Kette zusammen-
zuschließen. Es gesoliah da,s in der Abhandlung „Uebor Venon-
tuberculoso und ihre Beziehung zur tuberculösen Blut-
infection".
Wie Sie alle wissen, hochgeehrte Herren, ist dieses bislang
fohlende Glied diejenige Stelle des Gefäßsystems, wo der tuber-
culose Herd die ihm benachbarte Wand einer Vene, oft genitg
einer recht ansehnlichen, durchbricht, wo er hiermit freie Bahn
schafft für die Fortschwemmung des in ihm angesammelten
Virus in die allgemeine Säftemasse.
r. Abtoiluiig. Medicinisoho Soctinn. 111
Insofern lauser hochgesoViätztes Ehreninitgiied den ersten
Gedanken, welcher ihn allmählich zu dem soeben bezeichneten
Ziele leitete, nicht nur hier in Breslau gefaßt, sondern auch die
erste kurze Mitteilung darüber in unserer CTesellsohaft gemacht
liat, glaube ich, meine flüchtige Skizze seines wissenschaftlichen
Lebensganges nicht besser beschließen zu köimen, als indem ich
der bedeutsamen Bereicherung gedenke, welche unsere Einsiciht
in die häufigste und wichtigste aller den Arzt beschäftigenden
Krankheiten durch ihm gewonnen hat.
Meine Herren! Der Mehrzahl von Ihnen allen war Carl
Weigert auch als Mensch wohlbekannt und teuer. Vielen von
Ihnen hat er auch persönlich nahe gestanden. Denn ein treuer
Sohn seiner schlesischen Heimat empfand er stets ein inneres,
weder durch Raum noch Zeit jemals zu minderndes Bedürfnis,
ihr und den in ihr wirkenden Männern geistig nahe zu Ijleiben.
Eben dieser Gesinnung hat er selber einen schönen, aller
Herzen erhebenden Ausdruck verliehen in jenen „letzten Worten",
die er vor noch nicht Jahresfrist uns Allen, hier in der Aula
Leopoldina, zugerufen hat: „Als langjährigem einstigen Mitgliede
ist es mir eine besondere Freude, Ihnen bei solch festlichem
Anlasse meinen Willkomm zuzurufen.
Denn wo immer Soiilesier auch leben mögen, stets
und überall fühlen wir uns mit dem teueren Boden
unserer Heimat eng verbunden"!
Um zugleich diesem Menschen Weigert den Zoll unserer
Verehrung darzubringen, wollen Sie nun auch Herrn Collegon
von Strümpell eit}ige Worte des Gedenkens gestatten.
IL Rode des Herrn Geheimrat Prof. v. Strümpol].
Meine hochverehrten Herren Coliegen!
Nachdem Sie soeben aus berufenstam Munde einen Abriß
der Lebensgeschichto Carl Weigerts und eine Würdigung seiner
Verdienste auf dem Gebiete pathologischer Forschung gehört
haben, bitte ich Sie nun auch mir zu gestatten, einige Worte
der Erinnerung an meinen verstorbenen Freund und Lehrer
hinzuzufügen.
Als J. Oohnheim im Frühjahr 1877 von Breslau nach Leipzig
übersiedelte, um dort die Professur für allgemeine Pathologie
und pathologische Anatomie zu übernehmen, brachte er von
Breslau seinen ersten Assistenten, den aus diesem Anlaß zum
außerordentlichen Professor ernannten Carl Weigert mit. Der
Eintritt dieser beiden Männer in den raedicinisohen Lehrkörper
Jaliros}jei'icIit der Sdiles. Gesonscliaft, für vatp.rl. Ciiltur.
dor Uuiveinität bedeutete für uns Jüngere — ich selbst war
damals seit 1^2 Jahren Assistent der medioinisclien Klinik —
den Aufarg einer neuen Epoche. Zwar hatten wir auch schon
zuvor ausgezeichnete Männer als Lehrer gehabt. Aber mit Cohn-
heim und Weigert trat mit einem Mal eine Fülle neuer, uns
bis dahin ungewohnter Anschauungen und Ideen in unseren
Gedankenkreis, ganz neue Fragestellungen wurden uns vertraut
und wir empfanden an unserem geringen Teile etwas mit von
der Freude und Lust, auf neuen Bahnen neuen wissenschaft-
lichen Zielen entgegenzustreben. Von unseren bisherigen Lehrern
war Wunderlich ein Meister der klinischen Symptomatologie
nnd Krankeubeobachtung gewesen, Wagner ein vortrefflicher
pathologischer Anatom, der die vorkommenden krankhaften ana-
tomischen Veränderungen genau beschrieb und einteilte. Mit
Cohnheim und Weigert traten aber zum ersten Male die Fragen
der Aetiologie, das Forschen nach den Ursachen der Krankheits-
erscheinungen , nach der Art ihres Entstehens und ihrer Auf-
einanderfolge durchaus in den Vordergrund des Interesses. Wir
befanden uns damals sozusagen im Prodromalstadium der Lehre
von den Infeotionskrankheiten. Noch waren die Tuberkelbacillen
nicht entdeckt, aber niemand im Cohnheim'sohenlnstitut zweifelte
im Geringsten an der infectiijsen Natur der Tuberculoae und
gerade an dieser so häufigen Krankheit konnten die Aufgaben
der pathogenetischen Forschung am besten gelehrt und studirt
werden. In jedem Falle tuberculöser Erkrankung wurden die
Fragen nach der Eingangspforte des Virus und nach den Wegen
seiner weiteren Ausbreitung im Körper genau erörtert. — Fragen,
an die man bis dahin kaum gedacht hatte. Ich erinnere mich
noch jetzt ganz genau, wie mir Weigert zum ersten Male mit-
teilte, daß die gewöhnliche, sogen, primftre exsudative Pleuritis
fast ausnahmslos eine tuberoulüse Erkrankung sei und wie wir
klinischen Assistenten nun alsbald in jedem eiuKelnen Falle von
pleuritisohem Exsudat die Entstehung der Infoction im Pjinzeluen
nachzuweisen suchten. Wie oft haben wir damals discutirt über
die Entstehungsweise der tuborcidösen Meningitis, der tuber-
culöaen Knochenerkrankungen und vor allem der acuten Miliar-
tuberculose. Mit welcher Spannung und welchem geduldigen
Eifer verfolgten wir bei den Sectionen der an Miliartuberoulose
Verstorbenen das oft so mühsame Suchen nach dem Orte, wo
ein tuberculöser Herd in die venöss Blutbahn eingebrochen war
und von hier aus den ganzen Körper mit tuberculösem Infections-
material überschwemmt hatte. Wie groß war die Freude, wenn
I. Abteilung. Medicinische Soctiori.
die Weigert'sohe Entdeckung der Veneutuberculose wieder ein-
mal eine neue Bestätigung erhielt!
üeberhaupt lag das Schöne und Fruchtbare jener Zeit vor
allem in dem gemeinsamen Arbeiten der Klinik und des patho-
logischen Instituts, wie es in dieser Weise gewiß selten wieder-
kehren wird. Freilich waren wir Kliniker mehr die Empfangenden,
als die Gebenden, aber die Anatomen brauchten doch auch oft
genug unsere Angaben zur völligen Aufklärung der einzelneu
Fälle. Der leitende Geist der gemeinsamen Arbeit war Gohn-
heim, aber wir Jüngeren traten natürlich zunächst dem Assistenten
Weigert persönlich näher, als dem Director deslnatitutes. Weig ert
machte die meisten wichtigeren Scctionen und mit ihm wurden die
oin^elnen Fälle immer zuerst eingehend besprochen. Dann aber
kamen zweimal in der Woche die pathologisch -anatomischen
Demonstrationen von Cohnheim. Vor jeder Demonstrations-
stunde war eine bestimmte Zeit festgesetzt, in der Cohnheim
sich das gesamte für die Demonstration vorhandene Material
ansah und die einzehien den Studenten zu demonstrirenden Fälle
auswählte. Bei diesen Vorbesprechungen war Weigert stets
dabei, aber besonders liebte es Cohnheim, wenn auch die be-
treffenden klinischen Assistenten, die Auskunft über den Krank-
heitsverlauf der einzelnen Fälle geben konnten, an den Vor-
besprechungen mit teilnahmen. Dies waren für uns die
lehrreichsten Stunden. In durchaus ungezwungener, aber stets
lehrreicher und äußerst anregender Weisö wurden hier alle
wichtigen allgemein -pathologischen Fragen, zu denen die einzelnen
Fälle Anlaß gaben, erörtert und an dem vorliegenden Material
geprüft. Für Cohnheim und Weigert war das Ergebnis einer
Section niemals ein bloßes gleichzeitiges Nebeneinander der ver-
schiedensten krankhaften Veränderungen in den einzelnen Organen.
Die Aufgabe des Anatomen war erst erfüllt, wenn die Ursaclie
aller Veränderungen, ihre zeitliche Aufeinanderfolge, die Art ihres
Entstehens klargelegt waren. Dies mag heute selbstverständlich
erscheinen. Damals war es aber nicht so. Wenigstens hatten
wir zuvor uns noch niemals so ernstlich bemüht, z. B. in jedem
Falle von scheinbar idiopathischer Herzhypertrophie die möglichen
functionellen Ursachen herauszufinden, die Entstehung der socun-
dären Pneumonien durch Versolilucken oder durch Blutintoxication
(bei der Nephritis) zu erklären, der Ausbreitung der Entzündungen
von einer serösen Haut zur anderen nachzuspüren, die Ursache
der häufigen Combination von Lobercirrhose mit tuberculöser
Peritonitis zu ergründen u. s. w. So lernten wir durch Cohn-
114 Jahrosboricht der Sohlos. Qesellsehafl für vaterl. Oiiltur.
heim und Weigert in dem pathologisch- anatomischen Zustande
der Gewebe immer nur das Ergebnis des pathologischen G-e-
sohehens zu erblicken und unsere Gedanken bei allen Einzel-
heiten immer auf die allgemeinen pathologiBoheu Vorgänge zu
richten. Die Unterordnung der krankhaften Vorgänge in den
einzelnen Organen unter allgemein giltigo pathologische Gesetze
war ein für Weigert besonders charaotGristisohea Bestreben.
Sein Lieblijigsgedanke, gewissermaßen der Grundpfeiler seiner
allgemein- pathologischen Anschauungen, war die Annahme, daß
der Beginn aller exogenen, d. h. auf äußere Ursachen zurück-
zuführenden krankhaften Vorgänge immer zuerst in einer Sohädi-
gung des Gewebes, und zwar des eigentlichen specifischen
Organgewebes bestehe. Also nicht die Reizung, sondern die
Schädigung und der sohließliohe Untergang der Leberzellati,
der Nierenzcllen, des Nervengewebes u. s. w. sei dar primäre
krankhafte Vorgang, an den sich erst seoundär infolge des ge-
störten Gleichgewichts zwischen dem Organgewelio und dorn
Stützgewebe die Wucherung dos letzteren, also die Zunahme dos
Bindegewebes bei der Leber- und Nierenschrurapfung, die Zu-
nahme der Glia bei den nervösen Degenerationen anschließe.
Weigert nannte diese seine Lieblingstheorio im Scherz gewöhnlich
die Sohiwa-Theorie, nach dem indischen Gotto der Zerstörung.
Wie oft genügte das eine mit einem bedeutsamen Blick aus-
gesprochene Wort „Sohiwa", um uns gegenseitig über eine ganze
pathologische Streitfrage zu verständigen. Am eiiigehendsten
durchgeführt hat Weigert die „SchiwaThoorio" bei seiner Dar-
stellung der acuten und olironischen Nepliritis. Ich erinnere mich
eines Semesters aus der damaligen Zeit, wo wir überhaupt fast
ganz in Nierenpathologie aufgingen. Wagner schrieb an der
Bearbeitung des Morbus Brightii für die neue Auflage dos
Ziemssen'sohen Handbuchs, Weigert arbeitete an seinem klassi-
schen Aufsatze über die verschiedenen Formen der chronischen
Nephritis in den Volkmann'schen klinischen Vorträgen, Cohn-
heim interessirto sich vor allem für die allgemein- pathologisch
so überaus wichtige Frage nach den ürsaolien der Herzhyper-
trophie bei den Nierenerkrankungen und wir Assistenten unter-
suchten den ganzen Tag die Nierenkranken und ihre Harn-
sed'iniente. Wie sehr hat aber auch die Nierenpathologie an
Klarheit und Einheitlichkeit durch die Untersuchungen Weigerts
gewonnen !
Die pathologische Histologie und der Unterricht in der mikro-
skopischen Technik ruhten ausschließlich in der Hand We ige rts.
I. Abteilung. Medicitiische Soction.
Cohnheim hatte seine Arbeit fest ausschließlich in das Ex-
perimentiraimmer verlegt, die histologischen Untersuchungen be-
sorgten unter der Anleitung Weigerts die Assistenten. Wer
damals die neuesten und besten histologischen Untersuohungs-
methoden für die kranken Gewebe kennen und anwenden lernen
wollte, mußte zu Weigert in's Leipziger pathologische Institut
kommen. Hier konnte man am besten „Sohneiden" und „Färben"
lernen! Die Anwendung der kernfärbenden Anilinfarbstoffe und
zahlreiche besondere histologische Färbungsmethoden (Färbung
der elastischen Fasern, der Markscheiden, der Neuroglia) ver-
danken wir Weigert. Man hat ihm zuweilen den Vorwurf ge-
macht, er sei zu sehr „Färber" gewesen und habe zu viel Zeit
und Mühe auf die Ausarbeitung der technischen Methoden ver-
wandt. Kein Vorwurf kann ungerechter sein. Denn nie war
die technisoho Methode ihm Selbstzweck, sondern immer nur das
unentbehrliche Mittel zur Lösung bestimmter wissenschaftlicher
Aufgaben. Weigert hat der histologischen Färbeteohnik eigent-
lich erst ihre wissenschaftliche Grundlage gegeben, indem er die
Notwendigkeit der electiven Färbemethoden hervorliob. Li
seiner Hand wurde die Gowebefärbung ein analytisches Hilfsmittel,
der Farbstoff zum chemischen Reagens auf ganz bestimmte Ge-
webearten und Gewohebestand teile. Mit unendlicher Geduld und
Ausdauer arbeitete er an der Vervollkommnung seiner Methoden.
Wenn die Sache nicht gehen wollte, dachte er fast beständig an
neue Versuche und Abänderungen und war dann für nichts anderes
zu haben. Nicht seiton, wenn ich früh in's Listitut kam, geschah
08, daß er, fast ohne zu grüßen, mich gleich mit einem lebhaften
Ausruf: „Jetzt weiß ich's, man muß das Kupfersulfat erwärmt
einwirken lassen" oder dergleichen empfing. Wie viel Fortschritte
verdankt die Pathologie diesen Methoden, deren Anwendung er
stets sofort willig und ohne jede kleinliche Eifersucht auch seinen
Schülern überließ, die dann ohne viel Mühe manoli neuen Fund
machten, den sie eigentlich nur Weigert und seiner Methode
vordankten.
Wie sehr Weigert auch ständig in dem Gedankenkreise
seiner Arbeit und seiner Untersuchungen lebte, so war er doch
nichts weniger, als ein einseitiger Fachgelehrter. Schon sein
stetes Bestreben nach dem Auffinden allgemein giltiger Gesetze
für das pathologische Geschehen führte ihn zu dem Studium der
übrigen biologischen Wissenschaften und so hat er namentlich
die Fortschritte der Entwicklungsgeschichte, der allgemeinen
Zoologie und Botanik stets eifrig verfolgt. Seine histologisch-
116 Jahi-Rsbericlit der Schles. Qesenscliail für vateri. rultiir.
technischen Bestrebungen brachten ihn mit der Chemie in nähere
Beziehung und ich erinnere mich ihn wiederholt getroffen zu
haben über dem eifrigen Stadium eines rein chemischen oder
technisch - chemischen Werkes über die Teerfarbstoffe und ähn-
lichem. Aber auch die "Welt des Schönen war ihm nicht ver-
schlossen. Für Musik hatte er freilich kein sehr empfängliches
Ohr, sein Goethe war ihm a,ber oft ein Herzensgefährte und
auch in der neueren Litteratur war er gut zu Hause. Die vielen
fremdländischen Schüler, die der Ruf des pathologisclien Instituts
nach Leipzig lockte, gaben Anregung zu roancherloi Sprachstudien
und Weigert machte es besonderen Spaß, wenn er den Russen
mit einigen russischen Redensarten empfangen konnte. Besonders
nahe standen ihm einige scandinavische Freunde und Schüler
und so kam es, daß sich Weigert allmählich eine recht weit-
gehende Kenntnis der nordischen Sprachen aneignete. Die Meister-
werke Ibsens und Björnsons las er in norwegischer Sprache. —
Aber auch an einfacherer geistiger Beschäftigung fand er Gefallen
zur Erholung und Abwechselung. Wer ihn am Sonntag Morgen
besuchte, fand ihn wohl oft mit dem Lösen von Räthseln, Rössel-
sprüngen und besonders gern der mathematischen Aufgaben der
Sonntagsnumraer vom „Leipziger Tageblatt" beschäftigt. Wei gert
war durch und durch eine offene, liebenswürdige, fröhliche, mit-
teilsame Natur, die auch an geselliger Kurzweil, an Scherz und
Spiel gern teilnahm. Er hatte etwas kindlich Heiteres in
seinem Wesen und auch manche schwere persönliche Sorge konnte
diesen Grundzug seines Wesens — wenigstens in der damaligen
glücklichen Leipziger Zeit — nicht trüben. Wenn Weigert,
was oft geschah, Abends nach dem Abendessen zu uns Assistenten
in dieKlinik herüberkam, war er stets der Mittelpunkt des allgemeinen
heiteren Gesprächs, erzählte seine — freilich oft schon bekannten,
aber doch immerwiedergern gehörten, woil vorzüglich vorgetragenen
Geschichten, oder ließ sich sogar bewegen, ßauohredekünste und
Gedankenlesen zum besten zu geben. Aber diese Nebendinge
taaten doch ganz zurück gegenüber dem wissenschaftlich fördern-
den Einfluß, den er auf uns ausübte. Mit welcher Begeisterung
wurden all die Entdeckungen der neuen Koch 'sehen bacterio-
logischen Aera aufgenommen und in ihrer Bedeutung besprochen.
Ich erinnere mich genau, wie Weigert einmal noch spät Abends
zu uns in die Klinik kam, und uns voller Erregung die Ent-
deckung des Tuberkelbacillus mitteilte. Niemand war so em-
pfänglich für den Eindruck fremder Größe, wie er, niemand so
neidlos und freudig in der Anerkennung fremder Leistungen.
I. Ahteiliing. Mudioinisolie Sect.ion. 117
Im Sommer 1884 starb Cohnhoim. Die Frage seiner Nach-
folgerschaft besohät'tigto auf's Lebliafteste alle jungen medicini-
sohen Gemüter und natürlich richteten sich die Gedanken in
erster Linie auf Weigert, dessen wisseuBohaftliche Leistungen
ilin unzweifelhaft als würdigen Nachfolger erscheinen ließen.
Aber Weigert mußte die große Enttäuschung erfahren, daß die
Facultät ihn nicht für den erledigten Lehrstuhl vorschlug, der
anderweitig besetzt wurde. Dieser Vorfall wurde damals natürlich
viel besprochen und ist auch jetzt, nach dem Tode Weigerts,
in den Nekrologen wiederholt erörtert worden. Man hat oft aus-
gesprochen, daß die jüdische Confession Weigert« die alleinige
Ursache seiner Uebergehung gewesen sei. So weit ich mir ein
Urteil über die damaligen Vorgänge erlauben darf, ist dies nicht
der Fall. Wie das sächsische Ministerium über die Sache dachte,
weiß ich nicht. Der Leipziger Facultät lag aber, wie ich aus wieder-
holten Gesprächen mit mehreren mir persönlich näher stehenden
damaligen Mitgliedern derselben entnehmen konnte, eine rein
confessionelle Engherzigkeit völlig fern. Die Bedenken gegen
eine etwaige Ernennung Weigerts zum Nachfolger Cohu heims
bezogen sich vielmehr teils auf gewisse persönliche Eigentümlich-
keiten Weigerts, teils auf die Eigenartigkeit seiner Lehr-
begabung. Ich selbst habe vorliin voller Dankbarkeit der reich-
lichen Anregung und wissenschaftlichen Förderung gedacht, die
wir Jüngeren fast alle Weigert schuldeten. Mit Stolz nenne
ich ihn noch jetzt meinen Lehrer. Trotzdem mul3 ich aber
wenigstens bis zu einem gewissen Grade zugeben, daß Weigert
kein guter Lehrer für Anfänger war. Gerade die Selbständig-
keit und Lebhaftigkeit seiner pathologischen Anschauungen machten
ihn für den elementaren Unterricht weniger geeignet, als für die
Unterweisung der bereits fortgeschritteneren älteren Schüler. Er
selbst hat mir gegenüber oft darüber geklagt, wie schwer ihm
die leicht verständliche, übersichtlich angeordnete Darstellung
irgend einer wissenschaftlichen Frage wurde. Wer Weigerts
Arbeiten gelesen hat, weiß, daß sie sich, wie man gewöhnlich
sagt, nicht leicht lesen. Kurz, ich benutze hier gern die
Gelegenheit, um manche Aeußerungen über die damaligen Vor-
gänge in der Leipziger medicinisohen Facultät, so weit meine
eigene Kenntnis reicht, richtig zu stellen. Damit ist aber nicht
ausgeschlossen, daß ich das bittere Gefühl des Unrechts, das
Weigert damals empfinden mußte, vollständig mitempfunden
habe. Dieses Gefühl hat Weigert auch später nie wieder ganz
überwunden. Blieb ihn doch nun die Erreichung des höchsten
118 Jalu-osbericht der Sclilos. Gesellsclial'l für vaterJ. Cultur.
Zieles jedes akademischon Doconten, die Erlangung eines Ordinariats
an einer Hochschule, bis an sein Lebouaeude versagt.
Ein Glück für ilm war es, daß er noch vor dem EintrefTon
des neuen Leipziger Pathologen nach Frankfurt a. M. übersiedeln
konnte, wo ihm am öouckcii borg'sclion Institut eine ötellung
geschaffen wurde, die zwar vielleicht zunächst nicht ganz seinen
persönlichen Wünschen, sicher aber in hohem Grade seiner
persönlichen Sondorart entsprach, üeber die Frankfurter Zeit
Weigorts will ich hier nicht weiter sprechen. Jedermann, der
die Frankfutter Vorhältnisse nur einigermaßen kennt, weiß, welche
allgemeine Verelirung und — wie man wohl sagen kann — welche
allgemeine Liebe sich Weigert in Frankfurt erworben hat,
nicht nur bei den Aerzteu, sondern auch in den besten Kreisen
der Frankfurter Bürgerschaft. Zahlreiche Schüler sammelten sicli
auch hier um den Meister der pathologiach-histologischon Technik
und in seineu alljährlichen Demonstrationsoursen für praktische
Aerzte konnte Weigert in Frankfurt auch eine ihm durchaus
zusagende Lehrthätigkeit fortsetzen. Von größeren wissenschaft-
lichen Arbeiten gehört die Monographie über die Neuroglia ganz
der Frankfurter Zeit an. Ein umfassendes großes Werk über
allgemeine Pathologie, in dem Weigert die Summe sehior Er-
fahrungen und seines Nachdenkens niederlegen wollte, ist leider
inivollendet geblieben. Er hat mit mir oft über den Plan dieses
Buches gesprochen; ich ermunterte ihn immer nicht zv. weit aus-
zuholen, sondern sich mit dem Erreichbaren zu begnügen. Weiger t
wollte aber seine Studien nocli immer mehr vertiefen und erweitern
und so hat ihn schließlich der Tod überrascht, ehe auch nur ein
größerer Teil des Werkes abgeschlossen vollendet war.
Nur zu früh hat ein unerbittliches Scliicksal ihn uns und der
Wissenschaft geraubt. Sein Andenken wird aber in den Herzen
seiner Freunde fortleben, sein Name in der Goschichto der
Pathologie stets mit Ehren genanut werden!
Herr Partsch: Vorstellung eines Falle« von osteoplasti-
scher GauKienrosüction nach Partseh.
Dem liebenswürdigen Entgegonkominon dos Vortragenden
des heutigen Abends, Herrn Professor Tietze, verdanke ich die
Möglichkeit, Ihnen einen Fall vorzustellen, der einen Beitrag zur
operativen Behandhing der Naaenrachentumoren darstellt. Die
Chirurgie hat zur Entfernung dieser vom Schädelgrunde herab-
kummeuden, in Nasen- und ßachenhöhle sich verbreitenden Go-
J. AbtüiUuig. Mudiciuische Hectioii.
sohwülste im WBBüiitliclion Kwei Wege eJDgL-Bclilagen, den faoialon
durch die Gosichtsweichtoile und die Vorderfläohe des Oberkiefers
und (Ion oralen, vom harten und weichen Gaumen her. Der
erstei'e, hauptsäühHuh repräsentirt durch die Langenbeck'sche
oaleoiilastisoheOberkieferreBoclion, ist verknüpft mit umfangreichen
Weichteilschuitteu durch das Gesicht hindurch, die, mag mau
sie noch so schonend anlegen, immer einen gewissen Grad kos-
metisober Entstellung bedingen. Zudem ist der durch die ße-
ßoction gewonnene Zugang uiolit sehr breit und gestattet nur
spärlich die Uobersioht über die oft recht ausgedehnte Basis, mit
vvülchor diese Geschwülste aufzusitzen ])flegen, Und docli ist
gerade Inji der erhelilichen Blutungsgefahr eine sehr genaue Ueber-
sicht geboten, um nach Möglichkeit Schritt für Scliritt den Tumor
abtragen und die Blutung möglichst beherrschen zu können.
Die Methode, vom Gaumen her das Operationsfeld ku erreichen,
ist unter dem Vorgänge von Dieffenbaoh und Maisonuouve
hauptsächlich von Güssen bau er ausgebildet worden, und gipfelt
darin, nach Spaltung des weichen und Freilegung des harten
Gaumens soviel von letzterem wegzumeiüeln, daß die Geschwulst
zugängig wird. Auch dieser Weg läßt das Operationsfeld nicht
recht übersichtlich erscheinen, weil das entgegenströmende Blut
durch die angelegte Oeffnung abfließen muß, und die Entfernung
von der Mundhöhle aus bis zum Schädelgrunde eine recht er-
iiobliohe bleibt. Es ist daher diese Methode von Kocher später
dadurch verändert worden, dal] der Oberkiefer in der Mitte ge-
spalten und durch seitliche Einschnitte so mobil gemacht wurde,
daß er sich mit Haken zu beiden Seiten auseinanderziehen ließ,
and den von der Schädelbasis herunterkommenden Geschwülsten
unter Leitung des Auges beizukommon gestattet. Letztoren beiden
Methoden ist außerdem gemeinsam, daß bei G usaenbauer voll-
kommen, bei Kocher fast ganz eine Entstellung des Gesichtes
wegfällt. Aber beide Methoden haben den Nachteil, daß eine
primäre Vereinigung des medianen Schnittes durch den Gaumen
eintreten muß, und daß demgemäß leicht Fisteln zurückbleiben,
welche enio dauernde Gommunication zwischen Mund- und Nasen-
höhle bedingen und neue Eingriffe erfordern.
Um diesen Nachteilen zu begegnen, habe ich im Jahre 189G,
geleitet von der klinischen Beobachtung eines Falles von voll-
ständigem Abbruch beider Alveolarfortsätze und der Gaumen-
platte vom Gesichtsskelett, eine neue Blethode angegeben, welche
auf dem Herunterklappen des ganzen Gaumendaches beruht. Ich
sah bei einem Patienten, der in den Schacht eines Fahrstuhles
120 Jahrcisbericht der ScUes. GesolJscljal'fc für vatcrl. Ciiltur.
herabgefallen war, ohne äußere Verletzung beide Obcrkiefor-
zahiifortsätzc mit tleoi Gaumen so abgebrochen, daß sie sich voU-
ßtändig horizontal gegenüber dem Gesicht verschieben ließen.
Der Bruch kam ohne besondere Hilfsmittel in drei Wochen zur
Heilung ohne jede Störung des Bisses, Der Fall brachte mich
auf den Gedanken, auf operativem Wege diese Trennung aus-
zuftihren und dadurch Zugang zu den Kieferhöhlen und zurNasen-
liöhle, sowie zum Nasenrachenraum zu gewinnen. Ein damals
von mir nach dieser Methode operirter Fall eines wiederholt
recidivirendeu Nasenrachenfibroida lehrte die leichte Auaführbar-
keit dieser Methode, den bequemen Zugang zu dem Tumor und
die glatte Heilung ohne jede kosmetische Entstellung. Spaltet
man die Schleimhaut des Mundvorhofes von einem Mahlzahn zum
anderen mit einem horizontalen Schnitte auf der Vorderfläche
beider Kiefer, so lassen sich die Gesichtsweiohteile ohne Schwierig-
keit soweit aufwärts schieben, daß die Flächen der Oberkiefer
und die Apertura pyriformis freiliegt. Dann laut sich mit einem
breiten, nicht zu dicken Meißel mit einem Schlage das ganze
Gaumendach samt den Alveolarfortsätzen so ablösen, daÜ liei
Durohtreauung das Septum narium bei geöffnetem Mundo so ab-
wärtsgeschlagen werden kann, daß nun ein breiter Zugang zur
Nasenhöhle, zu beiden Kieferhöhlen und dem Nasenrachenraum,
gegeben ist. Die Blutung ist dabei gering, da das ganze am
Gaumendach sich ausspinnende Gefäßnetz der Art. palatinao,
sowie auch deren Stämme unverletzt bleiben und die beiden
unteren Enden der Laminae pterygoideae gleichsam die Scharniere
darstellen, in welchen sich das Gaumendach nach unten dreht.
Die bei der Entfernung dieser Tumoren immer erhebliche Blutung
wird auf dem aaoh unten gelagerten Boden der Nasenhöhle nach
außen geleitet und fließt nicht in den Mund hinein, so daß man
wegen Verschlucken des Blutes oder Aspiration keine besondere
Sorge zu haben braucht. Das Operationsfeld liegt nahe und frei
zugängig vor den Augen des Operateurs, und man ist in der
Lage ganz genau zu übersehen, wie man dem breit aufsitzenden
Tumor am besten beizukommen vermag. Die Blutung aus dorn
derben harten Gewebe ist natürlich stark, kann aber durch
Tampouade bei schrittweisem Abtragen des Tumors in mäßigen
Grenzen gehalten werden. Der nach Abtragung des Tumor ein-
gelegte Tampon wird zur Nase herausgeleitet, das Gaumeudach
wieder nach oben geschlagen und nun mit Seiden- oder Draht-
ligaturen die Eänder des Sohleimhautschnittos vernäht. Die
Heilung ist in den von mir operirteii Fällen ohne jede Com-
-I. Abiciliing. MeiiiciiiiscliH Sortion.
pliuaüonon und so riisch eingotreten, dal.i die Patioiiten schon
von der zweiten Woche ab in der Lage waren feste Öpoisen zu
genießen.
Den letzten von mir oporirten Patienten beoliro ich mich
Ihnen vorzustellen, um Ihnen zu zeigen, wie wenig man nacli
einer so eingreifenden Operation bei dem Patienten sehen kaini.
Der 18jährige Arbeiter Jakob A, bomerkto im Mai vorigen
Jahres zum ersten Male Erscheinungen, die auf eine Erkrankung
des Nasenrachenraumes hindeuteten. Er bekam schwer Luft durch
die Nase und litt an dauerndem Schnupfen. Er begab sich in
die Behandlung eines Speoialisten , der aus der Nase mit der
Glühsohlinge Gewebsteile entfernte. Die darauf folgende Er-
leichterung hielt aber nur bis zu Weihnachten an, von wo wieder
eine Verschlimmerung in der Hinsicht eintrat, daß der Eintritt
der Luft durch die Nase behindert war und starke Absonderung
aus der Nase auftrat. Im April wurden ihm, in einem Krauken-
hause der Provinz mit der Zange Gewebsstücke aus der N.a60
entfernt, ohne daß es gelang endgiltige Heilung herbeizufüliren.
Von dort wurde der Pat. dem Kloster der barmherzigen Brüder
überwiesen. Der für sein Alter kleine, schwächlich gebaute Pat.
atmet nur durch den Mund, den er dauernd offen hält. Bei ge-
schlossenem Munde kann Pat. gar keine Luft durch die Nase
ziehen, nur ein wenig ausatmen. Die Gegend des Nasenrückens
erscheint verbreitert, die Nasenöffnungeu zeigen flüssiges Beeret.
Der rechte untere Nasengang ist durch Seitwärtsdrängung der
Nasenscheidewand erheblich verengt. In dem linken füllt eine
teilweise etwas bewegliche Gewebsmasse die Nasenhöhle so aus,
daß man von der unteren und mittleren Muschel nichts zu sehen
vormag. Die Gewebsmasse ist von Schleimhaut überzogen, nicht
besonders geschwürig verändert. Die Mandeln erscheinen etwas
vergrößert, der weiche Gaumen leicht nach abwärts gedrängt,
aber gut beweglich. Der in den Nasenrachenraum geführte Finger
fühlt die linke Partie der Choaue mit derben zapfenförmigen
Bildungen ausgefüllt, welche sich an der linken Seite dos Nasen-
rachenraums breit herabziehen, die linke Choane ganz verlegen
und nach rechts soweit herüberreichen, daß der Nasenrachenraum
fast bis auf Bleistiftdicke verengt ist. Der Tumor fühlt sich sehr
derb an und ist großhöckerig. Von Seiten des Gehörs scheint
keine Störung zu bestehen. Das Gebiß des Pat. ist durch un-
regelmäßige Zahnstellung nicht ganz normal, die Erontzähne des
Oberkiefers stehen vor den Zähnen des Unterkiefers und die
Gobißlinie zeigt durch die veränderte Stellung der Bicuspidateu
122 Jahresbfiricbt clor Schlcs. GesollscLafl, lilr vatoi'l. OuUur.
eine stark S-förmige Sclnvingung. Die Drüson der Submaxillar-
gegend und des rechten seitlichen Halsdreieoks sind mäßig ge-
schwollen, aber nicht druckempfiiidlich. Die inneren Organe
weisen keine Voränderungen auf.
Am 1. IX. wird in Morplüum-Chlorofurmnarcose in aufrechter
Stellung ein horizontaler Schnitt hooli oben im Vestibuhim oris
von einem 2. Molaren bis zum anderen geführt, bis die Spina
nasalis erscheint. Mit dem breiten Elovatorium worden die
GesichtBweichteile rings am Oberkiefer herum so weit hoch-
geschobeu, daß oberhalb des Nasenbodons mit einem breiten
horizontal gestellten Meißel mit einem Schlage beide Oberkiefer
und das Septum narium durolitrennt werden können und das
ganze Gaumendaoh nach unten geklappt werden kann. Nach
Stillung der ersten Blutung durch Tamponade erscheint die Ge-
schwulst in der linken Nasenhöhle. Sie füllt dieselbe ganz aus,
hat die Nasenscheidewand weit nach rechts ausgobuchtet, hat
Fortsätze in den rechten Nasenrachenraum und die linke Nasen-
höhle geschickt und sitzt mit breiter Basis in der ganzen Aus-
dehnung der ÜTikeu Lamina pterygoidea des Wespenbeines auf,
um am oberen Ende in den Sohädelgrund überzugehen. Ihre
derbe Structur erschwert das Ablösen von der Unterlage un-
gemein. Nur langsam dringt die Scheere, teilweise das Elova-
torium vor, wobei eine ziemlich erhebliche Blutung erfolgt. Es
gelingt, die Geschwulst in drei Stücken mit der Scheere von
ihrer Unterlage abzutragen und den ßest mit dem scharfen Löffel
fortzunolimen. Nachdem überall die glatte Knochenfläche er-
schienen, wird die Wuudhöhle mit Jodoformgaze tamponirt und
der Tampon zum linken Nasenloch herausgeleitet. Dann wird
der Gaumen in seine Lage zurückgebracht und die Schleimhaut
mit Metallnähten ringsherum vernäht und damit der Kiefer in
die richtige Lage eingestellt. Er hat vorläufig noch die Neigung,
etwas herabzusinken. Da der Puls beim Patienten, der inzwischen
zum Bewußtsein gekommen ist, sich verschlechterte, wurde eine
subcutane Infusion von 400 com Kochsalzlösung gemacht. Der
Patient klagt über lebhaften Durst und trinkt drei Glas Wasser.
Dauer der ganzen Operation 35 Blinuten,
Verlauf: Da am Abend der Puls immer noch kloin und die,
Zalil der Schläge auf 130 gestiegen ist, wird eine nochmalige
Infusion von 600 com gemacht, worauf der Patient sich sichtlich
erholt und Abends schon flüssige Nahrung zu sich nehmen kann.
Die Temperatur bleibt noch subuormal, steigt aber schon am
zweiten Abend auf 37°, um sich dann in normaler Höhe zu be-
1. Al)l,oiluiig. ModiciiÜBuliü Sectioi
Wügon. Der Puls bleibt auch in den iiächBteu Tagen imiuur
noch beschleunigt.
Am 6. IX. wiril der stark durch fouohtete Nasentampou ge-
lüftet, läßt sich leicht herausziehen, muß aber, da noch dünnes
Blut nachfiießt, wieder erneuert werden. Der Oberkiefer steht
gut und wird durch den Unterkiefer richtig in der Mitte ge-
halten. Er erscheint Tiooh abnorm beweglich, aber, trotzdem
einige Ligaturen durchschnitten, doch so fixirt, daß er für das
Schlucken flüssiger Nahrung vollen Widerstand liositzt. Die
Wunde im Vestibulum oris ist bereits verklebt. Vom 17. IX.
ab erhcält Patient feste Speisen. Der Tampon der Nase wird
gekürzt und am 20. IX. vollständig entfernt. Der Oberkiefer ist
nur noch sehr wenig beweglich, steht vollkommen in richtiger
Lage. Der Pat. fühlt sich subjeotiv vollkommen wohl. Nason-
spüluug zur Entfernung des Secrotos und öfters auftretender
Borken,
Heute stellt sich der Patient mit vollständig gesohlossonem
Mundo, ohne jedes Geräusch duroii die Nase frei atmend dar,
hat in seinem Gesicht nur noch die Spuren dos Druckes, den
der Tumor auf das Naseugerüst ausgeübt hat, in Form einer
mäßigen Verbreiterung der Nasenwurzel und der knöchernen
Nase. Der Oberkiefer ist unverrückbar fest, vollkommen in der-
■ selbou Stellung wie vor der Operation, alle Zälnie fest, keiner
gelockert. Die Narbe im Vestibulum oris ist nur bei scharfem
Zusehen bei hoch erhobener Lippe siclitbar. Der Nasenrachen-
raum ist vollkommen frei, die Wuudfläohe fast vollkommen mit
Schleimhaut überzogen, nur an einzelnen Stellen noch mit Borken
bedeckt.
D i s c u s s i 0 n :
Herr Kiognor: Ich habe solche ausgedehnteren Nasenrachen-
geschwülste bisher dreimal nach der Gussenbauer'sohen Me-
thode mit Spaltung des mucösperiostalen Gaumenüberzuges,
Herausmeißelung des knöoliornen Gaumens und folgender pri-
märer Gaumennaht operirt. Bezüglich der Freilegung und leichten
Entferubarkeit des Tumors ließ die Metliode nichts zu wünschen
übrig. Auch die Gaumennaht heilte zweimal primär ohne Fistcl-
bildung. Narben im Gesiolit werden auch bei dieser Methode
vormiedea. Reoidive gerade dieser Tumoren sind bekanntlich
durch keinerlei Operationsmethodo zu vermeiden. Sie ver-
schwinden nicht selten (auch in einer meiner Beobachtungen
war dies der Fall) mit dem weiteren Wachstum der jugendlichen
Jalirosbtu'iclit dor Sciilcs. Gosollschaft fdr valprl, (Tiiltiir.
Patienten spontan. Immerhin würde ich die Partsoh'sohe Ope-
ration geeigneten Falls versuchen.
Herr R. Kayser: Ich möchte Herrn Part seh nur fragen
ob der operirte Tumor untersucht worden ist und sich als sog.
typisches Nasenraohenfibroid herausgestellt hat. Diese Tumoren
treten bekanntlich vorzugsweise bei Knaben auf, haben eine
colossale Wachstumsenergie und recidiviren sehr leicht, um
meistens später, gewöhnlich nach dem 20. Jahre, spontan zurück-
zugehen.
Herr Partsch: Auf die Bemerkungen des Herrn Riegnor
erlaube ich mir zu erwidern, daß bei der G ussen baue r 'scheu
Methode sowohl, als bei der Kocher'sohen wiedejholt keine pri-
märe Vereinigung der Gaumennaht eingetreten ist und Pistelu
zurückgeblieben sind, welche nochmalige operative Eingriffe nötig
machten. Was die Frage des spontanen Verschwindens dieser
Tumoren anlangt, so bin ich wegen Kürze der Zeit auf dieselbe
nicht näher eingegangen. Die Natur des Tumors aber, ein außer-
ordentlich derbes, festes, von Blutgefäßen reich durchzogenes
Pibroid, macht es mir unwahrscheinlich, daß er nach doppeltem
Recidiviren von selbst verschwinden sollte. Er hatte eine solche
Größe, daß der Knabe ernstlich gefährdet war. Natürlich ist die
Frage des Recidivs ja heute nicht zu beantworten , aber der im
Jahre 1898 von mir operirte Patient ist, wie ich mich habe vor
Jahresfrist überzeugen können , trotz zweimaligen Recidives vor
der Operation, nach der Operation recidivfrei geblieben. Der
Blutverlust war selbstverständlich auch bei meiner Operation
groß, ist aber in der Natur des Tumors und der Scliwierigkeit
seiner Ablösung begründet.
Sitzung vom 4. November 1904.
Vorsitzender: Herr Ponfiok.
Schriftführer: Herr Roseufeld.
Herr Tietze hält seinen Vortrag über Pankreatitis iiidu-
rativa. Nach einem kurzen üeberblick über die Entwicklung
der Chirurgie des Pankreas schildert er die topographischen Ver-
hältnisse der Bauchspeicheldrüse, deren versteckte Lage es
wesentlich verscliuldet hätte, wenn die Chirutgie dieses Organes
zur Zeit noch nicht recht entwickelt sei. Tiotzdem besitzen wir
heute bereits eine Reihe von Methoden, das erkrankte Organ zu-
gänglich zu machen. Jode derselben komme unter besonderen
I/ Abteilung. Midiciniache Seotioii. 195
Verhältnissen in Frage, am seltensten wahrsoheinlioh die extra-
peritoneale Methode von Bardeuheuer und Riiggi. Nachdem
dann Redner aneführlich die Physiologie der Drüse besprochen
und darauf hingewiesen hat, daß trotz der großen Bedeutung des
Pankreas im Stoffwechsel Ausfallserscheinungen bei Erkrankungen
des Organes nicht immer vorhanden sein brauchen, was natürlich
die Diagnose recht erschwert, wendet er sich dann seinem eigent-
lichen Thema zu, das er an der Hand von vier eigenen Beob-
achtungen und auf Grund der Litteratur bespricht. Die Diagnose
sei vor der Operation wohl kaum jemals mit Sicherheit möglich,
da zum mindesten eine Abgrenzung gegenüber dem Pankreas-
caroinom vor der Operation, ja oft auch während derselben nicht
stattfinden könne. Wir operirten in solchen I'ällen lediglich auf
Grund des vorhandenen chronischen Cholodochusverschlusses, aber
in der That sei dies eine Indicatio vitalis. Als Operations-
methode der Wahl habe die Cholecystenteroanastomose ku gelten ;
nur in den Fällen, wo etwa die Gallenblase so geschrumpft sei,
daß eine Anastomosenbildung technisch sehr schwierig und riskant
sei, sei es erlaubt, eine Gallenblasen- oder Choledochusfistel an-
zulegen, denn in der That sei dennoch ebenfalls Heilung beob-
achtet worden. In einigen Fällen sei dieselbe eingetreten, trotzdem
nur Laparotomie und Tamponade angewandt worden waren. Zu
den vier bisher in der Litteratur bekannten Fällen kann Redner
noch einen eigenen hinzufügen. In diesem Falle war bei dem
schwer icterischen Patienten Gallenblase und Ausführungswege
zu einem unentwirrbaren Knäuel verbacken, so daß dem Vor-
tragenden gar nichts übrig blieb, als zu tamponiren, wollte er
nicht nach dem Vorschlage von Kehr eine Leberdarmfistel an-
legen, deren Erfolg doch sehr zweifelhaft scheint. Trotzdem trat
völlige Heilung ein. Zwei andere Patienten des Verfassers (Frauen)
bei denen Cholecystenteroanastomose gemacht worden war, starben
trotzdem an cholämisohen Blutungen. Es scheint dem Vortragenden
sicherer, außer der Verbindung zwischen Gallenblase und Darm
noch Hepatiousdrainage anzulegen, um möglichst schnell die
Gallenstauung zu beseitigen. Der vierte Patient starb unoperirt
ebenfalls an cholämisohen Darmblutungen,
Discussion:
Herr R. Stern hebt hervor, daß es eine Gruppe von Pankreas-
erkrankungen giebt, die verhältnismäßig leicht zu diagnosticiren
sind. (Sehr voluminöse Fäoes mit starkem Stickstoff- und Fett-
gehalt; mikroskopisch sehr reichlich Muskelfasern und Fett; rasche
126 Jahresbericht der Sohles. Gesellschaft für vateri. Oultur.
Besserung bei Pankreasclarreichung.) Er berichtet übor einen
kürzlich von ihm klinisch beobachteten derartigen Fall, der auch
mit geringer GlykoBurio verlief und bei dem vorangegangene
heftige Schmorzanfälle an Pankreassteine denken ließen.
Die Oourvoisior'sche B,ege], die Herr Tietze erwähnt hat,
hat so viele Ausnahmen, daß sie f'Qr die praktische Diagnostik
HUT mit großer Vorsiclit zu verwenden ist.
Herr Eausch: Ich möchte zunächst Herrn Tiotzo darin
widersprechen, daß das Pankreas kein lebenswichtiges Organ
sei. Ich weiß sehr wohl, daß eine ganze Anzahl von Fällen in
der Litteratur bekannt sind, bei denen bei vollständiger Zer-
störung des Pankreas der Diabetes ausgeblieben sein soll. In
einem Teile dieser Fälle felilt aber der exaoto Nachweis, daß das
Pankreas wirklich total oder so gut wie ganz zu Grunde gegangen
ist. Bekanntlich genügt ein kleiner Pankreasteil, um den Functions-
ausfall zu verhindern, bei Hu)iden ungefähr der 10, Toll. So ist
in dem von Herrn Tietze angeführten Fall Chiaris der Patient
lebend geblieben; es fehlt die Seotion, und ob kann dai^er kein
Mensch sagen, ob wirklich, wie behauptet wird, das ganze
Pankreas ausgestoßen worden ist, was ich eben l)e8treito. In dem
bekannten Fall von Pankreasexstirpation Frankes ist es durchaus
zweifelhaft, ob das ganze Pankreas bei der Oparation entfernt
wurde. Ueberdies hatte der Patient, soviel ich mich erinnere
wenigstens vorftbergohond einen Diabetes. Jedenfalls mehren sich
die Fälle, in welchen bei Pankroasevkrankang Glykosurio und
Diabetes beobachtet wird.
In den Fällen von Pankreascarcinom kommt noch ein anderer
Punkt hinzu. Es besteht die Möglichkeit, daß die Carcinomzellen
hier die Function des Organea übornommen haben, analog wie
das Martin Benno Schmidt in einem Falle von Lebercarcinom
beobachtet hat.
Und schließlicli ist das Ausbleiben des Diabetes beim Pankreas-
carcinom auch dadurch zu erklären, daß der Diabetes bei sehr
heruntergekommenen Individuen überhaupt nicht durch die Glyko-
surie in die Erscheinung zu treten braucht; ist einmal das letzte
Zehntel vom Carcinora ergriffen, so ist gewiß der Patient in seiner
Ernährung auf das Schwerste gestört. Minkowski sah aber bei
den Hunden mit Diabetes infolge Pankreasexstirpation die Glyko-
surie zum Schluß schwinden und ausbleiben, wenn es mit den
Tieren zu Ende ging.
Ich kann mir auch vom biologischen Standpunkte aus nicht
denken, daß das Pankreas kein lebenswichtiges Organ sein sollte.
I. Abteilung.'! Medicinische Soction.
In der ganzen Tiorreihe, vom Frosch, dem Vogel bis zu den
Säugetieren seheii wir nach der Pankreasoxstirpation zum Tode
führenden Diabetes auftreten. Ich halte es für ganz undenkbar,
daß beim Menschen, dem höchsten Säugetiere, das Pankreas plötz-
lich keine wichtige Function haben sollte.
Bei der Erklärung des Ileus infolge von Fettgewebsnecroao
hat HerrTietzo einen Punkt nicht erwähnt, der meiner Ansicht
nach doch von Wichtigkeit ist: nämlich die Wirkung des Exsudates
auf die Darmwand, die, glaube ich, erst eine erregende, dann
eine lähmende ist und so den Ileus hervorruft.
Ich glaube, dai3 diese Erklärung häufiger zutrifft, als die
Ijüiden anderen angeführten, der Druck des vergrößerten Pankreas
nnd die Reflexwirkung auf dem Wege über das Ganglion solaraa.
Was die operative Behandlung betrifft, so ziehen wir auf der
Broslauer Klinik die Anlegung der Gallenblasen-Darmfistel der
der Gallenfistel vor, hat letztere doch für die Patienten immer
große Unannehmlichkeiten. Im Uebrigen schließe ich mich den
Ausführungen dos Herrn Tietze durchaus an, namentlich auch,
was die Schwierigkeit der Differentialdiagnose zwischen Carcinom
und chronischer Pankreatitis betrifft.
Herr PoBfick: Wie schwer es mitunter sei, selbst post
rnurtom über die Natur einer zweifelhaften Verhärtung der Bauch-
speicheldrüse in's Klare zu kommen, lehrt sehr deutlich eine
Beobachtung, die ich au einem auf der chirurgischen Klinik
Inparotomirten Manne gemacht habe.
Dieser Patient war acht Monate vor dem Tode gelegentlich
eines Sturzes auf den Bauch gefallen. Diesem Ereignisse folgten
zwar keine unmittelbaren Beschwerden. Im Hinblick auf die
notorische Vieldeutigkeit jedoch der an eine Verletzung des
Pankreas sich anschließenden Symptome mußte sich ein ursäch-
licher Zusammenhang zwischen beiden Erscheinungen aufdrängen.
Angesichts der Unmöglichkeit nun, die im Kopfe des Pankreas
gelegene Verhärtung irgend schärfer abzugrenzen, verzichtete
Herr v. Mikulicz auf einen weiteren Eingriff um so mehr, als
die Annahme eines Carcinom s des Caput panoreatis geboten
schien.
Bei der Seotion stieß ich nun auf eine so gleichmäßig speckige
Umwandlung seines Drüsenparenchyms, welches daneben nur eine
Reihe weicherer, mit schwefelgelbem Brei gefüllter Herde und
Spalträume enthielt, daß ich meinerseits mehr als eine krobsigo
Entartung, ninn chronische Induration, zu (erwarten geneigt
128 Jaliresboricht der SrJiles. Gesollsohaft für vaterl. Oiiltur.
war,- wie sie sich ja gerade nach solch' stumpfen Gewalt-
oinwirkungen öfters einstellt.
In der That schienen auch die ersten mikroskopischen Prä-
parate, welche davon hergestellt wurden, diese Vermutung zu
bekräftigen. Fortgesetzte Untersuchung machte es freilich
zweifellos, daß es sich trotzdem um Krebs handele.
Erwägt man, wie schwer es in jeder Drüse, vollends aber in
der uns beschäftigenden, unter gewissen Umständen halten
kann, einen chronischen, einesteils mit Neubildung, anderenteils
mit Degeneration und narbiger Schrumpfung verbundenen Proceß
von einem, vielleicht erst in früher Entwicklung begriffenen
Krebse zu unterscheiden, so wird man einen solchen Wechsel der
Anschauungen gewiß minder erstaunlich finden.
Daß man es indessen im vorliegenden Falle jedenfalls nur
mit einem soloheu initialen Stadium zu thun habe, das ging
andererseits daraus hervor, daß weder die regionären Lymph-
drüsen, noch gar das Peritoneum eine gleichartige Erkrankung
zeigten, noch weniger aber Zeiclien allgemeiner Metastasenbildung
anzutreffen waren.
Herr Henle glaubt, daß, abgesehen von den experimentellen
Erfahrungen, auch ein von Peiser beschriebener Fall aus der
Sonnenburg'schen Klinik für die Unentbohrliohkoit des Pankreas
spricht. Nach Ausstoßung des necrotisohen Pankreas durch eine
Incisionswunde trat ein schwerer Diabetes ein, dem der Kranke
in kurzer Zeit erlag. Hier ist zu viel vom Pankreas zu Grunde
gegangen, während in dem Chiari'schen Fall, wie schon Herr
Kausch bemerkt hat, offenbar noch genug Drüsensubstanz übrig
geblieben ist.
Was den Ileus nach Pankreaserkrankuugen anlangt, so giebt
es zwei streng voneinander zu trennende Arten. Eine erheblich
vergrößerte Drüse kann das Duodenum durch Druck von außen
verschließen; andererseits beobachten wir Darmparalysen, mögen
sie nun refleotorisch oder sonstwie zu Stande kommen. Diese
können auch partiell sein, wie ein von dem Redner durch Ope-
ration geheilter am gleichen Ort schon besprochener Fall zeigt.
Herr Paul Krause: Demonstration eines Muskelgyranasten.
Vortr. berichtet auf speoiellen Wunsch des Herrn Vorsitzen-
den der Section über die röntgoskopisohen Befunde, welche er
bei dem Muskolathleten erhoben hat. Der röntgoskopische Be-
fund der Brustorgane während der Ruhe wich von der Norm
nicht ab. Der Vortragende untersuchte darauf den Kranken,
während derselbe sich in „vier Demonstrationen" produoirto, die
I. Abt-oilung. Modiciuische Section.
stets durch stereotype Redensarten des „Muskelkünstlers" ein-
geleitet wurden, und fand Folgendes:
I. Demonstration: „Die Eingeweide zur Brust hinauf-
gepreßt, so daß der Brustkorb zwischen 17—19 cm auf den
unteren Rippen sich ausdehnt."
Röntgoskopisoh: Beide Zwerohfellhälften steigen bis etwa
zur IV. Rippe in die Höhe, der Zwerchfellschatten ist dabei au
beiden medialen Teilen leicht oonvex nach oben, der Herzscliatten
wird dadurch in seinem unteren Teile verdeckt.
Fordert man den Patienten auf, die „Eingeweide" wieder
nach unten zu bringen, so sinken beide Zwerchfellhälften ganz
langsam wieder nach unten zurück; rechts wie links vergehen
aber eine Anzahl von Secunden (etwas über 20 Secundon), bis
die Norm beinahe wieder erreicht ist,
Rechts bleibt der Zwerchfellsohatten längere Zeit noch liöher,
als er vorher in der Ruhe war. Anscheinend wird in den unteren
Teilen des Abdomens eine leichte Aufhellung bewirkt, in dem
Augenblicke, in welchem die „Eingeweide" in die Brust gepreßt
werden.
II. Demonstration: „Die ,Eingeweide' werden zur Brust
hinaufgepreßt, ohne daß der Brustkorb sich ausdehnt."
Es fällt jetzt auf, ehe der Pat. seine „Demonstration" be-
ginnt, daß die Helligkeit unter dem linken Zwerchfellsohatten
verschwunden ist, anscheinend ist der vorher aufgeblähte Magen
comprimirt.
Im Allgemeinen sind bei der zweiten Demonstration ähnliche
Verhältnisse wie bei der ersten. Nur steht der rechte Zwerch-
fellschatten noch etwas höher (etwa 1/2 om), ebenso der linke.
Es schien, als ob der obere Teil des Herzschattons resp. der
untere Teil der großen Geftiße nach einer gewissen Zeit an Breite
zunahm.
N. B. Bei Wiederholung des Versuchs zeigt sich thatsäch-
lich eine nicht unbeträchtliche Verbreiterung der unteren Teile
der großen Gefäße.
III. Demonstration: „Die Musoulatur preßt die , Ein-
geweide' nach der linken Brustseite herauf, dadurch wird die
Spitze des Herzens nach oben gepreßt, es sinkt in der Achse
und verlagert sich nach der Mitte."
Der linke Zworchfellschatten wird bis etwa dicht unter die
III. Rippe in die Höhe gepreßt, die Clavicula steigt dabei tief
herab. Unter dem linken Zworclifellrand ersclieint eine größere
Helligkeit (Magen).
9
l30 JaJiresboricIit der ScUes. Qosellsohaf't für vatorl. Cnltiir.
Der Herzsohatten wandert nach links hinüber (in mäßigem
Grade) und scheint sich in den unteren Teilen etwas nach hinten
zu verschieben. Die Pulsation des Herzens ist etwas schwächer,
aber deutlich vorhanden. Bei Wiederholung derselbe Befund.
IV. Demonstration: „Künstliche Erzeugung der Trichter-
brust."
Der untere Teil des Thorax wird breiter, die oberen Partien
sinken nach unten (vor allem deutlich sichtbar an der Clavicula),
der Zwerchfellschatten wird abgeflacht. Der Herzsohatten etwas
breiter, wohl dadurch, daß der obere Teil desselben der Thorax-
wand genähert wird. Außerdem scheint eine Achsendrehung des
Herzens einzutreten. An der Pulsation keine Aenderung.
Sitzung vom 18. November 1904.
Vorsitzender: Herr Ponfiok. Schriftführer: Herr Uhthoff.
Herr Hermann Cohn: Erneute Demonstration eines Falles
von Cysticercus subretinalis, der vor 26 Jahren aus der
Macula lutea extrahirt wurde.
M. H. ! Ich habe in unserer Seotion am 5. Juli 1878 eine
Köchin von 26 Jahren vorgestellt, der ich neun Tage vorher
durch meridionalen Skleralsohnitt einen Cysticercus von 8 mm
Durchmesser herausgenommen, welcher dicht an der Macula lutea
die rechte Netzhaut emporgehoben hatte.
Die genaue Kranken- und Operationsgeschichte habe ich in
dem „Berichte der Schlesischen Gesellschaft", 1878, S. 200, und im
„Centralbl. f. Augenheilk.", 1878, .Tuliheft, veröffentlicht, und den
Befund, den ich nach drei Jahren der Gesellschaft wieder deraon-
strirte, in dem Berichte von 1881, S. 113, sowie in der „Bresl.
ärztl. Zeitsohr.", 1881, No. 23 u. 24, ausführlich geschildert. Es
war überhaupt erst der zweite Fall in der Litteratur, der die
Extraction eines macularen Wurms betraf.
Indem ich auf diese Aufsätze verweise, bemerke ich hier nur,
daß die Pat. vor 26 Jahren von mir gut geheilt entlassen wurde
mit einer centralen S von ^g^, einem schon vor der Extraction
bestandenem großen Gesiohtsfelddefect nach oben, gutem Farben-
und Lichtsinn. Das Lager des Wurmes war damals als große
weiße Fläche zu sehen, auch die lange Schnittnarbe in der Nähe
des Lagers.
Der Zufall führte Patientin jetzt nach mehr als Y Jahr-
I. Abteilung. Mediciiiisclie Section.
hundert erst einmal zu mir; sie wünschte für das andere völlig
gesund gebliebene Auge wegen Presbyopie eine Convexbrille.
Das rechte Auge bat auch jetzt gute Stellung, gute Spannung,
gute Beweglichkeit, gute Pupillen reaction und guten Licht- und
Farbensinn behalten. Die Sehschärfe ist ^so geblieben. Mit + 6,0
werden noch Buchstaben von Snellen 2,0 gelesen. Das Gesichts-
feld hat sich allerdings iu der ganzen Peripherie verengert;
im hinteren Teile des Cortex sind Kataraktstreifen aufgetreten,
der Sehnerv hat etwas enge Gefäße und ist nicht ganz scharf
conturirt; das Lager des WurmoR und der Skleralschnitt sbul noch
deutlich sichtbar, aber mit unzähligen tiefbraunen und
tintenschwarKon größeren und kleineren Flecken über-
schüttet, die wie bei einer Ciiovioretiiiitis disseminata bis an die
Peripherie hin sich verbreiten. Auch ziehen einzelne helle und
dunklere Stränge von der Gegend des Schnittes in den Glaskörper
nach vorn, und eine flache Ablösung der Netzhaut ist am Rande des
Wurmlagers zu sehen.
Es ist gewiß ein Unicum, einen solchen Fall nach 26 Jahren
derselben Gesellschaft zeigen zu können.
Früher wurde behauptet, daß über lang oder kurz selbst
nach gelungenen Wurmextractionen aus großer Tiefe der Bulbus
später zu.sammensohrumpfe, Hier ist keine Schrumpfung ein-
getreten und der Rest des Sehvermögens wie vor der Operation
geblieben.
Ich habe unter 100000 Augenkrankheiten im Ganzen nur
44 Cystioerkeu beobachtet: 30 suhretinale, 13 vitrinale und 1 in
der Linse.
Ich machte in den Jahren 1878—1890 im Ganzen 13 Ex-
tractionen, 9 unter der Netzhaut, 4 aus dem Glaskörper. Von
diesen 13 Würmern gelang es mir 11 unverletzt herauszuziehen.
5 Fälle sind in der „Berl. ärzti. Zeitaohr.", 1881, No. 23 u. 24,
genau beschrieben.
Den ersten Wurm im lebesulen Auge, und zwar in der Vorder-
kammer, beobachtete bekanntlich 1830 der Anatom S ö m m e r i ug und
ließ ihn von Dr. Scliott extrahiren. Später behandelte A. v. Gräfe
über 100 Cj^sticerken in allen Teilen des Auges, warnte aber
noch in seiner letzten Arbeit 1868 auf das Strengste vor Operation
am hinteren Teile des Auges. Alfred Gräfe machte uns auch
diese Würmer durch den meridionalen Skleralschnitt zugängig,
loh hatte hier eben diese Methode mit Nutzen angewandt.
Seit 1890 habe ich nie mehr einen Cysticercus im Augo
unter 24327 Augenkraiikon gesellen, offenbar eine Folge des
9*
132 Juhresboriclit der Scliles. OcspIIschaft ffii' valerl. Ciiltnir.
segeiisreichen strengen FJeisobschaugesetzes, das eine scharfe
Controle in den Schlachthöfen bestimmte.
Leider ist dieses treffliche Gesetz zu Gunsten der einfaolion
Haussohlächtereien seit zwei Monaten aufgehoben, und ich bin
überzeugt, daß wir mit finnigem Fleische auch wieder Oysticerken
im Auge sehen werden. Scheueji wir dann auch vor der Ex-
traotion selbst aus tiefen Regionen de» Augea nicht zurück !
(Patientin wird vorgestellt.)
D i s c u s 8 i o n :
Herr Buchwald macht elienfalls auf dieThataache aufmerksam,
daß im Allerheiligen -Hospital fast gar keine Taenia solium
mehr beobachtet werde.
Hingegen werde Taenia mediooanellata nicht selten gefunden.
Die Oysticerken des Hirnes, welche man früher wogen ihrer
Häufigkeit kaum beachtete, seien eine Rarität geworden.
Allerdings sei es auch auffällig, daß die Echinokokken, welche
in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts etwas Gewöhnliches
waren, seit 10—15 Jahren kaum mehr gefunden würden, mindestens
sehr selten geworden seien.
Herr Uhthoff zeigt zunächst einige anatomische Präparate
von intraooularem Cysticercus bei Lupen Vergrößerung und ebenso
eine einschlägige stereoskopisohe Photographie von einer BuUms-
hälfte, auf deren Schnittfläche der Sitz des Cysticercus zu erkennen ist.
Er berichtet ferner über einige seiner früheren Operations-
resultate bei Cysticercus intraocularis und giebt statistische Daten
über seine eigenen Erfahrungen. Vor Einführung der obligatori-
schen Pleischsohau sah er in Berlin einen Fall von intraooularem
resp. subconjunctivalem Cysticercus auf ca. 1100 Augenkranke,
in der späteren Zeit und aucli jetzt hier in Breslau einen Fall
auf oa. 25000 Augenkranke.
Die Frage, ob ein Auge , welches einen intraocularen Cysti-
cercus beherbergt, immer unbedingt zu Grunde gehen muß, ist
wohl durchweg zu bejahen, doch giebt es einige Ausnahmen, und
erinnert Redner an die jüngste Mitteilung von Stoelting im
„Archiv für Ophthalmologie", der in einem Falle die Cysticercus-
blase durch einen Nadelstich zur Abtötung brachte und dam.it
dem Auge einen Teil seines Vermögens erhalten konnte.
Herr L. Wolffberg: Zur Ergänzung der statistischen An-
gaben des Herrn Vortragenden führe ich an, daß ich unter den
letzten 50000 Patienten (d. h. etwa seit 1890) nur einen Fall von
Cysticercus im Auge gestehen habe, rnul dieser <;ine Fall wai' aua
1. AbteiJiJiiy-, Mediciniscti« Socticm. 133
Lodz in Russisch-Polen. .Soviel mir erinnerlich, berichtet Hirsch-
berg in einer kürzlich t-rschieuenon Arbeit, daß er selbst unter
den letzten 60000 seiner Patienten keinen Fall von Cysticercus
zur Beobachtung bekommen.
Herr E. .lacoby : Demonstration eines Falles von Morbus
Hasedowii mit hochgradigem Exophthalmus und Uornhaut-
afTection.
Die 27jährige Patientin erkrankte vor zwei Jahren mit den
typischen Symptomen des Morbus Basedowii: Herzklopfen, vaso-
motorischen Störungen und Struma. Erat '% Jahre später begann
Exophthalmus aufzutreten, der teilweise zurtiokging, bald aber
wieder zunahm, so daß die Augen nach Angabe der Patientin
„vor den Lidern" lagen. Es stellten sich gesohwürige Prooesse
an den Hornhäuten ein, die nach mehrmonatlicher Krankenhaus-
behandlung zur Heilung kamen. Als Residura dieser Affeotion
tindet sich jetzt beiderseits eine dichte leukomatöse Trübung der
unteren Hornhauthälfte, an der die Iris adhärirt, so daß rechts
nur der obere Teil der Pupille frei ist, links keine Pupille vor-
handen ist. Die Sehschärfe beträgt rechts = V„„, links = Hand-
bewegung. Die übrigen äußeren Augensymptome sind ebenfalls
vorhanden: die weite Lidspalte, das Gräfe'sche und das Stell-
wag'sehe Symptom, die den Basedow-Kranken den eigentümlichen
Gesiohtsausdruck geben. Die übrigen Symptome sind sehr zurück-
getreten. Es findet sich keine wesentliche Pulsbeschleunigung,
die Herzthätigkeit ist ruhig, vasomotorische Störungen sind nicht
mehr zu bemerken. Auch die Struma ist offenbar in Rückbildung
begriffen: sie fühlt sich hart, geschrumpft, stellenweise knochen-
hart an, was auf regressive Metamorphosen, Verkalkung otc. hin-
weist. — So wird das Krankhoitsbild jetzt ganz von den Sym-
ptomen seitens der Augen beherrscht, — Die Prognose ist danach
•wohl günstig, zumal eine Zunahme des Exophthalmus bei der
allgemeinen Rückbildung der Symptome, specioU auch der Struma
flicht mehr zu erwarten ist, und die Lider gut geschlossen werden
können, so daß eine Eintrocknung der Cornea oder eine Keratitis
e lagophthalmo nicht mehr zu befürchten ist. Aufgabe der
Therapie wird es sein, die Lidspalten durch Tarsorhaphie zu ver-
engern und die optischen Verhältnisse durch Iridectomie zu
bessern.
Der Hornhaut proceß, der zu der starken Leukombildung und
ssu dieser Verdickung und Rötung der Conjunctiva solerae zu
beiden Seiten der Corneae geführt hat, ist als Keratitis e lag-
ophthalmo anzusehen, da er sich ganz auf deu Bereich der Lid-
Jahresbericht der Schles. GesoUschal't für vulcu'l. ("liiltiir.
spalte, soweit sie bei unvollkommenem Lidsohluß offen geblieben
ist, beschränkt. — Die Hornhautaffeotiouen bei Morbus Basedowii
sind verhältnismäßig selten, wenn man die Häufigkeit dos Ex-
ophthalmus bei dieser Krankheit in Betracht zieht. Sonderbarer
Weise finden sie sieh noch häufiger bei Männern als bei Frauen,
obgleich doch die Erkrankung vorwiegend das weibliche Geschlecht
befällt. loh kann Ihnen hier ein Bild eines Patienten zeigen,
bei dem der gleiche Hornhautproceß bei Morbus Basedowii zum
Verlust des Sehvermögens beider Augen geführt hat.
Herr Mosenfeld hält seinen Vortrag: lieber die Bildung
VOM Fett aus Kohlenhydraten.
ßedner erörtert die Frage, in welchem Organ das Fett aus
Kohlenhydraten entstände.
Von der Leber ließe sich zeigen, daß in ihr ein completor
Antagonismus zwischen dem Auftreten der Verfettung und der
Einlagerung von Glykogen (und ähnlichen Stoffen) bestände, so-
wohl in physiologischen als in pathologischen Verhältnissen.
Kohlenbydratfütterung vermindere den procentualen Fettgehalt
in der Leber, ebenso verhütet Kohlenbydratfütterung die Leber-
verfettung durch fette Nahrung; andererseits verhindert Kohlen-
hydratzufütterung die Verfettung der Leber auf Phloridzin,
Alkoliol etc. Auch findet sich bei Fröschen trotz Leberexstir-
patiou nach Kohlenhydratfütterung ein höherer Fettgehalt als bei
Controlhungerfröschen mit Leberexstirpation. Darum läßt sich
die Lober nicht als Organ der Fettbilduug aus Kohlenhydraten
ansehen.
Die Muskeln, welche auf leberverfettende Agentieu nicht
verfetten, sondern entfettet werden, werden auch durch Kohlen-
hydratfütterung nur fettärmer. Ebenso ist das Herz kohlon-
hydrat gefütterter Tiere nicht fettreicher als das Herz der Hunger-
hunde.
Die Nieren werden durch Kohlenhydratfütterung fettarmer,
sowohl die normalen, als auch Nieren nach Alkohol-, Phloridzin-
vergiftung, nach Pankreasexstirpation etc.
Das Pankreas kohlenhydratgefütterter Hunde erscheint um
4 pCt. fettreicher, als das der Hungertiere; da die Schwankun-
gen des Fettgehaltes am Pankreas verschiedener Tiere aber
groß sind, wird ein kleines Stück Pankreas als Testobject ex-
Btirpirt, und der Rest des Pankreas bei demselben Tiere (acht
Versuche) uach Kohlenhydratfütterung untersucht. Auch auf
diese Weise ergiebt sich eine Fettzunahme von i pCt. , welche
jedoch ebenso vorhanden ist, wenn zwischen der Entnahme des
I. Abtoilurig. Alediciuisclie Section.
Probestückohens und der Untersuchung des Gesamtpankreas
keine Kohlenhydratfüfcterung liegt. Ueberhaupt wird gezeigt,
daß die einzelnen Teile ein und desselben Pankreas eines normalen
Tieres bis zu 9 pCt. im Fettgehalt differiren können (8 und 17 pCt.).
Bei Fröschen, welche nach Pankreas- und Leberexstirpation
stark mit Zucker gefüttert werden, findet sich gegenüber den
Controltieren eine Fettzunahme.
Für die Milz und die Lunge ergaben Kohleuhydratfütterun-
gen auch keine Fettzunahme gegenüber dem Hungertiere.
Die Thyreoidea der einen Seite, verglichen mit der nach
Kohlenhydratfütterung entnommenen auderseitigen Drüse zeigt
keine Vermehrung des Fettes,
Den Darm fand Plosz nach Kohlenhydratfütterung mikro-
skopisch fettfrei.
Somit findet sich in all diesen Organen keine Fettanreicherung
nach Kohlenhydratfütterung, weswegen sie auch nicht als der
Sitz der Fettbildung aus Kohlenhydraten angesprochen werden
können.
Das Arterienblut von Hunden im Hungerzustand, ver-
glichen mit dem derselben Tiere nach Kohlenhydratfütterung, ist
um ca. 1 pro Mille fettärmer, ebenso ist das Blut der Kohlen-
hydratmastgänse um 1,6 pro Mille fettärmer als das der Hunger-
Alles dieses deutet darauf hin, daß in keinem hnieren Organe
das Fett aus Kohlenhydraten bereitet und auf dem Blutwege
nach seiner Lagerstätte, dem Uuterhautbindegewebe oder den
Mesenterialfalten , transportirt würde, sondern daß es in loco
depositionis entstände und von den Zellen des Fettgewebes
synthetisch bereitet würde.
Discussion:
Herr Röhmann wendet sich in kritischen Bemerkungen gegen
die Schlußfolgerungen des Vortragenden.
Herr Buchwald und Herr ühthoff richten Fragen an den
Vortragenden.
Herr B. ßiesenfeld: Herr Roeenfeld hat ausgeführt, daß
nach einem Diner jeder Teilnehmer eine Fettleber bekommen
müßte, wenn er nicht — wofür ja gesorgt sei — gleichzeitig
Zucker zu sich nähme: nur hierdurch werde die Bildung einer
Fettleber verhindert. Andererseits hat der Vortragende vor
längerer Zeit die Behauptung aufgestellt, jeder Diabetiker leide
an „Fettleber". Abgesehen von dem hierinliegenden Widerspruche
136 ,'IaJiresberichl der Sciiles. Gesellsc.hafl, für valerl. Ciiltiif.
habe auch ich besonders bei Diabetikern der leichteji JTorm,
die innerhalb ihrer Toleranz, also zuckerfrei, blieben, ebensoweui/,^
wie andere Beobachter das Vorkommen einer Tettleber linden
können. Dabei muß mau bedenken, daß solche Diabetiker eine
Fettmenge von täglich 150 — 200 g zu sich nehmen — das wider-
spricht also geradezu den Behauptungen des Herrn Vortragenden
resp. den von ihm gezogenen Öchlußfolgerungen.
Auch mit der Behauptung, daß nur mit dem Zuckergehalt
dos Blutes der Durst beim Diabetiker steigt reap. fällt, kann ich
mich ebensowenig wie Herr Buchwald einverstanden erklären.
Denn auch ich vormag mir alsdann nicht die Thatsache zu deuten,
daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der Fälle von schwerem
Diabetes gar kein Durstgefühl hat, so daß solche Patienten bei
6 pCt. Zucker nur eine Diurese von 1500, ja von 1300 ocm haben
— und dabei sind das oft genug Leute mit hochentwickelter
Intelligenz und scharfer Beobachtungsgabe — hier nur eine
„Torpidität" annehmen zu wollen, erscheint mir nicht angebracht.
Ein dritter Einwand gegen die Schlußfolgerungen Rose n -
felds bezieht sich auf seine eigenen Ergebnisse resp. auf die
von ihm selbst aufgestellte letzte Tabelle. Der Vortragende be-
trachtet es als unzweifelhaft, daß seine Blutuntersuchungen ilm
zu seinen Schlußfolgerungen berechtigen — aber ein Blick auf
diese Tabelle zeigt, daß von sechs Versuchen ein Versuch ein
entgegengesetztes Resultat ergeben hat. Ferner aber hat sich
der Vortragende geirrt, wenn er behauptet, es spreche für die
Richtigkeit seiner Ergebnisse, daß er zu Gunsten derselben eine
Diöerenz von 1,6 pro Mille erhalten habe — das ist ja gar nicht
der Fall! Nach seiner eigenen Tabelle beträgt die Differenz nur
1,'2 pro Mille — daß heißt also 25 pGt. weniger.
Herr RosenMd replicirt Herrn Roh mann und Buch wähl
und beantwortet die Fragen von Herrn Uhthoff. Herrn ßiesen-
feld antwortet der Vortragende, daß Herr Eies enfeld einerseits
die Begriffe torpid und unintelligent verwechsele, und daß die
citirte Aeußerung über die Fettleber des Diabetikers nur auf
einem Mißverständnis beruhen könnte, da es sich nur um durch
Pankreasexstirpation diabetische Hunde handle. Die Entstehung
einer Fettlebor beim (b'abetisohon Menschen hänge von seinem
Kohlenhydratumsatz, seinem Füttverbrauoh und seinem Fett-
roichtum ab.
J. Äbt.üilung. XlediciiiiscliB Soution.
Sitzung vom 25. November 1904.
Vors.; Horr Ponfick. — Schriftf.: Herr Rosen fehl.
Herr von Strümpell stellt einen 22jährigen jungen Mann
mit Friedreich'scher Krankheit vor. Hereditäre Verhältnisse
sind nicht nachweisbar (Fat. hat nur einen jüngeren Bruder von
14 Jahren). Das Leiden begann im Anschluß an einen Fall aus
dem Schlitten im 14. Lebensjahre. Sehr allmählich entwickelte
sich eine Gehstörung und eine Unsicherheit im Gebrauche der
Arme und Hände. Schmerzen und Blasenstörungen waren niemals
vorhanden. Gegenwärtig besteht eine ausgesprochene Ataxie in
den Armen und Beinen, sowie im Rumpfe. Unsicherer, schwanken-
der Gang. Unsicheres Stehen mit geschlossenen Füßen. Patellar-
reiiexe fehlen. Pupillarreaction normal. — Bemerkenswert ist,
daß in den atactischen Armen trotz genauester Untersuchung
nicht die geringste Sensibilitätsstörung nachweisbar ist. In den
Beinen ist dagegen eine geringe Störung des Muskelsinns und
Driicksinns nachweisbar, besonders in den distalen Abschnitten.
Herr Ludwig Mann fragt an, ob der Herr Vortragende auch
auf dem Standpunkte steht, daß die Friedreich'sche Ataxie auf
einer Erkrankung der zum Kleinhirn führenden Hinterstrangs-
anteile beruht. Neuere Erfahrungen der Pathologie haben be-
kanntlich gezeigt, daß die Ataxie ohne nachweisbare Sensibilitäts-
störungen als ein Kleinhirnsymptom aufzufassen ist. Auch die
vom Herrn Vortragendon erwähnte Thatsaohe, daß gewisse Klein-
hirnerkrankungen bei Kindern ein ähnliches Symptomenbild liefern
wie ilie Friedreich'sche Ataxie, spricht in diesem Sinne.
Tagesordnung;
Horr F. Röhmann : üeber das p-Jodoanisol (Isolorm) und
sein Verhalten im tierischen Organismus.
Durch Versuche, welche ß. Heile (Arch. f. kiin. Chirurgie,
Bd. 71) unter Mitwirkung von F. Röhmann ausgeführt hatte,
war festgestellt worden, daß das Jodoform durch die Bestandteile
der Gewebe und bei Ausschluß von Sauerstoff unter Bildung von
baotericiden Stoffen zersetzt wird. Hat der Sauerstoff Zutritt,
80 findet auch eine Zersetzung statt. Die entstehenden Producte
138 Jaliresbericht dor Schles. GesellscJialt fllr vaterl. Cultur.
sind aber ungiftig. Diese Beobachtungen geben eine Erklärung
für den Widersprucli , welcher bisher zwischen dem negatiTen
Ausfall der Versuche, die die bactericide Wirkung des Jodoforms
experimentell beweisen sol'ten, und den praktischen Erfahrungen
der Chirurgen bestand. Sie erklärton zugleich, warum das Jodo-
form nur unter ganz bestimmten Bedingungen, z. B. bei der Be-
handlung von Höhlen wunden, von Gelenken etc., nämlich unter
Verhältnissen, wo der Sauerstoff nur mehr oder weniger schwer
zum Orte der Anwendung hinzutreten kann, wirksam ist, während
es auf oberfläoliliohen Wunden und Verbänden als Antisopticum
versagt. Als den wirksamen Stoff, der bei der Zersetzung des
Jodoforms entsteht, betrachtet Heile dasDijodacetyliden = C = CJj.
Im Anschluß an diese Versuche prüfte Heile einige Körper,
welche man als Derivate des Dijodacetylidens auffassen kann,
das Dijodstyrol CeH5CH = CJ2, das Trijodstyrol CeH^CJ -= CJ2,
den Dijodzimmtsäureäthylester C^HgCJ : CJ . COOC2H5 auf ihre
antiseptische Wirksamkeit. Sie zeigten eine solche nicht.
Bei weitereu Versuchen fanden Eöhmann und Heile in
dem von Dr. A. Liebrecht dargestellten p-Jodoanisol einen
Körper von ausgezeichneten antiseptischen Eigenschaften.
Das p-Jodoanisol ^e^iQng^ i welches unter der Bezeichnung
Isoform von den Farbwerken vorm. Meister Lucius & Brüning
zu Höchst a. M. in den Handel gebracht wird, ist eine farblose,
krystallinisohe Substanz, in Wasser schwer, in Alkohol und Aether
80 gut wie unlöslich. Sic zersetzt sich bei 230" C, ; sie hat nur
einen ganz schwachen Geruch nach Anis, sie reizt die Haut nicht
und wirkt nach den Versuchen von Heile im Gegensatze zu
anderen Antiseptiois auch in stark eiweißhaltigen
Medien äußerst energisch auf Bacterien.
Wenn man Gaze mit den verschiedenen gebräuchlichen Anti-
septiois und zum Vorgleich mit Jodoanisol imprägnirt, so läßt
sich die Ueberlegenheit des letzteren leicht durch folgenden Ver-
such zeigen. Man taucht die Gazestüokohen in infioirten Eiter
und übergießt sie in Petrischalen mit Nährgelatine. Dann wachsen
die Bacterien z.B. auf Gazen, die mit5proc. Carbolsäure, 0,2 bis
0,3proo. Sublimat etc. imprägnirt sind, aber nicht in Sproo. Iso-
formgaze. Dem entspricht seine Wirksamkeit bei Verwendung
in der chirurgischen Praxis. Das p-Jodoanisol ist ungiftig.
Nach Eingabe per os erscheint im Harn Jodphenylschwefel-
säure. Dies beweist, daß im Darm das p-Jodoanisol zu Jodanisol
reducirt, und daß dieses weiter zu Jodphenol gespalten wird.
1. Abteilung. Mediciiiischo Scction.
Cß^^* OCH, ■^ *^«^* OOH3 + °
Jodoarn'sol Jotloaoanisol
CeH^ OCH == ^«'^■i OCH3 + ^
Jodosoanisol Jodanisol
Jodanisol Jodphenol.
Auf letzteres läßt sich die antiseptisohe Wirkung jedoch nicht
zurOokführen. Denn Jodanisol, aus welohem auch Jodphenol
entstehen müßte, besitzt nur eine sehr geringe antiseptisohe
Wirkung. Es scheint vielmehr, als ob diese auf der Abspaltung
von aotivem Sauerstoff aus dem Jodoanisol beruht.
Daß das Jodoanisol auch im Darmkanal seine Wirkung auf
die Bacterien entfaltet, wurde von Heile bei Patienten mit Anus
praeternaturalis nachgewiesen. 2 — 4 Stunden nach der Eingabe
war die Bacterienentwicklung stark gehemmt, zuweilen ganz unter-
drückt. Beim hungernden Hund verschwand die Indosylreaotion
im Harn.
D i s c u s s i 0 n :
Herr v. Mikulicz verweist auf die ausführlichen Mitteilungen
Dr. Heiles über die Verwendung dos Isoforms in der Chirurgie
(Vortrag auf der diesjährigen Naturforsoherversammlung in Breslau).
Er erwähnt nur, daB das Isoform in seiner Klinik seit ^j., Jahre
in immer größerer Ausdehnung gebraucht wird und daB sich
dabei eine Reihe von Vorzügen gegenüber anderen Antiseptiois
gezeigt habe. Das Isoform ist bestimmt, im Wesentlichen mit
dem Jodoform und dessen Surrogaten zu concurriren. Doch glaubt
ßedner nicht, daß es das Jodoform vollständig verdrängen wird.
Beide Mittel sind Dauerantiseptioa und haben ihre Licht- und
Schattenseiten. Ein Hauptvorteil des Isoforms ist der, daß es,
nach den bisherigen Erfahrungen wenigstens, nicht giftig zu
sein scheint. Im Uebrigen wird noch eine längere klinische
Beobachtung notwendig sein, um die beste Art seiner Anwendung
festzustellen und ihm den richtigen Platz in der Wundbehandlung
anzuweisen.
Herr K. Stern: Duroli die von Herrn ßöhmann erwähnten
Beobachtungen des Herrn Heile über Darmdesiufeotion finden meine
früheren gemeinsam mit Dr. von Mieczkowski auf der
V. Mikulicz 'sehen Klinik angestellten Versuche weitere Bestäti-
gung: durch unsere Versuche wurde — soviel ich weiß, zum
Jalirosbcrielit öm- ScJilos, GopoUsoliaft iTu- val.e
, Onltnr.
ersten Male - der Nachweis geführt, daß es durch größere Dosen
eines per os gereichten, schwer löslichen Autiseptioums (Menthol)
gelingt, im Darminhalt am untersten Ende des Dünndarms Des-
infeotionswirkungen zu erzielen. Ob allerdings das Isoform sich
praktisch als Darmantisepticum bewähren wird, erscheint nach
den Ausführungen von Herrn Roh mann fraglich, da es in größeren
Dosen reizend wirkte.
Herr v. Strümpoli hält einen Vortrag über die primär«
Degeneration der Seitenstränge (spastische Spinalparalyse). Nacli
einleitenden allgemeinen Erklärungen über den Begriff und die
Aotiologie der nervösen Systemerkrankungen berichtet der Vor-
tragendeüberd reiFälle,dieden Symptomencomplex der spastischen
Spinalparalyse dargeboten haben, und bei denen die anatomische
Untersuchung als wesentlichaten Befund eine primäre aufsteigende
Degeneration der Pyramiden-Seitenstrangbahnen (teils bis in das
Halsmark, teils noch höher hinauf) ergab. Die ausführliche Mit-
teilung der Beobachtung ist im XXVII. Bande der „Deutschen
Zeitschrift für Nervenheilkunde" erfolgt.
Klinisoher Abend vom 2. Docomber 1 !I04.
im Allerheiligen Hospital.
Herr Harttung: M. H.I Ich gestatte mir, Ihnen einige Fälle
zu demonstrireu, welche sämtlich das Bild einer Hauterkrankuiig
zeigen von höchster Eigenart, über deren Pathogenese die Acten
noch nicht vollständig geschlossen sind. Sie sehen oder fühlen
bei allen Kranken an den Extremitäten, und nur an ihnen, eigen-
tümliche, z. T. plattenförmige , z. T. halbkugelige oder kugelige
Tumoren, von denen einige bis zu Hühnereigröße gewachsen sind.
Sie sind z. T. mit der Oberhaut fest verlötet, z. T. liegen sie in
der Suboutis und sind teils looker, teils schwerer verschieblich-
an einzelnen Stellen imponiren sie vollkommen als den Muskel
durchsetzende Geschwülste; aber bei dem Versuche, sie zu ent-
fernen, zeigt .sich, daß sie doch an der Fascia Halt machen, und
obwohl sie dieser fest aufliegen, doch leicht von ihr abzutrennen
sind. Bei der Betastung der Gebilde fühlt man von ihnen
einzelne Stränge wie sklerosirto Gefäße in die Umgebung sich
abzweigen.
Höchst characteristisoh sind die länglichen, ''/^--l cm dünnen
Platten, welche vom Epithel ausgehend den Papillarkörper ein-
nehmen unil derb und hart, wie eine Bleiplatte, scharf abgegrenzt
I. ÄbteiLing. Mediciiiisclic Seotion.
gegen die Umgebung sich über der Tela subcutanea hin- und her-
Bohieben lassen. Die Entwicklung geschieht so, daß zuerst auf
dor Haut eine leicht rötliche oder livide Stelle auftritt, die all-
mählich ein Infiltrat zeigt und in die Tiefe wächst. Es kommen
aber auch Eruptionen vor, bei denen der erste Herd in der Sub-
cutis sitzt, nachdem anscheinend dorthin auf dem Blutwege der
erste Entwioklungskeim geschleppt ist. Diese Herde entwickeln
sich dann zunächst nach oben und verlöten erst allmählich mit
der Epidermis. Auf dem Durchschnitt sieht man ein derbes,
ziemlich homogenes Gewebe, wie Sarkomgewebe, das mit mehr-
fachen kleinen, eine ölige Flüssigkeit enthaltenden Hohlräumen
(coUiquirtes Fett) durchsetzt ist. Histologisch findet sich bei allen
Kranken chronische Entzündung, Wuoheratrophie des Fettgewebes
(Flemming) mit großen, mächtigen Riesenzellen und, wenigstens
nach unserer Auffassung, echte Tuberculose.
loh muLi hier gleich einschalten, daß unsere Auffassung von
der tuberoulösen Natur der Ihnen vorliegenden Bilder (eine An-
zahl von Präparaten wird herumgegeben) nicht von allen Seiten
geteilt wird. Während eine Anzahl namhafter pathologischer
Anatomen (Geh-Rat Ponfick, Prof. Lubarsch) die bezeichneten
Stellen als sichere Tuberculose des Fettgewebes ansprechen,
leugnen ebenso namhafte Histologen, wie Jadassohn, dem sich
neuerdings auch v. Recklinghausen angeschlossen hat, ihre
tuberculose Natur. Hervorzuheben ist, daß die Kranken sämt-
lich Spitzenaffectionen zeigten. Die Untersuchung auf Tuberkel-
bacillen fiel negativ aus, auch zahlreiche Impfversucho waren
negativ.
Ueber die Pathogenese dieser Krankheit bestehen, wie ge-
sagt, verschiedene Auffassungen; Caesar Boeck in Christiania
hat vor drei Jahren zwei histologisch ganz ähnliche Fälle be-
schrieben, die nur insofern klinisch eine Abweichung zeigten,
als sie auch Eruptionen im Gesicht und auf dem Stamm auf-
wiesen. Auch Boeck bezeichnet ihre tuberculösen Veränderun-
gen nur .als tuberkelähulich, hat stets ein Zurückgehen auf Arsen
beobachtet und iiezeiohnet sie als sarcoide Tumoren. Ihm schließt
sich ein Teil der Franzosen an, von denen einige neuerdings die
Auffassung vertreten, daß die Tuberculose im allerersten Anfang
der Erreger dieser nun nicht mehr tuberoulösen, sondern sarcoiden
Tumoren sei. Wir sind der Auffassung und mit uns eine Anzahl
hervorragender Franzosen, daß es sich um eine echte embolisohe
Tuberculose mit abgeschwächten Tuberkelbaoillen handele.
Schließlich bostoht noch eine Auffassung der Prager Schule,
142 Jahresbei icht der Schlos. Gesellschaft für vaterl. Culti^r.
wonach es sich bei diesen Gebilden um oircumscripte chronische
Entzündungen des Fettgewebes handelt. Diese Auffassung trifft
wenigstens für drei von den Patienten, die Sie hier sehen, jeden-
falls nicht zu.
Die Erkrankung ist außerordentlich selten, es ist mir aber
gar kein Zweifel, daü sie auch sehr häufig übersehen wird; es
wäre doch ein merkwürdiger Zufall, wenn ich über sechs Fälle
verfügen sollte, während im ganzen Deutschland (Reichsdeutsoh-
land) nur etwa 10 beschrieben sind.
Wir bezeichneten die Erkrankung bisher als Erytheme indure
Bazin, einer Schilderung von Bazin aus seinem Buche „La
scrophule" folgend; wir haben uns aber von Barthelemy be^
lehren lassen müssen, daß er, obgleich er sonst mit unserer
pathogenetischen Auffassung übereinstimmt, und mit ihm die
meisten seiner französischen Oollegen, unsere Fälle nicht als
Bazins bezeichnen würde. Der erste Fall aus Deutsehland stammt
übrigens von uns aus dem Allerheiligen-Hospital.
Die Zukunft muß noch weitere Klärungen über diese Frage
bringen.
Herr Franz Eohrak: Otogene Pyämie.
Redner bespricht an der Hand klinischer Fälle drei Typen
acuter otogener Pyämie :
1. Pyämie mit Sinusthrombose — durch Freilegung des Sinus
sigmoideus und Unterbindung der Jugularis geheilt.
2. Pyämie infolge eines unter Druck stehenden otogenen
Abscesses — geheilt durch Eröffnung eines um den Sinus bis
zum Bulbus jugularis sich erstreckenden extraduralen Abscesses,
ohne wesentlichen Eiterherd im Antrum mastoideutn und den
Zellen des Warzenfortsatzes.
3. Pyämie bezw. Baoteriämie, bei der sich die Invasion
lediglich durch eine Infeotion der Paukenschleimhaut erklären läßt.
Unter Demonstration von Blutagarplatten bespricht der Vor-
tragende den diagnostischen und prognostischen Wert der aus
dem Blute angelegten Culturen.
Herr Riegnor stellt drei Fällo von Blasentumor bezüglich
deren Präparate vor. Zweimal handelte es sich um den in der
Blase sehr seltenen Gallertkrebs, einmal um den Fall, daß ein
gutartiges Papillom neun Monate nach der ersten Operation als
maligner Tumor recidivirt ist. (Genaue Veröffentlichung erfolgt
in „Bruns Beiträgen zur klinischen Chirurgie".)
Herr Lilienfeld stellt einen 8jährigen Jungen vor, der durch
Sturz von der Treppe einen coinplicirten Bruch des Hinter-
I. Abteihing. Modiciriiscbe Beclioii.
Iiauptbeines erlitten hatte. Nach anfänglich glattem Verlauf
stellten sich Erscheinungen ein, die einen Gehirnabsoeü vermuten
ließen. Die Trepanation ergab einen großen Absceß dos rechten
Occipitallappens. Ausgang in Heilung. Im 'Anschluß daran de-
monstrirt der Vortragende das Präparat eines Falles von Absceß
des linken Stirnhirna, der im Anschluß au eine Splitterfractur
des Stirnbeins entstanden war. Tod an Meningitis.
Ferner stellt Herr Liljenfold zwei Fälle von durch Lapar-
otomie geheilter diffuser, eitriger Peritonitis vor. Im einen Fall
handelte es sich um einen 43jährigen Tischler, der durch ein
gegen das Abdomen von einer Kreissäge geschleudertes Brett
eine .Ruptur des Oo ecuras erlitten hatte, bei Intactsein der Bauch-
decken. 30 Stunden post trauma Laparotomie. Trotz diffuser Perito-
nitis Ausgang in Heilung. Bei dem anderen Fall, der eine 35jährige
Frau betraf, lag eine Quetschung der untersten Ileumsohlinge
ohne makroskopisch nachweisbare Perforation vor, die infolge
von schwerer Mißhandlung entstanden war. Die Läsion der
Darmwand hatte zu diffuser, eitriger Peritonitis geführt, die durch
Laparotomie geheilt wurde. (Die Fälle werden in extenso in
„Bru ns' Beiträgen zur klinischen Chirurgie" veröffentlicht werden.)
Herr Heintze stellt zwei Patienten vor, welche in der Nacht
vom 25, zum 26. September er. nach einer Messerstecherei schwer
verletzt in das Wenzel Hancke'sche Krankenhaus eingeliefert
worden waren.
Der erste, ein 27jähriger Schmied Paul R., hatte einen Stich
in den Unterleib erhalten. Die Wunde lag in Nabelhöhe nach
außen von der linken Mammillariinie. Durch dieselbe war etwa
% m Dünndarm vorgefallen. Dieser war infolge Absohnürung
durch die enge Bauchwunde angeschwollen, sah dunkelrot aus
und zeigte etwa in der Mitte des prolabirten Convolutes eine quere
scharfe Durchtrennung bis auf den Mesenterialansatz sowie etwa
2 cm davon entfernt noch zwei einander gegenüberliegende Durch-
stichswunden. Es wurde eine typische Darmresection ausgeführt
(das resecirte Stück von 25 cm Länge wird demonstrirt). Darauf
wurde die Bauchwunde, welche einen ganz engen Schnürring
darstellte, erweitert, ein entfernterer Seroaadefect durch drei Nähte
übernäht, der Darm reponirt und die Bauciawunde durch Etagen-
nähte bis auf eine 1 cm lange Oeffuung, durch welche ein schmaler
Streifen Vioformgaze eingeführt worden war, geschlossen. Un-
gestörter Wundverlauf. Patient konnte am 29. Ootober er. ge-
heilt das Krankenhaus verlassen.
Der zweite Patient, ein Sljähriger Arbeiter Paul G., hatte
144 Jahresberidit dor Schles, Gesellschaft für vaterl. Onlt.ur.
außer einer Schnittwunde am linken Unterarm sowie einer Stich-
wunde am Sorotum vier Bauchstiohe davongetragen, welche sämt-
lich perforirten. In einer Wunde im linken 9. Zwischenrippen-
raume sowie in der linken ITnterbauohgegend war Netz vor-
gefallen, bei einer dritten Wunde in der linken Axillarlinio war
der 10. Rippenknorpel scharf durohtrennt und die vierte Wunde
lag zweifingerbreit unter dem Processus ensiformis sterni. Die
Beschaffenheit des Pulses, der Peroussionsbefund sowie die geringe
Druckempfindlichkeit und Spannung des Abdomens ließen eine
innere Organverletzung nicht sehr wahrscheinlich erscheinen.
Trotzdem wurde wenigstens die eine Wunde in der linken Ilnter-
bauchgegend erweitert. Es fand sich keine Darmverletzung,
sondern nur eine stärkere Blutansammlung in der linken seit-
lichen ßauchpartie, welche nach der Lage der Wunden wahr-
scheinlich aus einer Stichverletzung der Milz herrührte. Die
Blutung war nicht so erheblich, daß ihre Ursprungsstelle un-
bedingt freigelegt worden mußte. Die Wunden wurden durch
Naht geschlossen und Patient verließ zugleich mit dem ersten Ver-
letzten am 29. Ootober er. geheilt und arbeitsfähig das Krankenhaus,
Sitzung vom 9. Dooember 1904.
.Vorsitzender: Herr Ponfick.
Schriftführer: Herr Uhthoff.
Herr (Jürich: Die tonsillara Therapie des (Jelenkrheuma-
tismus.
Die übliche medicamentöse Therapie des Gelenkrheumatismus
ist nur symptomatisch, kein Medioament kann die Recidive der
Krankheit verhüten. Die Recidive beruhen auf dem immer wieder
erneuten Eindringen des Virus in die Circulation. Die Medi-
namente wirken nur auf das in der Circulation befindliche Gift,
den Neueintritt von Gift können sie nicht verhindern,
Der oft wiederholte Eintritt von Krankheitserregern in die
Circulation zwingt uns, im Körper des Krauken einen chronischen
Infectionsherd anzunehmen. Dieser ist nach dem Vortragenden
in den Tonsillen gelegen.
Die chronisch eitrige fossuläre Angina ist der primäre In-
fectionsherd.
Die chronische fossnläre Angina findet sich in jedem Palifi
von Gelönkrheumatismus.
Jede acute Exacerbation dorsclhon hat rheumatische Er-
I. Abloiliiii^!,', ILcdicinisclic Secfioii. 145
soheinungen zur Folge. Durch küustlioh herbeigeführte Exacer-
bationen kann man experimentell Gelenkrheumatismus hervorrufen.
Durch Beseitigung der chronischen Augina wird der Gelenk-
rheumatismus rasch und dauernd geheilt ohne Anwendung von
Medicamenten.
Diese Thatsaohen gelten nach den Erfahrungen des Vor-
tragenden für alle Fälle von Gelenkrheumatismus, auch für die,
in denen anginöse Beschwerden fehlen. Das Fehlen anginöser
Beschwerden beweist nicht, daß die Eintrittspforte des Giftes
außerhalb der Majideln liege. Im Gegenteil steht die Ansicht,
daß in den klinischen Erscheinungen au der Eintrittspforte und
deji Erscheinungen der AUgemeininfection ein Parallelismue be-
stehen müsse, im Widerspruche mit der modernen Lehre von der
AUgemeininfection.
Zum Beweise der Heilwirkung der tonsillaren Therapie eignen
sich weniger frisch erkrankte Patienten, bei denen man Spontan-
lieilungen nicht ausschließen köiuio, sondern vorwiegend solche
die schon Monate oder gar jahrelang bestehen.
In solchen Fällen hat man streng zu unterscheiden zwischen
den durch die Erkrankung erzeugten bleibenden Veränderungen
der Gelenke — Status metarheumatious — und den auf immer
wiederholter Neuinvasion des Virus beruhenden Nachschüben
— Rheumatismus acutus permaiiens.
Es werden vorgestellt:
H. 8., 20 Jahre. Rheumatismus acut, perman. seit 8 Jahren ;
von der Landesversicherungsanstalt in Breslau als unheilbar er-
klärt: erhält Invalidenrente, Heilung durch 6 wöchentliche ton-
sillaro Behandlung.
P. K., 43 Jahre, ßheumatii-mus acut, perman. seit 17 Ja.hren,
m etarheumatisohe Ankjrlose Ijoider Handgelenke. Heilung durch
3 wöchentliche Kur.
A. W., Militärinvalide, 23 Jahre, erkrankte als Soldat im
December 1903. Im Mai 1904 als unheilbar mit Militärpension
entlassen. Begijui der Kur im September 1904. Heilung nach
4 Wochen.
A. Z. Rheumatismus acut, perman, seit V/^ Jahren, War bei
Beginn der Kur gänzlich arbeitsunfähig. Heilung nach 3 Wochen.
'P. S. Rheumatismus perman. seit fi/j Jahren; Kurdauer
4 Wochen. Völlige Heilung.
Cl. M. Rheumatismus permanens gravis seit 4 Jahren, nocli
«nbedeutende Schmerzen im rechten Knöohelgelenk, noch in Kur
seit () Wochen.
14C .Tahresberlclit der Sdilos. Guscllscliafi für vnicri. Cultur.
A. K. , 20 .ralire. Chorea minor gravis. Seit lo Wocli«n.
Kurdauer 10 Tage, völlige Heilung.
0. H. EheumatismuB permanens seit '/^ .J;ihr. Kurdauer
10 Tage, YöUige Heilung.
Die Diagnose der chronisohon fossuliireu Angina ist nach den
Lehren der Specialdisciplin durch Sondonuntersucliung der Mandel-
gruben irnd durch die mikroskopische Untersuchung des Gruben-
inhaltes zu stellen. Meist findet man Mandelpfröpfe. Die ein-
fache Inspeotiou gestattet die Diagnose nicht.
Die tonsillare Therapie besteht in der Spaltung der Mandel-
gruben und ExHtirpation der zwischen den Spalten stehenbleiben-
den Mandolreste. Die hierzu nötigen Instrumente sind nach den
Angabi-n des Vortragenden constniirt. (Sie werden herumgereicht.)
Die bisher übliche Therapie der Mandelpfröpfe reicht 7A\r Therapie
des Gelenkrheumatismus nicht ans.
Jeder Eingriff an den Tonsillen bewirkt durch acute Steigerung
der chronischen Angina eine Exacerbation des Eheuraatismus, die
nach einigen Tiigen der definitiven Besserung weicht. Diese
„rheumatische Reaction" muß abgelaufen sein, ehe ein neuer
therapeutischer Eingriff vorgenommen wird.
D i s c u s s i 0 n :
Herr 0. Brieger: Die von dem Vortr. vorgeschlagene Therapie
begegnet zunächst erhel)lichen priuoipiellen Bedenken. Daß die
Tonsillen eine der Eingangspforten für das Virus des Gelenk-
rheumatismus, vielleicht die am häufigsten beschrittene darstellen,
steht außer Zweifel. Die Propfbildung in den Mandeln ist aber
als ein Procei.', der geeignet wäre, wiederholte Infectionen mit
dem Virus des GeleukrheumatismuB zu vermitteln, von vornherein
nicht anzusehen. Wohl enthalten die Pfropfe meist zahlreiche
Mikroorganismen, wie sie als Epiphyten der Tonsillen bekannt
sind, diese aber so eingeschlossen in gesohichtete Hornmassen,
daß, zumal bei der gewöhnlich zu Grunde liegenden Dioken-
zunahme des Plattenepithela, das Eindringen in das Gewebe der
Mandel so sicher als möglich verhütet ist. Bei der Pfropfbildung
ist nicht ein entzündlicher Proceß, wie der Vortr. ihn als Quelle
des recidivirenden Gelenkrheumatismus annimmt, sondern nur
eine Hyperkeratose des Mandelepithels im Spiele.
Wenn der Vortr. meint, daß es seiner diagnostischen Methode,n
zur Aufdeckung der Mandelpfröpfe bedürfte, irrt er ebenfalls.
Mit Hilfe einer ähnlichen, schon immer gebräuchlichen Methodik,
aber selbst auch ohne diese — am einfachsten durch einen auf die
Moiüciiiisclie Sociion. 147
Maiidelbasis während der Betrachtung geübten Druck mittels des
Spatels ^ bringt man sich die in den Mandelbuohten sitzenden
Pfropfe mindestens ebenso gut zu Gesicht. Die Zuverlässigkeit
der seit je geübten Methoden für die Erkeinmng der Pfropfe
geht schon daraus liervor, daß sie mit diesen weit häufiger, als
sie dem Herrn Vortr. aufgestoGeu zu sein scheinen, ebenso Jiäufig
etwa, als man sie nach Maßgabe der histologisohen Erfahrungen
an exoidirten Mandeln erwarten muß, nachgewiesen werden.
Bei dieser Häufigkeit des Vorkommens von Mandelpfröpfen
ist es nicht wunderbar, wenn der Herr Vortr. der von ihm als
Ursache der Pfropfbilduug zu Unrecht supponirton „chroiiisohon
eitrigen Tonsillitis" in jedem seiner Fälle von Gelenkrheumatismus
begegnete. Nur ist der Zusammenhang dieser beiden Processs
miteinander damit durchaus noch nicht erwiesen. Diese Befunde,
wie auch die therapeutischen Resultate und noch mehr die eigen-
tümlichen B,eactioneu an den Gelenken auf Eingriffe im Bereich
der Mandeln bedürfen vielmehr durchaus der Nachprüfung au
größerem Material. Aus meinen bisherigen Erfahrungen in gleicher
Richtung habe ich weder den Eindruck einer constanten Beein-
flussung der Recidive des Rheumatismus durch Behandlung der
Tonsillen gewonnen, noch auch jemals eine typische Reaotion,
wie sie der Vortr. beschreibt, feststellen können. Indessen gegen-
über solchen positiven Erfahrungen, wie sie hier mitgeteilt wurden,
ist, wie ich anerkenne, die Beibringung eines größeren, von den
Gesichtspunkten des Vortr. aus sorgfältig beobachteten Materials
als Grundlage der Kritik notwendig.
An der Anwendung einer weniger wirksamen Behandlungs-
methode, als der vom Herrn Vortr. vorgeschlagenen, können die
negativen Resultate — wie ich , um diesem Einwand gleich zu
begegnen, hervorheben möchte — nicht liegen. Der Herr Vortr.
irrt wieder, wenn er meint, daß sein Verfahren principiell neu,
und daß es geeignet sei, das lymphoide Gewebe in diesem Ab-
schnitt des Schlundringos vollkommen und dauernd auszurotten.
Zutreffend ist sein Urteil über den geringen Nutzen der Methode
der Mandelschlitzung. Dauerresultate im Sinne dauernder Be-
seitigung der Pfropfbildung sind dabei, gleichviel ob man danach
auf das Epithel in den Buchten noch andere Mittel durch mehr
oder weniger lange Zeit einwirken läßt, nicht allzu häufig. Seit
langem wird aber vielfach und von mir z. B. regelmäßig an Stelle
dieses Verfalirens die Excisiou derjenigen Tonsillarabschnitto, in
denen die Buchten sich finden, und zwar so weit gegen die
Mandelbasis hin, daß die ganze 'J'iefo der Buchten erreicht wird,
10*
Id8 Jfilirosliiriclii dor ScIilftS. r!os(>l!scliua liir vatcrl. Oiiiliir.
mittels geeigueter Zangen geübt. Nur wenn mau die Laounon
in toto excidirt oder aus den tiefen Buchten offene Mulden macht,
in denen die Hornmassen sich nicht mehr anhäufen können, wird
die Pfropfbildung ständig verhütet.
Aber auch damit kommt es obouso wenig, wie es bei dem
vom Vortr. bevorzugten Verfahren möglich ist, zu einer Aus-
rottung des lymphoiden Gewebes au den betreffenden Stellen.
Seibat wenn es vorübergehend zu wirklicher Narbenbildung in
der Tonsille käme, werden auch solche Bezirke, zumal bei jugend-
licheren Individuen, so vollkommen durch allmähliche Lympho-
cyteninfiltration wieder „adenoid" umgewandelt, daß man auch
in den radioalat operirten Fällen immer noch Reste adenoiden
Gewebes finden wird.
Auf Grund aller dieser Erwägungen kann ich nur davor warnen,
die Folgerungen des Herrn Vortr. einfach anzunehmen und nur
raten, die Discussion über diesen Gegenstand wieder aufzunehmen,
wenn ausgedehnte Nachuntersuchungen von möglichst vielen
Seiten her vorliegen.
Herr Güricli: Daß nicht jeder Mandelpfropf rheumatisclies
Gift enthält ist selbstverständlich. Der nach Eingriffen an den
Tonsillen auftretende reactive Gelenkrheumatismus findet sich
selbstverständlich nur bei rheumatisch infioirten Individuen.
Herr Detenneyer: lieber eijieii Fa!J «ioppflgtiitiger isolirter
Liiljmnisg des M. extons. quadriceps cruris.
M. H. ! Gestatten Sie mir, Ihnen einen oasuistischen Beitrag
zum Capitol der peripheren Lähmungen mitzuteilen. — Ein etwa
30jähriger, rüstiger und gesunder Mann hatte eine Fußtour unter-
nommen, bei welcher er den vom Hochwald nach Bad Salzbrunn
hinabführenden steilen sogen. Zickzackweg passirto. Den ca. ein-
stütidigen Weg vom Fuße des Hochwaldes nach Bad Salzbrunn
legte er ohne Beschwerden zurück und besuchte hier die Pro-
menade, vfo or sich auf einer Bank ausruhte. Beim Aufstehen
bemerkte er eine Schwäche in den Beimen, konnte noch eine
Weile gehen und brach ,dann in den Kniegelenken zusammen.
Hinzugerufen stellte ich fest: Dor im Uebrigen gesunde Mann
war nicht im Stande, sich ohne Hilfe aus sitzender Stellung zu
erheben. Auf die Füße gestellt, vermochte er mit passiv durch-
gedrückten Knien zu stehen, brach aber bei der geringsten
Beugung der Knie zusammen. Dio Bewegungen im Hüftgelenk,
besonders die Beugung, wurden ohne jegliche Beschwerde aus-
geführt, dio Streckung des Unterschenkels war aber unmöglich,
dor Pat^llarreflex fehlte, der Kremasterreflex war lobhaft, die
I. Abtcjluim-. Mcdioinische Scctioti. Hf»
Sensibilität naoii joiier Eiohtung isornial. Diese Eraoheinungen
zeigten sicli an beiden Beinen gleiciimäCig. Eine Untersuchung
auf eleotrische Erregbarkeit konnte leider nicht vorgenommen
werden, da der Patient baldmöglichst in seine Heimat abreisen
wollte, was auch mit Unterstützung seiner ihn begleitenden
Freunde geschah. Ueber den weiteren Verlauf hat mir der be-
handelnde Arzt, Herr Dr. Troche (Warmbrunn), folgende, Beob-
achtungen gütigst zur Verfügung gestellt: Zwei Tage nach Be-
ginn der Erkrankung stellte sich der Patellarreflex auf beiden
Seiton wieder ein. Die Lähmungsorschainungon ließen, erst links,
dann auch rechts, alhuäiilich nach und ca. 14 Tage nach dem
Beginn der Erkrankung konnte Patient seine Thätigkeit in
vollem Umfange wieder aufnehmen. Es war völlige Heilung ein-
getreten, welche auch heute andauert.
Es handelte sich also um eine doppelseitige isolirto Lähmung
des Muse, extenaor cruris quadrieeps. Die übrigen vom Nerv,
cruralis versorgten Muskeln, vor allem die Beuger des Ober-
schenkels (Mm. psoas und iliacus internus) waren völlig frei,
ebenso waren die sensiblen Aeste des Nerven (Nerv, femor.
cutan. med., Nn. saphen. major, und min.) intact. — Als Ursache
der Lähmung dürfte Ueberanstrengung bei dem Abstieg über
den steilen Zickzackweg anzunehmen sein.
In der Litteratur ist über solche Lähmungen wie die vor-
liegende wenig zu finden, üeberoinstimraend geben die Autoreu
(v. Strümpell, Bernhardt u. A.) an, daß isolirte Lähmungen
im Gebiete des N. orural. überhaupt zu den selteneren Lähmun-
gen gehören. Speciell über die durch Ueberanstrengung ent-
standene Lähmung finde ich nur in der in Nothnagels Handbuch,
1902, IL Aufl., gebrachten Abhandlung Bernhardts: „Ueber die
peripheren Nerven", folgende Notiz: „Eine offenbar seltenere Ur-
sache einer Cruraliaparalyse und speciell der Lähmung der Unter-
Bchenkelstrecker habe ich einige Male nach Ueberanstrengung
der Beine (Emporsteigen und Tragen schwerer Lasten) beob-
achtet und ein Beispiel davon in meiner Electrotherapio mit-
geteilt." Leider stand mir dieses letztere Work nicht zur Ver-
fügung. Ueber doppelseitige Quadricepslähmung liabe ich
nirgends eine Angabe gefunden.
Dieses seltenen Vorkommens wegen gla\dite icli Ihnen den
Fall hier mitteilen au dürfen.
Herr Eicliard Weij^ert: IJebar tincts Fall von ani^^eborMsor
Stenose ih^v Aorta an der Rii'imiindinig' dc.s F>iic{us artfriosus
Botalli.
150 Jahresboriclit der Hehles. aesBllschaCt IVir \'.dw\. Ciiltur.
M. H. ! Das Kind, das ich mir ^-estatte, Ihnen vorzustellen,
kam am 4, X. a. or. wegen Eachendiphtherie auf die Infeotions-
abteilung der kgl. Kinderklinik. Die Diphtherie verlief glatt und
bot nichts weiter Bemerkenswertes. Dagegen zeigte das Kind
einen Befund, der heut wie damals zu constatireu ist. Er erregte
unser besonderes Interesse, weil es zuerst nicht gelingen wollte,
ihn zu deuten.
Es handelt sich um ein roageres, graciles Mädchen mit lioch-
gradigerJCyaaose, die sieh besonders auf die Eitremitäteuenden,
die Nase, die Lippen, die Zunge und die Augen bezieht. Diese
Oyanose soll nach den Angaben der Mutter bald nach der Ge-
burt des Kindes bemerkt worden sein. Sie nimmt in Aufregungs-
zuständen und bei größeren Anstrengungen noch zu. Pinger
und Zehen sind trommelschlägelartig aufgetrieben. Die Herz-
gegend ist vorgewölbt. Der Spitzenstoß ist verbreitert und im
6. Intercostalraum bis 1,5 cm außerhalb der Mammilla deutlich
zu fühlen. Auch percutorisch kann die Verbreiterung des linken
Herzens in demselben Maße nachgewiesen werden. Die rechte
Herzgrenze liegt am rechten Sternalraud.
Die Herztöne sind rein. Der zweite Ton an der Aorten-
Tind Pulmonalklappe ist weder verstärkt noch abnorm leise. Da-
gegen hört man über dem Manubrium sterni ein lautes Blasen.
Es pflanzt sich vom Manubrium sterni nach rechts fort und hat
sein punctum maximum genau unterhalb der Mitte der rechten
Clavikel. Auch rechts hinten ist es über der Lunge laut zu
hören. Das Geräusch erstreckt sich über die ganze Systole,
greift aber anscheinend auch noch auf die Diastole über.
Alle Versuche diesen Befund unter eines der bekannten
klinischen Krankheitsbilder unterzubringen scheiterten, und erst
die nach Abheilung der Diphtherie in der Eöntgenabteilung der
chirurgischen Klinik ausgeführte Köntgenaufnahme lenkte auf
den richtigen Weg. Das Röntgenbild zeigt nämlich, wie Sie sich
an der mitgebrachten Platte überzeugen können, unterhalb der
rechten Clavikel Stränge, die angesichts des Auscultationsbefundes
als dicke Gefäße gedeutet werden müssen. Denn das gerade
an dieser Stelle am lautesten zu hörende Geräusch liat den
Charaoter sogenannter Gefäügeräusohe. Nach der anatomischen
Situation gehen die Gefäßstränge von der Arteria subclavia dextra
aus und streben nach unten. Nunmehr war die Diagnose un-
schwer zu stellen, denn dieser Befund kann nach der vorliegen-
den Litteratur nur auf eine Stenose der Aorta an der Eintritts-
stelle des Ductus arteriosus Botalli bezogen werden.
I. Abtciliiiig. Medicinisclie Sectioii. 151
Während dieser Befund auf de)n Sectioustisolie eolioii weit
über 100 Mal gefmideu und beschrieben worden ist, während
diese Diagnose bei Erwachsenen aus bald zu erörternden Gründen
leicht ist, ist sie bei Kindern fast unmöglich und bisher auch
Mur einmal, und zwar von Hoohsingeri) (1889) gemacht worden.
Unser Fall wäre also der zweite derartige, beim Kinde ia vivo
diagnosticirte. Aber unser Verdienst hieran ist klein, denn wir
befanden uns infolge der Röntgenaufnahme den Voruntersucbern
gegenüber im Vorteil.
Da die Affeotion relativ selten ist, sei es mir gestattet, einige
Worte über die Entstehung und Symptomatologie zu sagen. Ich
folge hierbei im Wesentlichen der Darstellung von Hochsinger
in seiner Monographie über die Auscultation des kindlichen Herzens
(Wien 1890) und der von Vierordt in Nothnagels Handbuch
der speciellen Pathologie und Therapie (Wien 1898).
Ueber die Aetiologie sind mehrere Theorien aufgestellt worden,
von denen zwei als die meist discutirten hervorgehoben seien.
Nach der ersten wird angenommen , daß die im Ductus ßotalli
mit Beginn des extrauterinen Lebens einsetzenden Involutions-
vorgänge auf den Aortenbogen übergreifen und so zur Stenose
führen. Die zweite Theorie, die von B.okitanski stammt, ist
heut wohl allgemein maßgebend geworden. Sie stützt sich auf
die Thatsache, daß der Aortenbogen da wo die Einmündungsstelle
des Ductus Botalli liegt, am sogenannten Isthmus aortae, im
fötalen Leben gegenüber dem übrigen Arterienrohr verengtest.
Dieser Isthmus kann im embryonalen Leben völlig veröden oder
er kann im extrEuitorinen Leben auf seiner fötalen Eiiiwicklungs-
stufe stehen bleiben. Alsdann ist schon bei der G-eburt der
sogenannte Isthmus gegenüber dem übrigen Aortenbogen vun
^/j — 2 mm verengt, jedoch noch so weit, daß I)isufficien>!erscheiiiungen
eventuell gänzlich fehlen.
Die Situation wird jedoch mit dem Wachstum des Indivi-
duums und speciell des Herzens und des Gefäßsystems unange-
nehmer, weil nuu bei wachsender Blutmenge und zunehmendem
Blutdrucke die stenosirte Stelle den gestellten Ansprüchen nicht
mehr genügen kann. Die ursprünglich nur geringe Differenz wird
mit dem Wachstum des ganzen Gefäßsystems und dem Zurück-
bleiben des einen kleinen Teiles immer größer und documentirt
sich im Zunehmen der Insvifficienaerscheinungen. Der Körper
schafft sicli einen Ausweg, indem er dem Blut, das die stenosirte
1) Wiener mediciuisclio Presse, 1890, No. 1.
1,52 Jalirosboriclit der Sclilos. Gcsollsohaft für vat.erl. Ciiliiir.
Stelle uiohfc zu passireii vermag, durch Auastomoseu der ober-
halb des Isthmus aus der Aorta abzweigenden Arterienäste mit
den Aesten der Aorta descendeus Abfluß versohafft. Zuerst pflegen
Anastomosen der visceralen Aeste der Aorta auszureichen, und
da diese vor Einführung des Röntgenverfahrens dem Untorsucher
nicht sichtbar waren, so konnte auch in diesem Stadium bisher
die Diagnose nicht gestellt werden. Mit Eintritt der Pubertät
pflegen auch diese Bahnen niolit mehr auszureichen. Herz und
Arterienrohr wachsen weiter, und so wird die Stenose relativ
immer größer, der vor ihr gelegene Abschnitt der Aorta wird
aiifurysmatisch erweitert, die allmählich eingetretene Hypertrophie
des linken Ventrikels nimmt dauernd größere Dimensionen an.
Das bald nach der Geburt über dem Manubrium sterni nach-
weisbare Geräusch wird immer lauter und pflanzt sich nach rechts
zu der Abgangsstelle der Collateralen fort. Bald müssen neue
Bahnen geschaffen werden und diese werden, in Anastomosen der
oberflächlichen Arterien hergestellt, die an Brust, Abdomen und
Rücken sieht- und fühlbar werden, zuweilen pulsiren und Ge-
räusche aufweisen.
Iq diesem Stadium ist dio Diiiguose kücht und schon vielfach
gestellt worden. Der Zeitpunkt, in dem der Symptomencomplex
zur vollen Entwicklung gelangt, ist verschieden. Er hängt von
dem absoluten Grade der Stenose und von den Wachtumsver-
hältnissen des befallenen Lidividuums ab. Bei manchen Kranken
bleibt die Affeotion während des ganzen Kindesalters sozusagen
latent und documentirt sich nur in unwesentlichen physikalischen
Symptomen, deren Deutung unmöglich ist.
Tür die Differentialdiagnose mit angeborenen Anomalien, die
ähnliche Symptome machen, ist besonders wertvoll die Looalisation
des Geräusches auf der rechten Brustseite und die Hj'pertrophie
des linken Ventrikels. In einzelnen Fällen findet sich auch eine
Hetardiruug dos Pulses der Arterien , die sich unterhalb der
Stenose von der Aorta abzweigen gegenüber denen, die oberhalb
der Stenose entspringen. Das Aneurysma des Aortenbogens ist
demgegenüber neben Reourrenslähmung und anderer Looalisation
der Geräusche durch die Ungleichheit der Pulse auf beiden
Körperseiteu zu unterscheiden. Dio Prognose der Anomalie ist
relativ gut. la der Litteratur wird für die Patienten ein Durch-
schnittsalter von 34 Jahren berechnet; unter ihnen befinden sich
sogar Soldaten mit mehreren Eeldzügen. Der liäuligste Ausgang
der Affection ist die Ruptur der Aorta oder des Hoi'zons sowie
Gehirnblutungen.
I. Abteilung Medioinische Section.
Um nun nochmals zu unserem Falle zurückzukehren, so sehen
wir, daß die Patientin sich in dem Stadium befindet, in dem der
Organismus mit visceralen, durch das Röntgenbild nachgewiesenen
Collateralen auskommt. Sie befindet sich in der Ruhe ganz gut,
zeigt jedoch schon bei geringen Aufregungen und Anstrengungen
eine starke Zunahme ihrer Cyanose, so daß der Organismus wohl
bald für neue Collateralen wird sorgen müssen.
Ich möchte schließlich, noch auf die zwei Zeichnungen hin-
weisen, die ich nach Abbildungen inVierordts Darstellung an-
gefertigt habe. Die erste zeigt den Entstehungsmodus der
Anomalie nach der Hypothese Rokitanskis, die zweite ist ein
Schema der Collateralen, das von Reynaud angegeben ist.
Bei der Wahl der Delegirten für das Präsidium werden die
Herren Neisser, Partsoh, Rosenfeld, Tietze, ühthoff
gewählt
ScüesiscliB Gesfiisciiafi fir yaterläDiclie Cütar.
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82.
I. Abteilung.
Jahresbericht.
Medicin.
1904.
b. Hygienische Section.
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_i^
Sitzungen der hygienischen Section im Jahre 1904.
I. Sitzung vom 20. Januar 1904.
I. Nach weiterer Discussion über den Bericht der Commission
für Anstellung von Schulärzten an höheren Lehranstalten werden
die von den Referenten Herren Dr. Sana o geh, Dr. Reich und
Prof. Dr. H. Cohn aufgestellten Leitsätze in der folgenden Fassung
angenommen :
1. Die Anstellung von Schulärzten für höhere Schulen ist
notwendig mit Rücksicht auf die Schulen und die Schüler.
Gründe:
a) Die längere Dauer des Schullebens und die intensivere
geistige Arbeit in den höheren Schulen legen die Möglich-
keit eines gesundheitsschädlichen Einflusses gerade hier
besonders nahe.
b) Die hygienische Ueberwachung seitens der Eltern ist nicht
immer in genügendem Maße vorhanden, auch nicht immer
ausführbar.
c) Statistische Untersuchung hat ergeben, daß der Gesundheits-
zustand in höheren Schulen ebenfalls viel zu wünschen übrig
läßt.
2. Ohne Einzeluntersuchungen und Beobachtungen der Schüler
läßt sich der Einfluß der Schule auf den Gesundheitszustand der
Schüler nicht feststellen.
3. Die Aufgaben der Schulärzte in den höheren Schulen sind
im Wesentlichen dieselben wie in der Volksschule.
4. Die befriedigende Lösung der Aufgaben der Schulhygiene
auch in den höheren Schulen kann nur durch Zusammenwirken
von Schulärzten und hygienisch vorgebildeten Lehrern erreicht
werden.
5. Auch der Kampf gegen Tuberculose, Alkoholismus und
nervöse Erkrankungen gehört zu deu Aufgaben der Schulhygiene
in höheren Schulen.
1
2 Jahresbej'icht der ScLles. Gesellscljaft für vaterl. Cultur.
An der Disoussion beteiligten sich die Herren Wo If f berg sen.,
Oebbecke, Reich, Steuer, Samosoh, Jacobi und H. Cohn.
II. Im Anschluß an diese Disoussion hält Herr Prof. Dr. H.
Cohn die folgende Rede:
Auf die Bemerkungen des Herrn Stadtarztes Dr. Oebbecke
habe ich Tolgendes zu erwidern: Derselbe meint, daß das von
mir geprägte Wort „diotatorisoher Schularzt" ihm im Anfange
seines schulärztlichen Ueberwachungssystems vor zwei Jahren
Schwierigkeiten, Empfindlichkeiten und Mißtrauen bei den Lehrern
eingebracht habe. Es wäre ein trauriges Zeichen gerade für die
Breslauer Volkslehrer, wenn sie deswegen in den Angstruf
„Der Schularzt kommt" ausbrechen, während doch eine große
Zahl von Lehrervereinen und hervorragenden Pädagogen sich für
Schulärzte ausgesprochen haben , so der Berliner Lehrerverein,
der Berliner Realschulmänner -Verein, die General-Versammlung
des allgem. sächsischen Lehrervereins, die 8. und 10. General-
Versammlung des rheinischen Lehrertages, der 7. deutsche Lehrer-
tag, die katholischen Lehrervereine von Coblenz, Wiesbaden,
Duisburg, die Lehrer in Bremen (wie B erninger sie zusammen,
stellt). Von bedeutenden Pädagogen seien nur genannt: Schiller
(Dresden), Herberioh (München), Schotten (Halle), Dörr-
Grieben, Autenrieth, Glauning, Seehausen u, A.
Immerhin ist es mir lieb, hier Gelegenheit zu haben, mitzu-
teilen, wie ich zu dem Rufe nach dictatorisohen Schulärzten
gekommen bin. Ich bitte daher, den Schluß der Rede „Ueber
Schrift, Druck und überhandnehmende Kurzsiohtigkeit", die ich
in der 1. allgemeinen Sitzung der Naturforscher -Versammlung i)
in Danzig 1880, also vor 24 Jahren gehalten habe, vorlesen zu
dürfen. Nach Schilderung der jammervollen, finsteren, alten
Schulen Breslaus sagte ich: „Es handelt sich, wenn wir den
Schäden, die ja in Menge schon aufgedeckt sind, wirklich zu Leibe
gehen wollen, um einen Beamten, der mit diotatorisoher Ge-
walt ausgerüstet, alle schlecht beleuchteten Sohullocale schließen,
elendes Schulmobiliar kassiren und die Gemeinden zu sofortiger
Anschaffmig körpergerechter Subsellien zwingen, die Schulbücher,
die zu klein und zu eng gedruckt sind, beseitigen, den Lehrplan
mit Rücksicht auf Ueberanstrengung mitbearbeiten, genug alle
Schädlichkeiten mit fester Hand entfernen kann, die das Auge
unserer Schuljugend bedrohen, mit einem Worte: um den
Schularzt.
1) Tiigebh d. Naturforsoher-Versammhiuff in Dnnzig, 188(J, N(j. 3.
Auch Deutsche llimdschau. Decamberheft 188U.
I. Abteilung. Hygienische Sectioti.
Derselbe müßte mit den größten Machtvollkommenheiten
ausgerüstet werden und hätte in mancher Stadt wahrlich reich-
lich zu thun. Ist es z. B. zu billigen, daß noch heut (1880) in
Breslau in Schulen Unterricht erteilt wird, die bereits vor
15 Jahren (186B) von einer Commission von Aerzten und
Pädagoge* als zu fins ter bezeichnet worden? Ist ea zu billigen,
daß im Elisabeth- und Magdalenen- Gymnasium zu Breslau, deren
Primen und Secunden durch die Zahl ihrer Kurzsichtigen eine
traurige Berühmtheit erlangt haben, in einer Anzahl Klassen im
Winter mehrere Stunden am Tage Gas und noch dazu in offener
Flamme ohne Glocke und Cylinder gebrannt werden muß?
Allerdings werden die neuen Schulen besser gebaut; aber
immer wieder werden neue Generationen in die alten Schul-
höhlen, gestatten Sie den Ausdruck, hineingezwungen! Und
wir kennen wenigstens die Mehrzahl unserer Klassen und haben
die schlechten öffentlich nomiuirt; aber wie viele unter den
60000 Schulen in Deutschland existiren, die niemals ein ärzt-
licher Fuß betreten hat? Wie wenige Lehrer können sich
überhaupt erinnern, einen Arzt in ihrer Klasse gesehen
zu haben?
Ja, es dürfte eine würdige Aufgabe für die hier versammelten
Aerzte und Naturforscher sein, in ihrer Heimat nach besten
Kräften dazu beizutragen, daß das edelste Organ unserer Kinder
mehr geschützt werde, und mitzuwirken, daß endlich Schulärzte
nicht blos mit Sitz, sondern auch mit einflußreichster Stimme in
den SchulcoUegien ihren Platz erhalten."
So sprach ich vor 24 Jahren. Es fehlte natürlich schon
damals nicht an Leuten, die meinten, mit der Dictatur sei nichts
anzufangen, man müsse lieber bemüht sein, in immer weiteren
Kreisen die Einsicht von der Nützlichkeit und Not-
wendigkeit der Reformen zu verbreiten; polizeiliche Ein-
wirkung könne nur schädlich wirken. Ich erwiderte Herrn Ober-
bürgermeister Dr. Winter: „Bei der Kanalisation von Danzig
könne es freilich fraglich sein, ob sie so nützlich, so allein
empfehlenswert, so gesundheitsfördernd wäre, daß man ihret-
wegen Millionen opfern müsse. Während es also für so kost-
spielige und in ihrem Endresultate noch nicht Allen ganz ein-
leuchtende Unternehmungen, wie die Kanalisation, gut sein mag
zu warten, bis die Einsicht von der Nützlichkeit der Reformen
verbreitet wird, ist dieses Warten bei Durchführung einer
energischen Schulhygiene durchaus nicht richtig; denn es wider-
l*
4 Jahresbericlit der Schlos. Gosellsohaft für vaterl. Cultiir.
spricht niemand der Ansicht, daß an Stelle finsterer Klassen
helle Zimmer kommen müssen, um die Myopie zu verringern.
loh speciell habe die Ueberzeugung gewonnen, daß man nicht
mehr hier warten darf; denn infolge dieses Wartens sind seit
fast 20 Jahren trotz beständiger Belehrungen und Besprechungen
von Einzelnen und auf Versammlungen nachgewiesenermaßen
Tausende von Schülern wieder kurzsichtig geworden. Wollen
wir so weiter warten, so werden noch mehrere Generationen
von Schulkindern in den alten schlechten Schullocalen myopisch
werden. Aber auch auf deren Nachkommen wird sich die
Disposition zur Myopie in vielen Fällen übertragen.
Also ist schnelle Hilfe nötig. — Gern giebt keine Gemeinde
Summen zur Beseitigung alter Gebäude; da wird gern gesagt:
,Unsere Väter und wir haben ebenso gesessen, da mag die
jetzige Generation nur auch dort weiter gebildet werden. Nur
keinen Zwang, nur keine Polizei! Wir werden mit der Zeit
das schon verbessern.' — loh kann nur meinen Wunsch wieder-
holen, statt viel zu reden, endlich zu handeln und durch Ein-
setzung staatlicher Schulärzte, die eisern vorgehen
dürfen, der Myopieepidemie schleunigst Einhalt zu thun!"
Wenn ich diese vor 24 Jahren gehaltene Rede wieder lese,
kann ich nur beklagen, daß man damals keine dictatorischen
Schulärzte anstellte. Vieles hätte inzwischen sich gebessert, was
noch 20 Jahre in alter Stagnation geblieben!
Der Herr Stadtarzt Oebbecke ist erst wenige Jahre hier
und kennt die früheren Schulhöhlen Breslaus — heut möchte
ich sie noch treffender als Nachtasyle bezeichnen — durchaus
nicht. Aber auch er wäre zurückgeprallt, wenn er die Parterre-
klassen z. B. in der finsteren, engen Weißgerbergasse, in der
Harrasgasse, in den Gymnasien gegenüber der hohen Magdalenen-
und Elisabeth-Kirche gesehen hätte.
Glauben Sie, meine Herren, daß irgend ein Director oder
Lehrer in diesen Höhlen von selbst eine Eingabe je gemacht
hätte, in der er um bessere Lichtverhältnisse oder Verlegung der
Zimmer gebeten hätte?! Die größte Lethargie herrschte unter
der Lehrerschaft. Ich bin ja überhaupt der erste Arzt gewesen,
der 1865 die Schulzimmer betrat. Und wenn ich feststellte, daß
in manchen dieser entsetzlichen Parterrezimmer 70—80 pCt. der
Kinder überhaupt kein Stückchen Himmel sahen, und später
1884 z. B. feststellte, daß Mittags 12 Uhr nur 1 Meterkerze
Helligkeit auf den Sohreibpulten vorhanden war, glauben Sie,
daß ein Director sich bemüht hätte, Aeuderuug zu verlangen?
Idygieuische SecUou.
Es ist keiue UeberViebung und keine Prahlerei, sondern
einfach historische Thatsache, wenn ich sage: Nur ich war die
treibende Kraft, die allerdings nur durch ewig fortgesetzte öffent-
liche Angriffe endlich die Beseitigung der elendesten Schul-
Nachtasyle durchsetzte.
Nun ist nach 40jährigem Kampfe meinerseits das Elisabeth-
Gymnasium geschlossen und in ein neues helles Haus vor dem
Thore verlegt worden").
Wie steht es, frage ich den Herrn Stadtarzt, mit dem Mag-
dalenen-Gymnasium? Endlich hat man nun auch eingesehen,
daß meine wiederholte Kritik „diese Anstalt sei zu finster" richtig
ist. Denn ein großer Umbau mit riesigen Fenstern soll bald
vorgenommen werden. Ich frage: Warum kommt nicht auch
diese Schule in ein neues Haus vor das Thor? Wenn sie
wieder an den alten Platz vor die hohe Magdaleuen-Kirche ge-
Ijaut werden soll, so wird sie finster bleiben, auch wenn sie statt
der Mauern nur Glaswände bekäme. Denn die hohe Kirche und
das hohe neue Warenhaus von Barrasch werden ihr stets das
llimmelslioht rauben. Schade um das viele Geld für den Umbau^)!
Wie gut wäre es gewesen, wenn ein dictatorischer Schul-
arzt vor 20 — 30 Jahren schon diese verderblichen Locale ge-
schlossen hätte!
Freilich, seit wir unseren ausgezeichneten Oberbürgermeister
Herrn Dr. Bender haben, änderte sich die Situation in Breslau.
Er hat meinen Vortrag: „Geschichte und Kritik der Breslauer
Schulhygiene" hier im Jahre 1891 in der Hygienischen Section
angehört, und nun begann das ernste Bestrebeii, den alten
Schlendrian aufzuheben \ind Reformen einziiführen. Seitdem habe
ich auch öffentlich erklärt, daß ich auf den dictatorischen
Schularzt verzichte und hoffe, die durchaus nötigen Verbesserun-
gen werden jetzt schneller geschehen.
Wie konnte da mein vor 24 Jahren gesprochenes Wort der
Breslauer Lehrerschaft ein Mißtrauen gegen den Herrn Stadiarzt
einflößen? üebrigens konnte ihm ein solches eventuell um so
2) Wocliojilii.iL- h;\l)i> i<-lj |)linluiiu'lTisol)e iiniT BnumwiukoliiioKSun-
^■on in dorn nlion ( ly muMsliuii -viuiidit iin.l ilio Finslornis y.alilininiäßig
nachgewioson (vci'.ü,-!. DouJischc im'd. AVoohensclir., 1881, TN'o. :'.s); diese
Untersuchungen sollen auch in der Festschrift, die beim Umzüge er-
schienen, erwähnt sein; übersendet wurde mir aber die Festaohrift
nicht; auch kenne ich das neue Haus nicht.
■'•) Der Herr Stadtarzt gab auf meine Frage keine Auskunft.
Jfiliresbericht dor Schlos. (lesellscliait fltr vafcrl. CnlUi
gleiohgiltiger ^ soin , als er ja officiell vom Magistrat geschickt
wurde und seinen Anweisungen Folge gegeben werden mußte. —
Bei dieser Gelegenheit -will ich auch nicht unterlassen zu
beweisen, daß in Breslau gerade die Lehrer in der städtischen
öchuldeputation seit 40 Jahren dio Verhinderer hygieni-
scher Fortschritte waren, und daß diese Deputation noch
heut den Namen einer antihygienischen Deputation verdient.
Diese Deputation kann auf folgende antihygienisohe
Leistungen zurückblicken:
1. Im Jahre 1866 schrieb die Pädagogische Section der
Schlesischen Gesellschaft ein Promemoria „Zur Verbesserung der
Schulzimmer", in welchem sie eine Anzahl unhygionisoher Hcludon
namentlich aufführt und deren Beseitigung, sowie richtig gebaute
Bänke beantragt. Trotzdem wurde im Jahre 1867 an dem alten
finsteren Platze das Magdalenen- Gymnasium wieder neu aufgebaut
und 25 Jahre mußten vergehen, bis die als allerschlechtest be-
zeichneten Schulen in der Weißgerber- und Harrasgasse ver-
lassen wurden.
2. In jenem Promemoria 1866 war angeraten worden, statt
der alten falschgehauten Subsellien neue richtig construirto einzu-
führen. Im Jahre 1873 wurde das neue Johannis- Gymnasium mit
gajiz unrichtigen Subsellien mit positiver Distanz eröffnet. Wiederum
wurde eine Commission eingesetzt, in der ich auf's Wärmste für
die allein richtige negative Distanz eintrat. Die Schuldeputation
beharrte gerade auf Einführung der alten schlechten Bänke. Ich
trat natürlich mit Separat- Gutachten aus. Heut freilich denkt
man allgemein an nichts anderes als an negative Distanz.
3. Die Deputation stellte bei der großen Lehrerversammlung
in Breslau im Jahre 1874 ihre falschgebauten Subsellien, die sog.
Bock'sche Hockbank aus; der Schulrat Thiel verteidigte sie in
einer großen Zeitungspolemik gegen mich und ließ immer wieder
Exemplare für die neuen Schulen arbeiten.
4. Trotzdem ich in Danzig öffentlich auf die jämmerlichsten
Schullocale Breslaus mit Fingern hinwies, ließ man sie ruhig
bestehen.
5. Endlich entschloß man sich, die Parterreklassen des Elisa-
beth-Gymnasium zu räumen und 1882 ein drittes Stockwerk dort
aufzusetzen ; dazu wxirden die Ferien benutzt, die neuen Zimmer
aber naß nach V^ Jahr schon bezogen. Darob Zeitungskampf
zwischen dem Director Dr. Paech und mir.
6. Der Genfer hygienische Oongreß spricht sich für Schul-
ärzte aus. Die Deputation reagirt darauf nicht.
I. Abteilung. Hygionische Section.
7. Prof. Weber erfindet sein Tagesliohtphotometer 1884.
Meine Messungen ergeben die traurigsten Zahlen iu vielen Schulen,
mitunter nur 1 Meterkorze in der Mittagsstunde. Daher mein
Vortrag 1886 in der Hygienischen Section, daß Schulärzte an-
gestellt werden müßten. 57 Aerzte erbieten sich freiwillig
zu unentgeltlicher Thätigkeit. Eingabe der Hygienisoheu
Section mit der Bitte, sie anzustellen. Schroffe principielle Ab-
lehnung jeglicher Schularztanstellung seitens der Sohuldeputatiou,
da „durch Schulärzte Vorurteil und Mißtrauen gegen die Schul-
behörden entstehen würde".
8. Internationaler hygienischer Oongreß in Wien 1887. Meine
These „In jeder Schulcommission muß ein Arzt Sitz und Stimme
haben" wird vom Comite, versendet. Die Sohukleputation schickt
Herrn Stadtschulrat Tfundtner nach Wien, um diese These zu
Fall zu bringen; sie wird aber mit 170 gegen 2 Stimmen an-
genommen.
9. Es wird 1891 ein Schularzt (für alle Schulkinder!) Breslaus
in die Deputation aufgenommen, der nur als Soheinachularzt be-
zeichnet werden konnte.
10. Der Stadtarzt Dr. 0 ebbecke, welcher 25 Schulärzte für
die 50000 Volkschüler auf Wunsch des Magistrats im Jahre 1901
angestellt hat, weigert sich im Jahre 1903, besondere Schul-
augenärzte anzustellen.
11. Die Gymnasialdeputation lehnt die Anstellung von Schul-
ärztou au den höhereu Lehranstalten ab, obgleich auf Ersuchen
des Magistrats der Stadtarzt, die hygionische Section und
die Aerztekammer dieselbe dringend empfohlen hat. Eine
würdige S c h 1 u ß 1 o i s t u n g der Breslauer Gymnasialschuldoputation,
die zur Hälfte aus höheren Lehrern besteht!
Es entsteht die Frage, ob es nicht endlich an der Zeit wäre,
durch Sendung einer größeren Zahl von Aerzten iu diese Deputation
die antihygienisohen Directoren in die Minorität zu bringen.
Hier in Breslau gehen die Reformen infolge dieser Hemmungs-
Commission eben äußerst langsam voran. Vielleicht werden im
Jahre 1944 unsere jetzigen Wünsche erfüllt sein!
Was die Frage nach Augenärzten in Schulen betrifft, so
stehe ich auf dem entgegengesetzten Standpunkte wie der Herr
Stadtarzt.
Er meint, durch meine Kritik seines ersten Jahresberichts
seien ihm neue Widerstände erwachsen. Ich bitte ihn, mir auch
nur eine Zeile zu zeigen, in der ich seinen Bericht als solchen
angegriffen hätte. Ich habe nur auf den großen Fehler desselben
8 jTahresbonchl; der Schlcs. Gesellscbal'i für vatnrl. Oulkir.
betreffs der Augenkrankheiten hingewiesen, und das mußte ge-
schehen und wird alljährlich weiter geschehen, weil hier eine
große organische Unrichtigkeit vorliegt; wir haben bisher
keine Augenhygieue in den Schulen, weil der Stadtarzt
principiell keine Augenärzte in den schulärztlichen Dienst
einstellen will. Und dagegen muß unbedingt gekämpft werden.
Wenn Herr Prof. Burger st ein den Bericht des Herrn Dr.
Oebbecke brieflich gelobt hat, so geschah es, wie er mir
schreibt, in erster Linie meinetwegen; denn es freute ihn, „daß
nun endlich einmal in Breslau etwas geschehen und darüber
berichtet wird. Hinsichtlich des oculistischen Teiles bin ich,
schreibt er, natürlich ganz inoompetent."
Dagegen schreibt Dr. Ingerslev, Schularzt und Augen-
arzt in Randers in Dänemark: „Welch unübersichtlicher Jahres-
bericht! die Augenuntersuchungsresultate darin sind ja völlig
wertlos!"
Der Herr Stadtarzt sagte: „Den Bericht müsse man als
Ganzes beurteilen; Einzelnes herauszugreifen hat keinen Wert."
Ganz im Gegenteil. Wie soll Besserimg kommen, wenn die Kritik
nicht einzelne Fehler besprechen dürfte! Wer etwas drucken
läßt, muß Kritik ertragen können.
Um alle anderen Krankheiten, die der Bericht bringt habe
ich mich gar nicht gekümmert; ich bin streng bei meinem Leisten
geblieben, und da glaube ich durch eigene, jahrzehntelange Ar-
beiten mich als Sachverständiger legitimirt zu haben.
Und die Augenleiden sind die Hauptsache unter den
Schulkrankheiten. Ueber sie gerade muß klar berichtet werden.
Sie wissen ja aber gar nicht, was den Augen fehlt, und doch wollen
Sie sie überwachen?!
Sie schreiben; 831 Kinder hatten herabgesetztes Seh-
vermögen. Was heißt das? Wodurch ist es herabgesetzt? Da
können die verschiedensten Leiden Ursache der Herabsetzung
sein. Was würde man sagen, wenn Sie 800 Kinder anführen
würden mit herabgesetztem Geh vermögen? Da kann Rücken-
markslähmung, Beinbruch, Kniegelenkleideu die Veranlassung
sein, die doch ganz verschieden beurteilt und überwacht werden
müßten.
Fern sei es von mir, den Bericht als solchen im All-
gemeinen anzugreifen. Aber was ist das für ein Bericht, der
angiebt, daß in sechs Schulen (Sohulbezirk 2 von Schularzt Dr.
Toeplitz) unter 2366 Kindern auch nicht ein einziger Fall
von Sehschwache oder Kurzsiohtigkeit oder Augenkrankheit vor-
T. Al)(cil\iiig. Hygionischo Seclioii.
gekommen sei! Das ist ganz unmöglich! Solclie Statistik ist
keine Statistik. Muß denn gedruckt werden, daß ein Knabe in
der 3. Klasse im 16. Schulbezirk an „Bettnässen" und ein Mädchen
der 6, Klasse im 3. Schulbozirk an „Kopfläusen" gelitten hat?
Aber das Wort Kurzsichtigkeit existirt gar nicht in dem
Bericht, geschweige die hochwichtige Procentzahl der Kurz-
sichtigen !
Der Herr Stadtarzt sagt: Gerade auf die Differenzen, welche
die 26 Schulärzte gefunden haben, komme es an. Auch die
Fehler der Einzelnen sollen durch den Druck in den Tabellen
zum Ausdruck kommen. Ob solche Fehler, wie der im zweiten
Schulbezirk gemachte, den teuren Tabellendruok lohnen, scheint
mir sehr zweifelhaft; besser wäre es, solche Tabellen nicht zu
veröffentlichen.
Der Herr Stadtarzt sagte wörtlich: „Wir werden un-
bedingt dabei bleiben, daß wir uns auf augenärztlicho
Untersuchungen gar nicht einlassen; unsere Schulärzte
stellen fest, wie jeder Landarzt: das Kind hat herabgesetztes
Sehvermögen; die Fjltorn bekommen ihre Mitteilung, daß das
Kind einem Specialisten zugeschickt werden soll. Und in allen
Polikliniken macht es sich, wie mir Prof. Uhthoff mitteilte, be-
merklich, daß viele Fälle aus den Schulen zur Beratung kommen."
Dieser Standpunkt, den der Herr Stadtarzt durchaus bei-
behalten will, ist es eben, den ich immer bekämpfen werde und
der über kurz oder lang fallen muß. Wenn wir das schul-
ärztliche Thätigkeit und Ueberwaohung nennen wollen, dann
brauchen wir überhaupt keine Schulärzte. Da kann im Anfange
des Semesters der Lehrer fragen:
Wer von Euch sieht schlecht? Ab in die Augenklinik!
Wer von Euch hustet? Ab in die innere Klinik!
Wer von Euch hat einen Ausschlag? Ab in die Hautklinik!
Wer von Euch hat eine Knochenkrankheit? Ab in die
chirurgische Klinik! etc. etc. Wozu sind dann überhaupt noch
Schulärzte nötig?
Gefreut hat es mich, vom Herrn Stadtarzt zu hören, daß
acht Brillen an arme Kinder, auch einige Stahlschienen und
Corsets an Kinder mit Verkrümmungen geschenkt worden sind.
Diese Unterstützungen aus öffentlichen Mitteln werden von den
Eltern nicht gern nachgesucht, da der Vater sonst der politischen
Rechte verlustig geht. Meiner Ansicht nach würden von den
50000 Kindern mindestens 3— BOOO Brillen brauchen. Sehr an-
10 Jahrenhoi'icht der f-iclilos. rieKollschnfl, für v.itorl. V,\\\iur.
erkeutieiiswert ist es, daß auch Milch in den Öohuloii frei vor-
abreicht werden soll.
Dagegen muß ich jedoch protestiroii, daß der Stadtarzt sagte;
„Wenn unsere Schulärzte sich auf specialistisohe Untersuchungen ein-
lassen sollten, würde alles verpfuscht werden; daß wir auf richtigem
Wege sind, werden Sie zugeben."
Nein, das gebe ich durchaus nicht zu; das ist ja der
Grund unserer Disharmonie. Sie wollen die Augenkranken in
die Polikliniken einfach abschieben und das soll eben die Schul-
hygiene nicht; sie soll systematisch uns ein ßild von dorn
Augenzustande aller Kinder geben. Ich hoffe, daß meine Bitte,
die ich in wenigen Tagen an den Magistrat in einem schon im
Druck befindlichen offenen Briefe richten werde, erfüllt worden
wird, Derselbe wird auch in der „Wochenschr. f. Hygiene des
Auges" ausführlich erscheinen.
Hätte ich gestern gewußt, was ich heut weiß, daß der Herr
Stadtarzt allen Argumenten zum Trotz ausdrücklich hier erklären
wird; Ich werde doch mit den Berichten so weiter fort-
fahren wie bisher, so hätte ich freilich meine Eingabe an den
Magistrat noch energischer geschrieben.
Denn der Einwand von Herrn Collegon Oebbeokc ist ganz
hinfällig, daß die verschiedenen Specialisteu, als evont. Augen-,
Ohren- und Zahnärzte, gleichzeitig mit den Schulärzten in den
Klassen erscheinen und gemeinsam den Unterricht stören würden.
Diese Specialisteu können und sollen ihre Haupt thätigkeit nicht
in der Klasse, sondern auf dem Turnplatz und in einem kleinen
Privatzimmer ausüben, sie können also die allgemeinen Schul-
ärzte gar nicht stören!
Ich erkläre schließlich nochmals öffentlich, daß tler Herr
Stadtarzt sich durchaus täuscht, wenn er glaubt, daß ich gegen
seine Person das Geringste habe oder aigrirt sei; ich sehe wohl,
daß er ein sehr fleißiger Beamter ist. Aber in dem einen
Punkte bleibe ich sein unerbittlicher Gegner, und ich vi'erde ja
Ostern in Nürnberg auf dem I. internationalen Schulhygieno-
Congreß Gelegenheit haben, mit ihm das Detail auszukämpfen,
wobei ich auch die finanzielle Frage beleuchten werde. Ich
habe dieselbe bei meinem neuen Vorschlage, den ich jetzt dem
Magistrate unterbreite, so dargestellt, daß für zwei Augenärzte,
die ich probeweise dem schulärztlichen Dienste einzufügen bitte,
nur 1000 Mark zu bezahlen sind, eine Summe, welche für eine
Stadt wie Breslau kaum eine Eolle spielen kann.
Ich bitte Sie dringend, meine Herren, meinen offenen Bi'ief
^
I. Abteiliiiiß-. Hygieiiischo Sdctioi
an den Magistrat zu studiren, und ich hoffe, Sio werden mir bei-
])t]iohten.
Zusätzlich bemerke ich iu Erwiderung des Satzes von Herrn
Stadtarzt Dr. Oebbecke, daß ich am 29. April 1903 meinen
Vortrag: „Warum müssen besondere Schul augenärzte angestellt
werden?" gehalten, obgleich er damals eine Urlaubsreise an-
getreten. Folgendes:
Der Vortrag konnte damals nicht auf sechs Wochen ver-
schoben werden, weil er als Einleitung für die für den 13. Mai
einzuberufende Sitzung betr. der Frage der Anstellung von Schul-
ärzten au höhereu Schulen, zu dem die Mitglieder der Aerzto-
kammer geladen wurden, nötig war.
Herr Stadtarzt Dr. Oebbecke hält seine früheren Aeußerun-
gen in ganzer Ausdehnung aufrecht, insbesondere auch was er
über die Worte des Herrn Cohn von der dictatorisohen Gewalt
des Schularztes und ihrer ungünstigen Wirkung gesagt habe.
Herr Professor Dr. Jacobi hält die Kurzsichtigkeit bei den
höheren Schulen für die wichtigste Schulkrankheit und daher
ihre sachverständige Feststellung und Ueberwaohung bei den
höheren Schulen für unerläßlich. Herr Samosch stelle mit Un-
recht die wissenschaftliche Tbätigkoit in einen Gegensatz zu der
praktischen der Schulärzte. Auch die Eiuzelbcobaohtungon müßten
in wissenschaftlicher Weise vorgenommen werden, sonst gäben
die Tabellen trotz der größten Zahlen immer nur Summen von
Unrichtigkeiten und verdienten nicht veröffentlicht zu werden.
Die Section erkenne die Verdienste des Herrn Dr. Oebbecke
um die Organisation des schulärztlichen Dienstes in Breslau an,
halte aber eine Kritik der bisherigen bezüglichen Leistungen in
diesem sachverständigen Kreise nicht nur für zulässig, sondern
auch für nützlich, da solche Dingo sonst leicht in Formalismus
und Schematismus erstarreu. Bedauerlich sei, daß die Disoussiou
zwischen den Herren Cohn und Oebbecke sich zu persönlich
zugespitzt habe und in die breiteste Oeffentlichkeit gebracht
worden sei. Der Sache würde ein einträchtiges Arbeiten förder-
licher sein.
Herr Reich: Die letzten Ausführungen des Herrn Collegen
Samosch kann ich nicht unwidersprochen lassen, da mir sein
Standpunkt doch ein einseitiger zu sein scheint. Gewiß ist die
Einrichtung der Schulärzte aus praktischen Gesichtspunkten heraus
erfolgt. Sollen sie aber ihre Aufgabe erfüllen, sollen sie die
Gesundheitsstörungen der Schüler durch die Schule feststellen
und auf Abhilfe sinnen, so müssen sie sich in ihre Aufgabe wissen-
12 .laliroshcricht dor Sclilos. GeKeliscliaft ITir valüd. Ciill.iir.
sohaftliüh vertiefeu , miisseu wissenschaftlich den Zusammenhang
zwischen Schule und Schulkrankhoiteu feststellen. loh möchte
als Analogen an die Thätigkeit der Aerzte bei der staatlichen
Unfall- und Invaliditäts-Versioherung der Arbeiter erinnern. Auch
hier fiel den Aerzten die praktische Aufgabe zu, die Unfall-
erkrankung festzustellen und den Grad der Erwerbsunfähigkeit
anzugeben. Um aber diese Aufgabe erfüllen zu können, mußte
wissenschaftlich der Zusammenhang zwischen Verletzung und Er-
krankungen, insbesondere innere Erkrankungen, nachgewiesen
werden. Es entstand daraus eine neue Speoialwissensohaft, die
Lehre von den Unfallkrankheiton.
So werden auch unsere Scliulärzto nicht umhin können, bei-
spielsweise der schweren Frage der Ueberbürdung der Schüler
wissenschaftlich näher zu treten.
Nun sei es mir noch gestattet, mit einer kurzen Bemerkung
auf die Controverso zwischen Herrn Prof. Colin und Herrn Stadt-
arzt Oebbecke einzugehen. Meiner Ansicht nach ist die Differenz
in beider Standpunkt gar nicht so groß. Auch Herr Oobbeoke
ist von der Notwendigkeit der Schulaugenärzte überzeugt. Wenn
er sich aber zur Zeit gegen die Austeilung derselben ausspricht,
so thnt er es wohl nur in Rücksicht auf die finanzielle Lage der
Commune. Für mich besteht kein Zweifel, daß über kurz oder
lang die Präge in bejahendem Sinne gelöst werden muß, da der
gegenwärtige Usus, deu augenkranken Schüler zu überlassen, ob
sie sich an Augenärzte oder Augenkliniken wenden wollen, nur
ein Notbehelf ist.
Herr Samoseh: Für die Beurteilung schulärztlicher Erfolge
und Berichte dürfte es zweckmäßig sein, sich zunächst darüber
klar zu werden, welche Aufgaben der schulärztliche üeberwachungs-
dienst zu losen hat, ob er neben seineu praktischen Zielen der
Förderung medicinischer Wissenschaft dienen soll und kann , ol)
er z. B. auf die Lösung einzelner medicinischer Problome zu-
geschnitten sein soll oder ob er im Wesentlichen nur als eine
social- hygienische Maßregel mit ausschließlich praktischen Zielen
zu betrachten sei. Von vornherein muß zugegeben werden, daß
das Eine das Andere nicht ausschließt; es fragt sich nur, welcher
Gesichtspunkt soll bei Beurteilung schulärztlicher Thätigkeit der
leitende seinV Für die Beantwortung dieser Frage dürfte es
zweckmäßig sein, Volksschulen und höhere Schulen mit Rücksicht
auf i^ie ganz verschiedenartige Organisation gesondert zu betrachten.
Was die ersteren nun anlangt, so möchte ich allerdings glauben,
daß hier der schulärztliche Ueberwachungsdienst im Wesentlichen
I. Abteilung. Hjrgienische Seotion. 13
nur rein praktischen Zielen zu dienen hat; der Schularzt soll den
Gesundheitszustand der Kinder feststellen, beobachten und cou-
troliren, um verborgene Krankheitskeime zu entdecken und recht-
zeitige ärztliche Behandlung zu veranlassen. Der Sclmlarzt an
Volksschulen ist eigentlich kein Schularzt, sondern ein Volksarzt
— sit venia verbo — , dem die Aufgabe zufällt, die Lehren der
Hygiene und der Prophylaxe in das Volk hineinzutragen; er ist in
seiner amtlichen Thätigkeit nicht Forscher, sondern hygienischer
Lehrer des Volks. Daraus ersieht man, daß eine exacte, bis in's
feinste Detail ausgearbeitete Diagnosenstellung nicht Vorbedingung
schulärztlicher Thätigkeit ist; es genügt, die ev. vorhandene Ab-
weichung von der Norm als solche festzustellen und nach Kräften
auf Beseitigung des Krankheitszustandes, durch die an die Eltern
gerichtete Aufforderung, anderweitig ärztlichen Rat nachzusuchen,
zu dringen. Die Beantwortung medioinischer Probleme, die sehr
sorgfältige und zeitraubende Untersuchungen voraussetzt, kann
nicht in den Rahmen des systematischen, schulärztlichen Ueber-
wachungsdienstes an Volksschulen fallen, der ausschließlich den
Zwecken einer praotischen Volkshygiene zu dienen hat. Auch
für das Studium des Schuleinflusses auf die Gesundheit der
Kinder dürfte die Volksschule nicht gerade der geeignete Platz
sein, da bei den Volksschulkindern der Schuleinfluß gegenüber
den sonstigen event. gesundheitsschädlichen Lebensbedingungen
nicht sehr in Betracht kommt. Gleichwohl dürfte aus der schul-
ärztlichen Thätigkeit der medioinischen Wissenschaft ein sehr
beträchtlicher Nutzen erwachsen, und zwar wie ich in üeberein-
stimmung mit Herrn Dr. Reich annehmen möchte, ganz analog
der Förderung der Medicin , die dieselbe durch ihre Mitwirkung
an der Versicherungsgesetugebmig erfahren hat. Wenn nämlich
innerhalb der nicht zu weit zu ziehenden Grenzen des schulärzt-
lichen Wirkungskreises exaot und sorgfältig nach wissenschaft-
lichen Prinoipien gearbeitet wird, so dürfte eine Fülle wissen-
schaftlichen Materials gewonnen werden, dessen Bearbeitung und
Sichtung eine wertvolle Bereicherung unserer Wissenschaft be-
deuten würde, xmä die uns vielleicht einmal zu einer Rassen-
hygiene, um einen Ausdruck von Prof. Tietze zu gebrauchen,
führen wird. Falsch aber wäre es, die wissenschaftlichen Be-
dürfnisse der Medioin in den Vordergrund als leitenden Gesichts-
punkt des schulärztlichen Ueberwachungsdienstes an Volksschulen
zu stellen. Dadurch könnte die segensreiche schulärztliche In-
stitution ihrer eigentlichen Aufgabe, Verbreitung der Hygiene im
Volke, entfremdet werden, lieber die Aufgaben des Schularzt-
14^ ^ Jahresbericht der Sohles. Gesellschaft für vatei'l. Cultur.
liehen Dienstes an höheren Schulen habe ich mich bereits in
einem Vortrage im Sommer v. J. ausführlicher ausgesprochen.
II. Sitzung vom 24. Tebruar 1904.
1. Herr Prof. Dr. R. Stern sprach über Armenpflege und
Tuberculosebekämpfung.
Die Heilstättenbehandlung kann — entsprechend ihren ludi-
oationen und ihrer Kostspieligkeit — nur einer verhältnismäßig
kleinen Zahl von Lungenkranken zu Gute kommen.
In hygienischer Hinsicht, d. h. bezüglich der Ansteokungs-
fähigheit, sind gerade diejenigen Fälle, welche sich nicht bezw.
nicht mehr zur Heilstättenbehandlung eignen, besonders wichti«-.
Die Bekämpfung der Tuberculose muß ausgehen:
1. Auf eine Ermittelung der Kranken,
2. auf eine Unschädlichmachung der von ihnen ausgeschiedenen
Infectionserreger.
Bezüglich der Ermittelung der Kranken sind wir — bis zu
einer etwaigen späteren gesetzlichen Regelung der Anmeldung —
auf freiwillige Meldungen angewiesen.
Nach dieser Richtung können die in den letzten Jahren in
verschiedenen Stätten Deutschlands eingerichteten besonderen
Polikliniken bezw. poliklinischen Sprechstunden für Lungen-
kranke, — wie sie auch hier in Breslau an der medicinischen
TJniversitäts- Poliklinik abgehalten werden — von großem Nutzen
sein, indem sie die unbemittelte Bevölkerung veranlassen, sich
frühzeitig bei den ersten Anzeichen einer Lungenerkrankung
untersuchen zu lassen. In derartigen Polikliniken kann die physika-
lische Untersuchung, ebenso die bacteriologisohe Untersuchung
des Auswurfs in zweifelhaften Fällen wiederholt ausgeführt werden,
was dem beschäftigten Armen- oder Kassenarzt nicht immer
möglich ist.
In diesen Polikliniken sollen die Kranken nicht nur unter-
sucht, sondern auch bezüglich ihres Verhaltens in hygienischer
Beziehung belehrt werden. Eine Behandlung wird im Allgemeinen
nicht beabsichtigt und nur auf Wunsch der betreffenden Armen-
oder Kassenärzte übernommen.
Eine weitere Einrichtung, die auch in Deutschland schon
Beräoksichtigung gefunden hat, sind die in Frankreich und Belgien
während der letzten Jahre eingerichteten Dispensaires anti-
tuberculeux. Vortr. verweist auf den folgenden Vortrag von
Freymuth.
I. Abteilung. Hygieiiischo Sootiüii. 15
Aber auch bei der jetzigen Organisation unserer Armenpflege,
die gerade hier in Breslau eine sehr gute ist, kann manches
geleistet werden, wenn die Armenpfleger und Armenpflegerinneu
bei Gelegenheit ihrer Eesuohe in den Wohnungen durch Baiehrung,
durch Drängen auf ärztliche Untersuchung und weiterhin durch
Zuweisung geeigneter Unterstützungen die speoiellen Aufgaben
der TuberouloBebekämpfung fördern helfen.
Sind die Kranken durch ärztliche Untersuchung ermittelt,
so ergeben sich im Einzelnen folgende praktische Aufgaben:
I. Belehrung der Kranken.
1. Bezüglich der Vorsichtsmaßregeln beim Husten und bei
Beseitigung des Auswurfs, beim Verkehr mit ihrer Familie u. s. w.
2. Bezüglich ihrer Ernährung und sonstigen Lebensweise.
II. Unterstützung der Kranken.
1. Behufs Verminderung der Infectionsgefahr in der
Wohnung:
a) Durch Lieferung von Spucknäpfen und Spuckfläschchen
(geschieht bereits seitens der Armenverwaltung).
b) Formalin-Desinfeotion der Kleidung und Wohnung nach
Todesfällen bezw. Ueberführung eines Schwerkranken in
ein Krankenhaus.
c) Zeitweilige Entlastung der Wohnung und der Familie durch
Entfernung des Kranken in ein Krankenhaus oder eine
Heimstätte; ist dies nicht thunlich, dann event. Entfernung
der gefährdeten Kinder in ein Kinderheim oder zu gesunden
Verwandten.
d) Zumietung eines Zimmers in solchen Fällen, in denen ein
Schwerkranker mit seiner Familie in einem Räume lebt (Stadt-
rat Pütter in Halle). Durch Controle seitens der Armen-
pfleger bezw. Armenpflegerinneu kann eine mißbräuchliche
Benutzung des zugemieteten Zimmers verhütet werden.
2. Zum Zwecke ihrer Behandlung.
Bis zur Entdeckung einer etwaigen specifischen Therapie
sind wir auf die hygienisch-diätetische Behandlung angewiesen.
Außer Unterstützung der Kranken zum Zwecke einer ausreichenden
Ernährung und Pflege kommt in geeigneten Fällen die Ueber-
weisung an Wald-Erholungsstätten (Becher und Lennhoff)
in Frage.
Mit dieser Einrichtung sind in Berlin und anderen Städten
günstige Erfahrungen gemacht worden und sie werden hoffentlich
auch hier in Breslau zu schaffen sein.
Zum Zwecke der praktischen Ausführung der im Vorstehenden
16 Jaliresbericht der Schlos. Gesellschaft l'iir vaterl. Cidtur.
nur kurz geschilderten Vorschläge ist ein Comite in Bildung
begriffen. Auch hat sich die städtische Armeudirectiou auf eine
Anregung des Vortragenden bereit erklärt, so weit thunlich, die
hier skizzirten Bestrebungen zu fördern.
2. Der Oberarzt am Krankenhause der Sohlesiachen Landes-
Versicherungsaustalt Herr Dr. Freymuth sprach über: „Die
Dispensaires antituberciileux in Belgien und Frankreich und
ihre Bedeutung für die Tuberculosebekämpfung in Deutsch-
land."
Vortr. betont zunächst, daß der Tuberculosekampf in Frank-
reich mangels einer socialen Gesetzgebung andere Wege gehen
müsse wie bei uns, der Bau und die Unterhaltung von zahlreichen
Heilstätten erfordert so große Geldmittel, daß dieselben durch
Privatwohlthätigkeit nicht erreichbar sind.
Zum großen Teil sicher aus diesem Grunde steht in Frank-
reich nicht wie bei uns die Therapie, sondern die Prophylaxe im
Vordergrund.
Das Hauptkampfmittel bildet in Belgien und Frankreich das
Dispensaire antituberculeux.
Redner schildert dasselbe ausführlich ; da eine genaue Schilde-
rung in der leicht zugänglichen Arbeit von Prof. Jacobs; „Die Dis-
pensaires in Belgien und Frankreich", Deutsche med. Wochen-
schrift, 1903, No. 44 u. 45, enthalten ist, werden Interessenten
auf diese verwiesen.
Die Hauptpunkte des Dispensairebetriebes sind folgende:
Ein solches besteht:
1. Aus einer Poliklinik, in welcher die ratsuchenden Patienten
untersucht werden, eine ßeihe hygienischer Verhaltungsmaßregeln
bekommen, sowie Spuckfläschchen und Desinficientien.
Eine eigentliche Behandlung findet im Dispensaire selbst mit
Rücksicht auf die Aerzteschaft nicht statt, dagegen
2. eine sehr genaue Controle und Belehrung über die ge-
gebenen hygienischen Vorschriften durch das dem Dispensaire
specifische System der Enqueteurs ouvriers, aus dem Arbeiterstande
entnommen, speciell instruirte Controleure, die durchschnittlich
2 — 4 mal monatlich den Krankon und seine Familie besuchen.
3. Das Dispensaire unterstützt den Kranken nach seiner Be-
dürftigkeit mit Nahrungsmitteln, Liegestuhl, Betten etc.; der
leitende Gesichtspunkt hei den Unterstützungen ist hauptsächlich
der, die allgemeine Widerstandsfähigkeit des Erkrankten zu heben
und die Gesunden in der Familie vor Ansteckung zu schützen;
es wird daher
1. Abteilung. Hygienischo Sectiou. 1?
4. großer Wert auf die Gewährung von unentgeltlicher
Wolmungs- und Wäsehedesinfeotion gelegt.
5. Soweit dies möglich, werden die Kranken Erholungeatätteu
oder Heilstätten überwiesen, deren es aber in Frankreich vor-
läufig noch wenige giebt.
Der Hauptuntersohied von dem deutschen System ist 1. das
Princip der Laienassistenz durch die Enquöte ouvriere; 2. die Ver-
legung dos Kampfes gegen die Tuberculose in die Tamilie des
Kranken selber und nicht in Specialkraukenhäuser. Die Kosten
eines Dispensairebetriebes sind niedriger wie die einer deutschen
Heilstätte; immerhin ergiebt eine Berechnung nach französischen
Angaben, daß z. B. für Paria 2 Millionen 400000 Pros, jährlich
notwendig wären.
Bei den circa 30000 Lungenkranken, die jetzt jährlich in
deutschen Heilstätten verpflegt werden, wüi'den BVa Million Mark
jährlich herauskommen, eine Ersparnis der Heilstätte gegenüber
um 4 Million.
Daß es ohne Sanatorien doch nicht geht, hat Frankreich und
Belgien schon selbst eingesehen und baut neben den Dispensaires
solche.
Die Frequenz der Dispensaires ist, an deutscheu Vei'hältnisse
gemessen, gering (Lüttich im Jahre 1902 157 Patienten, ein
Dispensaire in Paris 700 Patienten in acht Monaten, Lille unter-
stützt durchschnittlich 240--360 Kranke pro Jahr; die Berliner
Poliklinik hatte im letzten Jahre 9000 Patienten, die Heilstätte
Grabowsee 1902 997 Kranke behandelt, Weich in Görbersdorf 1451,
Ruppertshain 760 etc.)
üeber ch'e Erfolge des französischen Systems läßt sich noch
nichts sagen, da die Dispensaires erst 1—2 Jahre bestehen.
Redner führte sodanu aus, daß auf der Conferenz deutscher
Tuberculose -Aerzte im November 1903 die Uebertragung des
Dispensairosystems auf deutsche Verhältnisse mit gewissen Ab-
änderungen allseitig als zweckmäßig bezeichnet wurde und daß
ähnliche Einrichtungen zum Teil in Deutschland schon beständen
(Poliklinik für Lungenkranke in Berlin, Breslau etc., ganz dispen-
saireähnliche Institute in Charlottenburg, Hamburg, Dassel, Halle).
Bei Neubegründungen wird es sich zunächst darum handeln,
ob dieselben vorhandenen Pohkliniken anzugliedern oder selbst-
ständig sein sollen. Ferner ist schwierig die Schaffung eines
für die Enquete ouvriere geeigneten Stabes.
Redner hält bei der großen Verschiedenheit, die in Deutsch-
land zwischen Versicherten und nicht versicherten Unbemittelten
2
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vatorl. Gultuf.
besteht, eine Trennung für diese beiden Kategorien für not-
Er schlägt für große Gemeinwesen folgenden Organiaations-
plan vor.
1. Eine ärztliche ßeratungsatelle für Versicherte, zu gründen
oder zu aubventioniren von den Landes- Versicherungsanstalten.
2. Ebensolche für Niohtversioherte, am besten üuiversitäts-
Polikliniken und groOen Hospitälern anzugliedern.
3. Ein communales Wohlfahrtsinstitut, das in engster Fühlung
mit 1 und 2 arbeitet und hauptsächlich Familienhygiene und
Prophylaxe treibt.
Absolute Notwendigkeit ist:
1. Schonung der Interessen der praktischen Aerzte, die durch
Dispensaires keine Patienten verlieren dürfen.
2. In Verbindung mit 1 — 3 Walderholangsstätten , da sonst
der zu erwartenden größeren Anzahl zu versorgender Patienten
nicht die Plätze der Heilstätten genügen werden.
Für die Enqu§te ouvriere können in Deutschland vielleicht
heilstättenentlassene Eeconvalescenten ausgebildet worden.
Discussion zu dem Vortrag des Herrn Dr. Preymuth: Die
Dispensaires antituberculeux in Belgien und Prank-
reich und ihre Bedeutung für die Tuberculose-
bekämpfung in Deutschland.
Herr Magen: Die Bekämpfung der Tuberculose ist ein
so erstrebenswertes und dabei so schwieriges Problem, daß man
alle Ursache hat, alle Vorschläge, die anderwärts Erfolge zeitigen,
zu prüfen, daß man aber mit zahlreichen Mißerfolgen rechnen
muß. Dabei wird man aber auch electiv vorgehen müssen,
denn nicht alles, was in anderen Landen gut ist, eignet sich
schon von vornherein für uns. Die Herren Vortragenden haben
dargelegt, daß Deutschland in der Tuberculosefrage schon eine
bestimmte BÄohtung hat und neue Vorschläge sind zunächst zu
prüfen, ob sie in diese Richtung passen. Wir haben Tuberouloae-
heimetätten in stattlicher Zahl, wie sie anderwärts nicht vor-
handen sind, und ob die belgischen Dispensarien in diese Richtung
passen, ist mir zweifelhaft. Zu der Gewährung aller dieser
Dinge, wie wir sie gehört haben, Lebensmittel, Brennmaterial,
eigene Schlafzimmer etc., fehlt vor allem das Geld. Herr Prof.
Stern hat die Bekämpfungsbestrebungen eingeteilt 1. in solche
zur Verhütung der Weiterverbreitung und 2. in die individuelle
Diagnose und Behandlung. loh muß bekennen, daß in weiten
1. Abteilung. Hygienisnhe Seotion. 19
Kreisen der Praktiljev die unmittelbare Gefalir der Ansteckung
der Kinder von kranken Eltern nicht für sehr groß gehalten wird.
Man kann in diesem Punkte auch zu viel thun. Wenn Herr
Dr. Freymuth es beklagt, daß geheilt oder gebessert entlassene
Arbeiter schwer Anstellung finden, weil man sich vor Ansteckung
fürchtet, so ist das eben schon die Wirkung der Furcht, die man
im Publikum durch allzu rigorose Forderungen erweckt hat; hier
muß man in Zukunft vorsichtiger vorgehen. Was den zweiten
Punkt betrifft, so scheint mir die Forderung des Herrn Prof.
Stern nicht die nächstliegende. Er sagt, daß man fftr die be-
stehenden Heilanstalten die passenden Fälle, d. h. Initialfälle
aussuchen müßte. Da man diese Auslese von den vielbeschäftigten
Kassen- und Armenärzten nicht verlangen könne, so müßten
Polikliniken für Lujigenkranke geschaffen werden. Mir scheint
diese Schlußfolgerung durchaus nicht zwingend, sie wäre es nur
dann, wenn diese eine genaue Untersuchung der Patienten
hindernde Vielbesohäftigung der Kassen- und Armenärzte in
einem notorischen Mangel an ärztlichen Kräften ihren unabänder-
lichen Grund hätte. Nun klagt man aber im Gegenteil in
Deutschland über einen Ueberfluß an Aerzten, deren Inanspruch-
nahme für den vorliegenden Zweck nur durch eine engherzige
Art der Anstellung dieser Kassen- und Armenärzte gehindert
wird. Mir scheint es demgemäß näherliegend, daß man diese
Fesseln sprengt und den reichen Besitz an ärztlichen Kräften,
die zu einer sorgfältigen Untersuchung und Unterweisung durch-
aus Zeit, Willen und Fähigkeit haben, nutzbar macht. Woku
lernen die Aerzte in den ausgezeichnet eingerichteten Universitäts-
instituten, wozu bilden sie sich in den staatlioherseits geförderton
Fortbildungscursen weiter, wenn man sie verkümmern läßt und
lieber wieder neue Institute, diese genannten Polikliniken,
schafft? So spielt auch für die Frage der Bekämpfung der
Tuberculose die Frage der freien Arztwahl eine nicht unter-
geordnete Rolle. Man sieht vor weitgehenden Plänen das Nächst-
liegende nicht.
Herr Dr. Samosch macht auf die Schule als wertvollen
Bundesgenossen im Kampf gegen die Tuberculose aufmerksam.
Welche Stellung man auch gegenüber den neuesten Forschungen
und Behauptungen Behrings betr. die infantile Tuberculose-
infection einnehmen mag, so viel ist jedenfalls sicher, daß der
Kampf gegen die Tuberculose des schulpflichtigen Alters aus-
sichtsreicher erscheint, als gegen die des .späteren Alters. In
der Schule und durch dieselbe kann nun, nachdem die Schul-
2*
20 JaLresbericht der Sohles. Gesellschaft fto vaterl. Caltur.
arztinstitution eine weite Verbreitung gefunden hat, der Kampf
gegen die Tuberculose mit mehr Aussicht auf Erfolg als bisher
geführt werden und zwar nach zwei Seiten hin. Erstens könnte
durch. Vorträge der Schulärzte vor den Lehrern oder auch vor
den Schülern der höheren Klassen über Entstehung und Ver-
hütung der Tuberculose, über das zweckmäßige Verhalten des
Kranken und seiner Umgebung eine weitgehende und Erfolg
versprechende Belehrung des Volkes erfolgen; es ist zu hoffen
und zu erwarten, daß die Jugend modernen hygienischen Maß-
regeln und Lehren gegenüber sich empfänglicher zeigen wird
als das höhere Alter. Vor allem aber geben die Schülerunter-
suohungen den Schulärzten Gelegenheit, der Tuberculose direct
zu Leibe zu gehen; es ist ein zweifelloser und überaus wert-
voller Vorzug der Schularztinstitution, daß durch dieselbe eine
viel größere Anzahl von Schulkindern zur ärztlichen Untersuchung
überhaupt gelangt als vorher, dementsprechend wird es mit Hilfe
des Schularztes möglich sein, mehr als bisher tuberculoseverdächtige
Kinder, auf die es ja besonders ankommt, herauszufinden. Denn
wenn auch der Schularzt selbst bei seinen Massenantersuchungen
nur selten die exacte Diagnose „beginnende Tuberculose" wird
sicher stellen können, so hat er doch die Möglichkeit, die Eltern
auf die Möglichkeit des Bestehens einer beginnenden schweren
Erkrankung hinzuweisen, und es ist anzunehmen, daß auf schul-
ärztliche Intervention hin eine erhebliche Anzahl tuberculose-
verdäohtiger oder für dieselbe prädisponirter Kinder zur genauen
ärztlichen Untersuchung gelangen wird. Die exacte Diagnose
bleibt nach wie vor dem Hausarzt oder dem Arzt der Poliklinik
etc. vorbehalten. Wenn es nun aber gelingt, Meldungen von
sicheren Tuberculoseerkrankuugen bei Schulkindern seitens der
behandelnden Aerzte an den zuständigen Schularzt zu erlangen,
am besten vielleicht dadurch, daß diese Meldungen von dem
Staate oder der Stadt honorirt werden, dann wäre ein Weg ge-
geben, auf dem wir etwas Genaueres über die Verbreitung der
im schulpflichtigen Alter beginnenden oder schon fortgeschrittenen
Tuberculose erfahren könnten. Von dem Resultat derartiger
Eeststellungen würde es dann abhängen, ob besondere Maßregeln
zur Bekämpfung der Tuberculose im schulpflichtigen Alter, wie
z. B. die Errichtung von Erziehungs- und Heilstätten für tuber-
culose Kinder notwendig sind.
Herr Stadtrat Martius: Als Leiter der hiesigen Armen-
verwaltung gestatte ich mir zu dem Thema: „Armenpflege und
Tuberculosebekämpfung" einige Worte.
I. Abteilung. Hygienisclie Section. 21
Auch die hiesige Armenverwalfcung ist von der eminenten
Wichtigkeit eines energischen Vorgehens gegen die Tuberculoee
durchdrungen; wenn ihre bezügliche Thätigkeit hinter derjenigen
anderer rühmend erwähnter Großstädte — wie Hamburg, Char-
lottenburg, Halle — bisher zurückgeblieben ist, so wollen Sie
berücksichtigen, daß bei diesen anderen Städten eben auch ganz
andere günstigere Verhältnisse obwalten. Hamburg z. B. ist durch
die großartige Stiftung eines reichen Mitbürgers in den Besitz
einer eigenen Lungenheilstätte gelangt; Charlotteuburg erfreut
sich einer ganz außergewöhnlich ateuerkräftigen Bevölkerung;
Halle endlich ist die einzige preußische Großstadt, welche nocli
eigene Polizeiverwaltung hat; dadurch ist das Zusammenwirken
von Armenverwaltung und Sanitätspolizei natürlich sehr erleichtert,
insbesondere stehen für die Controle darüber, daß die von der
Armenverwaltung für Schwindsüchtige zugemieteten Extrazimmer
zweckentsprechend benutzt werden, in Halle sowohl die Schutz-
leute zur Verfügung, als auch die besoldeten Waisenpflegerinnen
(welche letzteren im Grunde auch nicht sowohl für Zwecke der
Armenpflege, als vielmehr für polizeiliche — nämlich die Con-
trole des Ziehkinderwesens — angestellt worden sind).
Auch die hiesige Armendirection hat indessen der Anregung
des Herrn Prof. Stern betreffend das Zumieten von Zimmern
für arme Schwindsüchtige in geeigneten Fällen versuchsweise
stattzugeben grundsätzlich beschlossen — aber sie hat sich dabei
nicht verhehlt, daß sich der thatsächliohen Durchführung enorme
Schwierigkeiten entgegenstellen werden. Die betreibende Familie
wird fast immer bestrebt sein, die Wohnungsvergrößerung zu
anderen Zwecken, namentlich durch Aufnahme von Sohlafleuten
auszunutzen. Dies zu hindern, ist eine ununterbrochene Controle
notwendig, welche die uns hierfür allein zur Verfügung stehen-
den ehrenamtlichen Organe nur ausnahmsweise auszuüben
bereit und im Stande sein dürften.
Sehr gern haben wir die Offerte der Veranstaltung aufklären-
der Vorträge für Armenpfleger und Armenpflegerinnen acceptirt,
auch zur Verbreitung geeigneter Flugblätter uns bereit erklärt.
Ein Ausfindigmachen von Tuberculoseverdäohtigen durch
die Armenpfleger wird sich u. E. auf Fälle beschränken müssen,
wo die Armenpfleger eben schon als solche thätig sind — sie
werden alsdann diese Fälle zunächst dem zuständigen Bezirks-
armenarzte zuzuweisen haben.
Für sehr erwünscht und fördernswert halten auch wir die
Einrichtung von „Walderholungsstätten" — auch da haben sich
22 Jahresborioht der Schlos. GesuJJschafl, für vatcrl. CuKiir.
leider, wie Herr Prof. Stern auegeführt hat, fürBrcshxu besonilere
Schwierigkeiten ergeben.
Die „Dispeusaires" sind, wie Herr Dr. i'reymuth bemerkt,
wohl nur ein „unvoUkommeues Surrogat" der Heilstätteubehaudlung ;
immerliia dürften sie eine sehr dankenswerte Ergänzung derselben
darstellen.
Die Hauptsache ist m. E., daß ein einheitlich orgauisirtes
Zusammenwirken aller beteiligten Stellen — also der Sauitüts-
))olizei, der Landesversicherungsanstalt, der städtischen Armcn-
\ erwaltung, der Schulverwaltung, der Krankenkassen, der Aerzte-
schaft u. s. w. — herbeigeführt und zu diesem Zwecke ein
Comite oder eine sonstige Centralstelle geschaffen werde.
Herr Professor Buchwald begrüßt es mit Freuden, daß wieder
ein Vorschlag gemacht wird zur Bekämpfung der Tuberculose.
Jeder hat ja das Interesse und die Pflicht, hier mit zu helfen,
nicht blos die Aeriate allein. Die Erholungsstätten könnten in
Breslau gewiß ebenso eingerichtet werden wie in anderen Orten.
Vor allem müßte man aber dabei betonen, daß die Lungenkranken
nicht die große Gefahr für ihre Umgebung darbieten, wie dies
jetzt noch vielfach angenommen wird. Daß eine Infectiou durch
Lungenkranke stattfinden kann, wird niemand leugnen, jedoch
ist die Gefahr gering, sonst müßte sich dies in der 30jährigen
Hospitalthätigkeit dem Redner längst bemerkbar gemacht haben,
dies sei nicht der Fall. Die Isolirung der Kranken, wie sie jetzt
gefordert wird, sei grausam. Geht mau darin noch weiter, so
würde dies nur zur Verheimlichung der Krankheit führen. In
Davos, Reinerz, Görbersdorf etc. würde sich doch, wenn eine so
große Gefahr vorliege, dies längst bemerkbar gemacht haben.
Daß man die Sputa vernichte, sei selbstverständlich. Redner
mischt seit längerer Zeit die Sputa mit fünf Teilen Sägespreu
und verbrennt sie. Die Gläser, welche kaum noch Spuren ent-
halteji, bleiben zweimal 248tunden in antiseptischer Lösung stehen.
Auf den Infectionsmodus, ob durch trockene oder feuchte
Sputa, ob durch die Milch etc., brauche man nicht einzugehen.
Jedenfalls sei der Weg kein einheitlicher und die Controversen
darüber noch groß, wie es die letzten Vorträge v. Behrings etc.
gezeigt haben.
Die Tuberculose werde sicher nicht allein bekämpft durch
die Behandlung und Isolirung der Krauken; hier sei nur
die Prophylaxe von endgiltigem Erfolge.
Beim Kinde müsse man anfangen vorzubeugen. Die Schul-
kinder müsse man daraufhin beaufsichtigen, in der Wahl des
1. AbteiliiBg. [-lygioiiischo Sectio)). 28
Berufes beeinflussen otc. Ebenso könne man Merkblätter be-
lehrender Art in Menge verbreiten.
Am besten wäre es, wenn eine ständige Commission vor-
handen vt^äre, welche alle Beteiligten stets auf dem Laufenden
erhält. Die Vorträge darüber, wenn sie zu selten stattfinden,
erfüllten nicht ihren Zweck.
Auf die Tuberoulinbehandlujig will Redner zunächst nicht
eingehen.
Die weitere Disoussion wird auf den Antrag des Herrn Eeioh
vertagt.
3, Sitzung am 31. October 1904
im Fürstensaale des Eathauses zu Breslau.
Vorsitzender: Herr Sanitätsrat Dr. Steuer.
In den öffentlichen Einladungen war besonders bemerkt
worden, daß Lehrer und Aerzte als Gäste willljommen seien.
Lehrer waren auch in großer Zahl erschienen, so daß der Fürsten-
Baal überfüllt war.
Tagesordnung:
Herr Geh. Med, -Rat Prof. Dr. Hermann Colin: lieber
sexuelle Belehrung der Schulkinder.
M. H.! Als mir vor 10 Jahren von dem Organisationscomite
des VIII. internationalen hygienischen Congresses zu Budapest der
ehrenvolle Auftrag erteilt wurde, Themata vorzuschlagen, welche
für die Discussion geeignet wären, nannte ich auch die Frage:
„Was kann die Schule gegen die Masturbation der Kinder
thuu?" Ich hoffte, daß das Comite die Prüderie, welche bisher
einer öffentliclien Besprechung dieser Frage entgegengebracht
worden war, als unbegründet anerkennen und dieses wichtige
Capitel der Schulhygiene nicht denen zu Liebe, welche gern
einen dichten Schleier über derartige Schattenseiten des Jugend-
lebens ziehen möchten, von der Tagesordnung absetzen würde.
Meine Hoffnung wurde erfreulicher Weise nicht getäuscht.
Ich gebe zu, daß ein gewisser Mut dazu gehört, eine uralte,
immer nur übertünchte Wunde endlich einmal aufzureißen und
eine dem heutigen Standpunkte ärztlicher Ansichten entsprochende
Behandlung zu versuchen. Aber ein solcher Mut ist nötig;
denn mit der bisherigen Vogel-Strauß-Politik ist hier nichts zu
erreichen. Es gilt hier ganz besonders der Satz von Johii
Stuart Mill:
24 .lahresbericUl, der Schlos. Oesclitidiaa für vaterl. ("^ultur.
„Die Krankheiten der Gesellschaft können ebenso wenig als
die des Körpers verhindert oder geheilt werden, ohne daß mo,n
offen von ihnen spricht."
Welcher Platz wäre geeigneter, diese gewiß nicht appetit-
liche, aber darum nicht minder bedeutungsvolle Frage von allen
Seiten zu erörtern, als eine Versammlung, an der sowohl Aerzte
als Lehrer und Behörden teilnehmen?
Das Unappetitliche darf ia einer hygienischen Versammlung,
in der ja die Fragen der Desinfection, der Abfuhrsysteme, der
Syphilis, der Bordelle ohne Prüderie erörtert werden, niemanden
abschrecken. Da!.! meine Thesen auf mancherlei Widerspruch
namentlich von nichtärztlicher Seite stoßen werden, weiß ich.
Ich hatte denselben Kampf vor 40 Jahren auazufechten , als ich
meine Ansichten über die Kurzsichtigkeit der Schuljugend und
die zur Verhütung notwendigen Reformen veröffentlichte. Heute
sind die letzteren zu meiner Freude fast in allen civilisirten
Ländern durchgeführt.
Vorstehende Einleitung auf dem Congreß zu Budapest ]894
schloß ich mit den Worten: „Wenn ich jetzt von neuem einen
Kampf aufnehme in einem meines Erachtens nicht minder wichtigen
Capitel der Schulhygiene, so hoß'e ich, wenn ich auch nicht mehr
die Durchführung meiner Vorschläge erlebe, — denn nur langsam
brechen sich neue Vorschläge Bahn — daß doch wenigstens die
Anregung zu vielseitiger Untersuchung, Prüfung und Er-
wägung durch die folgenden Erörterungen gegeben wird. Viel-
leicht werden in späteren Jahren in Betreff der Verhütung der
Onanie meine Vorschläge Berücksichtigung finden."
Eine Statistik giebt es aus naheliegenden Gründen über
die Onanie noch nicht, doch stimmen alle medioiuischeu Schrift-
steller darin überein und auch ich kann mich dem nach
40jähriger Praxis nur anschließen, daß die Onanie unter der Jugend
enorm verbreitet ist. Ja, einige ausgezeichnete Nervenärzte
gehen so weit, zu behaupten, daß es überhaupt k ei neji Menschen
gebe, der nicht zeitweilig Onanie getrieben habe. So sagte der
sehr erfahrene, leider zu früh verstorbene Professor Oscar
Berger: „Die Masturbation ist eine so verbreitete Manipulation,
daß von 100 jungen Männern und Mädchen 99 sich zeitweilig
damit abgeben und der hundertste, wie ich zu sagen pflege, der
reine Mensch, die Wahrheit verheimlicht." Nach Moll äußerte
ein Arzt: „Wer es bestreitet, on.inirt zu haben, der hat es oft
I. Abteilung. Hygiouisclio Seotiun. 25
nur vergessen." Ein anderer Arzt that den bekannten Ausspruch:
„Wer behauptet, nie onanirt zuhaben, der thut es noch." Wenn
wir auch diesen Satz nicht unterschreiben, so stimmen wir doch
voilkommen der Ansicht von Moll bei, daß die meisten Menschen
zuerst den Geschlechtstrieb durch Onanie befriedigen. Daß schon
bei ganz kloinen Kindern onanistisohe Bewegungen beobachtet
werden, steht fest. Piirbringer, Cursohmann, Moll und ich
sahen dieselben bei Kindern schon unter fünf Jahren, dooli sind
das gewiß Ausnahmen, ebenso wie die Beobachtungen bei alten
Leuten.
Dagegen stimmen alle Schriftsteller übereiu, daß in der Zeit
der beginnenden Pubertät am heftigsten onanirt wird. Die Schul-
kinder stellen also die Hauptmenge der Onanisten. Darüber ist
schon 1756 von Barth, 1759 von Tissot, 1780 von Johann
Peter Prank berichtet worden, und später schilderten Piir-
bringer, ßagiusky, Bensemann, Pournier, Chevalier,
Taruowsky und Andere die ungemeine Verbreitung der Onanie
in den deutschen, französischen und englischen Schulpensionaten,
Prof. Schiller, Gymnasiaklirector in Gießen, Verfasser eines
Lehrbuches der Pädagogik, in welchem er besonders betont, daß
er „in 34jähriger Amtsthätigkeit wiederholt in der Lage war,
betreffs der Onanie reichere Erfahrungen zu sammeln, als dies
insgemein der Pall zu sein pflegt", und daß er alle Pälle acten-
mäßigem Material entnommen habe, ist gewiß ein zuverlässiger
Autor. Er schreibt: „Daß die Selbstbefleckung in den Schulen
weit verbreitet ist, bezeugen zahlreiche Beobachtungen. Sie findet
sich von Sexta an, selten ganz unten und ganz oben, am häufigsten
in den Tertien und Secundcn. Keine Anstalt wird vermutlich
frei sein, aber in einzelnen Schulen erreicht das Uebel
eine sehr große Ausdehnung. Tradition und Schülermaterial
sind hier von größtem Einflüsse. Besonders gefährlich sind die
Anstalten als Brutstätten und Verbreiterinnen des Fehlers, an
welchen zahlreiche Schüler, die das normale Alter um mehrere
Jahre überschritten haben, in die mittleren Klassen vom Lande
eintreten. Teils bringen dieselben die schlimme Gewohnheit schon
mit, die unter der Ijaudbevölkeruug bekannt und heimisch ist,
teils erfahren sie dieselbe von älteren Schülern und verbreiten
sie dann weiter."
Moll erzählt, er kenne eine derartige Epidemie aus einer
Berliner Schule, wo ein jetziger Schauspieler die mutuelle
Onanie in soliamlosester Weise eingeführt habe. Er glaubt, daß
es derartige Epidemien in Schulen zu allen Zeiten gegeben hat.
26 .TB,hresb6richt der Scbles. Gesellsoliaft für vaterl. Oultur.
Dem schließe ich mich auf Gruud eigener 40jilhrig6r Er-
fahrungen an. Nur Einiges will ich angeben. Ich kenne genau
die Tertia eines Gj'tnnasiums, in welcher das Uebel eiu halbes
Jahr verbreitet war, ohne daß es zur Kenntnis der Lehrer kam.
Einige ältere Schüler hatten es in die Klasse gebracht und die
übrigen verführt. Während dieser langen Zeit wurde in jeder
Freiviertelstundo täglich, da die Thür geschlossen war
und kein Lelirer die Aufsicht führte, gegenseitige
Onanie systematisch betrieben. Die jüngeren unschuldigeren
Schüler flüchteten wohl in den Hof, aber die älteren gaben sich
schließlich gern der Aufregung hin. Nur durch einen Zufall kam
die Sache heraus, und als man die jüngeren Schüler fragte,
warum sie nicht längst Anzeige gemacht hätten, antworteten sie,
sie hätten wohl Ekol vor dieser gegenseitigen Friction gehabt,
allein sie fürchteten, sich durch eine Anzeige als Klatscher
(Petzer) mißliebig zu machen. Allerdings wurden nach dieser
Entdeckung die betreffenden Hauptverführer aus der Schule ent-
fernt, zwei anderen wurde die Entlassung angedroht, allein viele
Schüler waren doch nun einmal verdorben.
Aus einem anderen öymnasium habe ich die bestimmte Mit-
teilung von Secundanern, daß alle miteinander in der Pause, wie
sie sich euphemistisch ausdrückten, „Jugendspiele" trieben,
d. h. gegenseitig raasturbirteu. Aus einer dritten Anstalt wurde
mir dasselbe erzählt, nur daß der Ausdruck „Eiern" gebraucht
wurde.
Ein ganz zuverlässiger Student erzählte mir, daß er als
13 jähriger Untertertianer noch unschuldig war; damals machte
er mit sieben älteren Mitschülern einen Ausflug in's Gebirge.
Dabei setzten sich diese in einen Straßengraben und luden ihn
zur mutuellen Onanie ein, wobei es bei vielen schon zur Aus-
spritzung des Samens kam, während dies bei ihm noch nicht der
Fall war.
Aber nicht blos in den Zwischenpausen werden diese
gegenseitigen Frictionen betrieben, sondern auch in der Unter-
richtsstunde selbst. Ich besitze genaue Notizen darüber. Eiu
Schüler schilderte mir sehr treffend die Sache so: „Oben haben
wir Caesar getrieben und unten haben wir miteinander onanirt
und zwar über den Beinkleidern."
Aehnliches berichtet Hermann Schiller. Ein Arzt, dessen
Sohn beteiligt war, constatirte, daß derselbe in einer sogenannten
Arbeitsstunde im Hanse des Lehrers eingeweiht wurde, und daß
I. Afeteilnug. Hygieniscke Section.
dort regelmäßig, während der Lehrer im Zimmer die Aufeicht
führte, Onanie getrieben wurde,
Wohl einzig in ihrer Art aber ist die autenmäßig festgestellte
Mitteilung von Sclüller in Gießen, „daß die Schüler ganzer
Bankreihen die Taschen der Beinkleider durchbohrt
hatten und gegenseitig während des Unterrichts die
verderbliche Gewolmhoit pflegten."
Man sieht hieraus, daß der Frage von Seiten der Scliul-
hygiene noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit zu Teil wurde.
Der ungeheueren Verbreitung der Selbstbefieckung auf unserem
Gymnasium vor 50 Jahren erinnere ich mich sehr wohl, doch
habe ich niemals in meiner Jugend etwas von mutueller
Onanie gehört. Dasselbe bestätigte mir auch Virohow vor
10 Jahren.
In meinem Vortrage in Budapest „Was kann die Schule
gegen die Masturbation der Kinder thun", den ich in Berlin im
Verlage von Schoetz 1894 habe erscheinen lassen, hudet man
Ausführliches über die Folgen der Onanie, namentlich die
Neurasthenie, die functionellen Geschlechtsstörungen,
wie Tagespollutionen, Spermatorrhoe u. s. w.
Besonders habe ich schon vor 22 Jahren auf bestimmte Augen-
leiden hingewiesen, welche sich am häufigsten bei ausgesprochenen
Onanisten beobachten lassen (siehe meinenAufsatz„Augenerkrankuu-
gen bei Masturbanten" [Archiv für Augenlioilkunde, 1882, Band 11,
Seite 198 und folgende] und ferner mein „Lehrbuch der Hj'giene
des Auges", Wien 1892, Seite 650 und folgende). Es gie'bt ge-
wisse subjective Lichtersoheinungen, Photopien, bei denen
man fest überzeugt sein kann, daß bei irgendwelcher Wahrheits-
liebe die jugendlichen Personen eingestehen, daß sie sehr stark
masturbiren.
Meist zeigen sich bei ganz gesunden Augen Lichterscheinuu-
gen, die entweder in einer Blendung bestehen, wie von einer
beleuchteten und bewegten Fensterscheibe oder einer glänzenden
Wasserfläche, oder einem hellen Flimmern, das bald als Er-
scheinung von hellen Sternen, hellen Rädchen, hellen Strahlen,
hellen Kreisen, hellen Punktchen, bald als Schneeflocken oder
flatternde Luftbewegung vor beiden Augen beschrieben wird.
Mitunter führen diese Photopien zu Lichtscheu, Photo-
phobie, 80 daß die Augen zusammengepreßt werden müssen,
besonders wenn der Patient sohnellem Wechsel von Hell und
Dunkel ausgesetzt wird. Mooren hat eine amerikanische Dame
beobachtet, welche von frühester Jugend auf onanirte und selbst
Jalireshoriclit der Scbles. Gesellschaft für vaterl. Ciiltiir.
iii Gesellschaft die Manipulation nicht unterlassen konnte, und
welche nicht den Glanz eines fremden Auges zu ertragen ver-
mochte.
Höchst oharacteristisch ist auch der trockene Bin deh.iut-
katarrh der Masturbanten, welcher in Brennen und Drücken
mit geringer Rötung der Schleimhaut, aber ohne jede Secretion
besteht und nach meiner Erfahrung besonders bei onanirenden
Mädchen und alten Jungfern vorkommt. Dieser Katarrh ist gar
nicht zu beseitigen, da die Patienten von der Masturbation nicht
ablassen. Auch Förster hat besonders betont, daß einfache
Katarrhe und Bläschenkatarrh der Bindehaut, die sonst immer
sicher und leicht in der Jugend heilen (ähnlich wie chronische
Pharynxkatarrhe), allen Behandlungsweisen trotzen bei jugend-
lichen Personen, die eingeständlioh stark onanireu.
Gewiß sind die Polgen der Onanie in Bezug auf Rücken-
markschwindsucht und Gehirnerschöpfung übertrieben
worden, und es ist gewiß schwer, hier das post hoc und propter
hoc sicher auseinanderzuhalten; indessen ist im Vergleich von
Onanie und Beischlaf, wie alle Nervenärzte angeben, doch aus
zwei Gründen die Onanie schädlicher. Erstens wird sie schon
in so früher Jugend begonnen, in der noch gar nicht au den Bei-
schlaf gedacht worden kann, und dem Kinde sind die nervösen
Erschütterungen, die schon das ganze Nervensystem des Er-
wachsenen erregen, viel schädlicher als diesem; zweitens aber ist
die Gelegenheit zur Ausführung der Onanie unbegrenzt
und wird daher leider auch oft übermäßig ausgenützt.
Aus allen Mitteilungen der Nervenärzte folgt, daß "mäßige
Grade von Masturbation bei geschlechtsreifen Personen in der
Regel ebenso wenig Schaden bringen wie mäßige Ausübung des
Beischlafs, daß aber frühzeitig begonnene und jalirelang
täglich fortgesetzte Onanie dauernde Nachteile der
körperlichen und geistigen Gesundheit bringen kann,
die freilich je nach der Körperconstitution der Onanisten
bedeutenden Schwankungen unterliegen.
Mit Sicherheit erkennen läßt sich freilich nicht, ob ein
Schüler onanirt, außer wenn man die Samenflecken findet (doch
auch diese werden oft in die Taschentücher entleert), oder wenn
man den Onanisten in flagranti ertappt, wovor er sich in der
Regel wohl zu hüten weiß.
loh habe in meinem Vortrage in Budapest alle Gelege u-
h eitsursaohen , welche die Schule bietet, ausführlich be-
sprochen. Die Gefahr liegt, wie gesagt, in dem frühen Beginn,
I. Abteilung. Hygieuische Seotiun, 'i&
in der grenzenlosen Wiederholung und in der Schwierig-
keit, dem Triebe, der einmal mit elementarer Gewalt den Schüler
eigriiTen, zu widerstehen. Aber selbst zugegeben , daß die
Masturbation gar nicht schadet, so wird doch jeder mir bei-
stimmen, wenn ich sage: „Die Onanie ist nicht nützlich, und
wir haben die Aufgabe, alles zu vermeiden, wenigstens in der
Schule, was dem Laster Vorschub leisten kann." Ea sei hier nur
kurz erwähnt, daß zu den Gelegenheitsursaohen das stunden-
lange Sitzen in der Schule gehört, das allzu lange Sitzen bei
häuslichen Arbeiten, namentlich auf Polsterstühlen, die Art
des Sitzens mit übereinandergeschlagenen Beinen und das Reiten
auf den Stühlen. Auch die Bewegungen an der Nähmaschine
drängen vielfach zur Onanie, ebenso das Klettern mit den Beinen
auf Kletterstangen, das längere Verweilen auf Aborten und das
Zurückhalten von Urin und Stuhlgang, erotische Leetüre und
Bilder.
Hier ist die Schule von Vorwürfen durchaus nicht frei-
zusprechen. Vor allem dürften in der Schule keine Bibeln
geduldet werden, die nicht von den vielen, für den Schüler
keineswegs passenden , auf geschlechtliche Verhältnisse bezug-
nohmondeu Stellen frei sind, loh habe oft genug gehört und weiß
es aus meiner eigenen Schulzeit, daß gerade diese anstößigen
Stellen von den Schülern am liebsten gelesen werden. Auch
H, Schiller Ijetont mit Recht auf Grund einer reichen Erfahrung,
daß die Bibel in ihrer ursprünglichen Gestalt eine große Gefahr
für die Sittenreinhoit der Jugend ist und daß die Onanie auf
Knaben- und Mädchenschulen sich zunächst an die Vorlesung von
Bibelstellen angelehnt hat; es sollte daher keine unverkürzte
Bibel in der Schule benutzt werden. Schiller macht ferner
darauf aufmerksam, „daß häufig im Religionsunterricht, wenn
auch in der besten Absicht von Hurerei, Ehebruch und anderen
geschlechtlichen Dingen mit einer Ausführlichkeit gesprochen
wird, die regelmäßig den Blick auf Gebiete lenkt, denen er noch
lange fern bleiben müßte".
Ganz dasselbe gilt von der antiken Lectüro. Auch sie reizt
die jugendliche Phantasie in geschlechtlicher Beziehung oft genug.
Der Ovid wurde bei uns bereits in Tertia gelesen und enthielt
ganz bedenkliche Verse. Am schlimmsten war es in Prima bei
der Leetüre des Herodot. Unser guter Griechischlehrer glaubte
etwas besonders Geschicktes zu leisten, wenn er am Anfange des
Halbjahres alle Stellen des Herodot genau bezeichnete, die nicht
gelesen werden würden, Natürlich haben wir sie zn Hause zu
fiü Jahresbericht der Schles. QosoUsohaft für vatorl. Cultur.
allererst studirt. Homer und Horaz sind ja bekanntlich auch
nicht arm au geschlechtlich aufregenden Versen, und diese werden
in den allgemein käuflichen Uebereetsiungen am liebsten gelesen.
Möge man doch Schulausgaben der alten Klassiker veranstalten,
in denen die schlüpfrigen Stellen fehlen.
Ein Gleiches wäre auch bei den Wo r t e r b ü o h e r n zu empfehlen.
Viele Schüler haben mir erklärt, daß sie ihre Aufklärung über
geschlechtliche Dinge den Lexiois verdanken- Auch manche illu-
strirte Schulbücher könnten decenter sein. Endlich wissen wir
aus dem Munde stark onanirender Kinder, daß sie im Alter der
beginnenden Pubertät durch den Besuch von Bildergalleri en ,
von Statuen -Museen, von Balletten, selbst von Kinderbällen
besonders erregt wurden, und daß nach dem Besuche derselben
trotz der besten Vorsätze der Trieb zur Onanie immer wieder mit
unbegrenzter Kraft ausbrach. Hier können nur die Eltern und
Erzieher helfen; sie dürfen keine schlüpfrige Leotüre gestatten,
keine weichen Betten geben, sie müssen Biergenuß verhüten und
immer darauf halten, daß die Hände auf den Betten oben bleiben.
Ich habe nun in Budapest vor 10 Jahren vier Thesen ver-
teidigt: 1. Die wichtigste Aufgabe scheint mir eine beständige
Aufsicht der Lehrer während des Unterrichts und während
der Pausen in Bezug darauf, daß die Schüler nicht Auto- oder
mutuelle Onanie treiben. Darüber sind wohl alle Hygieniker
jetzt einig.
2. Ich bin dafür, daß der Lehrer die Schüler von der Schäd-
lichkeit der Auto- und mutuellen Onanie in Kenntnis setzt,
gewiß eins der schwersten Probleme, weil die Lehrer der ganzen
schmutzigen Sache am liebsten aus dem Wege gehen und weil
sie fürchten, daß manche bisher unschuldige Kinder durch eine
Warnung erst recht auf das Laster hingewiesen werden. Alle
Lehrer fürchten, daß sie nicht den taktvollen Ton, um nicht zuviel
zu sagen, treffen werden. Auch dem Vater wird es nie angenehm
sein, mit seinem Sohne über diese Frage zu sprechen. Aber ich
frage: „Ist es für den Vater vielleicht angenehmer, daß der
Sohn eines Tages mitteilt, einige Schüler, die ihm mutuelle Onanie
beigebracht hätten, seien von der Schule fortgejagt worden?"
Ich frage ferner: Ist der Schaden größer, der entsteht, wenn
in einer bestimmten, noch näher zu besprechenden Form den
Kindern eine verhütende Warnung erteilt wird, oder ist der
Schaden größer, wenn durch Mangel an Warnungen eine
Zahl von Schülern der unbegrenzten Onanie entgegentreibt?"
Daß ich hier zwischen zwei Uebeln zu wählen habe, bestreite
I. Abteilung. Hygienisclie Section. 31
ioh keinesfalls, aber da ich wählen muß, entscheide ich mich für
daa kleinere, und das ist meiner Ansicht nach die prophylaotische
Warnung. Es ist hier wie mit der Warnung vor der Syphilis.
Wie viele Tausende würden für ihr ganzes Leben frei von Syphilis
bleiben, wenn sie die Gefahren in der Jugend nur ahnen würden?
Ich betrachte die Warnung für das kleinere Uebel, denu in
Wirklichkeit liegt ja die Sache so: jeder Knabe onanirt, der
eine mehr, der andere weniger. Schon die unvermeidlichen Be-
rührungen der Geschlechtsteile beim Wasserlassen und beim Stuhl-
gang zeigen den meisten Kindern, daß ein gewisses Wollust-
gefühl durch Eeibung erzeugt wird. Ich gehe sogar infolge zahl-
reicher Mitteilungen soweit zu behaupten, daß kein Knabe, der
älter als 10 Jahre ist, existirt, der diese Thatsache nicht kennt.
Aber selbst wenn er in dem Alter noch völlig unschuldig ist und
nichts von dieser Thatsache ahnt, so erfährt er sie über kurz oder
lang entweder zufällig oder durch Mitteilungen von seinen Mit-
schülern. Es ist daher gewiß klüger, das Feuer zu dämpfen,
wenn die ersten Funken zu glimmen beginnen, als erst dann,
wenn das Haus in lichten Flammen steht. Aehnlich sprechen
sich auch Puschmann, Moll und Baginsky aus. Aber alles
kommt natürlich auf das „Wie" an.
Längere Erklärungen über diesen Funkt sollen in unteren
Klassen nicht erteilt werden ; allein ich kann nicht einsehen, daß
es schädlich sei, wenn der Lehrer bei Gelegenheit von Regeln
über Sauberkeit, namentlich über den Besuch von Aborten, den
Kindern einprägt: „Merkt euch, jede Berührung der Ge-
schlechtsteile ist dem Körper schädlich."
In den oberen Klassen kann auch, ohne daß das Gespenst
der Rtickenmarksschwindsucht oder Hiruerweichung an die Wand
gemalt wird, von den üblen Folgen, welche Körper und Seele
durch hartnäckige Onanie erleiden, gelegentlich des anthropolo-
gisch-naturwissenschaftlichen oder noch besser hygienischen Unter-
richts gesprochen werden.
Fournier meint, man solle die Kinder vor den Berührungen
der Genitalien ebenso warnen wie davor, die Finger in die Nase
oder in die Ohren zu stecken.
Am strengsten aber muß sich die Warnung auf die mutuelle
Onanie beziehen, und hier genügt gewiß in den unteren Klassen
schon die Bemerkung: „Ganz besonders schädlich und schimpflich
ist die gegenseitige Berührung der Geschlechtsteile,
indem die eigene Gesundheit und die des anderen dadurch ge-
ichädigt wird."
an JahrosbericJit der Schles. Gesollschaft für vaterl. Oultur.
Solche Belehrung müßte in Knabenklassen bei lOjährigeu
Kindern gegeben werden, die motivirtere Darstellung aber bei
13 — 14jährigen besonders in Tertia. Natürlich wird alles auf den
Takt des Lehrers ankommen.
In den Mädchenschulen müßte natilrlioii eine Lehrerin eine
solche Warnung ergehen lassen.
Drittens hatte ich die These aufgestellt, die natürlich Wider-
spruch hervorrief, Straflosigkeit demjenigen Schüler zu ver-
sprechen, der mutuelle Onanie zur Anzeige bringt. Nur so würden
die Kinder die Furcht vor der eigenen Bestrafung verlieren.
Die vierte These lautete: „Durch Vorträge und gedruckte
Belehrungen sind aucli die Eltern und Pensionsgeber darauf
hinzuweisen, daß sie die Pflicht haben, den Kindern die Gel'ahren
der Onanie auseinanderzusetzen, so wie wir schon seit Jahren in
Breslau den Eltern, welche eine Geburt anmelden, prophylaotisch
kurze Belehrungen über die Gefahr der Augeneiterung der Neu-
geborenen einhändigen. Eltern und Pensionsgeber müssen selbst
auf Elternabenden durch die Schulärzte über den geeigneten Weg
der Aufklärung aufgeklärt werden".
So lagen die Dinge vor 10 Jahren auf dorn Congi-eß in
Budapest.
Nur ganz schüchtern wagten sich seitdem einzelne Stimmen
in die Oeffentliohkeit, welche meinem damaligen Wunsche, die
Frage populär zu erörtern, entsprachen. Immer noch schreckte
man in unverantwortlicher Prüderie vor einer öffentlichen Er-
örterung dieser gewiß kitzliohen Frage zurück, indem viele Leute
glaubten, daß man durch Belehrung die Kinder erst auf die
Onanie, die ihnen noch unbekannt sei, hinführe. Auch fehlte
bisher ein Modus der Belehrung, den jeder Vater und jeder
Lehrer gern bei seinen Kindern anwenden würde.
Allein, die Zeiten der Verhüllung dieser eminent wichtigen
Fragen sind nun glücklicherweise endlich beendet. Der Verein
„Jugendsohutz" in Berlin hat schon 1900 die gute Schrift
Ethelmers „Baby Buds", übersetzt von Hanna Bieber-Böhm,
unter dem Titel „Wo kam Brüdej'ohen her'?" sowie das Flugblatt
von E. Stiehl „Auch eine Mutterpflicht" verbreitet. Auf dem
diesjährigen internationalen hygienischen Oongresse in Nürnberg
1904 hielten Prof. Schusohny, Dr. Epstein, Prof. Stanger,
Dr. Oker-Blom und Frau Hofrat von Forster bedeutende
Vorträge über die sexuelle Belehrung der Kinder, und man be-
1. Abteilung. Hygienische Seotion.
Bchlol.1 dott, eine permanente OommisBlon zur weiteren Prüfung
der Frage und zur Vorlegung bestimmter Thesen für den nächsten
Londoner Congreß einzusetzen. Der vierbändige Bericht der
Nürnberger Versammlung ist aber noch nicht erschienen.
Es kann daher hier nur kurz angedeutet werden, was in
dieser Beziehung über die sexuelle Belehrung der Schulkinder
vorgetragen worden ist.
Schularzt und Professor der Hygiene H. Sohuschny aus
Budapest meinte, die Schule könne der sexuellen Frage nicht
a,u8 dem Wege gehen. Die Aufklärung geschehe bisher ge-
wöhnlich durch aufgeklärte ältere Genossen, die ihre Kenntnisse
liinsichtlioh des Geschlechtslebens auf demselben Wege erlangt
haben. Eltern, die ihre Khider mit der größten Sorgfalt erziehen,
können das nicht verhindern und pflegen sich um die bezüglichen
Kenntnisse ihrer Kinder nicht zu kümmern. Der Trieb zur
Wahrheit soll nicht nur unsere Kinder, sondern auch uns leiten,
und deshalb dürfen wir nicht die Storchpoesie festhalten, wenn
unsere Kinder schon längst darüber hinaus sind. Man erziehe
das Kind vor und in der Volksschule so, daß es an der sexuellen
Frage gar nichts Besonderes findet. Um die zumeist fehlende
pädagogische Sicherheit der Eltern zu fördern, sollten Eltern-
abende veranstaltet werden. Ist das Kind vor der Pubertät auf-
geklärt, dann wird es, wenn diese eintritt, vom Eeiz des Mysti-
schen nicht mehr so erfaßt werden als jenes, das nach den Regeln
der Conventionellen Sittlichkeit erzogen wurde.
Prof. Schuschny berichtete sodann über den in ungarischen
Schulen eingeführten Hygieneuuterricht, der in den obersten
Klassen erteilt wird, wobei dem Vortragenden Gelegenheit ge-
boten ist, das sexuelle Gebiet einschließlich der Geschlechts-
krankheiten zu streifen. Dieser Unterricht ist ferner auch gegen
die Masturbation gerichtet, und es wird den Schülern Enthaltsam-
keit an's Herz gelegt. Er berichtet endlich, daß er den Abi-
turienten der Staatsoberrealsohulen in Budapest seit 10 Jahren
alljährlich vor der üebernahme des Reifezeugnisses einen Vortrag
über sexuelle Hygiene halte.
Dr. Epstein (Nürnberg) meinte: Daß eine Aufklärung
der Jugend über Geschlechtskrankheiten nötig ist, darüber
besteht heute kein Zweifel mehr ; nur die Einzelfragen erfordern
eine endgiltige Lösung, von wem, wie und wann dieser Uziter-
richt zu erteilen sei. Da Eltern und Lehrer hierfür verläufig
weniger in Betracht kommen, erscheint der schon von Fournier
und Anderen gemachte Vorschlag am zweckmäßigsten, die Be-
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft ftlr vaterl. Oiiltiir,
lehrung durch die Schulärzte erteilen zu lassen, nicht in Form
eines besonderen Curses, sondern als Teil einer Vortragsreihe
über die wichtigsten Abschnitte der Gesundheitspflege. Es soll
kein CoUeg über Pathologie und Therapie der Gresohlechtskrauk-
heiten geboten werden, sondern es sollen diese Krankheiten, ihre
Häufigkeit, ihre Gefahren eindringlich dargestellt werden. Es muß
hingewiesen worden auf die ethische und gesundheitliche Bedeutung
der sexuellen Enthaltung. Auch auf die Onanie wird hierbei in
tactvoUer und nicht übertreibender Weise einzugehen sein. Als
Altersstufe, die für die Belehrung zu wählen wäre, erscheint
etwa das 16. Lebensjahr am geeignetsten. Der Unterricht würde
also nicht in die Volksschule fallen, sondern in die letzten Monate
der Sonntags- und Fortbildungsschule, auf den Mittelschulen
etwa in die sechste Klasse.
Realschulprofessor Dr. Stanger (Trautenau) sagte, es Bei
eine bekannte Thatsache, daß unsere Jugend der Mehrzahl nach
nicht nur wissend, sondern auch verdorben ist, eine Thatsaclie,
für welche sie gewiß nicht allein verantwortlich gemacht werden
kann. Das Elternhaus sollte auch behilflich sein; es möge
darüber belehrt werden, daß der Weg zur Keuschheit durch die
Nüchternheit führt. Für die Schule ist die ausgiebige Förderung
gesunder körperlicher Uebungen zu jeder Jahreszeit ein wichtiger
Factor. Privatleotüre der Jugend ist gleichfalls ein wichtiges
Moment. Tanzunterricht, Tanzvergnügungen, Theater können
verderblich werden. Auch die Sittenpolizei möge mithelfen. Bei
geheimen Erkrankungen ist Anzeigepflioht zu fordern; öffentliche
Häuser sind in der Nähe von Schulen nicht zu dulden, Studirendo
sollen mit Dirnen nicht in einem Hause wohnen. Statt der Schluß-
kneipen sollen Abschiedsfeierlichkeiten stattfinden.
Frau Hofrat von Porster (Nürnberg), die Vertreterin des
deutschen Frauenvereins und des Bundes deutscher Prauen-
vereine, eine rhetorisch und logisch hoch hervorragende Frau,
hob hervor, daß die Heranziehung der Mütter zu jenem Auf-
klärungswerk von der größten Wichtigkeit sei, und daß Unter-
weisungen über die Art, in der die Aufklärung zu geben wäre,
als ein dringendes Erfordernis für die Mütter angesehen werden
müsse. Sie hält die Teilnahme der Mütter an Besprechungen
der Lehrerschaft, auch der männlichen, hinsichtlich dieser
Fragen für wertvoll.
Auch Herr Dr. Max Oker-Blom, Arzt und Docent der
Physiologie aus Helsingfors, setzte in Nürnberg seine Ansichten
auseinander und gab seine Rede bereits schwedisch heraus. Ich
I. Abteilung. Hyg-ienisohe Section.
halte es für meine Pflicht, auf die soeben im Erscheinen be-
griffene, kleine, vortreffliche Schrift von Max Oker-Blom auf-
merksam zu machen, welche den Titel führt: „Beim Onkel Dootor
auf dem Lande; vorbeugende sexuelle Belehrungen für Knaben
von 8 bis 12 Jahren mit Hilfe der Eltern", übersetzt von Pro-
fessor Leo Burgerstein in Wien; Verlag von Piohlers Witwe
und Sohn in Wien, Preis 85 Pf. Ich eile, dieses wirklich aus-
gezeichnete Büchlein allen Eltern und Lehrern auf das
Dringendste zu empfehlen, weil die Frage noch niemals bisher
in einer für die Kinderwelt so passenden Form gelöst worden
ist. Man kann dem Professor Burgerstein, dem Verfasser des
ausgezeichneten Lehrbuches der Solnilhygiene, nicht dankbar
genug sein, daß er dieses vortreffliche kleine Buch sogleich in's
Deutsche übertragen hat.
Mit Recht betont Oker-Blom in einem Vorwort an die
Eltern, daß viele Kinder aus reinem Unverstand der Selbst-
büfleokung zum Opfer fallen, weil kein Verständiger mit ihnen
von der Gefährlichkeit solcher Spiele spricht und sie rechtzeitig
warnt. Die Kinder merken leicht, daß die Eltern ihnen die
Wahrheit der Geschlechtsverhältnisse vorenthalten; das spornt
ihre Neugier an und führt dahin, daß die Kenntnis auf andere
Art erworben wird. Es werden daher die etwas älteren Knaben
zu Lehrmeistern der jüngeren, und ein unglückliches Spiel ist
den jüngeren Kindern beigebracht. Während wir sonst in den
zahlreichen Fächern des Wissens für unsere Kinder die besten
Lehrer suchen, überlassen wir es hingegen in Sachen des Ge-
schlechtslebens dem Zufall, den Lehrmeister zu wählen, und ent-
fremden uns das Vertrauen der Kinder.
Schon mit 8 und 10 Jahren, mitunter schon früher, macheu
sie Erfahrungen in solchen Dingen, die sie wohlweislich als ihr
heimliches Wissen behandeln und phantastisch bearbeiten; denn
die Eltern zeigen ja deutlich genug, daß mau mit ihnen darüber
nicht reden kann. Der Verfasser hofft, den Eltern einen Dienst
zu erweisen durch Angaben einer Form, in welcher die not-
wendig befundene Mitteilung geschehen könnte. Oker-Blom
hat daher geglaubt, mit Hilfe passender Erzählungen, die sich
an kleine, im Alltagsleben vorkommende Ereignisse anknüpfen,
die Kinder über die geschlechtlichen Fragen am leichtesten be-
lehren zu können, und er wünscht, daß diese Geschichtchen
langsam den Kindern von den Eltern vorgelesen werden sollen.
Sie werden dann der Ausgangspunkt für vertrauliche Aussprache
zwischen Eltern und Söhnen werden und dem Kinde zeigen, daß
a*
H6 Jahresbericht der Sclilos. Oesollscliaft für vatorl. Cultur.
es in seinen eigenen Eltern seine natürliohBten Eatgeber findet.
Es möge die Belehrung zur Zeit geschohon , ehe sie von schäd-
lichen Nebeneinflüssen überholt wird, „besser ein Jahr zu früh,
als eine Stunde zu spät", sagt der Verfasser mit Recht.
Oker-Blom schildert einen Knaben, den ein Onkel, welcher
Arzt ist, eingeladen hat, die Sommerferien auf dem Lande bei
ihm zu verleben, und den er wie ein Vater belehrt. Dieser Knabe
schreibt nun an einen Freund in einer seinem Alter entsprechenden
Form, wieviel Interessantes er gehört und gelenkt habe. Der
Onkel begann in einfachster Weise ihm eine Apfelblüte zu
erklären und die Bedeutung der Staubgefäße, ihres Mehles, der
Narbe des Stempels and des Fruchtknotens ihm klar zu machen,
daß also nur durch die Wechselwirkung zwischen männlichen
und weiblichen Teilen eine Frucht entstehen und reifen könne.
Gelegentlich der Beobachtung von Schwalben wurden die Ver-
hältnisse auf Vögel übertragen, die Entstehung der Eier im
Eierstock, das Eierlegen und Ausbrüten durch das Schwalben-
weibchen erörtert. In einem anderen Briefe wird geschildert,
wie die Hündin des Arztes fünf Junge geboren , nachdem sich
diese im Leibe des Muttertieres aus kleinen Eikugeln völlig ent-
wickelt haben.
Der Doctor sagt dem Knaben, daß auch er wie die jungen
Hündchen aus dem Leibe seiner Mutter geboren, und nicht,
wie ihm vorgeredet worden, vom Storch in die Welt gesetzt
worden sei, und wie schwer die Geburt der Kinder wäre.
Den Ersatz für die vielen Beschwerden und Schmerzen, die die
Mutter erduldet, könne sie nur in dem Bestreben des Kindes,
artig und folgsam zu sein und immer nur das Gute thun zu
wollen, finden. „Das sollst du wissen, um deine Schuldigkeit
gegen deine Eltern zu kenneu. Wenn sie nicht vorhanden ge-
wesen wären, wärest du nie zur Welt gekommen."
Eines l'ages strauchelte der Knabe und stürzte über einen
Baumstumpf. Das verursachte ihm gerade zwischen den Beinen
einen heftigen Schmerz. Er hatte sich auf der Innenseite des
einen Schenkels die Haut etwas geritzt, da wo der Schenkel
vom Körper abzweigt. Der Arzt erklärte ihm, daß die Sache
viel schlimmer gewesen wäre, wenn die Vorletzutjg an den kleinen
Teilen zwischen den Beinen stattgefunden hätte, da diese sehr
empfindlich sind und leicht anschwellen. Also riet er ihm, diese
Teile nie zu beunruhigen, nie au ihnen her umzureiben oder
zu ziehen.
Später wurde dem Arzte ein Bauernknabe in die Sprech-
I. Abtoilmig. Flygioiiische Soction.
stunde gebracht, bei dem wegen vieler absiohtliolier Reibungen
an den Geschlechtsteilen eine solche Entzündung derselben ein-
getreten war, daß der Doctor in Gegenwart seines Neffen, den
der Patient vorher zu ähnlicher Spielerei hatte verleiten wollen,
eine Operation vornehmen mußte.
Ea folgen andere sehr lehrreiche Erzählungen : das wahrhaft
Großartige an diesen ist die Keuschheit, in der sie entworfen
aiud, und der ganze Ton, der völlig für das Verständnis und die
Empfindung des Kindes berechnet ist. Jeder Vater, der
heranwachsende Knaben hat, wird selbst bei der Leetüre finden,
daß es gar keine bessere Methode geben kann, in einer dem
jugeJ\dliohen Alter entsprechenden Weise sexuelle Belehrungen
zu erteilen. Das Buch müßte also in jeder Familie angeschafft
werden, zumal es so hillig ist.
Es ist nur wünschenswert, daß rocht bald eine Umarbeitung
für Mädchen von dem vortrefflichen Verfasser herausgegeben
werde, damit sie die Mütter und Lehrerinnen den heranwachsenden
Töchtern vorlesen, bei denen ja leider ebenso wie bei den Knaben
die Onanie sehr verbreitet ist.
Ich knüpfe hieran den Hinweis auf einen Aufsatz, welchen
die erste preußische Sohulärztin, Fräulein Dr. med. Thereso
Oppler in Breslau, soeben in der Erismann'schen „Zeitschrift
für Sohulgesundheitspflege" veröffentlicht und überschrieben hat
„Zur Frage der sexuellen Aufklärung". Die darin enthaltenen
Gedanken sind höchst bemerkenswert. Die Verfasserin sagt sehr
richtig: „Der Beginn der Pubertät an sich giebt beim Mädchen
schon genug Veranlassung, über die Gefahren des krankhaften
und ungeordneten Geschlechtslebens unterrichtet zu werden." Sie
tadelt diejenigen Pädagogen, welche möglichst wenig auf die
sexuellen Beziehungen der reifenden Jugend hinweisen wollen,
und behauptet mit Eecht: „Jeder normale Mensch muß zur Zeit
der Pubertät die Geschlechtsorgane und ihre Functionen ihrem
Wesen nach kennen. Wird ihm. von berufener Seite keine Be-
lehrung, so schöpft er sein Wissen aus trüben Quellen. Der
Reiz des Geheimnisvollen und des Verbotenen nimmt seine Sinne
gefangen. Aus der gesunden und natürlichen Wißbegierde wird
Neugierde, schließlich Gier. Die heranwachsende Tochter hat
zu einer Zeit, da sie der Mutter am meisten bedarf, ein Wissen
daß sie, weil auf unsauberem Wege erlangt, ängstlich vor ihr
verheimlichen muß. Sie sucht glühend vor geheimer Erwartung
Jahresbericht clor ScUes. Gesellschaft für valeri. Ciiltnr.
die Erklärung irgend welcher aufgeschnappten Worte im Con-
versationalexicon, oder sie schließt sich einer „erfahrenen" Sohul-
genossin an, die ihrerseits in den Nachtstundon ein gemeines
Buch zu ihrer Aufklärung gelesen hat und im Anschluß an diese
Leetüre Masturbantin geworden ist. Schickt ein ISjähriges
Mädchen regelmäßig bei Gesprächen Erwachsener hinaus, so
horcht es schließlich an der Thür."
Fräulein Dr. Oppler meint, daß die Aufklärung nur durch
die Schule gegeben werden könne. In einigen Mädchenschulen
wird seit mehreren Jahren Gesundhoitslohre vorgetragen, jedoch
derart, daß die Existenz der Organe unterhalb des Nabels wohl-
weislich verschwiegen wird. Aber gerade über Entwicklung,
Bau und Funotion des menschlichen Körpers und Verhütung von
Schädigungen müßte Aufschluß gegeben werden. Sie meint mit
Recht, es sei gar nicht abzusehen, was für einen sittlichen Schaden
ein dreizehtijähriges, noch kindliches Mädchen davon tragen sollte,
wenn es in der Schule lerne, daß es eine Gebärmutter und Eier-
stöcke beherbergt.
„Fragen, die in wissenschaftlich ernster Weise erörtert sind,
können nicht mehr das unerschöpfliche Gesprächsthema während
der Schulpausen bilden. Der einzelnen Schülerin wird das aus
mindestens zweifelhafter Quelle stammende Wissen nicht melir
so unendlich wichtig vorkommen. Dann wird die Entdeckung,
daß irgend eine Frau sich Mutter fühlt, nicht eine Sensation für
eine ganze Schulklasse bedeuten. Ein derart vorgebildetes
Mädchen wird sich mit Ekel von einer Gesellschaft abwenden,
in der über geschlechtliche Fragen gewitzelt und getuschelt wird.
Nur so werden die traurigen Zeichen eines überreiiäten Siunen-
lebens meist von selbst verschwinden." — —
M. H. ! Mein Referat kann nicht erschöpfend sein, es sollte
nur die mannigfachen Gesichtspunkte zusammenstellen, welche in
dem letzten Jahrzehnt über das große und schwierige Problem
der sexuellen Belehrung der Schulkinder veröffentlicht wurden.
Möge die folgende recht vielseitige akademische Discussion von
Aerzten und Lehrern der wichtigen Frage förderlich, sein!
Discussion:
Herr Dr. Chotzen: Die Fülle der Gesichtspunkte, welche der
Herr Vortragende vor uns ausgebreitet hat, ist so groß, daß es kaum.
möglich ist, auf jeden einzelnen einzugehen; aber wenn wir uns
darauf beschränken wollen, uns nur streng an den Wortlaut des
I. Abteilurift-. Hygienische Sectioii. 39
angekündigten Tlieraas zu halten, wird es wohl möglich sein, zu
einer Einigung der verschiedenen Anschauungen zu gelangen.
Zur Disoussion steht die Trage der „sexuellen Belehrung
der Schulkinder". Unter der Bezeichnung „Schulkinder" dürften
wohl auch nach der Auffassung des Vortragenden nur die Kinder im
schulpflichtigen Alter, d. h. vom 6. — 14. Lebensjahre, zu verstehen
sein. Es wäre zunächst nur zu erörtern, ob es zweckmäßig ist,
Kinder dieses Alters im SllternhauBe oder — respective und —
in der Schule eine ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe entsprechende
Aufklärung über die Entstehung des Menschen und — ganz all-
gemein ausgedrückt — weitere sexuelle Dinge zu geben oder nicht.
Wer die Litteratur, und zwar die ernsthafte Eachlitteratur,
welche von Aerzten, Pädagogen und Seelsorgern herrührt, in den
letzten Jahren verfolgt hat, weiß, daß in allen diesen Kreisen
Uebereiustimmung darin herrscht, es müsse schon frühzeitig dem
Schulkinde unter Fallenlassen des Storchmfirchens eine den that-
sächlichen Verhältnissen nahekommende Aufklärung gegeben
werden, um die Gefälirdxmg der kindlichen Sittlichkeit durch Ein-
wirkung ungeeigneter Personen (Altersgenossen, Dienstboten) zu
verhüten. Auch von anderer Seite als der der Fachgelehrten,
selbst von Seiten der Eltern, namentlich solcher Eltern, welche
in naturwissenschaftlichem Denken groß geworden sind, bricht
sich die Erkenntnis Bahn, daß mit dem bisherigen Nichterörtern
der Menschentstehung und dem Nichterörtern der vor oder im
Beginn der Pubertät ausgeübten Masturbation gebrochen werden
müsse, daß es Pflicht der Erzieher sei, auch in dieser Eichtung
Lehrer und Beschützer der Jugend zu sein.
Eine Meininigsverschiedenheit besteht nicht mehr darüber,
daß auf diesem Gebiete die Erziehung anders geleitet werden
müsse, sondern höchstens darüber, wem diese Aufgabe zufallen
solle und wie sie zw leisten sei. Naturgemäß erscheint zunächst
das Elternhaus hierzu berufen.
Thatsächlioh sind aber selbst in den Kreisen der sogenannten
Gebildeten die für eine derartige Jugendbelehrung notwendigen
Voraussetzungen nicht vorhanden: es fehlt selbst den Erwachsenen
nur allzu oft die Kenntnis vom Körperbau, von der Entwicklung
und physiologischen Aufgabe der Geschlechtsorgane, sowie von
den Schädigungen durch Mißbrauch derselben; es fehlt den meisten
Eltern die Fähigkeit, zur geeigneten Zeit, von Stufe zu Stufe
fortschreitend mit ilrreu Kindern über diese Dinge belehrend zu
sprechen, und viele, die seihst die Fähigkeit hierzu besitzen,
werden noch durcli eine gewisse Scheu davon zurückgehalten.
Jahresbericht der Schlos. Gesollschaft für vaterl Oultnr.
Selbst die Eltern müssen zu dieser ihrer Erzieheraufgabe
erst herangezogen werden. In der letzten Zeit sind die Bestrebungen
der Volksbildungsvereine (hier in Breslau z. B. der Humboldt-
Akademie), für Herron und Damen in getrennten Cnrsen auf
diesem Gebiete aufklärend und belehrend zu wirken, von bestem
Erfolge gekrönt worden. Es ist zu erwarten, daß die rrüoht©
solcher Vorträge, wenn sie ausgiebig wiederholt werden, binnen
wenigen Jahren sich geltend machen.
Wie das Elternhaus aber die Kindererziehung nur zum Teil
— in vielen Familien niir zum geringsten Teil — zu erfüllen
vermag, die hauptsächliche Arbeit aber der Schule zufällt, so ist
auch bei der sexuellen Belehrung der Schulkinder die Mithilfe
der Lehrer und auch der Seelsorger nicht zu entbehren.
Der naturgesohichtliche Unterricht bietet dem Lehrer die
beste Gelegenheit, im Anschluß an die Befruchtung der Pflanzen
auch über die Entstehung des Tieres und des Menschen Be-
merkungen anzufügen und auf diese Weise der sonst im Geheimen
gepflogenen Unterhaltung der Kinder über diesen Gegenstand
den Sinuliohkeitskitzel zu nehmen.
Auch der Lehrerstand ist aber hierfür im Allgemeinen noch
nicht genügend vorgebildet; auch in seinen Kreisen herrscht eine
häufig ganz erstaunliche Unkenntnis nicht nur über Körperbau
und Körperfunctionen, sondern noch viel mehr über die Bedeutung
des Geschlechtslebens, der Gesclüeohtskrankheiten und Geschlechts-
verirrungen sowohl für das Einzelwesen, als auch für die Gesamtheit,
den Staat.
Ein Lehrer, der auch nur Schulkindern über sexuelle Dinge
Hinweise geben soll, muß aber über die Materie hinreichend
unterrichtet sein.
Es ist Sache der Behörden, dem Lshrerstande auf diesem
Gebiete die genügende Unterweisung zu Teil werden zu lassen.
Falls die Behörden hiermit allzu lange zögern sollten, ist es Sache
der Lehrervereine, in gewissen Zwischenräumen ihren Mitgliedern
Vortragscurse hierüber halten zu lassen, damit sich allmählich
ein Lehrerstamm entwickelt, der seinerseits wieder auf kommende
Jahrgänge von Lehren\ anregend wirkt.
So wünschenswertes auch ist, schon Schulkindern eineBelehrung
über sexuelle Dinge zu geben, vorläufig, so lange weder Eltern
noch Lehrer hierfür genügend vorgebildet sind, ist an eine
systematisch organisirte Durchführung dieser Be-
lehrung noch nicht zu denken; vorläufig ist nur darauf hin-
zuweisen, daß zunächst eine Aufklärung und Unterweisung der
T. Abteilung. Hygienische Section. 41
Eltern und Lehrer — und zwar für letztere durch staatliche oder
städtische Einrichtungen — zu schaffen sei.
Erst wenn dies erreicht ist, erst dann ist die Frage discutir-
bar, in welcher "Weise die Schule bei der sexuellen Belehrung
der SchulkiHder mitwirken soll.
Mit der letzteren Frage hat sich bereits im Mai dieses Jahres
der „Landesverein preußischer VolhaschuUekrerinnen", sowie der
„Bezirkslehrervorein München" beschäftigt und eine Anzahl dies-
bezüglicher Thesen aufgestellt.
Ganz besonders notwendig ist eine sexuelle Belehrung der-
jenigen Schulkinder, welche sich kurz vor resp. in der Pubertät
beiluden, um sie in dieser Zeit des Erwachens dos Geschlechts-
triebes vor der Geschlechtsverirrung, der Masturbation, zu be-
wahren, und derjenigen Halberwaohsenen, welche, sei es noch
während ihres Aufenthaltes in den oberen Klassen der höheren
Schulen, sei es kurz nach der Entlassung aus der Volksschule,
zum frühzeitigen Geschlechts verkehre verleitet werden. Wegen
der daraus erwachsenden Gefahren ist eine Belehrung durch
Veranstaltung von Elternabenden, von Sohüleroonferenzen der
Secundaner und Primaner in Gegenwart der Lehrer und Vorträgen
von Aerzten, wie in Leipzig, von Vorträgen in Fortbildungs-
schulen etc. dringend notwendig, denn gerade die in das Leben
hinaustretende, reif werdende Jugend bedarf der Warnung.
Herr Direotor Dr. Wiedemaun führte etwa Folgendes aus:
Für die Lehrerschaft, der man einen hervorragenden Anteil
an der Belehrung der Jugend über Selbstbeileokung zuweisen
wolle, sei diese Frage nach zwei Richtungen eine Terra incognita.
Einmal wisse man aus den Erfahrungen in der Schule nicht, wie
weit jene sittlichen Verfehlungen um sich gegriffen hätten. Die
Angaben in Schillers Lehrbuch könne er persönlich nicht be-
stätigen; ihm sei in 20jähriger Lehrerthätigkeit nicht ein Fall
vorgekommen, wo er einen Schüler in flagranti ertappt habe.
Blasses Aussehen dagegen und Schlaffheit beim Unterricht,
worüber oft genug geklagt werde, sei nach ärztlichem Ausspruch
noch kein hinreichend sicheres Anzeichen. Zweitens seien solche
Belehrungen für den Lehrer eine schwierige Sache, weil sie etwas
Neues seien, dem sich nicht jeder gewachsen fühle; ein, ver-
kehrter Weg aber, eine Entgleisung auf diesem Gebiete sei ver-
hängnisvoller, als wenn über solche Dinge überhaupt nicht geredet
werde. Im naturgesohichtliohen Unterricht könne nacii der
Biohtung wohl etwas geschehen und werde unter Capitel Ge-
sundheitspflege auch wohl Manches vorgetragen, aber wie weit
42 Jahresbericht iler Schlos. GosoHsch.ift für vaterl. Oultur.
das geschehen müsse und ob der Erfolg nicht ausbleibe, sei eine
ofifene Trage. Ihm sei es sogar in der Sprechstunde vorgekommen,
daß eine Mutter für das Vergehen ihres Sohnes, der sich an der
Verbreitung unflätiger Lieder beteiligt hatte , die Schule verant-
wortlich machen wollte, weil der Naturgeschichtslehrer in einer
Stunde von Fortpflanzungswerkzeugen, also von „unsittlichen"
Dingen gesprochen habe! Die Schule müsse daher auch aus
diesem Grunde mit Vorsicht au Werke gehen.
Sie thue am besten, wenn sie die Schüler in und außerhalb
der Stunde, also in den Erholungspausen, auf das Sorgfältigste
überwache. Im Uebrigen müsse sie diese heikle Aufgabe in erster
Linie dem Elternhause und dem Hausärzte überlassen ; Rück-
sprachen mit Eltern und Erziehern und Hinweise auf bestimmte
Anzeichen im Verhalten des Schülers seien geboten und hätten
oft Nutzen gehabt; auch sogen. Elternabende, bei denen erzieh-
liche Fragen, auch zur eigenen Belehrung der Eltern, erörtert
würden, seien von Wert.
Wie weit der Arzt durch hygienische Vorträge in der Schule
zu wirken vermöge, darüber stehen dem Redner keine Erfahrungen
zur Seite; er möchte aber glauben, daß solche Belehrungen eines
Fachmannes, über denen der heilige Ernst der Wissenschaft
schwebe, jedenfalls wirksamer seien, als wenn sie vom Lehrer
gegeben würden, der auf diesem Gebiete leicht fehlgreifen könne.
Ob aber auf diese Weise ein sittlicher Erfolg sicher verbürgt sei,
stehe nicht fest. Ergebnis: Dem Wirken der Lehrer auf dem
Boden sexueller Belehrungen seien sehr enge Grenzen gesteckt,
die Hauptarbeit falle dem Vater oder der Mutter in der Aus-
sprache unter vier Augen zu; wann und wie das zu geschehen
habe, sei deren Sache.
Herr Prof. Dr. med. Tiotze: M. H. ! Das, was Herr Director
Wiedemann gesagt hat, unterschreibe ich Wort für Wort, das ist
ganz meine Meitumg. M. H. ! Das Thema, das der Herr Referent
behandelt hat, ist ja ein sehr zeitgemäßes. Er hätte unter den Schriften,
die er citirt hat, auch noch den bekannten Roman Götz Krafft
erwähnen können, wo ja dies Problem, wie viele andere, ebenfalls
angeschnitten, aber ebenso wenig tief wie die anderen ausgeführt
worden ist. Ich hatte Gelegenheit, mich mit diesem Thema zu
beschäftigen, als ich bei einer Studienreise in Born mit einer sehr
liebenswürdigen und klugen Frau sehr häuflg über diese Fragen
verhandelte. In der Schweiz ist nämlich zur Zeit eine sehr starke
Bewegung etwa in dem Sinne, wie sie der Herr Vortragende ge-
schildert hat. Man hat dort vor allen Dingen dem Storch den
I. Abteilung. Hygionisclie Section.
Krieg erklärt und sagt sich, es sei hohe Zeit, mit dieser albernen
Legende zu brechen, es sei besser, die Kinder würden über
sexuelle Fragen von den Eltern in zarter und ihrem Verständnis
angemessener Weise aufgeklärt, als daß sie von diesen Dingen
durch Dienstboten oder gewitzigte Schulkameraden Kenntnis er-
hielten. Damals habe ich auch durch Vermittelung meiner ver-
ehrten Freundin das vorhin erwähnte Schriftchen: „Wo kommt
Brüderchen her?" neben anderen dieser Art gelesen. Ich gebe
den Inhalt dieser Broschüre nach meinem Gedächtnis wieder. Es
ist eine Disoussion zwischen einer Mutter und ihrem sechsjährigen
Söhnchen. Die Mutter ist guter Hoffnung. Nachdem sie den
Kleinen über die Entstehung der Pflanze, des Hühnchens etc.
belehrt hat, spricht sie von der Abstammung des Menschen und
sagt dem Sohne, daß auch er seiner Zeit unter ihrem Herzen
geschlummert habe. Und siehst Du, schließt sie, in nächster Zeit
werden wir wieder ein kleines Geschwisterchen erhalten, gieb nur
Dein Händchen, Du kannst seine Bewegungen fühlen. (Zuruf
von Herrn Prof. Cohn: Das steht nicht in dem Buche.) So?
Dann muß ich mich sehr irren, dann steht es aber ganz bestimmt
in einem anderen, dem genannten inhaltlich und in der Form
sehr ähnlichen Buche, das mir damals zum Lesen gegeben wurde.
Gelesen habe ich diesen Passus ganz bestimmt und als ich so
weit war, hatte ich nur eine Empfindung, nämlich „ekelhaft".
M. H. ! Sie werden vielleicht aus diesem Eingeständnis entnehmen,
welche Stellung ich zu der heute aufgeworfenen Frage einnehme.
Ich glaube, daß ich mich den Fragen der neuen Zeit gegen-
über auch nicht stumpfsinnig verhalte, aber hier kann ich nur
sagen, hier kann ich nicht mit, M. H.! Ich habe sechs Kinder,
und ich kann mir wohl denken, daü für mich auch eine Zeit
kommen wird, wo ich ihnen manche Fragen nach sexuellen
Problemen sachgemäß beantworten und sie von selbst zweck-
entsprechend belehren werde, aber wenn ich das mache und wie
das geschehen soll, das kann ich heute noch nicht sagen; jeden-
falls werde ich mir nicht in pedantischer, schematischer Weise
eines Tages vornehmen, jetzt muß es geschehen, und ich werde
nun nicht meine Kinder um mich versammeln und ihnen einen
Vortrag halten, sondern das muß einmal der Zufall, der Augen-
blick ergeben, die Gelegenheit, die sich ja in den Fragen der
Kinder so häufig findet.
Deshalb halte icli es auch für ganz falsch, diese Sache
pflichtgemäß einfach der Schule aufzutragen. Gewiß würde der
Lehrer zu solchen Besprechungen sehr geeignet sein, aber er
44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Oultiir.
kann, wie Herr Direotor Wiedemann schon ganz richtig gesagt
hat, in solchen Fragen, die Mann für Mann, Auge in Auge be-
sprochen werden müssen, bei Vorträgen in einem Auditorium,
wo er des Einzelnen nicht sicher iat, auüerordentlioh schaden,
man soll solche Dinge seinem Takt und seinem Zartgefühl über-
lassen, aber man soll ihm keinen Lehrauftrag nach dieser Rich-
tung erteilen.
Und dann noch ein paar Worte über jenes Storchmärchen.
M. H., man will es abschaffen, weil man sagt, man muß die
Wahrheit sagen, man muß die realen Dinge sehen wie sie sind
und nicht mit einer Brille vor den Augen durch die Welt gehen.
M. H. ! Für diese Wahrheitsfanatiker, die alle Illusion, alle Täuschung,
alle Kunst aus der Welt schaffen wollen, habe ich nur ein mitleidiges
Lächeln , sie erinnern mich immer an Gregor Werle, und Sie
wissen ja, welches Unheil derselbe schließlich anrichtete. Und
dann, zum Schluß, m. H. , wenn icli, der Vater, den Kindern
nicht Keuschheit beibringe, dann wird sie ihnen auch nicht ein
Lehrer beibringen; wenn ich nicht weiß, was ich ihnen in dieser
Richtung zu sagen habe, so kann es ihnen auch kein Arzt sagen.
M. H.! Die sexuelle Belehrung gehört in die Kinder-
stube, nicht in die Schule.
Herr Dr. Sainoseh macht darauf aufmerksam, daß die Schule
denn doch eine gewisse Verpflichtung hinsichtlich der sexuellen
Belehrung der Schvdkinder habe. Der obligatorische Schulbesuch
bedingt ein mehr oder minder enges Zusammenleben von Kindern,
wobei es z. B. unvermeidlich ist, daß Kinder recht verschiedener
Altersstufen in einer Klasse zusammentreffen. (Vgl. Dr. Samosoh:
Einige bemerkenswerte Ergebnisse von Schulkinder-Messungen
und Wägungen. „Zeitschrift für Sohulgesundheitspflege" , 1904,
S. 389.) Es ist kein Zweifel, daß das Zusammensein von Kindern,
die sich in der Zeit der beginnenden Geschlechtsreife be-
finden, insbesondere aber das Zusammensein von solchen, die das
Pubertätsalter überschritten haben, mit solchen, die dasselbe noch
nicht erreicht haben, die Entstehung und Verbreitung sexueller
Verirrungon begünstigen kann. Sonach erwächst für die Schule
die Pflicht, derartigen gesundheitsschädlichen Begleiterscheinungen
des Sohullebena, deren Vorkommou erwiesen ist, nach Möglichkeit
vorzubeugen. Aber abgesuhen von den im Jugendalter vor-
kommenden sexuellen Verirrungen muß auch sonst principaliter
verlangt werden, daß die Kinder über sexuelle Fragen in der
Schule aufgeklärt werden, weil, wie Herr Prof. Merkel auf dem
diesjähi'igen Naturforsciier-Gongreß in Breslau ausgeführt hat,
I. Abteiluug. Hygienische Section. 45
jedes Kind das Recht hat, über den Bau und die Functionen
seines Körpers belehrt zu werden. Nun geht es nicht an, bei
der Beschreibung des menschlichen Körpers und seiner Organ-
f'uuctionen einzelne Organe fortzulassen, namentlich wenn es sich
um solche handelt, deren Function die Aufmerksamkeit der
Kinder mehr erregt, als irgend welche andere. Die Lösung
des Problems, ob und wie den Kindern in der Schule eine
sexuelle Belehrung zu Teil werden solle, würde vielleicht
schon näher gerückt sein,, wenn Klarheit darüber bestände, wer
die sexuelle Belehrung erteilen solle. Wie ein der Lehrerschaft
angehörender Vorredner ausgeführt hat, würden die Lehrer vor-
aussichtlich bis auf Weiteres die Erfüllung dieser Aufgabe ab-
lehnen, weil sie sich einer derartigen Aufgabe nicht recht ge-
wachsen fühlten. Wer könnte es soust thun? Die Antwort lautet:
Der S ohularzt. Diesem hygienischen Beamten liegt es ob, allen
Gresundheitssohädigungen, die event. das Schulleben mit sich
bringen könnte, entgegenzuarbeiten und den Gesundheitszustand
der Schüler zu überwachen. Kraft seines Amtes tritt er zu den
Schülern, deren köi-perlichea Wohlbefinden er ev. durch Unter-
suchungen am entblößten Körper zu oontroliren hat, in ein ge-
wisses Vertrauensverhältnis. Bei seiner Amtsthätigkeit ist er
schon jetzt häufig in der Lage, den Schulkindern hygienische
Belehrungen zu Teil werden zu lassen. Es erscheint sonach der
Schularzt als der geborene Lehrer der Hygiene, der in Vorträgen
vor Schülern die Lehre vom menschlichen Körper und seiner
Functionen zu erläutern hätte. Damit ist implicite die Gelegen-
heit zu einer sexuellen Belehrung der Schulkinder gegeben.
Herr Pastor Günther: Herr Dr. C hetzen hatte von der
Schwierigkeit und Notwendigkeit, das gebildete Publikum über
die betr. Sache zu belehren, gesprochen und auch die Geistlich-
keit zur Mitarbeit einzuladen angeraten, und Herr Director Wiede-
manu sprach u, a. auch von der Schwierigkeit, in Lehrerkreisen
Beihilfe zu gewinnen. Dies' veranlaßt mich, gleichsam zur Be-
stätigung dessen, was Herr Dir. W. gesagt, und zur ergänzenden
Beleuchtung dessen, was Herr Dr. Chotzen gewünscht, die
Aufmerksamkeit der Zuhörer auf zwei Vorgänge in Breslau hin-
zulenken, und zwar 1. auf ein Ereignis auf der Breslauer Kreis-
synode, das sich vor etwa 10 Jahren in folgender Weise zu-
Ein Geistlicher bekannte sich frei von der Prüderie, mit
Confirmandinnen gelegentlich wenn auch mit größter Vorsicht,
Fragen zu behandeln, welche dem sexuellen Gebiete angehören,
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Oultur.
und wurde von einem Laien mitgliede unter dem allgemeinen
Beifall der Versammlung gründlich abgeführt. Derselbe Herr
versicherte dem Geistlichen, daß er ihm bei solcher Gesinnung
niemals eine Tochter in den Confirmandenunterrioht anvertrauen
würde, und keine Lippe regte sich, den Angegriffenen in Schutz
zu nehmen. (Ob nicht die Gebildeten heute vielfach noch ebenso
denken mögen?)
2. erinnere ich daran, daß wir evangelische ßeligionslehrer
schon seit Jahren bemüht sind, statt der Vollbibel mit ihren
vielfach anstößigen Stellen der Jugend eine Schulbibel in die
Hand zu geben und die Bibel von dem Vorwurf zu befreien,
daß sie zur Sittenverderbnis der Jugend beitrage, daß aber unsere
letzten Bemühungen an einem viele Bogen umfassenden, von dem
hiesigen Provinzial-Sohuloollegium eingeforderten Gutachten des
früheren General-Superintendenten von Sohlesien, Herrn Professor
Dr. Erdmann, gescheitert sind, welcher den uns entgegen-
gesetzten Standpunkt von autoritativer Stelle mit Erfolg ver-
treten hat.
Und so komme ich zu dem Schluß, daß, da z. Z. weder der
Geistliche als solcher, noch der evangelische Religionslehrer in
der Lage sind, sich von Amtswegou an, der Behütuug der Jugend
vor sexuellen Schäden wirksam zu beteiligen, dies am besten
den jetzt mehr tind mehr zur Geltung kommenden Schulärzten
ex officio auferlegt würde.
Herr Schulrat Dr. Hippauf: Die Discussion über „sexuelle
Belehrung der Schulkinder" ist durch das letzte Wort des
Themas auf eine enge Grenze beschränkt. Unter „Schulkindern"
ist doch nur die Jugend vom 6. bis vollendeten 14. Lebensjahr,
also der gesetzlichen Sohulpfliohtigkeit unterliegend, zu verstehen.
Solche Kinder gehören der Volksschule oder nur Hinteren Klassen
gehobener Schulen an.
Diesen Kindern sexuelle Belehrungen beizubringen muß
die Lehrerschaft, männliche wie weibliche, ganz entschieden ab-
lehnen, und zwar aus folgenden Gründen:
In der Volksschule, welche zumal auf dem Lande und bei
kleinstädtischen Verhältnisse sowohl Knaben wie Mädchen in
einer und derselben Klasse umfaßt, verbietet sich schon unter
diesen Umständen die Behandlung solch heikler Materie ganz
von selbst. Aber auch in getrennton Knaben- und Mädchen-
klassen großer Schulsysteme wird der Lehrer wie die Lehrerin
es nimmer wagen, im naturkuiadliohen Unterricht, wohin die
fragliche Lehrstofi'behandlung nach Ansicht der zumeist ärzt-
I. Abteilung. Hygienische Section.
liehen Befürworter des iu Rode etehendeu Themas gehören
solle, ein Gebiet zu betreten, auf welchem die einzig dazu Be-
rechtigten und Berufenen, das sind Vater und Mutter, nur mit
Widerstreben in dringendsten Notverhältnissen daheim ihrem Kinde
allein, unter vier Augen, ein Collegium privatissimum zu lesen
sich entschließen könnten.
Im Schulplan giebt es nur einen Unterrichtsgegenstand, in
welchem der Lehrer nach Pflicht und Gewissen und in Hoffnung
auf segensreichen Erfolg dem Kinderlierzen die Mahnungen und
Warnungen vor Unzucht, vor sexuellen Verirrungen und Gefahren
eindringlichst zu Herz und Gemüt führen kann, das ist der
Religionsunterricht. Ganz besonders dazu geeignet ist die
Behandlung des sechsten Gebotes:
„Du sollst keusch und züchtig leben in Worten und
Werken! "
Diese Mahnung ist deutlich und dem Kinderherzen ver-
ständlich genug. Lehre dazu auch den Spruch:
„Bewahre Dir Herz, Hand und Mund,
Dann bleiben Leib und Seele gesund!"
Im Uebrigen sollen die Jugendlehrer und Erzieher das Wort
dos Dichters auch auf das in Rede stehende Gebiet beziehen
und beherzigen:
„0 rühret, rühret nicht daran!
Führwahr, es ist nicht wohlgethan!"
Herr Prof. Dr. Buchwald hebt hervor, daß es sich wohl um
eines der schwierigsten Probleme handelt, dessen Lösung wohl
unzählige Menschen beschäftigt hat. Wenn es in der hygieni-
schen Section besprochen wird, so zeigt dies deutlich, daß nicht
der Arzt, der Schularzt in specie, nicht der Theologe oder Lehrer
08 allein lösen können, sondern daß alle mithelfen müssen, und
zu entbehren ist dabei nicht die Frau.
Wenn gesagt wird, der Schularzt sei geeignet, so ist zu be-
merken, daß wir Aerzte, die wir doch Sachverständige sind, bei
unseren eigenen Kindern in dieselbe schwierige Lage kommen,
wie jeder Vater, jede Mutter.
Das „Wann" und „Wie" sollen wir belehren ? läßt sich nicht
in einfachen Q?hesen niederlegen.
Daß im naturwissenschaftlichen Unterricht Manches erreicht,
die Storohlegende aufgeklärt werden kann, trifft nicht den Kern-
punkt der Frage.
Wenn wir auch aufklärend wirken müssen, ausgehend von
dem Satze, daß natürliche Dinge nichts Schimpfliches an sich
Jahresbericht dor Schles. Gesellschaft für vaterl. üultur.
tragen, so ha,ben wir doch zu bedenken, daß es sich einerseits
um Knaben und Mädchen handelt, andererseits um versoliiedene
Altersstufen und ganz ungleiche Entwicklung bei derselben
Altersstufe. Man wird eben individualisiren müssen. Vielleicht
ist es beim Mädchen leichter zu erreichen mit der beginnenden
Entwicklung. Aber auch hierbei darf die Keuschheit nicht unniltü
verletzt werden, denn lieber etwas später wissen als zu früh.
Daß die Selbstbefleckung der Knaben solche Dimensionen
annehmen soll, wie sie zum Teil geschildert worden sind, kann
ßedner aus eigener Erfahrung nicht bestätigen.
Er schlägt vor: 1. die heutige Besprechung als eine an-
regend informirende anzusehen, 2. in bestimmten Intervallen die
Besprechung des vielleicht anders gefaßten Tliemas wieder auf
die Tagesordnung zu setzen.
Hier heißt es sicher: Nicht übereilen.
Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Jacobi: In so großen practi-
schen Fragen muß man sich besonders vor üebertreibungen
hüten. Ein erfahrener Lehrer und ein erfalxrouer Arzt haben
hier erklärt, daß ihnen die Bedeutung der Masturbation bei Schul-
kindern bei weitem nicht so groß erschienen sei, wie sie der
Herr Referent schildorte. Ich schlieKe mich ihnen nach den
Beobachtungen meiner eigenen über 40jährigen Praxis an. Die
Masturbation ist bei den Schulkindern sehr verbreitet, doch nicht
so allgemein, wie behauptet wurde, und bei den meisten eine
nur kurze Zeit dauernde Verirrung. Ernste Gesundheitsschädi-
gungen können dadurch herbeigeführt werden, sind aber that-
säohlioh außerordentlich selten dabei zu beobachten. Die Frage,
ob und wie den Kindern ein© sexuelle Belehrung zu Teil werden
solle, ist nicht neu. Rousseau spricht schon in seinem „Emil"
ausführlich darüber. Daß die Beseitigung aller Prüderie bei der
Besprechung sexueller Verhältnisse vor den Kindern einen Schutz
vor sexueller Unsitthchkeit bietet, wage ich zu bezweifeln. Ich
verweise auf zwei Beispiele. Solche Prüderie bestand nicht im
Altertum und besteht nicht bei der Landbevölkerung, aber
niemand wird behaupten wollen, daß die antiken Menschen und
unsere Landleute in der sexuellen Sittlichkeit zum Muster dienen
können.
Herr Dr. med. Rosenfeid : Die Belehrungstendenzen erstrecken
sich auf drei Gebiete, die Entstehung des Menschen, die Ver-
hütung der Masturbation und die Verhütung der Geschlechts-
krankheiten. Die Empfänger dieser Aufklärungen befinden sich
in recht verschiedenen Altersstufen und nach ihnen sind die
I. Äbtoilimg. HygieuiFclio SocUoii. 49
Schwierigkeiten der Belehrung sehr verschieden. Während die
Erörtenmg über die Verliütung der Gesclrlechtskrankheiten nur
fast erwachsenen Jihiglingen ziigedacJit und somit wenig
schwierig sein kann, ist die Aufklärung über die beiden anderen
Punkte recht difficil, so diffioil sogar, daß man fürchten muß,
leicht mehr zu schaden, als zu nutzen. Was soll denn überhaupt
durch die Belehrung über die Entstehung des Menschen ge-
wonnen werden? Es soll die Lüsternheit nicht geweckt werden,
wie sie die Mitteilungen von Kindern untereinander über die
Entstehung des Menschen meist verursachen. Ich glaube nun
erstens, daß man meist mit diesen Aufklärungen zu spät kommen
wird, zweitens, daß die Zuthaten der Mitschüler etc. trotzdem
nicht fohlen werden, und drittens, daß dadurch die Lüsternheit
des Kindes, das von Eltern, Arzt, Lehrern nur im Allgemeinen
aufgeklärt wird, nicht vermieden, sondern im Gegenteil hier und
da begünstigt werden wird: ich wenigstens stelle mir nicht vor,
daß dadurch, daß den Kindern die Oker-ßlohm'schen Auf-
klärungen gegeben werden, sie von der Masturbation fern ge-
halten werden. Auch die prophylactisohe Belehrung über diese
letztere sehe ich sehr skeptisch an : denn ich glaube durch vieles
Darüberreden und vieles Vigiliren versieht man es so leicht, daß
auch dadurch leicht mehr Nachteil als Vorteil entsteht. Mir
erscheint eine natürliche, einfache und richtige Erziehung, reich-
liche Beschäftigung der Kinder, eine nicht allzu ängstliche Beob-
achtung das beste Propliylacticum — alle die Vorsicht mit
Büchern und Bildern ist heutzutage doch illusorisch. Wo danu
trotzdem eine faßbare Missotliat vorliegt, wie bei den mastur-
birenden Klassen, oder bei einem übermäßig masturbireuden
Kinde, dann mögen Vater oder Mutter, Arzt oder Lehrer mit
einigen kräftigen Worten , Schlägen oder anderen Strafen eine
energische ßemedur schaffen. Wenn auch die Masturbation
unter Knaben sehr verbreitet ist, unter Mädchen viel weniger,
so ist es gewiß eine große Uebertroibung, wenn man ihr nach-
sagt, daß sie in mehr als ganz seltenen Fällen zu Schädigungen
-— die auch meist leicht reparabel sind — führt. Falsch erscheint
aber, sie als moralische Versündigung zu verdammen, hat doch
der Verdammende sie meist selbst geübt — sie verdient vielmehr
lediglich aus hygienischen Gründen corrigirt zu werden.
Herr Prediger Tscliirn: Es kann im Ernst nicht bestritten
werden , daß die Aufklärung der heranwachsenden Jugend
über die Herkunft dor kleinen Kinder ein hochwichtiges
Erziehungecapitel ist, da alo je nacli iluer Art sittigcnd
4
50 Jahresbericht der Sohles. Gesellschaft ftlr vatefl. Cultnr.
oder höchst verderblich wirken kann. Wenn diese Auf-
klärung nun in methodisch-akademiBoher Weise unter Loifcung
der staatlichen und städtischen Behörden von der ärztlichen
Wissenschaft in der Schule gegeben werden soll , so möchte
ich keineswegs den Wert einer solchen von obei} organisirten
Belehrung unterschätzen. Aber sie bleibt einseitig, begrenzt und
unvollkommen, wenn sie nicht fundamentirt wird durch die ent-
sprechende allgemeine Volkastimmung , durch die Mitarbeit des
Elternhauses, Es ist ja schon das zweijährige Kind, welches
nach der Herkunft dos ueugoboreuen Gfeschwistorohens fragt.
Ich wundere mich nun, daß so wenig das Entwickluugsprinoip
betont und verwertet wird, das doch für Methode und Inhalt der
diesbezüglichen Aufklärung deutliche Fingerzeige giebt. Es gilt
nicht, mit Wahrheits-Fauatismus dem Kinde plötzlich die ganze,
seinem Verständnis fernliegende Wahrheit zu offenbaren, sondern
es dieselbe im Latife eines Jahrzehnts allmählich verstehen und
ernst begreifen zu lehren. Wenn dem zweijährigen Kinde die
volkstümliche Storohfabel erzählt wird, so paßt das durchaus zu
seiner Märchenwelt und Fassungsgabe. Forscht es später weiter,
so bietet jene Fabel mit dem Bilde des Teiches , aus dorn die
kleinen Kinder geholt werden, die Brücke zu durchaus wissen-
schaftlich vorbereitender Belehrung. Man erkläre, wie der Mensch
in dunkler Tiefe aus einem winzigen Keime wachse — gleich der
Pflanze etc. — , wie er genährt werde durch einen Lebensfadcm
oder „Stengel", an dem er mit seinem Leibe festgewaohsen, von
dem er „losgepflückt" werde, wenn er „reif" ist. Nach Jahren
bedarf das sinnende Kind der Aufklärung, daß Mensch von
Mensch stammt, wie der Pflanzenkeim etwa vom Baume, daß sein
erstes Keimen unter dorn Mutterherzen vor sich ging und von
mütterlichem Blute genährt wurde. Und wieder bietet die Pflanze,
die Blume, wie ja schon öfter von mancher Seite betont worden
ist, dem weiter foriächonden Kinde, das in der Scliule inzwischen
Naturlehre getrieben, ein wunderbar reines Bild, wie in der Ver-
einigung von Weiblichem und Männlichem der Keim zu neuem
Leben befruchtet wird. So kann Haus und Schule zusammen-
arbeiten. In umfassender Weise gelingen wird dies freilich erst,
wenn die ganze geistige Luft eine andere geworden ist, wenn
das Natu» liehe nicht als sündlich, niedrig und schimpflich, sondern
mit Unschuldsgefühl betrachtet wird in Leben, Kunst und Religion.
Herr Prof. 11. Colin als Referent bittet, die Discussiou in
der nächsten Sitzung fortzusetzen, da die Zeit zu weit vor-
gfischritten und noch viel zu sagen sei. Nur das Eine sei heut
I. Abteilung. HjgioniscLo Sectiou 51
schon bemerkt: In dem Buolie „Wo kam das Brtiderchen her?"
findet sich die von Herrn Collegen Tietze mit Recht beanstandete
Stelle nicht; er muß iäie einer anderen Schrift entnommen haben.
Für die Specialdebatte werden die Secretäre bestimmte Leitsätze
zu Grunde legen.
Dies wird beschlossen.
4. Sitzung am 14. November 1904
im Fütstensaale des Rathauses.
Vorsitzender: Herr San, -Rat Dr. Steuer.
Derselbe eröffnet die Sitzung mit der Mitteilung, daß die
Secretäre beschlossen haben, der weiteren Debatte fünf Leit-
sätze zu Grunde zu legeu und wiederum Lehrer und Aerzte als
Gäste der Section willkommen zu heißen. Er begrüßt dieselben
(i'ibor 100 Personen waren erschienen).
Die Leitsätze lauten:
1. Die Verbreitung der Onanie bei beiden Geschlechtern,
besonders der mutuellen Onanie, verlangt eine weit strengere
Beaufsichtigung, als ihr bisher zu Teil geworden ist.
2. Unter den dagegen anzuwendenden Bütteln ist neben
einer fortlaufenden Beobachtung die sexuelle Belehrung von
hervorragender Wichtigkeit.
3. Diese Belehrung fällt in erster Linie dem Elternhausc zu ;
mitzuwirken hat aber auch die Schule.
4. In beiden Fällen ist die Beteiligung der Aerzte eine
unerläßliche.
5. Für die Vorbildung der Eltern und Lehrer nach dieser
Richtung hin ist durch den Staat und die Gesellschaft Sorge zu
tragen.
Tagesordnung:
Spöelaldobatte über sexuelle Belolirungöit der Kinder.
Hierauf sprach Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. HenitRHU Colin
als Referent: M. H.! In der letzten Sitzung am 31. Ootober
begannen wir eine akademische Besprechung der Frage über die
sexuelle Belehrung der Schulkinder. Ich gab Ihnen ein nur
historisches Referat über die Litteratur; die Kritik überließ ich
der nachfolgenden Debatte.
Ich ging von dem Vortrage aus, den ich vor 10 Jahren auf
dem internationalen hygienischen Congreß in Budapest über die
Masturbation der Schulkinder gehalten habe, besprach dann die
4*
52 Jaliroshevicht der Sclilos. Gescllpcliaft für vatorl. Oiiltiir.
Vorträge, die in diesem April auf dem interiiationaleii Siiiiui-
hygiene-Oongreß zu Nürnberg gehalten wurden von Professor
Schucliuy (Budapest), Dr. Epstein (Nürnberg) und Professor
Stanger (Trautenau), bericlitete ausfülirlich über das neue intur-
eesante Buch von Okor-Blom in Helsiugfors, welches auch
bereits inzwischen in's Französische und Englische übersetzt
worden ist, sowie über den Aufsatz von Fräulein Dr. Oppler,
Schulärztin in Breslau. An der Debatte beteiligten sich sechs
Aerzte: die Herren Oollegen Dr. Chotzen, Prof. Tietzo, Dr.
S am OS oh, Prof. Buchwald, Geheimrat Jacobi und Dr. Rosen -
feld, zwei Schulmänner: Herr Direotor Dr. Wiedemann und
Sohulrat Hippauf, und zwei Geistliche: Herr Pastor Güuth(ir
und Herr Prediger Tsohirn,
Die entgegengesetztesten Ansichten wurden laut. Während
die einen nur den Storch gelten lassen wollten, wie bisher, und
meinten, man solle ja die Frage nicht anrühren, da man die
Kinder dadurch erst auf die sexuellen Fragen hinführen würde,
waren andere für eine relativ frühzeitige Aufklärung über Ent-
stehung des Menschen und für Warnung vor Onanie. Die Zeit
war alsdann soweit vorgeschritten, daß ich kein Schlußwort an-
fügen konnte und die Debatte auf heute verschöbe i werden
mußte, wobei der Wunsch geäußert wurde, daß einige Leitsätze
der so sehr verschiedene Gesichtspunkte umfassenden Discussion
zu Grunde gelegt werden möchten.
Es sind uns nun von verschiedenen Eednern zusammen
22 Leitsätze zugeschickt worden, die manches Verwandte ent-
halten. Hauptsächlich waren es drei miteinander innerlich zu-
sammenhängende Punkte: I. Was soll gegen die Onanie geschehen?
IL Wenn, wie und von wem sollen die Kinder über die Ent-
stehung des Menschen belehrt werden? III. Wie soll die Sj'philis
der Kinder verhütet werderi?
Wir Secretäre der Seclion beschlossen nach längerer Be-
ratung fünf Leitsätze aus den eingeschickten zusammenzustellen
und Ihnen in der Einladung und hier vorzulegen, die Frage der
Syphilis aber ganz auszuscheiden, weil sie bei Kindern doch nur
als größte Ausnahme beobachtet wird.
Sie werden bald Gelegenheit haben, sich zu diesen Leitsätzen
zu äußern, wobei wir aber darauf schon jetzt aufmerksam machen,
daß hier niemals eine Abstimmung stattfinden darf,
sondern daß sich alles nur im Rahmen einer akademisohou Er-
örterung abspielen muß.
Abtuiluiig. Hygienische Seoticm. 53
Ich will nun keineswegs meinen neulichen Vortrag hier
wiederholen; in meiner Broschüre: „Was kann die Schule gegen
die Masturbation der Kinder thun?" finden Sie meine Ansichten
ausführlich; dieselbe ist 1894 bei Schötz in Berlin erschienen.
Ich halte mit meiner persönlichen Kritik über die neuliohe
Debatte zurück, schon um die Fortsetzung derselben nicht Inn-
Kuhalten. Nur zwei Berichtigungen muß ich vorausschicken:
Erstens, ich hatte in der Litteratur eine kleine Schrift erwähnt, die
von Frau Bieber-Böhm in's Deutsche übersetzt worden ist und
den Titel führt: „Wo kam Brüderchen her?", und welche ich
empfehlen zu können meinte.
Herr College Prof. Tietze erwähnte aber, (hiLi dieselbe ekel-
haft sei, es käme in derselben der Satz vor: „Eine Mutter be-
lehrte ihren kleinen Sohn über die Entstehung des Menschen
dadurch, daß sie ihn auf ihrem Loibe die Bewegungen des zu
erwartenden Brüderchens fühlen ließ." Ich unterbrach sogleich
Herrn CoUegen Tietze mit der Bemerkung, daß ein solcher,
ganz sicher unpassender Satz in diesem Buche bestimmt nicht
vorkomme. Die Mutter bemerkt hier nur: „Du hast auch unter
meinem Herzen gelegen."
Am anderen Tage schrioi.i mir auch Herr College Tietze,
daLl er sich geirrt habe und daß der Satz in einer Schrift „Rein-
heit" von Frau Pieozynska stehe. „Die ihm selbst sehr unlieb-
same Verwechslung sei ihm passirt, weil er beide Bücher vor
mehreren Monaten, und zwar unmittelbar hintereinander gelesen
habe, so daß sich ihm der Inhalt beider, die sehr verwandt sind,
verwischt habe. E^r sei in der letzten Versammlung nicht darauf
vorbereitet gewesen, daß eines dieser Bücher hätte erwähnt
werden können, und er hätte sich deshalb bei dem Citat auf sein
Gedächtnis angewiesen gesehen, das ihn zu seinem lebhaften Be-
dauern im Stiche gelassen habe." — loh ließ mir diese aus dem
Französischen übersetzte, 1901 im Vorlage von Grieben in Leipzig
erschienene Schrift sogleich konnnen , und in dieser steht aller-
dings Folgendes: „Weißt Du", sagte eine mir befreundete Mutter,
„daß der liebe Gott Dir ein Brüderchen oder Schwesterchen
schenken wird? Siehst Du", fuhr sie fort, „indem sie des Kindes
Hand sanft auf ihren Schoß legte, da ist es, fühlst Du es auch?
Ganz nah an meinem Herzen schläft es, und Du, Du hast auch
hier gelegen bei mir lange Zeit, fast ein Jahr lang. Bevor irgend
jemand Dich sah, kannte ich Dich, wir lebton zusammen und Du
warst ganz tief bei mir verborgen."
Das ist auch meiner Ansicht nacJi offenbar eine große Ent-
54 Jaliresberielit dor Sohles. Gosollschaft für vaterl. Oiiliiir.
gloisung der Verfasserin, die ich so wenig wie College Tietze
billige. Im Uebrigen aber hat mir dieses Buch gut gefallen,
und ich glaube, auch Sie werden es mit Interesse lesen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch ein anderes sehr
gutes Buch nennen, daß ich eben erst kennen gelernt habe. Es
ist ein prächtiger Vortrag von Prof. Kopp in München, welchen
derselbe in einer großen Laienversammlung im Enthaussaalo zu
München im Februar dieses Jahres gehalten hat, über „Das
Geschlechtliche in der Jugenderziebung", erschienen in Leipzig
bei Barth.
Zweitens möchte ich einen anderen Irrtum berichtigen, der
sich bei der Discussion gezeigt hat. Es v/urde von einigen
Rednern die Häufigkeit der Onanie der Schüler, auf die ich
hingewiesen, als Uebertreibung bezeichnet. Herr College Geh.
Med. -Rat Prof. Jakobi meinte, man müsse ei'st durch eine
Statistik festzustellen suchen, ob wirklich, wie ich mit sehr vielen
Aerzten gemeinsam behaupte, die Onanie so arg verbreitet sei.
Auch auf Anfertigung einer solchen Statistik habe ich schon vor
10 Jahren' in meinem Vortrage in Budapest hingewiesen. Dort
finden^Sie folgende Sätze: „Eine Statistik der Verbreitung der
Onanie existirt bisher nicht, und gerade hygienische Maß-
nahmen bedürfen zur Begrün düng ein er großen Statistik.
Unmöglich wäre übrigens auch betreffs der Masturbation eine
Statistik nicht. Ich würde vorschlagen, einen Fragebogen zu
entwerfen, in welchem um Beantwortung der in dieser Broschüre
erörterten Frsga'i auf Grund eigener Schulorinnerungen gebeten
würde. Dieser Fragebogen wäre am besten an die 21000 deutschen
Aerzte oder an die 8000^ deutschen Studenten der Medicin zu
senden. Die meisten derselben würden schon aus Interesse an
der Sache antworten, und die Antworten v/'aren, um unverhüllte
Nachrichten '.zu erhalten, anonym zu erbitten. So könnte ein
zuverlässiges statistisches Material für den Anfang erhalten werden;
später dürfte die Sammelforschuug auf alle Studirenden aller
Universitäten und Hochschulen ausaudehnen sein.
Eine derartige Umfrage würde für Portis, Drucksachen,
Schreibwerk u. s. w. etwa 6000 Mk, kosten. Hier müßten die
wissensohaftliolieu Akademien, welche ja über große Goldmittol
verfügen, oder die Naturforscherversammluug Hilfe leisten. Unter-
stützungen für solche Untersuchungen scheinen mir ebenöo wichtig.
I. Abtüilung. riygienisclui Sc.cUon. 55
als für andere von Akademien subventionirte Arbeiten, z, B, für
seltene Käfer oder Pflanzengattungen."
„Aber"' sagte ich, „wenn auch lieute noch keine statistischen
Untersuchungen vorgelegt weiden können, so ist doch die über-
einstimmende Ansicht aller zuverlässigen Autoren die, daß
die Onanie eine viel verbreitetere Volkskrankhoit sei, als z. B.
die Myopie, ja, sie ist iwobl das verbreitetste unter allen Leiden.
Wir verzichten natürlich auf die vielfachen Uebertreibungen, die
in allerlei populär geschriebeneu, in den politischen Zeitungen oft
genug annoncirten Broschüren dem Publikum geboten werden,
und halten uns außer an unsere eigenen, seit vier Jahrzehnten
gesammelten Erfahrungen nur au die zuverlässigen Quellen,
welche hier in der Litteratur am Schlüsse aufgeführt sind."
Wenn einige Collegen , die ich ak viel erfahrene Aerzte
hochschätze, meinton, ihnen wäre während ihrer langen Praxis
eine solch' arge Ausbreitung der Onanie nicht bekannt geworden,
so bezweifle ich die Richtigkeit ihrer Mitteilungen nicht im Ent-
ferntesten. Aber diese negativen Erfahrungen hervorragender
innerer Aerzte sind doch weniger beweisend als die Tausende
von Beobachtungen von Nervenärzten, die, wie man aus der
Litteratur nachweisen kann, so weit gehen, zu behaupten, daß es
überhaupt keinen Menschen gebe, der nicht zeitweilig
Onanie getrieben habe.
Ich wiederhole den Satz von Prof. Oskar Berger: „Die
Masturbation ist eine so verbreitete Manipulation, daß von
100 jungen Männern und Mädchen 99 sich zeitweilig damit ab-
geben und der Hundertste, wie ich zu sagen pflege, der reine
Mensch, die Wahrheit verheimlicht." Und Moll sagt sogar:
„Wer es boHtroitefc onauirt zu haben, der hat es oft nur ver-
Natürlich leugnen alle Kinder, so lange sie noch onanireu,
hartnäckig; um so offener bekennen sie meist später, wenn sie
die Sache aufgegeben haben. Ich habe Hunderte von Studenten
der Medioin ganz vertraulich gefragt, und alle, alle haben mir
gesagt, daß sie, manche nur kürzere Zeit, viele andere aber
jahrelang auf der Schule Onanie getrieben haben. Erst kürzlich
wurde in einer Verbindung nachgefragt, und alle Mitglieder
gaben ea zu. loh glaube auch nicht, daß die großen Hospital-
ärzte über die Masturbation Erfahrungen sammeln können, sie
Juiireshericlit der EcMos. Gesdltcliiift für vaterl. OnHur.
liabeii andere, wichtigere Dinge auatnnestisch zu erkunden bei
Typhus, bei Lungenentzündung, bei Darmleiden. Allenfalls
könnten sie bei Tuberculose nachforschen. Ich möchte aohr be-
zweifeln, daß in den Krankengeschichten, der großen Hospitäler
regelmäßige Notizen über das Eingeständnis der Onanie zu finden
sein werden, und selbst wenn in dem KraiikenprotocoU stände,
der Patient leugnet Onanie, so wäre damit noch gar nichts be-
wiesen. Denn spontan kommt doch kein Kind zum Arzt und
macht darüber Mitteilung, im Gegenteil, mau muß immer einen
eigenen Tric anwenden, um in der Schulzeit ein Geständnis zu
erhalten. Ich liabo während mehrerer Jahrzehnte weit über
1000 Schulkinder zu dem Zugeständnis gebracht, denn ich habe
bestimmte Zeichen, bei denen ich nicht frage: „Mein Sohn, Du
treibst wohl Onanie?", sondern denen ich mit Sicherheit auf den
Kopf zusage: „Lieber Junge, leugne nicht erst, Du treibst sehr
stark Onanie, denn Deine Klagen kommen überliaupfc nur in
diesem Falle vor."
Wenn mir schon einer thut, als wetm er gar nicht wüßte,
was Onanie überhaupt sei, so ist er ganz sicher ein Schwindler.
Natürlich kennen viele Kinder das Wort Onanie gar nicht, aber
jeder Knabe über 12 Jahre weiß sicher, daß Reibungen der
Geschlechtsteile wollüstige Empfindungen hei vorrufen.
Ich erwähne hier, daß es zwei Augenleiden giebt, die mit
Sicherheit auf Masturbation bezogen werden können. Erstens
sind es endlose Augenkatarrhe, die durchaus nicht auf die.
gewöiinliohen adstringirenden Mittel weichen. Diese Hartnäckig-
keit teilen sie, wie Förster, unser ausgezeichneter Lehrer, sagte,
mit clironischen .Rachenkatarrhen, die stets reoidiviren und nicht
gründlich beseitigt werden können, und welche erfahrene Aerzto
an Personen beobachtet haben, die an dauernden Samenvorlusten
leiden.
Zweitens tage ich, wenn ein Knabe mir gebracht wird, der
von sehr viel hellen Lichterscheinungon geplagt wird, die
entweder in einer Blendung bestehen, wie von einer bewegten
und beleuchteten Fensterscheibe oder wie von einer glänzenden
Wasserfläche oder in einem Flimmern, das bald als Erscheinung
von hellen Sternen, hellen Rädchen, hellen Strahlen, hellen
Kreisen, hellen .Pünktchen oder als Schneeflocken oder als
flackernde Luftbewegung geschildert wird, und der dann Abends
lichtscheu ist, einem solchen Knaben sage ich auf den Kopf zu;
„Du bist eiH starker Onanist, bekenne und lasse, es," und ich
habe immer Zustimmung erhalten.
I. Abteilung. Hygionisßho Sectioii. 57
Schwer ist es natürlich, mit den Schulmiidoheu darüber zu
iäprochen. Ich lasse mir dann die Mutter kommen und fordere
sie auf, genau Acht zu geben, wenn sich die Tochter uubeaohtot
glaubt, namentlich Nachts im Bette, und ich halie immer den
Dank der Mutter für diesen Wink geerntet.
Also ich muß dabei bleiben, daß die Onanie colossal ver-
breitet ist und wir allen Anlaß haben, gegen sie zu kämpfen.
Ganz unrichtig ist es aber zu glauben, man würde durch
eine Belehrung die Schulkinder, die noch völlig unschuldig
sind, erat auf die Onanie hiuleiten. Es könnte dies nur bei einem
Kinde geschehen, wtlches völlig allein erzogen wird. Aber wo
Kinder gemeiuBam sind, plaudern und tuscheln sie über diese
Dinge, so daß sie mit 12 Jahren alle schon die Onanie keimen.
Was nun schließlich die mutuelle Onanie betrifft, so haljc
ich neulich aus Schiller, aus Moll und aus eigenen Erfahrun-
gen vielerlei mitgeteilt. Ich selbst habe allerdings während
meiner eigenen Schulzeit, wo in allen Klassen sehr viel Auto-
Onanie getrieben wurde, niemals eine Ahnung gehabt, daß über-
haupt mutuelle Onanie existirte. Auch Vir oho w, mit dem ich
vor 10 Jahren, nachdem er meine Schrift gelesen, lange conferirte,
konnte sich aus seiner Sohukeit an derartiges überhaupt nicht
erinnern. Aber sie ist namentlich in Instituten und Pen-
sion aten in allen Ländern enorm verbreitet. Erst vor kurzem
kam ein Secundaner aus der Provinz mit Klagen über die typi-
schen Lichterscheinungen zu mir. Ich drang in ihn, und er er-
zählte mir, daß seine Mitachüler alle Wochen zweimal auf der
Stube eines Freundes in dessen Pension zur gegenseitigen
Masturbation zusammenkämen. Ich Z6Jgte'\lies natürlich sogleich
dem Director ohne Nameuanennung an, und diese scherzweise
„Jugendspiole" genannten Zusammenkünfte wurden inhibirt. Sie
sehen also, daß unser erster Leitsatz oben wogen der großen
Verbreitung des Uebels volle Berechtigung hat.
Die Ansichten über die Belehrung der Kinder, wann, von
v/em und wie sie auszusprechen ist, gingen in der vorigen Sitzung
sehr auseinander, und ich weiß sehr wohl, daß wir hier vor einem
der schwersten Probleme stehen. Das darf uns aber als Hygieniker
nicht verhindern, die Fragen zu besprechen. Natürlich ist es am
r>S Jiihreshericht der Scliles. üosoUecliart Üir vatcrl. Gultiir.
bequemstoD, das „laisser aller" zu verteidigen. Aber mit dem
12. Jahre lachen uns doch die Kinder selbst aus, wenn
wir sie auf den Storch hinweisen; also scheint mir eine passende
Belehrung verständiger.
Herr Dr. Cisotzen: Die bisher gegen eine sexuelle Belehrung
der Schulkhider vorgebrachten Einwieudungen erschoiueu mir
nicht stichhaltig.
Ich kann der Auffassung nicht beistimmen, daß Kinder, welche
das Märchen vom Storche zurückzuweisen beginnen, von einer
allmählichen naturwissenschaftlichen Erklärung über die Mensch-
Entstehung sich nicht befriedigt fühlen, weil ihr ganzes Denken
nach der Kenntnis vom Zeugungsacte hiiistrebe, und daß mau
von jeder Belehrung absehen solle, weil mau ihnen diesen Wunsch
nicht erfüllen könne.
Ich kann auch nicht jeuer Ablehnung jeder Belehrung zu-
stimmen, weil in einer der belehrenden Schriften von Pieozynska
u. s. w. irgend eine persönlich unangenehm berührende Stelle
vorhanden wäre. Diese Schriften wollen nicht einen Katechismus,
nicht ein sklavisch nachzuahmendes Schema darstellen , sondern
nur Eltern und Erziehern eine vorbildliche Anleitung geben, wie
sie selbst mit kleinen Kindern über die Menscheutstehung in
einer der Wirklichkeit nahekommenden Weise sprechen können,
ohne dadurch Siniiliciikeitsvorstellungen auszulösen. Wenn die
eine oder andere darin enthaltene Redewendung den einen oder
anderen \mai)genohm berührt, so wird der Wert der Blethode
dadurch noch nicht vermindert und eine Begründung für eine
Zurückweisung solcher Belehrung noch nicht gegeben. Es ist
von anderer Seite betont worden, die hier ärztlich vorgebrachten
Angaben über die Verbreitung der Masturbation seien übertrieben
und entsprächen der Wirklichkeit durchaus nicht. Hausärzte
erlangen eine Kenntnis von der Masturbation der Knaben oder
Mädchen ihrer Clientel höchst selten; selbst wo der Arzt oder
die Eltern einen Verdacht haben, ist ein Eingeständnis kaum zu
erreichen, höchstens von jenen Kindern, welche körperliche Be-
schwerden auf jene Verirrung zurückführen und sich vor einer
Verschliminerung der Beschwerden füfchten. Die meisten Menschen
reden von ihrer Masturbationazeit erst dann, wenn sie lange
darüber hinaus sind und normalen Geschlechtsverkehr ausüben.
Man forsche nur bei solchen nach, aber unter diesen nur bei
denen, welche ohne Scheu oifen und ohrlich über ihre früheren
Gesohlechtsvorirrungeu redan, und man wird eine volle Be-
L Abtoiliuig. HygiöJiischü Section. 69
Rtätigmig von der ganz außerordentlichen Verbreitung dor Onanie
erfahren. Derjenige Arzt, welcher viele Geschlechtskranke zu
sehen bekommt, ist am ehesten in der Lage, von seinen Patienten
Angaben über früher geübte oder gegenwärtig |nooh bestehende
Masturbation zu erhalten, und aus dieser Erl'ahrvmg heraus kann
ioli dem nur zustimmen, daß besonders" unter Knaben diese Un-
sitte außerordentlicli herrscht. Auch Nervenärzte, welche am
häufigsten die Folgen der Onanie zu sehen bekommen , be-
stätigen dies und Dr. Staugen (Trautenau) hat sich zu seiner
auf dem internationalen Congreß für Schul- Gesundheitspflege in
Nürnberg gethanen Aeußerung „die Beichtväter können erzählen,
daß die Knaben fast ausnahmslos dem Laster der Selbstbefleckung
fröhnen", nur auf Grund völlig einwandfreier Mitteilungen be-
stimmt gesehen.
Wenn auch im AlJgemeiueu die Masturbanten diese Körper -
Schädigung gut überstehen, trotzdem zu kräftigen, widerstands-
fälligen jungen Männern heranwachnen und späterhin eine ge-
sunde, kräftige Nachkommenschaft erzeugen, so ist doch nicht
jener Pällo zu vergessen, welche von dieser Gewohnheit über-
haupt nicht oder erst sehr spät lassen und nicht geringe Einbuße
an geistiger und körperlicher Spannkraft davontragen. Ein jeder
Vater und Erzieher, welcher die Entwicklung seines Kindes nur
mit der naturgemäßen, gar nicht etwa übertriebenen Sorgfalt und
Verantwortung verfolgt, muß das größte Interesse haben, sein
Kind vor dieser Gewohnheit zu bewahren. Die Häufigkeit des
Vorkommens der Masturbation ist daher mit vollem Rechte als
einer der wesentlichsten Gründe für die Einfül\rung einer sexuellen
Belehrung der Schulkinder anzusehen.
Es ist, wenn auch nicht öffentlich in der Sitzung diesei
Section, so doch vielfach nach derselben gesagt worden, eine Dis-
cussion über das vorliegende Thema wäre zwecklos, praktische
Resultate könne sie nicht zeitigen, weil positive, genau durohfülir-
baro Vorschläge für eine Ausül)uug der sexuellen Belehrung
nicht gemacht werden könnten, weil höchstens das Elternhaus
in dieser Eiohtung erfolgreich wirken könnte, dieses aber zur
Zeit dieser,; Aufgabe noch nicht gewachsen sei.
Dieser Gedankengang ist nicht richtig. Die ÄufroUung dieser
Frage in einer hygienischen Section ist vollkommen gerechtfertigt
und sie ist nicht zwecklos, wenn sie selbst nichts anderes er-
reichen sollte, als daß nur eine Aussprache über diesen Gegen-
stand, eine Anregung zum Nachdenken, ein Hinweis auf ein-
zuführende Maßnahmen den Behörden und freien Verein igungcn
Jalu'osbcriclit der Scbles. Gesellscliiift für vaLcrl. Oultur.
gegeben und so ein Saatkorn ausgestreut wird, das in absehbarer
Zeit aufgehen kann.
Zunächst ist nur eine principielle Entscheidung darüber herbei-
zuführen, ob überhaupt Schulkindern eine sexuelle Belehrung
gegeben werden soll oder nicht; die Frage wie und von wem
sie zu geben sei, ist eine erst später zu erörternde, pädagogisch-
technische Frage.
Zu dieser priucipiellen Entscheidung kann man nur gelangen,
wenn man sich die Frage vorlogt, ob die bisher in der Kindor-
erziehung geübte Gewohnheit über alle sexuellen Dinge mit ;ib-
sichtlichem Verschweigen oder Besprechungsverweigern hinweg-
zugehen in gleicher Weise weiter aufrecht erhalten werden soll,
oder ob diese Gewohnheit Uebelstände gezeitigt hat, welche ein
Fallenlassen der Gewohnheit erfordert. Meinem Ermessen nach
hat die bisherige Gewohnheit solche Uebelstände hervorgerufen,
und zwar frühzeitigeSinnlichkeitserweckung der Kinder, geschlecht-
liche Verirrungen (Masturbation) und vorzeitigen Geschlechts-
verkehr noch nicht geschleohtsreifer Personen.
Diese drei Uebelstände können durch geeignete Belehrung
wenn auch nicht aufgehfiben, so doch wesentlich eingeschränkt
werden.
Im Allgemeinen ist die Bevölkerung, und zwar nicht nur
die Kreise der höher Gebildeten, sondern auch die mit Volks-
achulbildung ausgestatteten einer solchen Belehrung zur Zeit
zugänglicher als ,jo zuvor. Alle Kreise sind von einem mächtigen
Streben erfüllt, sich mit Dingen, welche auf die Gesundheits-
erhaltung abzielen, zu beschäftigen. Das ist kein Zufall, sondern
das Ergebnis des naturwissenschaftlichen Forschens und Arbeitens
der letzten Jahrzehnte, welches ganz besonders durch die Aerzto
in die weitesten Kreise getragen wird und jenen treffenden Aus-
spruch ßjörustjerne Björnsons gezeitigt hat: „Ihr Aerzto
werdet wieder unsere ethischen Eatgeber!''
Gegen die uns vom Vorstände der hygienischen Section für
die heutige Sitzung behändigten Leitsätze, mit denen ich prin-
cipiell einverstanden bin, möchte ich mir nur einen Einwand er-
lauben, und zwar gegen Satz 1.
Es könnte meinem Empfinden nach Satz 1 den Anaohein
erwecken, als ob die Unterdrückung der Masturbation das Endziel
der hier angeregten Disoussion sei. Es wird durch diese be-
sondere Hervorhebung der Masturbation der Schwerpunkt des
angekündigten Thema, welches die Frage der sexuellen Belehrung
der Schulkinder umfaßt, verschoben; die Masturbation bildet nur
I. Abteilaug. Uy-ioaisolio Süction. 61
einen der Beweggründe, welche eine Belehrung der Schulkinder
empfehlenswert erscheinen läßt, aber nicht den einzigen.
Ich gestatte mir die Schlußsätze vorzutragen, zu welchen ich
in der vorliegenden Präge gelangt bin, welche zwar im Großen
und Ganzen mit den uns vorliegenden übereinstimmen, aber in
einigen Punkten etwas ausführlicher und weitergehender sind:
I. Eine sexuelle Belehrung der Schulkinder empfiehlt sich:
1. um zu verhüten, daß Kindern über die Entstehung des
Menschen durch ungeeignete Personen (Altersgenossen,
Dienstboten) Sinnlichkeit erregeiule Vorstellungen er-
weckt werden ;
2. um zu verhüten, daß Kinder vor oder im Beginn der
Geschlechtsreife sich körperschädigenden geschlechtlichen
Erregungen (Masturbation) überlassen;
3. um zu verhüten, daß die mit dem 14. Lebensjahre aus
der Schule Austretenden oder die in ihr noch verbleibenden
Halberwachsenen im Glauben, sie seien bereits völlig
gesolileoiitsreif, sich vorzeitig dem Gesohlechtsverkelir
hingeben.
II. Die sexuelle Belehrung der Kinder ist Aufgabe des
Elternhauses, der Scluile und des Religionsunterrichtes.
III. Das Elternhaus ist dieser Aufgabe zur Zeit nur in den
seltensten Fällen gewachsen.
Es ist zu empfehlen, daß Volksbildungsvereine, Wohlfahrts-
verbände (Krankenkassen), ßerufsgenossenvereiuiguugen u. s. w.
durch Vorträge über diesen Gegenstand auf Eltern erzieliend ein-
wirken.
IV. Die Lelu'er und Leljrerinnen der Volks- und Jiöheren
Schulen sind für eine erzieherische Thätiglieit auf dem Gebiete
der sexuellen Belehrung zur Zeit noch nicht genügend vorgebildet.
Es ist Aufgabe der Staats- und städtischen Behörden bei der
Ausbildung resp. Fortbildung der Lehrer diesen Gelegenheit zu
geben, sich auch über die sexuelle Hygiene und deren Bedeutung
für die Gesamtbevölkerung systematische Kenntnisse zu erwerben.
V. Der Religionsunterricht bedarf der Einführung einer
Sohulbibel, um die Kinder vor der Kenntnisnahme jener Stellen
der Vollbibel zu bewahren, welche das sexuelle Gebiet betreffen
ujid die Sinnlichkeit der Schulkinder zu erregen geeignet sind.
Herr Dr. Steuer berichtet, der Vorstand der Seotion sei bei
der Abfassung der fünf Leitsätze von der Ansicht ausgegangen,
daß es nicht möglich sei, festzustellen, von wo aus die Belehrung
der Jugend in sexueller Beziehung auszugehen habe, — jode
62 Jalirosbcricht der ScLlos, Gesellschaft für vatorJ. CuHur.
Instanz, welche bei der Erziehimg und Entwicklung
der Jugend mitzuwirken Iiabe, sei unter Umständen
hierzu am geeignetsten und zumeist verpf4iohtot. Ein
Zusammenwirken von Haus, Schule und ärztlicher Fürsorge würde
am ehesten Auasiclit auf Erfolg haben.
Herr Stadtrat Prof. Dr. med. E. Fraeukcl konnte der vorigen
Sitzung nicht beiwohnen, glaubt aber in den vorliegenden Leit-
sätzen den Extract der vorangegangenen Besprechungen zu er-
kennen, den er dahin auffaßt, daß mau die Notwendigkeit einer
sexuellen Aufldäruug der Jagend anerkannt habe, und zwar zum
Zweck der Bekämpfung der Masturbation und auch sonstiger,
aus Unkenntnis entstehender psychischer und körperlicher Schädi-
gungen durch das Geschlechtsleben. Allerdings scheint ihm in
den Leitsätzen die Masturbation zu sehr in den Vordergrund
gerückt zu sein. Ohne irgendwie die Erfahrungen des Herrn
Geh.-Eat Prof. H. Gohn. anzweifeln zu wollen, kann er von
seinem Standpunitt als Frauenarzt aus ihre Bedeutung nicht
so hoch wie dieser einschätzen. Sie ist allerdings auch im weib-
lichen Geschlechte stark verbreitet, aber vielleicht nicht so in dem
Maße wie im männlichen. Zweifellos sind manche Fälle von
hartnäckiger Bleichsucht und Neurasthenie (Nervenschwäche)
darauf zurückzuführen, ebenso bisweilen das Bestehen von
Scheiden- und Gebärmutterkatarrh (sog. „weißem Fluß"), ver-
ursacht durch die Einführung von den Fingern oder Fremd-
körpern anhaftenden Eutzündungskeimen in die inneren Teile,
oder duich die oft wiederholten Oongestiouen zu denselben. Aber
die Bedeutung dieser Afl'ectionen tritt nach Art und Häufigkeit
weit zurück hinter den Schädlichkeiten, die das Weib durch
Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und vor allem durch die
so häufige Tripperinfection bedrohen. Die von Herrn Geh.-ßat
Cohn gewünschte Statistik über die Häufigkeit der Onanie, die
von Aerzten und Studirenden nach ihren Schulerinnerungen ein-
zuholen wäre, würde kein der Wahrheit entsprechendes Resultat
geben. Es gilt nicht blos der Satz „Omnis syphiliticus mendax",
sondern auch die Variante „Omnis masturbator mendax", und
selbst anonyme Selbstbekenntnisse würden davor nicht schützen.
Aber selbst wenn sich durch eine solche Enquete eine enorme
Verbreitung der Onanie sicher constatiren ließe, so wäre damit
nur der Beweis gebracht, daß dieselbe nicht von so schweren
Nachteilen gefolgt ist, wie hier angenommen wird; sonst müßte
ja unser ganzes Volk sittlich und körperlich dogenerirt sein. Die
Masturbation wird nicht blos durch schlechtes Beispiel und die
I. Abteiliiug. Hygieiusobe Section. 63
Naoliahmuug, wie in Schulen, Peusionaten etc. weiter verbreitet,
ihre Entstehung wird man vor allem durch den Sexualtrieb, der
im Menschen oft sehr frühzeitig entwickelt und mächtiger als
alle anderen Triebe ist, so daß er jeder Belehrung spottet, be-
günstigt. Dafür spricht die Thatsache, daß Masturbation zu-
weilen schon bei ganz kleinen Kindern im Alter von 4 — 5 Jaliren
Ijoobachtet werden kann. Im Eutwicklungsalter sind ferner die
Phantasie anregende und dadurch auf die Gresohleohtssphäre
wirkende Reize, wie Schaustellungen, Romanleottire etc., ihre
Entstehung begünstigende Blomente. Vor allem aber sind es in
unseren socialen Verhältnissen begründete Schädlichkeiten, die
sexuelle Mißstände aller Art in den weitesten Volkskreisen ver-
breiten. Ich rechne hierzu in erster Reihe das Zusammenwohuen
der ärmeren Klassen in engen, ungesunden und unsauberen
Wohnungen. In einem und demselben Zimmer schlafen Kinder
und Erwachsene Gelder Gesohlechter, oft mehrere in demselben
Bett; was sich hier ungesoheut vor Aller Augen abspielt, muß
vorzeitiges Verständnis und Nachahmung erwecken. Die Regierung
hat den hieraus entspringenden Krebsschaden erkannt; ein Be-
weis dafür ist der Entwurf eines Wohnungsgesetzes. Es genügt
aber nicht, gute, hygienisch eingerichtete Wohnungen zu schaffen;
man muß den Arbeitern und ärmeren Volkaklassen auch die
Möglichkeit gewähren, solche Wohnungen wirklich zu mieten.
Gute, saubere und billige Wohnungen nützen für die Volks-
gesundving im weitesten Sinne des Wortes mehr, als alle auf-
klärenden und belehrenden Schriften und Vorträge. Und man
kann es, auch ohne Bodenreformer zu sein, billiger Weise als
eine unabweisbare Aufgabe des Staates und der Gemeinden hin-
stellen, durch Ueberweisung billiger Ländereien in geeigneter
Lage an gemeinnützige Baugesellschaften die Herstellung solclier
Wohnungen zu ermöglichen und zu fördern.
Einen ferneren Punkt indes vermißt Redner in den vor-
liegenden Leitsätzen vollständig, die Belehrung der weib-
lichen Jugend über die Gesundheitspflege während der
Entwicklungsjahre und in der folgende-n Lebenszeit.
Verstöße gegen die Forderungen der Hygiene in dieser Epoche
rächen sich zuweilen schwer \nid bilden nicht selten die Grund-
lagespäterer ernster Frauenleiden. Mütter, Peusions Vorsteherinnen,
Lehrerinnen ignorii-en zuweilen den Vorgang des ersten Eintrittes
der Menstruation und ihre Wiederkehr ganz und verleiten dadurch
die unerfahrenen, sich selbst üborlassenen Mädchen zur Außer-
achtlassung jeder Vorsicht und Schonung in dieser Zeit. Eine
(14 Jahi-esbeviiilit der Sclilos. Goscllscliafi für vaioH. Ciiltui',
Belehrung durch die Mutter oder Erzieherin wäre hier ja das
Naturgemäße; aber diesen fehlt selbst meist jede wissensohaftlioh
begründete Kenntnis des Frauenlebens und sie sind oft in den
durcli Tradition und blinden Autoritätsglaulien eingewurzelten
und in der Frauenwelt weit vorbreiteten Irrtümern und Miß-
liriuichon aufgewachsen, die sich „wie eine ewige Krankheit fort-
erben". Hier wäre Belehrung zunächst der Lehrerinnen in
Cursen, die am besten von Schulärztinnen abzuhalten wären, zu
empfohlen. Die Lehrerinnen ihrerseits hätten beim naturgeschiolit-
lichen Unterrichte entsprechende Belehrung über sexuelle Hygiene
zu geben; ihr Takt würde heikle Fragen zu umgehen oder ent-
sprechend dem Alter, der Individualität imd dem Verständnis
ihrer Zöglinge einzukleiden wissen. So würde allmählich die
jetzige und künftige Generation ohne Engherzigkeit, aber mit
möglichster Schonung der Deconz und Unschuld der Seelen eine
richtige hygienische Unterweisung erhalten.
Herr Oberpräsidial-Rat Dr. Michaelis: Meine Herren! Ich
bin auf folgende Weise dazu gekommen, mich eingehend mit der
Frage der Unsittlichkeit, insbesondere der Onanie, bei Knaben,
und zwar den Schulern der höheren Lehranstalten, zu befassen.
Es bestehen hier in Breslau im „Christlichen Verein junger
Männer" Gymnasiastonabeudo, an denen sich die Schüler zu
sittlich-religiösen Gesprächen und zum Bibelstudium vereinigen.
Gegen diese Einrichtung erhoben sich gewisse Bedenken. Um
sie zu prüfen, trat ich der Sache näher.
Der Leiter teilte mir mit, daß es sich unter anderem darum
handele, den Knaben einen sittlich -religiösen Halt zu geben in
dem Kampfe gegen die ünkeusohheit, die Selbstbefleokung. Die
Onanie sei in den höheren Schulen in erschreckender Weise vor-
l)reitet. Schon Quartaner kämen zu ihm, von Unruhe und Ge-
wissensnot getrieben, weil sie in der Onanie steckten. Ea sei
wohl sohulenweise und klassenweise verschieden, aber daran sei
kein Zweifel, daß ein unglaublich hoher Prooentsatz iufioirt sei.
Man verschließt da oft in Schwäche die Augen; aber es muß
hier jede Scheu weichen und ich bitte Sie, an Ihre eigene
Jugend zu denken und sich vor Gott und Ihrem Gewissen zu
prüfen. Ich glaube ganz fest, daß, wenn wir hier in dieser Ver-
sammlung, jetzt in dieser Stunde, uns bereit erklärten, jeder still
und ungesehen auf einen Zettel das Wort „Ja" oder „Nein"
hinzuschreiben, je nachdem wir zugeben müssen, in unserer
Jugend in gleicher Schuld und Notlage gewesen zu sein oder
nicht, es würde eine Statistik zu Stande kommen, die Ohfg(mi
I. Abteilung-. Itygienische Seoüon. 65
üiitspräolio. Und diesen Procentsatz könnten Sie dann unbedenklich
einsetzen für die Verhältnisse bei der jetzigen Jugend.
Meine Herren! Es handelt sich um unsere Söhne! Icli darf
wohl sagen: ein jeder von uns, der Söhne hat, würde sein Herz-
blut hergeben, wenn er seine Kinder freihalten könnte von der
Onanie in der Jugend und den Geschlechtssünden des späteren
Alters. Ich weiß, daß es Väter giebt, die zu ihren Söhnen sagen:
„Geht nur ruhig zum rrauenzimmer, das ist nun mal nicht anders,
aber seid vorsichtig uird wenn Ihr mal krank werdet, so thut
gleich was Ordentliches dagegen!" Aber ich nehme an, daß kein
solcher Vater liier ist. Was sollte er in dieser sittlich ernsten
Versammlung wollen ? !
Nein, wir wollen doch bewahren und retten und da müssen
wir in der Gefahr, die unseren Söhnen droht, in der sie stecken,
fragen: Was ist zu thun?
Sie sagen: „Aufklärung". Ich gebe zu, daß offene Besprechung
natürlicher Vorgänge die Denkatmosphäro des Kindes reinigen
und große Gefahren, die im Heimlichen liegen, beseitigen kann.
Aber die Aufklärung allein thuts nicht; sie kann, namentlich etwa
allgemein — in der Schule — vorgeschrieben, einem unheiHgen
Mund und nicht keuschen Herzen übertragen, vieles zerstören
und verschlimmern.
Ich habe vier Jahre in ehiem Lande gelebt, das jedem, der
für Aufklärung auf gosohleohtlichem Gebiet schwärmt, ideal er-
scheinen muß, in Japan. Dort herrscht eine Naivetät der An-
schauungen auf geschlechtlichem Gebiet, die ohne Gleichen
ist. Die intimsten Vorgänge des geschlechtlichen Lebens sind
den Kindern nichts Unbekanntes. In den offenen, oder nur durch
Papierwände verschlossenen Zimmern und Häusern sind Geheim-
nisse schlecht zu wahren. Das gemeinsame Baden beider Ge-
schlechter, das ungenirte Stillen der Kinder in der Oeffentlichkeit
(im Theater u. s. w.), die naiv- ungebundene Unterhaltung über
Geschlechtsleben, alles negirt die Schleier, die in Europa ge-
senkt sind.
Nun, und die Folge? Es ist richtig, daß das ganze Ge-
schlechtsleben in Japan etwas Naives hat. Solcher Schmutz der
Sünde, wie er uns in unseren Groß- imd Hafenstädten, im Ver-
kehr mit den Weibern, die sich gewerbsmäßig den Männern hin-
geben, entgegentritt, ist in Japan nicht vorhanden. Er tritt dort
nur allmählich in den Plätzen auf die trübe Oberfläche, wo Fremde
den Fuß an's Land gesetzt liattcn. Auch soll die Onanie dort
wenig goübt sein.
66
Jalirusbericlit der Sohlos. GeselJscliaft für vatorl. CulUir.
Aber im Uebrigeii sind die Japaner ein sittlioii tiofstelieudcH
Volk auf geschlechtlichem Gebiet. Der Begriff jungfräulicher
Ehre ist uubekamit; der eben geschlechtsreif gewordene Jüngling
wird vom Vater mit cynischem Amüsement nicht nur nicht ge-
warnt, sondern zugelassen, oft wohl animirt, den ersten Versuch
zu machen. Ernste Japaner sahen das selbst ein und gaben es
zu. So las ich neulich erst ein Buch, in dem der Betreffende
schrieb; „Am schwächsten zeigt sicli unsere Sittenlehre gerade
im Punkt der eigentlichen Sittlichkeit. Die Nachsicht hat
eine allgemeine Laxheit zur Folge".
Also die allgemeine Aufklärung allein macht es nicht. Zur
Aufklärung muß der Wille und die Kraft kommen, Herr
zu werden über die Naturtriebe. Hier nnUiten Sic einsetzen,
meine Herreu!
Es handelt sich darum: „Wie?" — Ich pcn-aönlioh bin davon
überzeugt, daß es nur eine wirklich durchgreifende Hilfe giebt,
das ist der lebendige Glaube an einen allgegenwärtigen Gott,
der uns sieht und bewahrt, nicht bloßes Fnrwalnhalton göttlicher
Begriff'e, nicht ein Buchstaben-, Autoritäts- und schomatisoher
Glaube, sondern ein Glaube, der eine wirkliche Hingabe fordert
an seinen Herrn und Heiland ^ der wiederum demjenigen, der sich
dazu entschließt, die Kraft giebt, ein neues Leben zu führen.
Ja, meine Herreu Aerzte, Sie können hier wieder, wie in so
vielen Dingen, zum großen Segen der Menschheit Woge weisen.
Neues fordern und Wniko geben, Ihrer Mithilfe wird nie entraten
worden können, aber die eigentliche Arbeit wird von audoron
gethan werden müssen. Ich bitte, mich hierbei an die anwesenden
Herrn Vertreter des Lehrstandes wenden zu dürfen.
Sie können überzeugt sein, daß die hier beratenen wichtigen
Fragen beim Herrn Oberpräsidenten, dessen Vertreter ich bin,
lebhaftestes Interesse finden. Sie werden ihn ja vielleicht amtlich,
als Vorsitzenden, des Proviuzial-Schiücollegiums und Aufsiohts-
instanz über die Lehrerbildungsanstalten zu beschäftigen haben.
Und so wollen vi^ir hoffen, daß alle zur Mitarbeit Berufenen sich
verständnisvoll die Hand reichen zum Segen der Jugend.
Herr Prof. Dr. üuchwald hält die Anregungen Dr. Rosen-
felds und Dr. Ghotzens für richtig, die Onanie nicht so in den
Vordergrund der Beratung zu stellen. Er hätte gewünscht, daß
der Vorstand heut; wesentlich den Punkt berücksichtige: Ist eine
.sexuelle Belehrung notwendig oder nicht? Die Ansichten waren
darüber geteilt. Außerdem hätte er gewünscht, Vorschläge darüber
zu hören, in welcher Weise man vorgehen könne.
1. Ahloilung. Ilygionischp, Scc.tion. 67
Man würde nicht vorwärts kommen, wenn man immer und
immer wieder nur von diesem einen Gegenstaude spreche.
Die auch bei Tieren beobachtete Selbstbefleckung sei nicht
so verbreitet, wie vielfach angegeben werde.
Bei der Belehrung müsse man wohl unterscheiden zwischen
Kindern gebildeter Stände und Kindern der niederen Volks-
schichten, auch seien 'die gleichen Altersstufen wesentlich ver-
S(!hieden au beurteilen, Mädchen und Knaben anders zu belehren.
Was man in Kreisen gebildeter Eamilicn vortrage, eigne sich
nicht ohne Weiteres für das Volk.
Er schlägt vor: 1. Die heutige Versammlung spricht sich
dafür aus: Sexuelle Belehrung ist notwendig.
2. Es wird eine Commission gebildet aus Vertretern ver-
schiedener Berufsklassen (Aorzte, Lehrer, Geistliche, auch Frauen
sollen mitwirken), welche sich zur Aufgabe stellt, gangbare Wege
zu ermitteln.
Er ist damit einverstanden, daß diese Anträge dem Vorstände
zur weiteren Behandlung übergeben werden , warnt aber vor
Uebereilung in einer so schwierigen Angelegenheit.
Herr Frauenarzt Dr. Robert xiscli : Die Verschiedenartigkeit
der Bestrebungen , die während der ungemein anregenden Ver-
handlungen dieser beiden Sitzungen zu Tage getreten sind, die
auseinandergehenden Vorschläge zur Erreichung des allseitig als
notwendig und erstrebenswert anerkannten Zieles erschweren die
Erfüllung des Zweckes unserer Besprechung. Die Aufklärung
der Kinder, Belehrung in sexueller Beziehung, soll die Onanie
verhüten oder ihre Ausschreitungen wenigstens eindämmen.
Legen wir nicht unsere, der Erwachsenen ethische Begriffe hier
fälschlich den oft unbewußten Handlungen junger Kinder zu
Grunde? Nicht der Drang nach Erkenntnis „wo kommt Brüderchen
her", nicht die Sehnsucht nach Erfahrung in Bezug auf die
geschlechtliche Vereinigung treibt die Knaben zur Masturbation.
Der vielleicht durch ganz andere Ursachen manchmal zu früh
erwachte Trieb, den die Menschenkinder mit Affen, Hunden und
so vielen anderen Tieren teilen, zufällige körperliche Reize beim
Spielen und Liebkosen, nicht zum wenigsten mit Erwachsenen,
selten m. E. Träume und Pollutionen, häufiger noch schlechtes
Beispiel und Nachahmung, ruft die üble Gewohnheit hervor.
Durch Belehrung werden wir nur schwer den Onanisten
davon abbringen, den noch unerfahrenen Knaben selten davor
bewahren. Die Ausschreitungen, vor allem die schlimmste, die
Hiutuelle Onanie, können wir wohl besser durch Beaufsichtigung,
5*
68 Jalivesbericlit der Sclilcs. Gesoüsciiid't für valc-ii. Oullur.
durch Verhüten des Alleinseins, auch des Alleinseins zu zweien,
mindern.
Der Begriff des aufrichtigen Glaubens liegt dem Kinde
wohl noch zu fern, aber darin muß ich dem Herrn Ober-Präsidialrat
beistimnaen: die Furcht, daß os der liebe Gott sieht, auch wenn
kein Mensch zugegen ist, die Papierhtitie der Japaner, das durch-
sichtige Leben des Kindes vor den Augf.n der Eltern und Er-
zieher kann gutes wirken. Hier berühren sich unsere Bestrebungen
mit denen der Wohnungs- und Schulhygiene. Die Belehrung
kommt hier wolil zu früh oder zu spät. Die Ausführungen von
Herrn Prof. Pruenkel, daß wir Frauenärzte so selten Gelegen-
heit haben, üble Folgen der Onanie zu constatiren, kann ich be-
stätigen; ich möchte sie aber dahin erweitern, daß ich gerade aus
meinem Berufe heraus Grund habe anzunehmen, daß die Anzahl
onanirender Mädchen verschwindend ist gegenüber den durch
Erfahrung oder Statistik eruirten Zahlen bei Knaben. Der Trieb
ist eben hier so gering, daß sogar die auf schlechtem Beispiele
beruhende, schon vorhandene üble Gewohnheit noch in frühen
Jahren, lange bevor an eine normale Befriedigung des Geschlechts-
triebes gedacht werden kann, ja auch bevor Erkenntnis oder
Belehrung einsetzen, wieder verlassen wird. Schon der Wegfall
der Anregung durch Splalgenossinnen genügt, um die häßliche
Manipulation vergessen zu machen. In Fällen fortgesetzter
maeturbatoriseher Bethätiguug sind es wolil zumeist patholo-
gisch e R e i z z u st an d e, die zuruubewußteu Ursache geworden sind.
Für den Knaben scheint es nun wirklich verhältnismäßig
nebensächlich, wann er erfährt, wo Brüderchen herkommt oder'
wo ea hergekommen ist. Ob das für Mädchen noch während der
Schulzeit notwendig ist, bleibe dahingestellt. Aber eine ganze
Reihe \irgemoin wichtiger Fragen in Bezug auf Körperteile und
deren Functionen auf allgemeine Lebensbedingungen müßten den
Mädchen vor Verlassen der Schule in natürlicher und natur-
wissenschaftlicher Weise beigebracht und erklärt werden. Nicht
nach sexueller Richtung — darunter ist derVerkehr der Gesohlechter
zu verstehen — , sondern zum Verständnis ihrer Gesundheit,
ihrer Lebensfunctionen ist diese Belehrung OTiszudohnen.
Küunten wir in den obersten Klassen der Mädclionschuleu unter-
richten, wir würden uns eine große Anzahl von Bcaucherinnen
unserer Sprechstunde ersparen. Hier darf uiid muß die Thätigkeit •
der Aerzte in persönlicher Aussprache einsei Ken und wird erst
wieder überflüssig werden, wenn es uns gelungen ist, Mül'.ter
und Erzieherinnen heranzubilden, die nun ihrerseits wahres Wissen,
L Abtoiliing. Hygicnisclio Sectic
f.9
wirkliche Keiuitnisso auf ihre Schutzbefohlenen zu übertrao-eii
im Stande sind, nicht die irrefahrenden Lehren der Naturheil-
büoher oder die allzu oft mißverstandenen Belebrungen populärer
Schriften oder allgemeiner öffentlicher Vorträge.
Herr Dr. Clemens Neisser, Direotor der Irren ans (alt in ßunzlou :
Nachdem einmal die Frage der Masturbation in dieser Verhandlung —
Wühl durch die weitgehende Fassung der These 1 — so sehr in den
Vordergrund gerückt ist und weil von Seiten des Herrn Geheimrat
Cohn gerade an die Erfahrungen der Nervenärzte appellirt worden
ist, gestatte ich mir auf einen anderen ärztlichen Gesichtspunkt
hinzuweisen, nämlich auf die Gefalir, welche in der zu starken
und einseitigen Betonung der schädlichen Folgen der Onanie
gelegen ist. Durch d ie Furcht vor den Folgen der Onanie,
durch die Furcht vor der angeblich aus der Hingabe
an dieses „Lastor" eutspringeudan Nerve uzerrüttung
werden viele Individuen ernster und nachhaltiger in
Ihrer Gesundheit geschädigt als durch die Onanie selbst.
Die Forderung des Herrn Prof. Buchwald, die Frage der
Art und Weise der Belehrung der Jugend als eine pädagogisch-
technische Frage bei Seite zu setzen und zunächst nur zu deore-
tiren, daß überhaupt eine Belehrung Platz greifen solle, scheint
mir nicht erfüllbar; solange man nicht weiß, in welcher Weise
in welchem Alter und von wem die Belehrung zu geben sei ist
auch das Bedenken nicht zu entkräften, daß durch die Belehrun«-
mehr geschadet als genützt werden könnte.
Zur Sache selbst will ich nur einige kurze Andoutungtn
machen. Erstens halte ich es für durchaus notwendig, daß die
Frage der sexuellen Belehrung bei Knaben und bei
Mädchen ganz getrennt behandelt werde, da die Verhältnisse
völlig differente sind. (Es sei nur an die Frage der sexuellen
Abstinenz eritniert, welche in reiferem Alter sicher für beide
Geschlechter eine gesonderte Prüfung erheischt.) In Bezug auf
die Mädchen und Frauen möchte ich mich den düsteren Auf-
fassungen, welche geäußert worden sind, ganz und gar nicht an-
schließen. Es darf auch nicht übersehen werden, daß Kenntnis
von sexuellen Dingen und Unkeusohheit sich durchaus nicht
decken. Die sexuelle, überhaupt physische Hygiene,
wie sie von Herrn Prof. Fränkel gefordert wird, halte auch ich
für das erste Erfordernis. Andererseits hat Herr Oberpräsidial- Rat
Michaelis unzweifelhaft recht, daß dies allein nicht ausreicht,
sondern daß die sittlicho Kraft, überhaupt die Widerstands-
fähigkeit dos Individuums gegen Augonblicksantriebe
7ü JaLreKbenrlit der Sdiles. GosoUseliaft für vutcri. Oiiltiir.
mit allen Mitteln zu fördern ist. Und damit komme ich zu dem
zweiten Punkte: Diese Widerstandsfähigkeit fehlt mehr oder
weniger bei der großen Gruppe der Dögeneres, der angeboren
payohopathischen Naturen, bei welchen bekanntlich das sexuelle
Tfiebleben häufig eine überstarke und vorzeitige Entwicklung
zeigt und solche Individuen sind es in erster Linie, welche in
Internatenschulen etc. die Genossen verderben. Diese Elemente
in ihrer pathologischen Eigenart rechtzeitig zu er-
kennen und fernzuhalten ist eine dringende Aufgabe
und hierbei dürfte den Schulärzten die wichtigste Rolle zu-
fallen. (Die von Herrn Michaelis mitgeteilte Erfahrung, daß
gerade in religiösen Hebungen dienenden Gemeinschaften traurige
Vorkommnisse auf sexuellem Gebiete zur Kenntnis gekommen
seien, hat für den Psychiater nicht Befremdliches, da religiöse
und sexuelle Ekstase in der völligen sensitiven Hingabe der
Persönlichkeit eine physiologische Verwandtschaft aufweisen,
was schon sprachlich durch die Worte „Brunst" und „Inbrunst"
gekennzeichnet ist ) Daß für jedes Lebensalter, für jede sociale
Schicht zudem noch besondere Verhältnisse in Betracht kommen,
sei nur noch in dem Sinne erwähnt, daß es mir falsch er-
scheint, zu einer einheitlichen mehr soliematischen
Lösung der ganzen Frage hinstreben zu wollen.
Auf alle Fälle gebührt dem Vorstande der hygienischen Section
großer Dank für die Anregung in so überaus wichtiger, die Ge-
samtheit wie den Einzelnen tief berührender Angelegenheit.
Herr Dr. Samosch spricht sich entschieden für eine sexuelle
Belehrung in der Schule aus. Der Redner führt aus, daß es
unmöglich sei, Kinder im Pubertätsalter vor der Beschäftigung
mit sexuellen Fragen zu bewahren. Um die Phantasie zu zügeln,
und um zu verhüten , daß Aufklärung von unberufener Seite in
verkehrter, meist schädlicher Form gegeben werde, sei eine von
sachverständiger Seite zu gebende sexuelleBelehrung zu empfehlen.
In der Schule sei dieselbe im Rahmen einer allgemeinen Be-
lehrung über den menschlichen Körper und seine Functionen zu
geben.
Herr Rector Kyiiast: Nachdem bis jetzt vorwiegend Medi-
ciner ihre Ansicht über die vorliegende Frage goruiL'nul, haben,
sei es einem mitten in der Praxis stehenden Pädagogen gest-atict,
seine Meinung kurz darzulegen. Zunächst finde ich, daß die
Leitsätze nur von der Onanie sprechen; diese ist aber nur ein
Gapitel aus der sexuellen Belehrung. Unter letzterer versteht
man Belehrungen, die unsere Kinder mit allem bekannt maohon
1. Aliteiliiiig. Hyginiiisclie Sectioii. 71
wollen , was mit dem Worden des Menscheu von der Begattung
bis zur Geburt zusammenhängt; eine der weitgehendsten Forde-
rungen ist die, der Jugend auch die äußeren und iinieren Fort-
pflanzungsorgane des Menschen in Abbildungen zu zeigen und
sie mit ihnen zu besprechen, so\?ic Belehrungen über die Er-
kiaiikungen der Gescbleohtsorgano zu geben. Vom pädagogi-
sclien Standpunkte und unter Berüoksichtiguiig meiner jahrzehnte-
langen Erfahrung, die ich bei Knaben imd Mädchen im volks-
sohulpflichtigen Alter in Stadt und Land gemacht liabe, halte ieh
diese eingehenden Belehrungen für verfrüht; es hieße, den Hauch
der Keusohlieit vorzeitig von der Jugend abstreifen und sie —
wenn auch in bester Absicht — bekannt machen mit dem
Schmutze, vor dem sie bewahrt werden sollen. Die Kinder der
Volksschule sind sittlich nicht so verdorben, daß z. B. Onanie
in größerem Umfange getrieben wird ; es sind glücklicher Weise
nur vereinzelte Fälle, und in diesen Ausnahmefällen möge eine
Belehrung bezw. Verwarnung unter vier Augen und unter Hinzu-
ziehung der Eltern und des Arztes (Haus- bezw. Schularztes)
erfolgen. Redner erwähnt aus seiner Praxis einen Fall in einer
hiesigen höheren Mädchenschule, wobei in der angedeuteten
Weise verfahren wurde und guten Erfolg hatte.
Die Belehrung über das Sexualleben der Menschen ist für
die Volksschule verfrüht; diese Belehrungen gehören in das
spätere Alter und vor allen Dingen in das Elternhaus; damit soll
jedoch nicht gesagt sein, daß die Schule sich gänzlich passiv
verhalten solle. Im Religionsunterricht, im naturgeschichtlichen
Unterricht und der Lehre vom Menschen kommen Ausdrücke
vor, die auf das Geschlechtsleben Bezug haben; diese mögen
kurz und mit Vorsicht erklärt werden, am besten vielleicht unter
Hinweis auf die biologischen Belehrungen über Pflanze und Tier.
Bei Beurteiluug der ganzen Frage hüte man sieh vor Ueber-
Bchätzuug des Wertes der sexuellen Belehrung. Nicht das
Wissen allein schützt vor Goschlechtsverirrung und Geschlechts-
ausschweifuug , dazu ist der Geschlechtstrieb viel zu stark, das
Wissen und Erkennen ist nur ein Mittel und nicht das stärkste;
wirksamer wird sein, die Stärkung des kiudliclien Willens und
daß dieser auf das Gute und Schöne gerichtet ist; aus diesem
Gesichtspunkte heraus sind die Kunstbestrebungen für die Schule
fördernswert. Außerdem wird scharfe Beobachtung und Ueber-
wachuDg in Schule und Haus notwendig sein; man überlasse die
Kinder in der schulfreien Zeit nicht sich selber, sondern gebe
ihnen so viel als möglich Beschäftigungen, die auf Stählung und
72 Jaliresbericlit der Sclilos. GesoUscbaft für vateri. Cultur.
Kräftigung des Körpers gerichtet sind, wie Turnen, Jugendspiele,
Schwimmen, Baden, Eislauf u. s. w. ; auch arbeite man der
Scliundlitteratur und dem iibormäßigan Alkoholgenuß entgegen.
An der Belehrung über das Sexualleben der Menschen und
dem Eindämmen der Geschlechts verirrungen und Geschleclits-
krankheiten sind außer der Schule Eltern, Aorzte, Gemeinde und
Staat beteiligt. Die Volksschule wirkt an ihrem Teile am besten,
wenn sie — von Einzelfällen abgesehen — eine eingehende Be-
lehrung ablehnt, dagegen durch strenge Ueberwachung der
Schüler und durch Erziehung zu sittlich-starken und gesunden
Menschen gesciileohtlicheu "Verirrungen nach Möglichkeit vor-
beugt.
Hierauf schließt der Vorsitzende die Versammlung mit dem
Danke für die rege Teilnahme und übernimmt es, im Namen
des Vorstajides: der Frage der sexuellen Belehrung der Jugend
weitere Aufmerksamksdt zuzuwenden.
ScUesische Gesellscliaft für vaterländisclie Knltar.
IL Abteilung.
Naturwissenschaften.
a. Naturwissenschaftliclie Sektion.
- juS)
Sitzungen der naturwissenschaftlichen Sektion im Jahre 1904.
Sitzung am 3. Februar 1904.
Über Deformation von üuarzkörnern durch Gebirg sdruck.
Von
Professor Dr. L, Milch.
Die Möglichkeit einer homogenen Deformation des Quarzes
durch Druclc ist in letzter Zeit bestritten worden, und aus der ange-
nommenen Unmöglichkeit wurde gefolgert, daß Gesteine, die „ausgewalzte"
Quarze enthalten, sich nicht durch Gebirgsdruck aus normalen Sedimenten
oder Eruptivgesteinen gebildet haben können, wie es die Lehre von der
dynamometamorphen Entstehung der kristallinen Schiefer annimmt. Gegen
die Annahme, daß die bisher als mechanisch deformiert betrachteten Quarze
unveränderte Bildungen einer Kristaüisation unter einseitigem Druck seien,
macht der Vortragende geltend, daß durchaus entsprechende Bildungen
auch in typisch sedimentären Bildungen vorkommen; er zeigte im
Mikroskop und in Abbildungen einen gewundenen langgestreckten Quarz
aus einem gepreßten Conglomerat des Verrucano des Murgtales (Kanton
Glarus, Schweiz), der in seiner gegenwärtigen Umgrenzung durch die
Nachbargerölle deutlich beeinflußt ist und seine jetzige Gestalt weder der
Abroljung beim Ti-ansport, noch weniger natürlich den Verhältnissen bei
seiner Entstehung verdanken kann. Auf die Frage übergehend, ob die
Annahme einer homogenen Deformation des Quarzes durch Druck
physikalisch gerechtfertigt ist, betonte der Vortragende, daß nach den
neueren Untersuchungen Plastizität eine allen kristallisierten Körpern
zukommende Eigenschaft ist, und daß gerade unter den beim Gebirgsdruck
eintretenden Verhältnissen auch geringe Grade von Plastizität wirksam
Verden können; für das Vorhandensein von Translationsflächen sprechen,
übrigens beim Quarz auch die mehrfach in gepreßten Gesteinen beob-
achteten, an Zwillingslamellierung erinnernden Streifen bei der Unter-
suchung zwischen gekreuzten Nikols. Schließlich machte Verfasser darauf
aufmerksam, daß gegen die Annahme der Entstehung gestreckter und
1904. 1
Jahresbericht der Schlea. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
gebogener größerer Kristalle durch eine Kristallisation unter ein-
seitigem, Druck der Umstand spricht, daß ein einseitiger Druck sich
nur in sehr zähflüssigen Massen geltend machen kann, deren Zähflüssigkeit
die Bildung von größeren Kristallen verhindert — auch ist es bisher weder
durch das Experiment bewiesen, noch aus physikalischen Gründen zu er-
schließen, daß unter einseitigem Druck gebogene, kristallographisch nicht
gesetzmäßig begrenzte Gebilde entstehen.
Neuere Arbeiten über Elastizität.
Von
Privatdozent Dr. Clemens Schäfer.
Der Vortragende berichtet über neuere Arbeiten über Elastizität
und schlägt im Anschluß daran eine veränderte Definition des Elastizitäts-
modulus vor. Derselbe ist bisher durch die Gleichung definiert:
wo L die Länge, X die Verlängerung, Q der Querschnitt des Stabes, P das
spannende Gewicht, E den Elastizitätsmodulus bedeutet. Indessen zeigen
die neuen Arbeiten, daß das Hookesche Gesetz, das in der obigen Gleichung
auch für endliche Dilatationen als giltig angenommen ist, in diesen
Fällen nicht mehr richtig ist. Man muß also richtig schreiben:
dL _ dP
TT "" QE'
wo d L eine unendlich kleine Verlängerung bedeutet; im allgemeinen
ist E als Funktion von L zu betrachten. Indessen kommt man zu einer
einfachen Annäherungsformel, wenn man E als konstant betrachtet und
integriert:
, L P— Po
'°s-l; = ^E-
Der Vortragende hat diese Formel an den vorliegenden experimentellen
Daten geprüft und gefunden, daß sie — • für das vorliegende Beobachtungs-
material natürlich! — ausreichend ist; weitergehende Prüfungen sind in
Aussicht genommen.
Über die Oxyhaloide des Wismuthes.
Von
Privatdozent Dr. Walter Herz.
Die in Gemeinschaft mit Herrn cand. phil. G. Muhs ausgeführte Unter-
suchung ergab, daß bis zu einem Gleichgewicht die Reaktionen
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
Bi O Gl + K 0 H ^ Bi 0 0 H + K Gl
Bi 0 Br + K 0 H ^ Bi 0 0 H -f K Br
^or sich gehen. Das Massenwirkungsgesetz liefert für diese Reaktionen
[KOH] _ [Bi 0 0 H]
[KCl] — [ßiOClJ
[KOH]_ [Bi 0 0 H]
[KBr] ~ 1 [BIO Er]
Da Bi 0 0 H, Bi 0 Gl und Bi 0 Br als feste Phasen von konstanter
Wirkung sind, so müssen -r^rnTT ^^'^ nr r. i f"r die erste bezw. zweite
[K Olj [K Brj
der beiden Umsetzungen konstant sein. (Die in Klammern stehenden
Zeichen sollen die Konzentrationen der Stoffe bedeuten.)
Die Untersuchung wurde derart ausgeführt, daß Bi 0 Gl resp. Bi 0 Br
mit Kalilauge verschiedener Anfangskonzentrationen bei 30" bis zur Ein-
stellung des Gleichgewichtes geschüttelt wurden, worauf die freie Lauge im
Gleichgewicht titrimetrisch bestimmt wurde. Die Differenz der Laugen-
Konzentrationen im Anfang und im Gleichgewicht entsprach der Konzentration
des K Gl resp. K Br, so daß die Konstanten hieraus berechenbar sind.
Es ergibt sich, daß für verschiedene Gleichgewichte die Konstante bei der
Umsetzung mit Bi 0 Gl = 3,55 im Mittel und mit Bi 0 Br = 2,9 im
Mittel wird, solange die Laugenkonzentrationen klein sind. In diesen
Konstanten ist als konstanter Faktor der Quotient der Löslichkeitsprodukte
^on Bi 0 0 H und Bi 0 Gl bezw. Bi 0 Br enthalten, weswegen man auf
das Verhältnis der Löslichkeiten von Bi 0 Gl und Bi 0 Br schließen
Kann. Dividiert man die anfänglich gegebenen Gleichungen des Massen-
^irkungsgesetzes durch einander, so heben sich KOH und Bi 0 0 H fort,
Und man erhält
[KCl]_k [BiO_Cl]
[KBr] ~ kl [Bi Ol^rJ'
Da die verlaufende Jonenreaktion in beiden Fällen
Bi 0' + 0 H' = Bi 0 0 H
'st, so muß k = k^ sein, und es müssen sich die Löslichkeiten von Bi 0 Gl
lind Bi 0 Br verhalten wie die Konzentrationen von K Gl und KBr in
^Wei entsprechenden Gleichgewichten. Die Löslichkeiten verhalten sich,
^ie die Versuche lehren, wie:
[BiOBr] _1,14
[BTOCI]"!^
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
Sitzung am 1. Juni 1904.
Der folgende Bericht über die am 1. Juni 1904 gehaltenen Vorträge der
Herren Dr. Axel Schmidt, Joh. Herbing und Kurt Flegel ist unter
dem Titel „Zur Geologie des böhmisch-schlesischen Grenzgebirges" als Fest-
schrift der Gesellschaft der Versammlung der Deutschen geologischen Ge-
sellschaft am 16. September überreicht worden.
Obercarbon und Rotiiegendes im Braunauer Ländchen und
in der nördlichen Grafschaft Glatz.
Von
Dr. Axel Schmidt.
Lange, bevor man an die Ausbeutung der Bodenschätze in Ober-
schlesien dachte, ging der Steinkohlenbergbau in Niederschlesien schon um,
besonders in der Umgegend von Waidenburg. Zum ersten Male wurde er
1594*) urkundlich erwähnt; ein späterer Bericht des Jahres 1769 zählt
bereits 15 im Betrieb befindliche Gruben auf, und 1789 wurden aus
45 Gruben schon 59 000 t Kohlen in Niederschlesien gefördert. In den
folgenden Jahrzehnten machte die Produktion nur geringe Fortschritte, so
daß 60 Jahre später, im Jahre 1851 von 36 betriebenen Gruben nur
400 000 t gefördert wurden. Die Produktion beginnt dann aber mit der
Verbesserung der Transportverhältnisse — die Freiburger Bahn wurde
1853 bis nach Waidenburg und 1867 bis nach Hirschberg-Görlitz durch-
geführt — und der VergrötSerung des Absatzgebietes sich erheblich zu steigern-
Der Friede des Feldzuges von 1866 bewirkte überdies den Anschluß der
preußischen Grenzstrecken an das österreichische Eisenbahnnetz. Die
Produktion der letzten 40 Jahre geht aus nachfolgender Tabelle hervor:
Förderung
Wert
s ^
Belegschaft
(rund) t
(rund) Jl
1 ^
(rund)
1861
750 000
4 250 000
43
4 000
1871
1 970 000
13 670 000
37
1 1 1 50
1881
2 700 000
16 290 000
47
1 2 500
1891
3 400 000
24 500 000
28
17 250
1900
4 300 000
^1 0 000 000
18
21 000
Altere Litteratur.
Hand in Hand mit der Produktionsstcigerung der letzten Jahrzehnte
und dem dadurch bedingten Vorrücken der Grubenbaue in größere Teufen
ging auch die geologische Erforschung der Lagerungs- und Altersverhältnisse
des niederschlesischen Gebirges. Bereits 1860 erschien die „geognostiscbe
Karte vom niederschlesischen Gebirge" ^j von Beyrich, Rose, Roth und
') V. Festenberg-Packiscli, EnLwickelung des niederschlesischen SteinkohleD-
berghaues. II. Aufl., Waidenburg 1892.
2) Berlin, S. Schropp 1860 Maßstab 1 : 100 000.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
Runge, nachdem die fossile Flora durch die Preisschrift von Goeppert
und Beinert*) neun Jahre vorher bearbeitet und durch sie der Nachweis
erbracht war, daß man es mit zwei gesonderten Floren und daher mit
Ablagerungen verschiedenen Alterszu tun habe. Im Jahre 1865 erschien dann
eine erste Arbeit Schützes^), der 1882 die bekannte „geognostische Darstellung
•ies nicderschlesisch-böhmi sehen Steinkohlenbeckens'") folgte, auf die man
wegen ihrer Ausführlichkeit, besonders in bezug auf die Tjageruugsverhältnisse
der einzelnen Gruben stets bei Arbeiten über dies Gebiet zurückgreifen wird.
Gliederung von Schätze.
In dieser Arbeit und einem Briefe Schützes aus dem Jahre 1879*) ist
die Teilung in die von Stur auf Grund der Verschiedenheit der Floren
aufgestellten Stufen^) für das ganze Waldenburger Becken durchgeführt,
und die Einteilung anderer Steinkohlenreviere') berücksichtigt. Es sei
Tabelle I.
Niederschlesiach-Böhmisches
Becken
Preußisch | Böhmisch
Ober-
Schlesien
Saar-
revier
Rotliegendes
Rotliegendes
Rotliegendes
-
Rot-
liegendes
/ ojI obere
|\
^ Imittlere
l £ hintere
1 ^i
1 Ol
S f
~-
Radowenzer
Hexenstein-
Arkosen
Idastollen er
bangender
Flötzzug
-
obere
Ottweiler
mittlere
Ottweiler
untere
Ottweiler
'f / f l obere
O 1 js hintere
hangender Flötz-
zug der Ruben-
griibe
Waldcnbui'ger
Hangend-Zug
Xaveristollener
liegender Plötzzug
Schatzlarer
/Karwin-
)Orzescher
l Schichten
obere und
mittlere
Saarbrücke
untere
SaarbrUcker
1 J (obere
f s {untere
Reichheuners-
dorfer Sandsteine
Waldenburger
Liegend-Zug
-
Sattelflötze
Rybnicker
u. Ostrauer
Schichten
-
üntercarbon.
i) C. C. Beinert und H. H. Goeppert, Abhandlung über die Beschaffenheit und
Verhältnisse der fossilen Flora in den verschiedenen Steinkohlenablagerungen eines
Und desselben Revieres. Leyden 18,50.
2) A. Schütze, die schlesischen Steinkohlen und deren Fortsetzungen nach
Böhmen und Mähren, in Geinitz, Steinkohlen Deutschlands. München 1865.
3) Abhandlungen zur geologischen Spezialkarte von Preußen und den Thü-
ringischen Staaten. Band III, Heft 4. Berlin 1882.
*) Zeitschi', der Deutschen geologischen Gesellsch. 1879, Bd. XXXI, S. 470 ff.
S) Stur, CulmClora der Ostrauer und Waldenburger Schichten, Seite 365, in:
Abhandlungen der k. k. geologischen Reiehsanstalt, Bd. VIII, 2, 1877.
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
gestattet, die Einteilung hier in tabellarisclier FormO zu geben und Ober-
sclilesien und das Saarrevior zur Vergleichung mit heranzuziehen. (Tab. I.)
In dieser Zusammenstellung sind für Oherschlesien die älteren von
Potomö im Jahre 1896 aufgestellten Bezeichnungen ^'j angewandt und nicht
die neueren von Michael vom Jahre 1902'), weil durch sie lediglich Ver-
wirrung angerichtet wird. Wenn Michael seine Bezeichnungen so wählt,
daß sie für das ganze oberschlesisch-mährische Becken Giltigkeit haben
sollen, so sei daraufhingewiesen, daß bereits vorher Potonie die Flötzgmppen
von Ostran und Karwin in seiner Ruhrizierung unterbringt, und ebenso Frech,
der die Potoniöschen Bezeichnungen weiter zusammenfaßt.") Somit erübrigte
sich eine Neubenennung gemäß des Artikels, der auf dem internationalen
Geologentage zu St. Petersburg im Jahre 1897 einstimmig angenommen ist
„La date de la publication decide de la priorite des noms
stratigraphiques, donnes ä, une meme serie de couches."«)
Auch bedarf die ganze Nomenclatnr bei Michael besonders in bezug
auf die gewählten Bezeichnungen hinsichtlich ihrer Rangfolge der Revision.
Er hat bei der Einteilung des Obercarbons — „Abteilung" — die Be-
zeichnung „Gruppe« anstatt „Stufe", und weiter „Stufe" anstatt „Zone"
gewählt. Dies steht im Widerspruch mit den Beschlüssen der internatio-
nalen Geologen-Tage von Bologna und Berlin, nach welchen die Teilung
durchzuführen ist:")
groupe — Gruppe [Paläozoicum]
systfeme — System [Carbon]
Serie — Abteilung [Obercarbon]
etago — Stufe [Saarbrücker, Sudetische Stufe]
Zone — Zone [Sehatzlarer Schichten, Sattetnötzhorizont].
Eine andere Verwendung der Namen als die vorstehende ist also un-
zulässig, also auch die Michaels, der teilt, wie folgt:
Obercarbon (.Abteilung)
Stufe (Schlesische = unteres Obercarbon = Sudetische Stufe Frech)
Gruppe (Rand-, Sattel-, Mulden-Gruppe) recte: Zone
Stufe (untere, obere) recte: ünterhorizont einer Zone.
1) Mit Berücksichtigung der späteren Arbeiten von Polonie und Weithofer.
2) Potonie, floristische Gliederung des deutseben Carbon und Perm Abhand-
lungen der kgl. preu(3. Landesanstalt, Neue Folge Heft 21. 1896.
5) Michael, Gliederung der ober.schlesischen Steinkohlenformation, im Jahrbuch
der Kgl. Preuß. Landesanstalt Bd. XXIl. 1901 Seile 317—340.
") Frech, Lethaea gcognostica, Teil I, Bd. 11, 2 Stuttgart 1899. Siehe
Tabelle XXIl
s) Gongres geologique international, compte rendu de la VIl. session 1897.
St. Petersburg 1899.
Vergleiche auch das Heferat Holzapfels über die Michaelsche Arl)eit Neues
Jahrbuch. 1903; II.
") Congrös geologique international VIU. .session 1900. Proces-verbaux de.s
s6ances. Paris 1901.
U. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
Ob bei Durclifülirung seiner Teihmg Michael die Verwendbarkeit von
BezeiolmuDgen wie:
obere Stufe der unteren Randgruppe der sclilesisclien Stufe
für möglicli hält, bleibe imentscliieden.
Schiclitenfolge auf dem preiissischen Flügel.
AuB der Tabelle Seite 5 geht hervor, daß während der Carbonzeit
in dem niederechlesisch- böhmischen Becken die Flotzbildung nie ganz
unterbrochen wurde. Das Becken hat man sich wohl als einen vorwiegend
sumpfigen großen Süßwassersee zu denken, der von Fischen^), Griganto-
stracen-), Sohalenkrebsen und Muscheln, wie sie in Sedimentärschichten u. a.
auf Rudolfgrube bei Neurode gefunden wurden, belebt war. Die Ufer
dieses Sees kann man im Osten, Norden und Nordwesten noch sehr gut
feestiramen, da sie mit der Grenze der älteren Gesteine und des ünter-
carbona gegen das Obercarbon zusammenfallen. Nur von Mittelsteine, wo,
■^ie später gesagt wird, eine bisher nicht bekannte Carbonscholle erhalten
geblieben ist, bis nach Straußeney, wo flötzführendes Carbon sich wieder
einstellt, fehlt jede Andeutung der Ufer dieses ehemaligen Gewässers.
Denn die mächtigen Bildungen des Rotliegenden und der jüngeren Kreide,
die einzigen, die dann noch im Gebiet zur Ablagerung gelangt sind, über-
decken alles und schließen sich den gleichaltrigen Bildungen in Nord-
böhmen und in der Grafschaft Glatz direkt an. Zwar ist von Stratißeney
bis Schatzlar, wo das Steinkohlengebirge sich an die Glimmerschiefer des
Landoshuter Kammes wieder anlegt, nur der obere Teil des Carbons ent-
wickelt. Denn es fehlen auf diesem Teile des böiimischen Flügels, der
an einer Stelle') von jüngeren Gebilden überdeckt ist'), die älteren Schichten
ganz, sodaß über ihre Ausdehnung nach Westen nichts gemutmaßt werden
kann; die Lage des Seeufers ist somit auch hier nicht genau zu bestimmen-
Öanz unsicher ist im Süden und Südosten die üferbegrenzung, da dort
wie schon erwähnt, Rotliegendes und Kreide transgrediert.
Schichten des böhmischen Flügels.
Auf dem böhmischen Siidwestflügel sind also ältere carbonische Ge-
bilde nicht vorhanden. Auch begleitet nur ein sich immer mehr ver-
schmälernder Streifen der oberen SaarbrUcker Schichten') die jüngeren der
1) Acantiiodes Agassiz- Stacheln in den Sammlungen des hiesigen Museums.
2) Eurypterus Scouleri Woodward; vergl. Römer in der Zeitschrift der deut-
sclien geolog. Gesellsclmfl 1873.
s) Die südhch von Zlicko bei Hronov von Weithofer als Carbon kartierte
Insel hat sich nach neueren Aufnahmen Flegels als Cenoman erwiesen,
'') Östlich von Hi-onov überdeckt an einer Stelle Kreide das schmale
Carbonband.
5) Die Schatzlarer Schichten, die Weithol'er von den Xaveristollenern nicht
'•■f^nnt, keilen schon weiter nördhch aus. Im XavoristoUen sind sie nicht mehr
angetroffen.
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
Ottweiler Stufe äquivalenten Bildungen bis Bodaschin. Die älteren Soliichten
(sudetische und Saarbrücker Stufe z. T.) sind daher wohl an dem schon
zur „unteren Rotliegend" -Zeit angedeuteten Bruch von Parschnitz-
Hronov abgesunken. Die postcretacische Aufrichtung der Sudeten ver-
schärfte diesen Bruch, sodaß jetzt Rotliegendes discordant an das Carbon
von Westen herantritt.
Die oberflächliche Verteilung der einzelnen Schichten geht aus der
beigegebenen Karte i) hervor. Diese zeigt, daß die Saarbrücker Stufe
besonders die Schatzlarer Schichten den weitaus größten Flächenraum be-
decken und daß sie von Bodaschin bis Hausdorf, von Buohau bis Eckers-
dorf überall ununterbrochen auftreten. Die sudetische Stufe, besonders
die flötzfiihrenden Waldenburger Schichten sensu stricto sind nur im
Muldeninnern und hinter dem Walle des Neuroder Gabbrozuges entwickelt,
während Vertreter der Ottweiler Stufe flötzführend lediglich auf den
böhmischen Flügel beschränkt zu sein acheinen.
Lagerungsverhältnisse
und Brüche auf dem preussischen Flügel.
Die Lagerungsverhältnisse sind ziemlich einfach, wenn man von den
„Riegel"bildungon8) im Waldenburgischen absieht. Denn bis auf den er-
wähnten bedeutenden Sprung, der das Absinken des ganzen alten Mulden-
randes auf dem böhmischen Flügel bewirkte, sind die Verwerfungen nur
von lokaler Bedeutung. Zu diesen gehören die zahlreichen kleineren
Sprünge, die bei der Intrusion des Hochwaldporphyres in unmittelbarer
Nähe dieser Masse entstanden sind. Das Empordringen des Hochwald-
porphyres wird jetzt, wie es scheint, allgemein ins Rotliogende verlegt^)
und damit dürfte auch der Beginn dieser Sprungbildung dem Alter nach
bestimmt sein.
Außer diesen Verwerfungen gewinnen nur noch je zwei parallele
Sprünge einige Bedeutung. Die beiden ersten schufen den in die sudetische
Richtung fallenden Flötzgraben von Rotwaltersdorf -Volpersdorf, dessen Ver-
wurfshöhe Dathe zu 1000 m annimmt*). Ihm nahezu parallel laufen weiter
südlich die beiden anderen Sprünge, deren einen bereits Schütze kennt»),
während der andere mit demselben Streichen nahe der Grenze der anstehenden
Urschiefer durchsetzt. Diese Verwerfungen haben ebenfalls ein Absinken
des Carbons zur Folge gehabt, sodaß man hier von einem Eckersdorfer
1) Die nach Weithofer gezeichnet ist; W. vereinigt fä!,9chlicherweise z. T. Ott-
wciler Schichten und Unterrotliegendes (von Albendort ab nach Süden).
2) .Allhans, Hiegelbildungen im Waldenburger Steinkohlengebirge, Jahrbuch
der preuß. Landeaanstall für 1891.
3) Frech, Lethaea palaeozoica, IL, Seile 668 Tabelle und Seite 673, 674. und
später Dathe in der Sitzung der deutschen gnolog. Gesellschaft vom 5. XL 1903.
■*) Jahrbuch der preuß. geolog. Landesansialt Bd. XX. 1899, Seite CXII.
^) Siehe Schütze 1. c. Seite 213.
11. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
Flötzgraben nach Analogie des obengenannten sprechen kann. Im nord-
westlichen Portstreichen des letzteren Spninges setzt der Porphyrgang von
Walditz') anf, der mit einer Mächtigkeit von 8 m im Eisenbahneinschnitt
bei der genannten Ortschaft zwischen den (gen.) Stationen Neurode und
Mittelsteine die roten Sandsteine und Couglomerate des Rotliegenden^)
ohne deutlichere Kontaktwirkung durchsetzt.
Mittelsteine.
„Hier endigen," sagt Schütze^), „in der Hauptsache die Ablagerungen
des Carbons auf der schlesischen Seite". Seine Meinung wurde als völlig
richtig von niemandem in Zweifel gezogen und galt als stillschweigend
angenommen. Einige in der Nähe*), '') gestoßene Bohrlöcher, die bis zu
400 m Teufe niedergebracht nur Rotliegendes antrafen, bestärkten diesen
allgemeinen Glauben. Sie stehen entweder in dem Eckersdorfer Plötz-
graben oder weiter nach dem Muldentiefsten •'') zu. Man war daher in den
mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Kreisen sehr erstaunt, als die
Gewerkschaft der konsolidierten Wenceslaus- und Ferdinand-Grube weiter
westwärts auf Steinkohlen bohren ließ und filndig wurde. Durch die
Liebenswürdigkeit des Direktors der Gruben wurde mir die Ausbeutung
und wissenschaftliche Bearbeitung der Funde aus dieser interessanten
Mutung gestattet.
A n m e r k u n g. Es sei mir auch hier gestattet, dei' Gewerkschaft und be-
sonders dem Direktor Herrn Dr. A. Gaertner an dieser
Stelle meinen besten Dank zu sagen.
Oberfläohengestaltung.
Von den Fundpunkten, den Bohrlöchern, aufgrund deren die Gewerk-
schaft Mutung eingelegt hatte, liegen zwei von dem Bahntibergange der
Mlttelsteine-Schlegeler Chaussee aus 200 und 230 m entfernt und 15 m
südlich von dem Kommtmikationswege von der Chaussee nach der von
Ltittwitzschen Ziegelei, der dritte liegt in südlicher Richtung 40 m von
der Stelle entfernt, wo die Seilbahn nach der Johann-Baptista-Grube die
Schlegeler Chaussee überschreitet.
Die Oberflächengestaltung des Geländes wird bestimmt durch das
NNW — SSO verlaufende Steinetal und die ostwärts aufragenden einzelnen
Gipfel. Das Mittelrotliegende") bildet den Vogelberg — 413 m den
1) Vergleiche weiter unten das über diesen Sprung gesagte.
2) Nach Dathe, Jahrbuch d. preuß. geolog. Landesanstalt Bd. XX, 1899, S. CXUI:
1, untere Cuseler-Schichten".
3) Scluilze, 1. c. Seite 213, Absatz 3.
*) Vergleiche den Vortrag des Verfassei's, gehalten in der naturwissenschaft-
lichen Sektion der Schlesischen Gesellschaft für vaterLändische Kultur am 19. No-
vember 1902.
s) Bei Böhmisch-Ottendorf.
8) Das Unterrothegende fehlt hier. Vergleiche den Abschnitt dieser Arbeit
über das Rotliegende.
Jahresberichl, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
Allerheiligen Berg bei Schlegel — 648 m — und die Wolfskuppe —
580 m, während jenseits des tief eingerissenen Tales des Schlegeler Wassers
der Silberberg — 352 m — , der Ilopfenberg — 407 m, — aus Hom-
blendegneigi) bestehen. Das Gelände senkt sich also nach SW allmählich
zum Steinetal, die ehemals schroffen Höhen sind gerundet und der Detritus
ist im Alluvium der Flußtäler abgelagert 2).
Geologischer Bau.
An dem geologischen Aufbau der Gegend beteiligen sich außer den
genannten Gesteinen bezw. Formationen oberflächlich keine weiteren. Die
untertägigen Grenzen zwischen den einzelnen Bildungen sind aber recht
verschieden von den oberflächlichen, geht doch der Hornblendegneis bis
nahe an die Schlegeler Chaussee heran'). Außerdem beteiligt sich noch
das Carbon an der Bildung der tieferen Erdrinde.
Kunigun de- Schacht,
Nach der Verleihung wurde der Kunigunde-Schurfschacht, der zur
genaueren Orientierung über die Lagerungsverhältnisse dienen sollte,
gleichzeitig aber auch als späterer Hauptförderschacht gedacht war, ca. 50 m
nordöstlich vom Bahnhofsgebäude zu Mittelsteine angesetzt. In ihm wurde
unter einer 38 m mächtigen Bedeckung von lockeren Kotliegend-Conglo-
meraten, die ein flaches westliches Einfallen zeigten, das Ober-Carbon an-
getroffen. Dasselbe hatte im Schachte eine Gesamtmächtigkeit von 12 m.
Diese verteilte sich auf 3 Flötze von 2,6; 1,0 und 1,0 m Mächtigkeit.
Die Zwischenlagon bestanden aus Schieferton und sandigem Ton-
schiefer. Im hangenden Flötze, dem 2,6 m mächtigen wurden nach Aus-
bruch des Füllortes zwei Grundstrecken getrieben; die östliche, die dem
Plötz im Streichen folgt und ganz im Kohl steht, zeigt einen häufigen
Wechsel der Streichrichtung, wogegen die westliche, die zwar auch dem
Flötz folgend getrieben ist, weniger Krümmungen aufzuweisen hat. Im
Laufe des Sommers wurde das weitere Auffahren eingestellt, weil infolge
starker Wasserzuflüsse die Arbeit sehr erschwert wurde. Überdies er-
schien es ratsam, den gesamten Betrieb einzustellen bis nach dem Aus-
trag einer Klage, die von Seiten der Nachbaren, denen man für ihre
industriellen Unternehmungen durch die Baue das Wasser entzogen hatte,
gegen die Gewerkschaft eingereicht war. Gegebenenfalls sollte erst mit
dem Beginne des regelmäßigen Abbaues der Betrieb und das Auffahren
der Strecken wieder aufgenommen werden.
Um weitere Wasserzirkulationen sowie ein etwaiges Ersaufen der ge-
samten Baue zu verhindern, mauerte man die Strecken zu und setzte auch
de^ Schacht bis auf das Liegende des letzten Flötzes in Mauerung.
i) Siehe Dathe, Jahrb. ä. jjreuß. gef.log. Landesanstnll, Bd. XX, 1899. S. CVI.
'■') Die östliche Terrasse des Steiiieiaics besteht meist aus Conglomeraten.
S) Nacli Dalhe, Jahrb. d. pr. Landesanst. XX, 1899, S. CVi beim Brunnonbohren
auf dem Holzhofe südlich der Chaussee angetroffen.
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
Da man jedoch im Hinblick auf die ostwärta gelegenen Naclibargraben,
die Johaun-Baptista-Grube bei Sohlegel und die Frischauf-Grube bei Eokers-
dorf, deren Flötze man vor sich zu haben wähnte, eine größere Mächtig-
keit der Carbonschiohteri und vor allem noch mehr Kohle zu finden hoffte,
so teufte man den Schacht in wasserloaem Gebirge weiter ab. Erst bei
112 m Gesamtteufe wurde das weitere Niederbringen eingestellt, und es
sollte durch Querschläge das flötzführende Carbon angefahren werden.
Das durchteufte Liegende der Flötze war anfänglich ein weicher Ton-
schiefer, der ab und zu die auch bei sonstigen untercarbonischen Schiefern
beobachteten Wülste aufwies. Mit zunehmender Teufe ging der Tonschiefer
in härteren Schieferton über und wurde immer mehr grauwacke-ähnlich.
Auch stellte sicli Pyrit in Krystallen oder dicht in Trümmern ein. Dünne
Quarz- und Kalkspathäderchen durchsetzten das Gestein netzförmig. Korn-
Pakte Knollen von Kaikspath gesellten sich auch dazu. Die schiefrige
Struktur verlor sich immer mehr, das Gestein wurde dicht und nahm fein
krystallines Gefüge an, ohne so grob kiystallin zu werden, wie die
Phyllite der Glatzer Gegend. Vorläufig wird man diese Schiefer nach
ihrem Gesteinscharakter dem Untercarbon, bezüglich den tiefsten unpro-
duktiven Horizonten der sudetischen Obercarbonstufe zuweisen. Damit ist
auch die Aussicht, noch Flötze anzutreffen, kaum mehr vorhanden.
Die vorher erwähnten Strecken ermöglichten es auch, die Lagerungs-
verhältnisse einigermaßen zu klären. Danach stellt sich dieses
Carbonvorkommen als eine keilförmige Scholle dar, die von
Verwerfungen fast allseitig begrenzt, horstartig auf den alten
Hornblendeschieforn aufsitzt und deren Ränder durch die Sprünge
abwärts gebogen sind.
Eine derartige Abbiegung findet man auch auf der böhmischen Seite
der Mulde längs des Parsohnitz-Hronover Bruches. Dort sind besonders
Schatzlarer Schichten beim Absinken des älteren Randes abgebogen und
2. T. auch geschleppt, so daß sie steil nach auswärts zu fallen scheinen.^)
Bei Mittel steine streicht der OstflUgel WNW— OSO und fällt mit 20"
nach dem Innern einer Spezialmulde, nach NNO ein. Der andere Flügel
streicht NW— SO und fällt mit 28—30« nach 8W ein.
Die beim Abteufen und Auffahren gewonnenen Kohlen waren von
vorzüglicher Beschaffenheit, und sowohl als Ilausbrandkohle wie für Fabrik-
Zwecke geeignet. Das spezifische Gewicht betrug nach selbst angestellten
Untersuchungen im Durchschnitt 1,27. Leider sind die beabsichtigten
Proben über die Fähigkeit der Kohle zum Vei'koken und über den Asche-
gehalt bisher nocli nicht gemacht worden. Doch darf man auch hier wold
öin gutes Resultat voraussetzen. Schwefelkies wurde nur sehr vereinzelt
*Ji kleinen Mengen gefunden.
1) Siehe Weithofer im Jahrbuch der k. k. geol. Reichsanstalt 1897, Band 47
'i'afel XIII. Profil 4 (Idastollen).
12 Jahresbericht, der Sei des. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
Altersbestimmung des Mittelsteiner Carbonfnndes.
Die Altersbestimmung dieser Carbonscbichten wurde mir durch Farne,
die eine sehr gute Erhaltung aufweisen, sehr erleichtert. Bei meiner
zweiten Befahrung des Schurfschachtes im Februar 1902 fand ich im
hangenden Schieferton nahe an dem damaligen Ortsstoße in der westlichen
Strecke eine Tonscliieferplatte, die Abdrücke folgender Farne enthielt:
Adiantites oblongifolius Goeppert,
Sphenopteris divaricata Goeppert,
Neuropteris Schlehani Stur und
Mariopteris muricata forma typica (Schlotheim) Zeiller.')
Auf der Halde, die nachher und anläßlich eines dritten Besuches im
September 1902 abgesucht wurde, fand ich von den schon genannten
Farnen besonders zahlreiche Exemplare von Sphenopteris divaricata und
Mariopteris muricata forma typica und nervosa, sowie in einzelnen Stücken
Annularia radiata (Brongniart) Sternberg,
Neuropteris gigantea Sternberg,
Alethopteris decurrens (Artis) Zeiller,
Calamites Suckowi Brongniart und
eine nicht genauer zu bestimmende Palaeostachya-Art.
Nach Potonie^) ist Neuropteris Schlehani für den Sattelflöt'<horizont
leitend, wenigstens in Deutschland. Wir hätten also hier Schichten,
die den Sattelflötzen und damit den Reichhennersdorfer
Sandsteinen äquivalent wären. Die anderen Farne widersprechen
in ihrer Gesamtheit dieser Beobachtung nicht, sondern sind vielmehr ein
neuer Beweis für das Vorhandensein und die Richtigkeit der von Potoniö
1. c. eingeschalteten MischOora, die „das Verbindungsglied zwischen den
beiden schroff gegenüberstehenden Floren des Liegend- und Hangendzuges
auch für Niedersclilesicn" bildet. Denn wir begegnen neben echten
Vertretern der Liegendzug-Flora, wie Sphenopteris divaricata und Adiantites
oblongifolius und der die Übergangsflora charakterisierenden Neuropteris
Schlehani auch solchen Typen, die unzweifelhaft der Flora der Saarbrücker
Stufe zuzurechnen sind: Neuropteris gigantea, Calamites Suckowi, die
Palaeostachyaart, Alethopteris decurrens und Mariopteris muricata.
Die schon totgefahrene Concordiagrube ^) bei Hartau gehört, nach
Potoniö, ebenfalls zu diesem Horizont, der dem „großen Mittel", den
Reichhennersdorfer Sandsteinen (= Weißsteiner Schichten Dathe) ent-
1) teste: Zeiller, Valenciennes, Atlas. Tfl. XX. 2.
2) Potonie, floristische Gliederung des deutschen Carbon und Perm. Berlin
1896 und Potonie, Pflanzenpaläontologie, Berlin 1899, pag. 372.
31 Siehe Potoniö Carbon u. Penn. pag. 6.
11. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. ] 3
spricht. Hieraus erklärt Potonie die Flötzavmut der besonders in Ober-
schlesien durch einen außergewölmliehen Kohlenreichtum gekennzeichneten
Ablagerungen der Übergangsflora. ^)
Das Mittelsteiner Vorkommen erinnert also mit seinem in diesen
Horizonten Mederschlesiens sonst kaum beobachteten Kohlenreiohtum an
oberschleaische Verhältnisse und bildet die Ausnahme zu der sonst als
Norm für dieses Kohlenrevier geltenden flötzarmen, wenn nicht flötzleeren
Ausbildung dieser Zone.
Stratigraphie des preußischen Teiles.
Betrachtet man im Anschluß an die erbrachten Tatsachen unter
gleichzeitiger Berücksichtigung der schon bekannten die Bildung des
Steinkohlengebirges auf dem preußischen MuldenflUgel, so findet man
Anklänge an die Ablagerungen in der Löwenbei-ger Mulde. Wie dort,
so wird auch hier durch finger- oder zungenförmiges Aufragen älterer
Gesteine in die jüngeren Ablagerungen die Bildung mehrerer Spezial-
mulden veranlaßt.
Von Tannhausen bis Ilausdorf tritt das Garbon mit dem normalen
SW-Einfallen nach dem Muldeninnern in schmaler Zone ^) zu Tage. Dann
erfolgt an dem Neuroder Gabbrozug die erste Muldenbildung.
Der Waldenburger Liegendzug unterteuft auf dieser ganzen Strecke
den Hangendzug samt den darüberlagernden Schichten ^) und tritt erst
wieder südlich von Hausdorf zu Tage. Hier bildet er dann /.wischen
Eulegneis und Untercarbon einerseits und dem Gabbro andererseits die
„Volpersdorfer Spezialmulde", die durch die Baue der Rudolf- und der
zur Zeit gefristeten Fortunagrube erschlossen ist.
Durch die Verwerfungen des Flötzgrabens von Rotwaltersdorf-Volpers-
dorf ist dann der dem Gabbrozuge angrenzende Teil dieser Carbon-
bildungen so tief abgesunken, daß nach Dathe „obere Cuseler Schichten"
an dem Licgendzug abstoßen. Von den Brüchen, die diese Graben-
senkung hervorgerufen haben, ist der westliche schon lange in den Bauen
der Rubengrube bei Kohlendorf bekannt und kann über Tage*) im
1) In Westfalen sind die tiefsten flölzführenden Schichten, die Magerkohlen-
pai'tie mit rteu Leitllötzen Mausegatli und Sonnenschein ebenfalls hierljer zu
rechnen.
2) Meisl kaum 1 km breit.
3) Der Dathe'schen Ansicht, daß hier und weiter südlich unproduklive Otl-
weiler Schichten abgelagert sind, möchte ich mich nicht sogleich anschließen.
Bei dem Mangel an Fossilien ist aber der Gegenbeweis schwer zu erbringen. —
Vergl. den Beriebt Dathes im Jahrbuch der preuß. geol. Landesanstalt für 1899.
1) Ein deutliches Bild dieser Verwerfung bietet, der „Italienische Einschnitt"
bei Kohlendorf', von dem ein schematisches Profil beigegeben ist.
1 4 Jahresbericht der Scbles. ßesellschaft für vaterl. Kultur.
Walditztale aufwärts bis Ludwigsdorf und Köuigswalde verfolgt werden.')
Der andere Sprung ist durcli Dathe bekannt geworden,^) der an der
nämlichen Stelle die Verwurfhöhe auf etwa 1000 m angibt. Für den
Zeitpunkt, an dem der westliche Teil der Volpersdorfer Mulde abgesunken
ist, kommt nur das Obercarbon oder das ünterrotliegende in Betracht.
Westlich vom Gabbrozuge stellen dann die Flötze des Waldenburger
Hangendzuges sich ein. Ihre anfangs in WNW — OSO verlaufende Streich-
riohtung, die bald in die normale NW — SO-Rictitung umbiegt, weist darauf
hin, daß ehemals der Gabbro mantelförmig von ilmen umlagert wurde.
Im Felde der Rubengrube treten die Flötze dann in ungestörter
Lagerung auf, wenn auch niclit in der Mächtigkeit, wie in den Spezial-
mulden westlich und ostlich vom Hochwald. Die Flötze streichen dann
am Gabbrozuge ^) entlang und wei-den von der Johann-Baptistagrube ab-
gebaut; es haben sich jedoch die hangenden Partien'') der Rubengrube
inzwischen ausgekeilt.
Im Felde der konsolidierten Frischaufgrube bei Eckersdorf erfahren
die von Johann-Baptista eintretenden Flötze eine Umbiegung aus der
NW — SO-Richtung, indem sie dann nämlich in NNO — SSW streichen.
Sic werden aber bald nachher durch einen „Hauptverwurf ins Liegende"'')
abgeschnitten. Schütz e erblickt hier das Ende der Steinliohlenablagerungen
auf dem preußischen Flügel.")
Betrachtet man jedoch die geologischen Verhältnisse der Gegend
genauer, so wird man namentlich im Hinblick auf das Mittelsteiner Carbon-
vorkommen zu der folgenden Ansicht geführt:
Ebenso wie bei der Volpersdorfer Spezialmulde, waren auch hier die
Bedingungen für eine Muldenbildung gegeben. Den nordöstlichen Rand
bildet der Gabbrozug, den südwestlichen die Möhltener ürschiefer, während
der Ausdehnung nach SO die dunkelen von Gürich dem Silur zuge-
rechneten Tonschiefer der Glatzer Gegend eine Grenze setzten. In dieser
auf drei Seiten völlig geschlossenen Mulde lagerte sich das Kohlengebirge
ein. Man wird auch hier mit Rücksicht auf das Mittelsteiner Vorkommen
daran denken müssen, daß hier auch die tiefsten Horizonte des produk-
tiven Carbons zur Ablagerung gelangten. Jedoch ist das Fehlen von
1) Herrn Oberbergamtsmarkscheider Ullrich verdanke ich diese Angaben.
Es sei mir gestattet, ihm hierfür und für andere wertvolle Fingerzeige, die er niif
gab, auch an dieser Stelle nochmals zu danlcen.
2) Vergi. .Jahrbuch der preuß.-geol. Landesanstalt Band XX, 1899, pag. CXIJ.
■') Daß der alte Gabbro schon damals der Denudation ausgesetzt war, be-
weisen die in den Zwischenmitteln der unteren Flötze und im Liegenden der
Joh.-Bapt.-Grube liilufig gefundenen Galibrogerölle. cf. Dathe.
^) Nach Potonie obere Saarbrücker-, untere Schwadowitzer Schichten.
8) Schütze in einem Brief an Weiß. Zeitschrift der Deutschen geologischen
Gesellschaft 1879, Seite 432.
6) Schütze, niederscldesiscli-böhmisches Steinlcohlenbeclten, Seite 213.
J
n. Abteilung. Naturwissenscha tliche Sektion.
Äquivalenten des Waldenburger Liegendzuges auf der SW-Seite des
Gabbrozuges kein Grund dafür, ihr ehemaliges Vorhandensein in Zweifel
ZB ziehen, zumal die intensive Wildbachtätigkeit dafür eine befriedigende
Erklärung bietet: In der Zeit zwischen der Ablagerung des Liegend- und
Hangendzuges wurden die noch nicht verfestigten älteren Schichten weg-
gewaschen. ^)
Dieser ganze das ältere produlitive Carbon umfassende Schichten-
komplex bildete die Eckersdorfer Mulde, umlagerte die ürschiefer und
zog sich an ihnen vielleicht noch weiter nach Süden entlang.
Stärkere Bruohbildung, die man in den Beginn der Rotliegendperiode
zu verlegen hat, gestalteten das geologische Bild dieser Gegend wesentlich
Um, indem in der Eckersdorfer Mulde das gesamte Carbon als ein Plötz-
graben absank.^)
Auch die Brüche der Glatzer Gegend, die durch Leppla bekannt
geworden sind, haben mit ihren nördlichen Ausläufern das an die Möhl-
tener alten Schiefer angelagerte Steinkohlengebirge absinken lassen.'')
Wir haben also auch innerhalb der Sudeton zwei in deren ungefähren
Längsrichtung verlaufende Mulden, die durch Brüche kompliziert werden.
Während postume Faltungen in anderen Gebieten, z. B. in Sachsen, fehlen,
beanspruchen sie in den Sudeten besondere Beachtung, indem durch sie
die sicher vorhandene intracarbonische Diskordanz erheblich in ihrer all-
gemeinen Bedeutung zurücktritt.
Jüngere Cai'bonbildungen weiter nordwärts.
Wenn vorher gesagt wurde, daß auch nördlich von dem Volpersdorfer
Plötzgraben noch jüngere Bildungen, als die des Hangendzuges vorhanden
Bind, so bedarf dies noch des Beweises, der im folgenden auf Grund
stratigraphischer und paläontologischer Forschungen erbracht werden soll.
Durch Potoniö ist die hangende Flötzgruppe der konsolidierten
ßubengrube dem Horizonte der oberen Saarbrücker Schichten (= untere
Schwadowitzer) zugewiesen. Bei Betrachtung der Profile wird man
nicht fehl gehen, dieser Gruppe die drei hängendsten Rubenflötze: das
Joseph-, Rüben- und das zweibänkige Antonflötz einzureiheu, wenn auch
•bisher nur in hangendem Schieferthon des erstgenannten die Leitform der
oberen Saarbrücker Schichten, die Annularia stellata gefunden wurde.
Denn soweit mir Material in Sammlungen vorgelegen hat,-*) sind in den
letzten .Tahren im Ruhen- und Antonflötz Funde fossiler Pflanzen kaum
1) Die GabbrogeröUe auf Johann-Baptista sind ein Beweis dieser erhöhten
^ildbachtätigkeit.
2) Ähnlich sind die Bildungen in der Lähner Kreide-Mulde.
3) Vergleiche die Karte Lepplas.
"•) Auch die Waldenburger Bergschulsamnilung, die icli durch die Krcundlich-
''eit des Direktors, Bergassessors Hülsen, .«eben durfte.
16 Jahresbericht, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
gemacht worden. Überdies werden die drei jetzt neubenannten Plötze
schon von Schütze als hangende Gruppe zusammengefaßt. Denn ein
qiierachlägig 300 m mächtiges Zwischenmittel trennt sie von der liegenden
Partie.
Diesen entsprechen ihrer Lage nach auf der konsolidierten Wenceslaue-
grube bei Hausdorf das Pelsenkohlen-, das Wenceslaus-, das erste und
zweite hangende Plötz, von denen zur Zeit nur im Wenceshiusflötz Abbau
umgeht. Auch diese werden durch ein Sandsteinmittel von 220 m
Mächtigkeit von den liegenden Wilhelmsflötzen getrennt. Es liegt also
nahe, diese beiden hangenden Flötzgiuppeu der konsolidierten Wenceslaus-
und der Rubengrube für gleichalt anzusprechen.
Zu diesem Schlut5 führt auch folgende Betrachtung: das dritte
Wilhelmsflötz der Wenceslausgrube, die Oberbank des Franzflötzes der
Rubengrube (früher das „erste liegende") und das dritte der .Johann-
Baptistagrube sind alle bei wenig differierender Mächtigkeit durch ein
0,1 bis 0,2 m starkes Thoneisensteinbänkchen im Liegenden charakterisiert.
Dieses zeigt bei den beiden entferntesten Gruben noch so bedeutende
Ähnlichkeit, daß man nicht fehl gehen wird, es als Beweis für die
Identität der Flötze anzusehen.
Bei dieser Gleichstellung ist es (siehe Profil I) raögiich, die hangenden
Flötze ohne Schwierigkeit zu parallelisieren. Überdies werden auch noch die
identen Flötze: Anton und Felsenkohlen in fast gleicher absoluter Höhe
über NN angetroffen.
Alle diese Gründe, so überzeugend sie auch sind, genügten allein
zur Identifizierung nicht, solange nicht paläontologische Ergebnisse die
Gleichstellung beweisen. Es gelang mir auch in dem hangenden Sand-
stein des Wenceslausflötzcs eine Ensphenopterisart zu finden. Diese
Varietät genügt den Anforderungen, die Potonio in seiner Pflanzen-
paläontologie für Leitpflanzen der oberen Saarbrücker Schichten stellt.^)
Diese Sphenopteris ähnelt im Umriß am meisten der Sph. Sohlotheimi
Brgt., wie sie Stur abbildet. 2) Doch unterscheidet sie sich dadurch, daß
im Gegensatz zu dieser die Fiederchen dritter Ordnung nie vierlappig»
sondern meist zwei- und nur die untersten undeutlich dreilappig sind.
Auch zeigen die oberen Fiederchen nicht eine spitzige oder halbnindo
Spitzenausbildung'') und elliptische Form, sondern eine abgestumpfte
längliche Form bei geringerer Breite. Die Nervatur stimmt mit der von
Sphenopteris neuropteroides Boulay*) überein. loh nenne diese neue
Varietät: Sphenopteris Boulayi var. Wenceslai.
1) Vergl. Seite 374. uoten.
2) Vergl. Stur, Schatzlarer Flora, Tafel XX uriil XXV.
■•) Stur: „elliptica, apice acuta vel subrotunda . . . ehendnrt Seite 336.
*) Zeiller, Valenciennes, Tafel II, 1, 2.
LI. Abteilung. NaturwissenschafUiclie Sektio
Auf Grund dieser Tatsachen kann es als sicher gelten, daß auch die
hangende Flötzgruppo der Wenzeslausgrube den Xavoristollener-, oberen
öaarbrücker Schichten zuzuzählen ist.
Es liegt nun nahe, auch bei Waidenburg die hangenden Flötze:
Amalienflötze, Anhaitaegen, Ernestine bei Dittersbach, Friederike bei
Neuhain — die einander entsprechen — das Franz.Josephflötz und die
weiteren Kohlenbänkchen aiii FoUhammertunnel diesen oberen Saarbrücker
Schichten zuzuzählen, wenn man die Mittel von 220, 300 m mit dem von
6üO m identifizieren will.
Die dem geologischen Institut von der ffirstlidi Tleßschen Gruben-
diroktion geschenkten Farne ans diesen hangenden Flötzen sind meist
Pflanzen, die für die Horizontbestimmung nicht in Betracht kommen, oder
solche, die im allgemeinen für den Waldenburger Hangendzug charakteristisch
Sind, ohne auf ihn allein beschränkt zu sein.
Indessen ist in zahlreichen Stücken aus diesen Flötzen Nenropteris
tenuilolia Schloth hierher gelangt. Zwar erscheinen die Waldenburger
Exemplare zarter in der Nervatur, doch hat ein Durchzählen der Nerven
am Bande völlige Übereinstimmung in der Anzahl mit Exemplaren von
^nderen Fundorten ergeben. Diese Spezies ist nun nach Zeiller in
Valenciennes in der Zone moyenne ziemlich selten, dagegen in der Zone
superieure mehr verbreitet'), als in der mittleren. Ebenso ist sie von
tremer^) m der Gasflammkohlenpartie Westfalens, also der hängendsten
Häufig gefunden und nimmt nach unten allmählich ab. Die Zone supörieure
steht nach Z eiller s), ebenso wie die Gasllammkohlenpartie Westfalens
■lach Potonie, den oberen Saarbrücker Schichten gleich. Auch ist der
iarn nach Kidston'*) nur auf die middle and transition coal-measures
ot tho Upper carboniferous sc. forraation in seinem Vorkommen beschränkt,
ö.ese Horizonte sind nach Z eiller «) der Zone supörieure von Valenciennes
S^eichzustellen.
Bei dieser Gleichartigkeit der bedeutendsten europäischen Kohlen-
becken gewinnt es an Wahrscheinlichkeit, daß die obere Saarbrücker
'^tufe m höherem Maße, als man es bisher annahm, auch auf dem
preußischen Flügel des niederschlesisch -böhmischen Steinkohlenbecken
entwickelt ist.
Nachdem ihr Vorhandensein durch Potoni6 für die Faibengrube
»jewiesen ist, wird man ihr Auftreten auch auf Wenceslausgrube und in
^en hangenden Partien bei Waidenburg jetzt nicht mehr in Zweifel
Ziehen können.
J) Zeiliei, Valencisnius pai^. 276.
11 rl'^u!:'' '"'",'' ' '1 '"^ de*' weslfäl. Carbon. DisseiL Marburg 1893. S. 29
Balleül^le ,„r'r , "'"''"^'1' "^^ weH|,,,l,a,lMM, ,h, nord de la France
anetm de la s,,, , i . ,i„ „,„c de France XXU. isiil, Soiie 590 folg.
•ü PrnrPPHmM "?;i^"n'"^", '',"""'', °" "''' ''"^^«'""'^ of Ihe carboniferous formation
t^roceedinys ot the Key il physienl sociely of Edinburgh XII. 1892. Seite 246 table
1904.
"18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
Tektonische Veränderungen. Aufhören der Kohlenbildung.
Die verminderte Flötzbildung in den oberen Schioltten des mittleren
produktiven Carbon deutet darauf hin, daß eine Änderung in den Vege-
tationsbedingungen eintrat. Das Fehlen der Ottweiler Stufe wird man
füglich auf eine physiisalische oder tektonische Veränderung dieses preußi-
schen Mukienfltigels zurückführen.
Dadurch war die Kohlenablagerung imterbrochen auf dem Nordost-
flügel und im Muldeninnern im Norden. Eine Kohlenbildung scheint dann
auch später nicht mehr eingesetzt zu haben.
Die" obersten Saarbrücker Schichten in Böhmen
auf Wilhelmiua-Orube bei Ztliareli.
Altersbestimmung.
Im tektonisohen Gegensatze zur preußischen Seite des Steinkohlen-
beckens steht der böhmische Flügel. Dieser hat an der zur oberen Ober-
oarbonzeit einsetzenden Veränderung nicht teilgenommen, so daß wir auf
ihm auch weiter flötzfUhrcnde Ablagerungen der Ottweiler Stufe antreffen.
Zwar bleibt der Kohlenreichtum gegen die reichen Schätze der beiden
den Hochwald umgebenden Spezialmulden erheblich zurück, immerhin ist
aber die Kohlenführung noch bedeutend genug und lohnt den Abbau.
Denn wir begegnen z. B. dem bei Bohdaschin durch Stollenbetrieb auf-
geschlosBenen Josephiflötz') mit einer bis zu 3,7 m anschwellenden Mächtig-
keit. Flötze von l'/g m Mächtigkeit sind häufiger, so auf Procopi-Grube )
bei Schatzlar, im Xaveristollen ^) bei Sedlowitz, im Idastollen*) bei Stra§-
kowitz und auf Wilhelmina- Grtibe-'j bei Zdiarek zu beobachten.
Die Zugehörigkeit der böhmischen Flötze zu den 3 Flötzzügen, dem
XaveristoUener, dem Idaatollener und dem Radowenzer, ist schon 1879
von Stur und Schütze richtig erkannt worden.
Die einzelnen Flötzgruppen werden von einander durch sehr be-
deutende Zwischenmittel getrennt. So mißt im Xaveristollen das die
Saarbrücker und Ottweiler Stufe trennende Mittel quersohlägig 800 m, was
bei der flachen Lagerung einer absoluten Mächtigkeit von 700 m gleich-
kommt. Ebenso ist das Zwischenmittel''), das die Idastollener Schichten
vom Radowenzer Flötzzug trennt, zu 1300—1500 m Mächtigkeit vo»
Schütze angegeben. Die Einteilung Schützes ist von Weithofer iio
allgemeinen übeirnommen. Jedoch zählt dieser Autor die den Kadowenze'
lyNach Schütze 1. i: pag. ^222. — Der Abbau ist augenblicklich nicht un
Betriebe.
2) Nach Schütze 1. c. pag. 216, 217: 3 Flötze, X mit 2 m, XI mit U "^'
XIII mit 1—2 m absoluter Kohlenmächtigkeit.
3) Nach Schütze: 2 Flötze = 2--5 m Mächtigkeit. 1. c. p. 221.
4) Nach demselben: Hauplflötz ^ 1,05 m Kohle, 1. c. ^31.
6) Ebenfalls: 111. Flötz = ),20 m. I. c. p. 222.
C) Ebenfalls Seite 236.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Selition. 19
FlÖtzzug überlagernden Schichten ') fälschlich noch zum Obercarbon, und
nicht zum Rotliogenden; aul3erdem fohlt in seiner Karte richtigerweise die
auf der Karte des niedersclüesischen Gebirges und von Schütze über-
nommene liotliegendinsel zwischen ßernsdorf und Bösig.
Die Abgrenzung der einzelnen Fiötzgruppen und Zwischenmittel ist
auf dem böhmischen Flügel besonders schwierig. Denn zunächst weisen
die einzelnen Schichten keine bedeutenden Unterschiede in ihrem Gesteins-
charakter auf. Es sind zumeist rote, bald feine, bald gröbere Sandsteine
mit einem wechselnden Tongehalt und graue Feldspathsandsteine —
„Arkosen" — , die sich in allen Horizonten der Ottweiler Stufe wieder-
holen. Außerdem ist in dem waldbestandenen, wegearmen tschechischen
Gebiet das Kartieren und Abgrenzen der Horizonte infoige Mangels an
Aufschlüssen sehr erschwert. Endlich bedingt das zum Terrainneigungs-
winkel fast senkrechte Einfallen der Schichten einen sehr häufigen Wechsel
Und dadurch eine neue Schwierigkeit, auf einem so kleinen Maßstabe
1 : 75000 zu kartieren.
Infolgedessen unterblieb dann mit Rücksicht auf die Arbeit Weit-
hof er s, eines sehr sorgfältigen Forschers, die Revision dieses Teiles bis
zum Mettaudurchbruch bei Hronov.
Bald hinter diesem Erosionstale transgrediert dann die südliche Kreide
der Scholle von Kudowa und stellt auf diese Weise eine Verbindung mit
der des ßraunauer Ländchens her. Schon Krejci erwähnt die Transgression
1867, während Michael ihre Fortsetzung nach Nofden 1893 nicht weiter
berücksichtigt. Sie liegt zwischen Podborky-Zdiarek und Sedmakowitz-
Zlicko.
Carbon bei Zdiarek,
Hinter dieser Kreidebrücke erscheint dann wieder das Carbon, das
sich noch etwa 3 km bei Mokrziny an den Granit von Lewin anlehnt, und
bald darauf endgültig unter der dort sehr mächtigen Kreide verschwindet.
Dieses Vorkommen wurde von Stur und Schütze den Sohatzlarer
Schicliton zugerechnet, während Weithofer es wenigstens zum Teil den
Unteren Ottweiler Schichten gleichstellt.
Der dort umgehende Bergbau der Wilhelmina-Grube auf der öster-
reichischen Seite und der Clemens- und Eieonore-Grube auf der preußi-
schen hat schon seit langer Zeit bedeutende Ausbeute an fossilen Pflanzen-
resten geliefert. Diese sind von Stur^) in seiner Flora der Schatzlarer
Schichten schon berücksichtigt; auch Feistmantel'^ hat sie bearbeitet
1) Über diese Frage gibt die Arbeit J. Herbings, die denmächst erscheint,
Aufschluß.
2) Stur, die Carbon-Flora der Schatzlarer Schichten, Wien 1885.
3) Feistmantel, Versteinerungen der böhmischen Kohlenahlagerungeu in
Palaeontographica XXllI, 1875/76.
20 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
Beide Forscher sehen in dem Vorkommen von Zdiarek-Straußeney Bil-
dungen, die den Schatzlarer Schichten gleichstehen. Hierbei ist allerdings
zu berücksiclitigen, daß damals die floristische Trennung der Schatzlarer
von den Xaveristollener Schichten noch nicht durchgeführt war.
Stur führt von Zdiarek folgende Farne an:
Khacopteris Busseana Stur (— R. asplenites Schimper) Sj ').
„Senftenbergia" crenata L. a. H.
„Hawlea" Schaumburg-Lippeana Stur (= Pecopteris spec.)
„Hawlea" Zdiareckensis Stur (= Pecopteris spec).
„Oligocarpia" pulcherrima Stur = (Pecopteris?).
Discopteris Goldenbergii Andrae (= Ovopteris).
Saccopteris Essinghii Andrae (= Sphenopteris).
„Desmopteris" belgica Stur (= D. elongata Pres!).
„Calyramotheca" Walteri Stur.
„Calymmotheoa" Schaumburg -Lippeana Stur.
„Diplothmema" (= Sphenopteris) ti-ifoliatum Artig.
„Diplothmema" (= Mariopteris) muricatum Schloth.
„Diplothmema" belgicum Stur (= Mariopteris latifolia).
Bei den nicht deutlichen Abbildungen Sturs ist eine Identifizierung
mit Farnen, die die jetzt übliche Bezeichnung tragen, nur zum Teil mög-
lich und daher können nur diese für eine Vergleiclmng herangezogen
werden.
Eine bessere Verwendung für die Vcrgleichung gestatten die von
Feistmantel ^) aufgezählten Farne;
Annularia longifolia Brgt.
Asterophyllites equisetiformis Brgt.
Asterophyllites foliosus L. a. H.
Sphenopteris Schlotheimi Brgt.
Sphenopteris Hoeninghausi Brgt.
Sphenopteris Asplenites v. Gutb.
, Sphenopteris coralloides v. Gutb.
Cyatheites ') arborescens Gppt.
Cyatheites Miltoni Gppt.
Cyatlieites Oreopteridis Gppt.
Alethopteris pteroides Brgt.
Alethopteris Serli Brgt.
Alethopteris longifolia Stbg.
Alethopteris aquilina Brgt.
Neuropteris heterophylla Stbg.
1) Sa := für obere Saarbrücker ScUicliten charakteristisch u. s. w.
2) 1. c. pag. .315. Calamarien u. Lepidodendren, Stigmarien u. s. w. nicht berück-
sichtigt.
8) Cyatheites =: Pecopteris.
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 21
Netiropteris temiifolia Brgt.
Neui'opteris gigaiitea Stbg.
Dictyopteris Brongniarti.
Odontopteris Britannica v. Gutb.
Zu diesen gesellen sich von mir gefunden , noch folgende pflanzliche
Reste ;
Sphenopteris Schilliflgsii Andrae.
Sphenopteris artemisiaefolioides Crep.
Sphenopteris macilenta L. a. H.
Lonchopteris rugosa Brgt.
Pecopteris abbreviata Bvgt.
Annularia stellata v. Schloth.
Diese Stücke sammelte ich teils auf meinen Befahrungen in der Grube
selbst, teils entnahm ich sie der Sammlung des dortigen Obersteigers
Herrn W. H o f f m a n n.
Diese neuere Sammlung, obwohl ohne System zusammengebracht,
zeichnete sich durch das Fehlen typischer Leitpflanzen der Schatzlarer
Schichten wie: Neuropteris gigantea Stbg. und Pecopteris dentata aus.
Auch Mariopteris muricata war nur in 2 Exemplaren vertreten. Zwar sind
einige dieser Leitpflanzen nach Stur und l^'ei8tmantel auch bei Zdiarek
Vorgekommen, doch dürfte es sich hierbei mir um unzweifelhaft vereinzelte
frühere Funde handeln.
Bei der Häufigkeit des Auftretens der Farne in den „Schatzlarer"
Schichten und ihrem hier einsetzenden Zurücktreten oder Fehlen wird
man zu dem Schlüsse gedrängt, daß die Zdiareker Flötze jünger sind,
als die Schatzlarer Schichten. Weithof er hat sie daher auch richtiger
den XaveristoUener Schichten zugezählt und die hangenden roten Sand-
steine^) als Äquivalente der unteren Ottweiler Stufe angesehen.
Die neueren Pflanzenfunde, insbesondere das Vorkommen von Annularia
stellata und Annularia longifolia rechtfertigen diese Ansicht.
Durch das nicht vereinzelte Auftreten von Leittypen der Ottweiler
Stufe erscheint es wahrscheinlich, daß sogar noch etwas höhere
Horizonte als die im Xaveristollen angetroffenen Schichten
liier flötzfUhrend entwickelt sind.
Vergleieluing mit dem Piesberg und Ibbenbüren.
Eine Vergleichung der Zdiareker Pflanzen mit denen des Piesberges
lud von Ibbenbüren nach v. ß oehl ^) ergibt eine so große Übereinstimmung
"eider Floren, wie sie in Anbetracht der verschiedenen Vegetationsbedin-
1) Diese werden dann von den Hexenstein-Arliosen tiberlagert, aus denen die
Höhen im NW von Straußeney bestehen.
2) Die Einwände gegen diesen Forscher sind mir bekannt; doch ist, wie es
Scheint, keine Richtigstellung erfolgt, sodaß ich mich auf ihn stützen muß.
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
gungeii nur gedacht werden kann. Hier sind es Sümpfe und Moräste am
Ufer eines Binnensees und dort Waldungen am Strande des offenen
Meeres.
Beiden Fundorten sind folgende Farne gemeinsam:
Sphenopteris Hoeninghausi Brgt.
Sphenopteris Asplenites v. Gutb.
Sphenopteris coralloides v. Gutb.
Cyatheites arborescens Gppt.
Cyatheites Miltoni Gppt.
Alethopteris pteroides Brgt.
Alethopteris Serli Brgt.
Alethopteris aquilina Brgt.
Neuropteris heterophylla Stbg.
Diotyopteris Brongniarti.
Odontopteris Britannica — neuropteroides.
Außerdem noch :
Lepidodendron dichotomum Stbg.
Calamites Suckowi Brgt.
Calamites Oisti Brgt.
Annularia longifolia Brgt.
Asterophyllites equisetiformis Brgt.
Bei einer solchen Übereinstimmung der Floren wird man auch bei
größter Vorsichti) nicht fehlgehen, wenn man dieses Vorkommen von
Zdiarek dem vom Piesberge und von Ibbenbüren gleichstellt und beide
nach Potonie und Frech den obersten Saarbrüoker Schichten noch über
den XaveristoUener einreiht.
Eine Zusammenstellung der paläontologisch-stratigraphischen Ergebnisse
sei in folgender Tabelle gegeben:
1) Die den Beobachtungen Feistn
erscheint.
intels und v. Roehls gegenüber geboten
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
Böhmischer Flügel [ Muldeninneres
Hexenstein - Arkosen
IdastoUener Flötzzug
Kotliegend
Diskordanz
Preußischer Flügel
Rotliegend
Diskordanz
Zdiareker Flötze
Xaveriflützzng
Hchatzlarer Schichten
Amalien-Flötze
Waldenburger
Hangendzug
hang. Partie von
Wenceslaus & Rnlien
Waldenburger
Hangondzug
=1 Reichhennersdorfer
"2 Sandsteine (mit Flötzen
•g der Coiicordia-Gnibe)
Mittelsteiuer Flötze
Waldenburger Liegendzug
üntercarbon
Verwerfungen des Carbons auf dem böhmischen Flügel in der
Zdiareker Grube: Parschnitz - Hron o ver Bruch, Reinerzer
Quellenspalte.
Die tektonischen Veränderungen, die den böhmischen Muldenflügel
betroffen haben, sind meist schon längere Zeit bekannt. Der Parschuitz-
Hronover Bruch, an dem nach der Kreide - Periode gebirgsbildende
Kräfte ausgelöst wurden, ist schon ebenso lange bekannt, wie die kleinen
durch den Bergbau aufgeschlossenen Verwerfungen bei Schatzlar und am
Idastollen.
Die älteren von Jokely^) zur Erklärung der Schichtenfolge ange-
nommenen Staffelbrüche sind schon seit langem von der Wissenschaft
verworfen worden und es hat eine natürlichere Auffassung der Gebirgs-
bildung an ihrer Stelle Platz gegriffen.
Der Bergbau hat jedoch in neuerer Zeit noch das Vorhandensein
eines Bruches erwiesen, der an Bedeutung die genannten lokalen Ver-
werfungen übertrifft, ohne so weiter Beachtung würdig zu sein, wie der
Parschnitz-Hronover Bruch.
1) im Xaveristollen wurde in einem Blindschacht im Liegenden der Schiefer-
tone des mittleren produktiven Carbon ein Gestein angetroffen, das nach seiner
petrographischen Beschaffenheit untercarbonischen Alters sein dürfte (nach Herrn
Markscheider Irrmann-Schwadowitz).
2) Vergl. das in Katzer, Geologie von Böhmen hierüber gesagte.
Jahresbericht, der Scliles. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
Bei der letzten Befahrung der jetzt in Fristen liegenden Wilhelmina-
grube, die ich in Gemeinschaft mit dem Bergbaiibeflissenen Herr K. Flegel
im April 1903 unternahm, wurde uns vom Obersteiger eine Sprungkluft
(„Rutschung") gezeigt, hinter welcher die Flötze abgesclmitten waren.
Die Eichtung der Verwerfung verlief von WNW nach OSO. Die Gruben-
beamten nahmen an, daß es sich nur um einen Sprung von geringem
Ausmaß handelte und hatten hinter der „Rutschnng" eine söhlige Vor-
richtungsstrecke getrieben, mit der sie ihre Flötze wieder anzufaln^en
hofften. Eine Besichtigung des Ortes und eine nachherige Vergleiohnng
einer mitgenommenen Gesteinsprobe ergab, daU die Strecke in einem dem
Cenoman zuzurechnenden Sandsteine stand. Eine genauere üntersucliung
dieses Fundes wird Herr K. Flegel in seiner demnächst erscheinenden
Arbeit über die Kreide der Heuscheuer und von Adersbach-Weckelsdorf
vornehmen. Für diese Arbeit genügt es, zu konstatieren, daß im Norden
die Flötze der Wilhelminagrube durch eine OSO— WNW streichende
Verwerfung abgeschnitten sind und daß hinter dieser obere Kreide an-
steht. Berücksichtigt man ferner, daß auch im Süden die Flötze an dem
Parschnitz-llronover Bruch ein vorzeitiges Ende erreichen und daß dort
ebenfalls jenseits des Sprunges Kreide ansteht, so ergibt sich, daß die
Wilhelminagrube die Plötze einer zwischen cretaceischen Bildungen horst-
förmig stehen gebliebenen Carbonscholle gebaut hat.
Der nördliche Sprung auf der Wilhelminagrubc erwie» sich nach den
Untersuchungen Flegels als die Fortsetzung eines durch Lcppla von
Grafenoi-t bi.s Reinerz konstatierten Bruches.
IL
Diis Kotliegende bei Neurode, Wünschelburg, Braunau.
a. Zur Altersbestimmung.
Die Feststellung eines Zusammenhanges der nördlichen Brüche mit
denen der südlich angrenzenden Kreide der Grafschaft Glatz veranlaßten
mich, auch auf dem preußischen Flügel um Neurode, WUnschelburg und
bis gegen Braunau den toktonischen Verhältnissen nähei-e Beachtung zu
schenken. Denn es war nicht unwahrscheinlich, daß .inch nordöstlich von
dem Heuscheuerblock die dort kartierten BrUche Lepplas weiter nach
Norden fortsetzten.
Die im September und Oktober 1003 zu einem gewissen Abschlul5
gebrachten Untersuchungen sind im folgenden niedergelegt.
Es sei zunächst gestattet, die bisherigen Ansichten über den Bau
dieses Teiles des preußischen Muldendügels, etwa zwischen dem Neuroder-
Gabbro und WUnschelburg kurz zu erwähnen.
Nach den ersten Aufnahmen zu der Karte von Beyrich, Rose,
Roth, Runge, die im produktiven Carbon noch nicht die einzelnen
Stufen von einander trennen, hatte eine konkordante Überlagerung des
Rotliegcnden über dem Carbon statt.
II. Abteilung. Naturwissenscliaftliche Sektion. 25
Schütze gliederte 1882 das Rotliegende zwar niclit weiter, nahm
aber mit Recht eine Diskordanz zwischen Carbon und Rotliegendem an.
Erst in neuerer Zeit 1889 und 1899 griff dann Dathe') wieder auf
die erste Anschauung der koiikordanten Auflagerung zurück, indem er die
bisher für Rotliegend geltenden Sandsteine als unproduktiv entwickeltes
Carbon den Ottweiler Schichten zuwies und so den gleichförmigen un-
unterbrochenen Übergang jm jungen Paläozoicum für diese Gebiete wieder
als Lehre aufzustellen versuchte.
Die unzutreffenden Ansichten des Genannten beruhen ebenso sehr
auf einem Mißverständnis der Ergebnisse eines anderen Forschers und
einer Verkennnng des paläontologischen Cliarakters der schon längst
bekannten Fannen und Floren von Ottendorf, Braunau und Neurode, wie
auf einer Mißdeutung der Tektonik jener Gegenden.
Aucl) erschien die Vergleichung der Ablagerungen der nördlichen
Grafschaft Glatz mit dem weitentfernten Saarrevier unter gänzlicher
Übergebung der näher liegenden ebenfalls jungpaläozoischen Bildungen
Thüringens, Wettins und Sachsens nicht günstig gewählt.
Was das Mißverstehen der Ergebnisse anderer Forscher anlangt, so
sei bemerkt, daß Dathe die Zugehörigkeit der durch Walchia piniformis
(v. Schloth) Sternberg als Rotliegendes charakterisierten Schichten bei
Gvüßauisch-Albendorf zu der genannten Formation direkt leugnet.
Dadurch stellt er sich in unmittelbaren Gegensatz zu Göppert^)
Potoniö») und Sterzol').
Die Mißverständnisse des paläontologischen Charakters der Tier- und
Pflanzenwelt von Ottendorf und Braunau sind nicht weniger schwerwiegend.
Dathe spricht dort von PalaeoniBcns, ohne darauf Rücksicht zu nehmen,
daß diese Gattung im Sinne Traquairs, des besten Kenners dieser
Fische — dessen Ansichten auch die bekanntesten Handbücher Zittel
und Steinraann folgen — auf den viel höheren Zechsteinhorizont des
Kupferschiefers beschränkt ist.
Auch die zitierten Anthraoosien widersprechen der jetzt gebräuchlichen
Begrenzung der Gattung, sind doch durch Ludwig ISli'i ■'] und
Amalitzky«) die dyadisclien zahnlosen Sllßwassermuscheln mit dem
Namen Anodonta, Najadites und jetzt Palaeanodonta belegt worden.
*) Vergl. Dathe im Jahrbuch der geol. Landesanstalt 1889 u. 1899.
2) Unppei-t, fossile Flora der permischen Formation (Paläontographica XU
1864/65, Seile "2?Ar. „VVaJeliia |Mnifoiini.s . . . wegen ilirer allgemeinen Verbreitung
als wahre Leitpü.-uizo des l'.otliegeiulen zu l)etracl)ten".
3) [-' o 1,0 II i.- , lloiisliscln' Gliederung des deutschen Corbou u. Perm, 1896. Seite 9.
,, Typische Lei! lns,;i|iiMi ([es Mo 1,1 legenden, wie .... Walchia piniformis Siernberg."
•') SLorzel, piihi.outologischer Charakter der Steinkohlenforraalion und des
Rothegenden von Zwickau: Referat im neuen Jahrliueh R)r Min., (leol. und
Paläont. 11. 1903, Seite 467; „Rotliegondtypen, wie . . . WidchLa".
5) Ludwig, zur Paläontologie des Ural, PaLiontograpliica X. 1863,
<5) Ama1it7.ky, Anthrakosien des Perm. Paläontographica XXXIX. 1892.
26 Jahresbericlit der Schles. Gesellsoll aft für vaterl. Kultur.
Auch in aaderen Punkten stellt sich Dathe mit neueren Anscliau-
ungen in Widerspruch, ja er nimmt nicht einmal die neueren Rotliegend-
teilungen Beyschlags, die dieser für thüringische, also näher liegende
Gebiete in Gemeinschaft mit mehreren anderen preußischen Landesgeologen
durchgeführt hat, an. Daß diese Teilung durchaus brauchbar ist, geht
daraus hervor, daß sie auch von der sächsischen geologischen Landes-
anstalt angenommen ist. Auch Ch. Ernst Weiß^), auf den sich wohl
Dathe bezielit, liat bis 1887 unter-, Mittel- und Ober-Eotliegendes unter-
schieden, dann aber 1888^) eine völlig unübersichtliche Gliederung ein-
geführt:
bis 1887 1889
Oberro fliegend Oberrotliegend
MittelrotUegend \ ^„^,„„,1; „^^ ,,,,_
Unterrothegend )
Eine praktische Verwertung dieser letzten Gliederung kann kaum in
frage kommen.
Dies ergibt sich auch aus den neueren paläontologischen Funden.
Die „Anthracosien", von denen in den 70- und 80er Jahren zahlreiche
Exemplare an das hiesige Museum gelangt sind, haben sich als Palae-
anodonta Keyserlingi Amalitzky und Najadites cf. Fischeri Am. erwiesen').
Nach den Untersuchungen von Geinitz und den schon 1900 vorliegenden
gründlichen Untersuchungen Amalitzkys liegen die diese Zweisehaler
führenden bunten Mergel der Okastufe hoch im Rotliegenden, z. T. schon
an der Grenze des Zechsteins. Sie also dem Unterrothegend en zuzu-
weisen, widerspricht völlig den bisher bekannten Tatsachen.
Auch sonstige Fossilien lassen die Einfügung der Neurode- Wünachel-
burger Eotliegendschichten in die untere Abteilung nicht nur nicht ratsam,
sondern sogar direkt falsch erscheinen. Abgesehen von den in ihrer
Altersstellung für eine genaue Fixierung ziemlich indifferenten Pflanzen
ist der vor 4 Jahren im Dr. Linnarzschen Steinbruch bei den Schindel-
bäusern gemachte Fund eines echten Reptils für die Altersbestimmung
ausschlaggebend. Dieses Reptil, als solches von Professor Fr aas an-
erkannt und der Unterordnung der Proterosauriden und der Familie der
Palaeohatterien '^) zugewiesen, hat seine nächsten Verwandten im Mittel-
rotliegenden von Niederhaeßlich bei Dresden.
Überhaupt sind ReptiUen erst vom Mittelrotliegenden bekannt, während
Amphibien schon aus dem Untercarbon, wenn nicht schon aus dem Devon
beschrieben sind. Die Dathesche Zusammenfassung der beiden gänzlich
verschiedenen Wirbeltiorklassen der Amphibien und Reptile als „Saurier"
1) Weiß, fossile Flora, Bonn 1869.
a) Derselbe, ErläiUeruii!„'en zum Blatt Lebach, Berlin 1889.
») Versl. Seite 22, Anm. 5.
*) Cf. Frech, Lethaea paiäozoica pag. G94.
U. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 27
und die dadurch bedingten Trugschlüsse sind schon in der Letliaea palaeo-
zoioa') zurückgewiesen worden ; ein Eingehen darauf auch an dieser Stelle
ist also übertlUssig.
b. Die Ottendorfer und Braunauov Kalke.
Die häufige Wiederkehr von „Kalksteinflötzen", „Anthracosienschiefern"
z. T. mit denselben Versteinerungen innerhalb der von Dathe angegebenen
ununterbrochenen Schichtenfolge veranlaßte mich, auch diesem Punkte meine
Aufmerksamkeit zu schenken. Das Ergebnis war folgendes: Es handelt
sich um zwei scharf getrennte kalkfilhrende Horizonte, deren liegenden
schwarzgefärbten und stets durch einen starken Bitumengehalt ausgezeich-
neten als „Ottendorfer" und deren hangenden stets buutroten mit dem
schon lange üblichen Namen als „Braunauer Kalk" zu bezeichnen ist.
Die Namen sind z. B. bei Göppert, Frech längst im Gebrauch.
Petrographisches und geographische Verbreitung.
Über die petrographische BeBchaffenheit, Altersstellung, Fossilien-
fiihrung dieser mittelrotliegenden Kalkhorizonte ist folgendes zu be-
merken. Die roten Braunauer und schwarzen Ottendorfer Kalke sind
schon in ihrem Verlauf auf der alten Beyrichschen Karte ausgeschieden;
auf der demnächst erscheinenden geologischen Exkursionskarte der Heu-
scheuer ist die Trennung weiter durchgeführt.
Die Braunauer Kalke besitzen eine rote, selten graue Färbung mit
graugrüner Flamnmng und sind gewöhnlich in Flötzform den oberen roten
Sandsteinen des Mittelrotliegenden eingelagert. Sie werden technisch als
Baukalk verwertet und dazu durch primitiven Pingenbau^) gewonnen. Am
Südabhange des Ölberges sind diese Braunauer Kalke mit derselben Farbe
etwas abweichend entwickelt; sie erscheinen in Knollenform den tonigen
Sandsteinen als Lagen eingebettet und sind durch ein tonig-sandiges leicht
auswitterndes Zement verkittet. Der Calciuragehalt ist sehr wechselnd und
beträgt im Durchschnitt 42 ''j^ (Analysen von Dr. F. Jander, Halle-Trotha).
Die Ottendorfer Kalke unterscheiden sich unzvpeideutig chemisch und
petrographisch von den Braunauern. Dieser meist als „Brandschiefer"
bezeichnete Kalk ist ein schwarzes, stark bituminöses schiefriges Gestein
1) Seite 694 von l''reclis Lethaea palaeozoica.
2) Eine solche Finge hefuhr ich im Juni 1903. Sie lag auf den Höhen süd-
üc)) von Hauptmannsdorf bei Braunau. In einer Teufe von 20 m wird unter den
zum Oberrotliegenden zu rechnenden Porphyrlconglomeraten und den sie unter-
teufenden Sandsteinen („Sonnensteinen", weil sie an der Luft zerfallen) der Kalk,
der eine MäctiUgkeit von 0,6—1,0 m hat, um den Schacht herum abgebaut. Man
bedient sich liei dieser Arbeit auch des Pulvers, so lange nicht die sich sammeln-
den Wässer solches uumöglich machen. Bricht dann der Bau zusammen, so wird
er mit einem Bohlenbelag versehen und man bringt in 10—2.5 m Entfernung eine
neue Ringe nieder.
Da der Kalk nur bei Bauten in der näheren Umgegend Verwendung findet und
niclit versandt wird, so ist diesewenig ökonomische Abbaumethode zur Zeit noch üblich.
ti
Jahresbericbt dar Scbles, Gesellschaft für vaterl. Kultur.
lait etwas reiclilicherem Calciiimgelialt, das an der Luft aufblättert, seinen
Bitumengehait verliert und vollkommen ansbleicbt. Dieser Schiefer bildet
ebenso wie der Braunauer Kalk regelmäßige flötzartige Lageni) in den
grauen bis schwarzen raittelrotliegenden sandigen Tonschiefern. Diese sind
z. T. durch einen Kupfergehalt charakterisiert. Im frischen An-
bruch strömt der Kalk einen intensiven Bitumengeruch aus und wird des-
halb vielfach in der Literatur^) auch als Stinkkalk bezeichnet.
Die Hauptgewinnungspunkte des Braunauer Kalkes liegen am Ölberg,
nördlich bei ßuppersdorf-Heinzendorf; dann finden sich einzelne Kalköfen
um Hermadorf, südlich von Hauptmannsdorf und bei Weckersdorf' (Barzdorf).
Auf der preußischen Seite sind nur wenige Gewinnungspunkte dieses Kalkes
bekannt geworden. So wurde der Kalk bei einer Brunnenbohrung bei Biehals
unweit Neurode nachgewiesen; weiter südlich finden sich bei DUrrkunzcndorf
(Kreis Glatz) einige verlassene Öfen, in denen dieser Kalk gebrannt wurde.
Von dieser Örtlichkeit stammt ein im hiesigen Museum befindlicher
Unterkiefer eines Sclerocephalus (Druck und Gegendruck). Von Sc. iaby-
rinthious Gein. em. Credner unterscheidet er sich, abgesehen von der
Größe, die beim vorliegenden Exemplar 28 : 6,5 cm beträgt, durch den
Kieferwinke], der hier nur 128" gegen 145" bei Sc. labyrinthicus ist. Da.
von Sc. latirostris Jord. aber ein Unterkiefer'') noch nicht beschrieben wurde,
sei er als Sclerocephalus ef. latirostris vorläufig zu der Spezies gestellt.
Die in der Lethaca palaeozoiea Band II, Seite 522 erwähnten Pflanzen
von Dürrkunzendorf und Niedersteine stammen aus den die Braunauer
Kalke unmittelbar begleitenden Tonschiefern.
Der Ottendorfer „Brandschiefer" scheint im Streichen und seinem
Calciuragehalt beständiger zu sein als der Braunauer. Außer den zahlreichen
bereits genannten Gewinnungspuukten um Ottendorf und bei der Kolonie
Scheidewinkel erscheint er auf preußischem Gebiet bei der Reichenforster
Schmiede, wo er gebaut und gebrannt wurde und wo noch zahlreiche ver-
witterte Platten zu finden sind. Von den drei einzelnen Kalköfeu im
oberen Tal des Sohlagwassers haben zwei auch diesen Kalk gebrannt,
während es bei dem dritten, nicht mehr nachgewiesen werden konute.
Weiter nach Süden ist dann Nieder-Bathen und Glätzisch-Albendorf als
Fundort zu nennen. Von hier gelangten mehrere Platten mit Regentropfen
und Fußspuren'*) in das hiesige Museum. Besonders bei Nieder-Rathen
1) Seine ßewinnung, die zurzeit nur auf den Anhöhen südlicli und licsonderH
nördlich von Ottendorf belriebea wird, ist die gleiche, wie die des roten Kalkes.
Er wird jedoch nicht wie Jener meist sofort gebrannt, sondern bleibt erst eine Zelt
lang an der Luft liegen, um zu verwittern.
ä) cf. Göppert, Permlloiii,, Pidiiont. XII. pag. 8.
ä) Der außerdem noch bekannte Untej'kiefer der Weissia bavarica Brancn (Jahrb.
d. geol. Landesanst. 1886 Tat', t) zeigt eine völbg abweichende feinere ßezahnung.
,,^ ■*) cf. Göpijert, IJeirnllora,, l'idaont. XII. pag. Sund die neueren Aufsätze von
vy Pabst in der Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft 189B, 1897,
l.)00 und Ui der naturwissenscballQchen Woehenschritt 1896, 1898, 1900.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 29
sind durcli den Balmbau Mittelsteine — Wiinschelburg schöne Aufschlüsse
in diesem kalkfUhrenden Horizont vorübergehend geschaffen worden. Ent-
sprechend der verwickelten Tektonik der Gegend (siehe unten) finden wir
diesen Kalk außer an einer zweifelhaften Stelle im unteren Schlagwaasertal
auf dem linken Ufer der Walditz in einem Einschnitt der Linie Ditters-
bach — Glatz bei dem Wärterhause Nr. 672 wieder. Hier fällt sofort die
gleiche Verwitterungsart auf. Die Böschungen, deren Winkel gleich dem
Fallwinkel ist, sind vollkommen weiß. Infolge dieser weit vorgeschrittenen
Verwitterung sind liier Fossilien, die man bei Ottendorf und Rathen so
häufig findet, sehr selten^).
Die AltersBtellung der Ottendorf er und Braunauer Kalke geht aus der
Karte hervor. Hier liegen in den einzelnen in sieh gleichförmig nach
tiW und WSW fallenden Schollen die Braunauer Kalke stets im Hangen-
den der Ottendorf er.
Fossilfühvung.
Über die Fossilführung ist folgendes zu sagen: Die pflanzlichen
Fossilien sind in beiden Kalken ungefähr die gleichen. Jedenfalls tritt
bei Braunau keine neue Form hinzu. In Anbetracht der im allgemeinen
zahlreichen tierischen Reste fällt allerdings das Zurücktreten der Pflanzen
in den Braunauer Kalken auf.
Es hat also in den höheren Schichten die ununterbrochen fortschreitende
Verarmung der Rotliegendflora weiter zugenommen. Nach den bisherigen
Funden scheinen bei Braunau zu fehlen^)
Odontopteris subcrenulata Zeil 1er.
Taeniopteris fallax Gppt var. coriacea.
Neuropteris cordata Brgt.
Größere Verschiedenheit zwischen Ottendovf und Braunau weist die
Tierwelt auf. So sind die Ottendorfer Kalke durch die großen Fisch-
spezies:
Amblypterus Rohani Heckel,
Amblypterus luridus Heckel,
Amblypterus obliquus Heckel
ausgezeichnet. Amblypterus vratislaviensis''^) Agassiz konnte einwandsfrei
von Ottendorf*) nicht erkannt werden, hingegen bildet er das typische
Leitfossil der roten Braunauer Kalke, in denen er in zahllosen Exemplaren
zusammen mit den anderen kleineren Spezies:
1) Es gelang mir trotz längerem Suchens, nur einen Koprolithen, einen Ani-
hlyplerus-Schwanz und ein ganz undeutliches Callipteris-Wedelstück zu finden.
2) Cf. Lethaea palaeozoica IL pag. 522.
S) Es sei gestattet, auf das siebzigjährige Jubiläum dieses Fisches hinzuweisen.
Auch anläßlich der Versammlung Deutscher Naturforscher u. Ärzte im Jahre 1833
wurde dieser Fisch von Agassiz beschrieben und der Stadt Breslau zu Ehren, woher
er die Stücke erhalten hatte, benannt, obwohl sein Fundort Braunau doch recht
weit entfernt ist.
-t) Cf. Fritsch, Fauna der Gaskohle III. 104.
30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur.
Amblypterus KabUkae Geinitz,
Amblypteriis Zeidleri Fritsch,
Amblypterus augustus Agassiz,
Amblypterus lepidurus Agassiz
gefunden wird.
Abgesehen von einer Größenverminderung ist auch eine deut-
liche Verschiedenheit der Speziesmerkmale zu verzeichnen, wie Fritsch
nachgewiesen hat.
Übrigens ist Braunau auch durch das Vorkommen von folgenden
Selachiern bez. Proselachiern ausgezeichnet:
Pleuracanthus oelbergensis Fritsch,
Xenaoanthus Decheni Goldf. und
Acanthodes gracilis F. Körner.
Ferner fehlen in den Ottendorfer Kalken im Gegensatz zu den
Braunauern Amphibienreste vollkommen.
Es ergibt sich also, daß in den Floren der beiden kalkfiihrenden
Horizonte wesentliche Unterschiede bisher nicht nachzuweisen sind, daß
aber die Ottendorfer Kalke durch große Fischspezies und das Fehlen von
Amphibien, die Braunauer durch kleine Fische und zahlreiche Amphibien
charahterisiert sind.
Fritsch nennt folgende Stegocephalen :
Branchiosaurus nmbrosus Fritsch.
Melanerpeton pusillum Fritsch.
Melanerpeton pulcherrimum Fritsch.
Chelydosaurus Vranyi Fritsch.
Sclerocephalus latirostris Jordan, letzterer nach Frech.
Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, um auf Grund dieser fau-
nistischen Verschiedenheiten zwischen Ottendorf und Braunau zwei gleich-
wertige Zonen innerhalb der Stufe des Mittelrotliegenden auszuscheiden.
c. Tektonik: die 3 Verwerfungen.
Der vierte Funkt, den Dathe bei seiner Gliederung des Rotliegenden
außer Acht gelassen hat, ist nicht minder wichtig, als die vorhergehenden.
Er spricht von einer vollständigen Entwickelung, die nur durch die
zwischen seinem „Unter"- und Ober-Rotliegenden bestehende Diskordanz
eine Unterbrechung erfährt. So ungestört ist aber die Ablagerung durch-
aus nicht, vielmehr durchsetzen 3 Brüche die Schichtenfolge. Auf dem
westlichen und dem östlichen Sprunge ist sogar Porphyr in Gangforro
emporgedrungen. Daß Dathe die Störungen übersehen hat, ist um so
wunderbarer, als durch ihn nördlich auf den Blättern Rudolfswaldau und
Neurode mehrere Brüche bekannt geworden sind und südlich Leppla eben-
falls mehrere Verwerfungen nachgewiesen hat, eine ungestörte Schichten-
folge also nicht wahrscheinlich war.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 31
1. AValditzer Porphyrgan«^.
Der östliche Sprung ist die sclion seit Schütze in der Literatur be-
kannte Hauptverwerfnng der Frischaiif-Grube bei Eckersdorf und ihre un-
mittelbare Fortsetzung: der Walditzer Poi-pliyrgang. Auch die Tendenz
dieser Verwerfung ist durch Schütze bekannt: die westliche Scholle ist
abgesnnkeu, bezw. die östliche gehoben.
Die Bedeutung dieses' Sprunges ist außerordentlich groß. Obwohl die
Gesamtmächtigkeit des Obercarbons wegen ungentigender Aufschlüsse nicht
festzustellen ist, so beträgt sie doch entschieden einige hundert Meter.
Am Hauptsprung schneiden nun die Flötze gegen Eotliegendes ab, ohne
daß die Fortsetzung in ungestörter Lagerung') bekannt geworden wäre.
Ein Bruch von solchem Ausmaß kann aber in horizontaler Richtung auf
eine so kleine Entfernung wie 5000 m um so weniger verscjiwinden, als
in seinem unmittelbaren Fortstreichen der Walditzer Porphyrgang aufsetzt.
Wir haben also eine erste, selir erhebliche Störung im
Bereiche des Datheschen Normalprofiles.
2. Stein etalsprung.
Die zweite große Vei'werfung ist der im Anfange dieser Arbeit genauer
besprochene Sprung, der dem Kohlenvorkommen bei Mittelsteine nach W
zu ein Ende setzt. Auch dieser zeigt die gleiche Eigentümlichkeit des
Absinkens der westlichen, dem Muldeninnern zugekehrten Scholle, bezw.
der Hebung der östlichen.
Das Ausmaß dieses Steinetalsprunges muß noch mindestens um 300 m^)
bedeutender sein als das des obigen, da bei Mittelsteiue die flötzfülirenden
Horizonte der Reichhennersdorfer Schichten, nicht die höheren Schatzlarer
Schichten wie bei Eckersdorf vorhanden sind. Oberflächlich verschwindet
der Bruch zwar unter den Alluvialbildungen des Steinetales, hat aber
offenbar den ersten Anla(5 zu dieser das Antlitz der Gegend beherrschenden
Furche gegeben.
Wie weit die Verwerfung nach Norden fortsetzt, ob sie nur bis
Scharfeneck streicht, oder ob die mächtigen Melaphyr- und Porphyrdecken
weiter nordw<ärts bei Böhmisch-Schönau auf dieser Sprungkluft empor-
gedmngen sind, oder ob nur die kleinen Melapliyrdeckenreste nordöstlich
von Tuntschendorf ihm ihr Dasein verdanken, entzieht si^h vorläufig noch
unserer Kenntnis.
1) Einige Flötzfetzen, die man anfuhr, können für die Berechnung des Sprung-
ausmaßes nicht in Betracht gezogen werden.
2) Die einzige z:iJilenui;ißig bekannte Mächtigkeit des „großen Mittels", der
Reichhennei-sdoifev Sanilsleine, stammt von der Fuchsgrube, wo das Mittel zwischen
Liegend- und Hangend-Zug 310 in betragt.
32 Jahresbericht der Schles. Gesellsohal't für vaterl. Kultur.
3. Undulierende Lago,rung.
Weiter nach Westen schreitend, begegnen wir dann ab und zu einer
«ndulierenden Lagerung, so im Bahueinsclmitti) bei der Fabrik Villa Nova
im Tale des Eathener Wassers. Eine zweite bedeutendere Schichtenwelle
konnte nördlich von der Tuntschendorfer Mühle am Sttdabhang des Täuber-
hlibels und jenseits der Landesgrenze am Täuberbusoh beobachtet werden.
Ebenso zieht ein dritter Schichtensattel von den EndebUschen bei Barz-
dorf das Schwarzbachtal entlang, und weiter nördlich von Ottendorf bis
in die Höhe von Braunau. Auf der „grauen Flur", 700 m nördlich vom
Popelbauerhof wurde die tiache Lagerung auch noch konstatiert.
Wenn auch die Höhen ditferenz zwischen Sattel und Mulde nicht
erheblich ist, so beweist doch das Vorhandensein wellenförmiger Lagerung,
daß Dathes Ansicht eines völlig gleichartigen Einfallen und einer nor-
malen Aufeinanderfolge innerhalb des Schichtenkomplexes nicht richtig ist.
Es folgt dann die von Dathe in dem tiefsten Horizonte seiner
Lebacher Schichten gestellte „Eruptivstufe mit Ergüssen von Melaphyr,
Augitporphyrit, Poi-phyren, Porpliyr- und Melaphyrtuflfen". Hiermit sind
wohl die Melaphyrquellkuppen des Bieter Busches, des Steinberges und
des Huppnch südlich von Tuntschendorf, die Porphyre des Kahlenberges,
der Hauptmann- und Dinterkoppe nördlich gemeint^).
4. Der Rath en-Tuntschendorfer Porphyrgang.
Weiter nach Westen hatte dann Dathe eine dritte Verwerfung über-
sehen, die durch das Vorhandensein eines Porphyrganges deutlich auf
ca. 8 km Länge verfolgt werden konnte. Auf demTäuberhttbel nordöstlich von
Ottendorf beginnend erreicht der Gang in 300 m Abstand vom preußischen
Zollamte Tuntschendorf die Landesgrenze, folgt ihr, im Steinetal durch
Alluvialbildungen verdeckt, dann wieder zu Tage tretend bis zur Kolonie
Schcidewinkei. Der Porphyrgang streicht dann an der Pieichenforster Schmiede
vorüber, überschreitet die Quellarmc des Schlagwassers in der Richtung auf
Schloß Käthen zu. Er setzt dann unter den schmalen Alluvialbildungen
des Rathener Wassers hindurch auf das Südufer, wo er in einem Bahn-
einschnitt der neuen Nebenstrecke Mittelsteine— Wünschelburg aufgeschlossen
ist. Weiter nach Süden zu ist es noch nicht gelungen, ihn aufzufinden^).
Der Gangoharakter dieses Gesteines wird dadurch erwiesen, daß in flach
gelagerten Schichten ein teils breiterer teils bis auf 8 m verschmälernder
Eruptivzug auf 8 km geradliniger Entfernung verfolgt werden konnte.
Das Porphyrgestein selbst ist nach dem Urteile des Herrn Professor
Milch"), dem ich Handstücke vorlegte, ein typischer Ergußporphyr, nicht
1) vergleiche das beigel'ügie Profil H.
,2) Die Orientierung in dem Dathesohen Profil ist sehr ersoliweit, da es
vermieden ist, Orientierungspunkte, wie Täler, Flüsse oder Ortschaften anzugeben.
«) Weäthch von den Kalköfen über dem grünen Hof zu Niedersteine wurde
aucti I orphyr nachgewiesen.
*) Dem ich hierfiir auch an dieser Stelle meinen besten Dank sage
11. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektio:
33
ein 'J'uff. Er neigt ebenso wie der des Walditzer Ganges zu kugliger
Absiiiiderung. Infolge von Zersetzung ist die Grundmasse, in der ver-
blaute Feldspätlie eingebettet sind, grünlich gefärbt.
Das Verhalten in dem Bahnanschnitt, der kurz vor der Haltestelle
Nieder-Rathen- Albendorf gelegen ist, zeigt deutlich, daß auch hier der
Sprung Absenkungen in gleichem Sinne wie der Steinetal- und der Eckers-
dorfer Bruch hervorgerufen- hat. Siehe Profd III.
Hervorgehoben sei noch, daß der Porphyr an einigen Stellen^) die
durchbrochenen Schichten im Kontakte verändert hat. So sind die roten
Sandsteine, die an den Kathener Porphyrgang herantreten, durch Kontakt-
metamorphose entfärbt und zeigen als charakteristische Erscheinung der
Hitzewirkung zahlreiche kleine Glimmerscbüppchen ausgeschieden.^)
d. Versuch einer neuen Gliederung.
Betrachtet man nun unter Berücksichtigung der besonders im letzten
Punkte erbrachten Tatsachen die komplizierte Rotliegendteilung Dathes,
80 ergibt sich eine sehr erhebliche Vereinfachung. Denn durch die drei
erwähnten widersinnig einfallenden Staffelbrüche sind immer
wieder dieselben Schichten an die Oberfläche gebracht.
Daher gehe ich folgende Teilung:
C. Oberrot- ^ V. Tonige Sandsteine mit KnoUenkalkflötzen („QucUkalkon")^)
liegend. flV. Grobe Konglomerate.
/HI. Feine rote Sandsteine, tonig, meist fossilleer mit bunten
„Braunauer Kalken" (diese mit Amphibipien , Amblypterus
vratislaviensis, Walchien).
Ul. Graue Schiefer, z. T. sandig oder malacbitführend mit
B. Mittel- j Palaeanodonta und Einlagerungen von schwarzen Brand-
rot- \ schiefern: „Ottendorfer Kalke" mit Amblypterus Rohani,
liegend. 1 A. luridus, Palaeanodonta, Callipteris und Walchia«'').
I I. Rote Sandsteine: „Neuroder Bausandsteine" mit tonigen
r pflanzenführenden Zwischenlagen, aus denen auch die
I Palaeohatteria bekannt geworden ist, zu unterst gröber
werdend und in Konglomerate übergehend.
A. ünterrotliegend. (Fehlt in dieser Gegend.)
Diskordanz.
Obercarbon: Xaveristollener Schichten*).
1) z. B. auf der Höhe über dem Rathener Schloss. Ken- Professor Milch halte die
'iüie, die Deutung der mitgebrachten Stücke als Contaotmetamorphose zu bestätigen.
2) Diese dtirften mit den Sohömberger und Trautliebersdorfer identifiziert
werden.
3) Auch mit schwachen Kohlenflötzen, so im Höllengraben, wo auf ein 0,03 m
'nächtiges Flötz Ende der 60er Jahre die Mutung „Selbsthilfe" eingelegt wurde.
•1) Es sei gestaltet, diese Teilung mit der Dat besehen in einer Tabelle zu
\'eveinigen, siehe Seite 36 u. 37 Tabelle.
1904. 3
34 Jahresbevicht der Schles. Gesellschaft, für vaterl. Cultur.
Mittel-, nicht Unter-Rot liegßiides.
Die Zureclmung des gesamten Schichtenl^omplexes mit Ausnahme der
hangenden Partien zum Mittelrotliegenden ist schon erörtert. Jedenfalls
fehlen die Unterrotliegendschichten hier bei Neurode völlig; denn es ist
auch nicht die geringste Andeutung der Unterrotliegenden schwarzen
Tonschiefer hier vorhanden, die bei Grüßauisch- Albendorf sogar flötz-
ftihrend') entwickelt und zeitweise durch den Bergbau der „Neue Gabe-
Gottes -Grube" erschlossen sind.
Diskordanz zwischen Mittel- und Oberrotliegendem?
Die Frage, ob zwischen Mittel- und Oberrotliegendem, wie Dathe
annimmt, eine Diskordanz vorliegt, soll hier nicht erörtert werden. Zwar
deuten die an der Basis des Oberrotliegenden entwickelten Konglomerate
auf tektonische Veränderungen und Neubelebung der Wildbachtätigkeit
hin. Ob aber diese Veränderungen so bedeutende sind, um eine Diskordanz
zu rechtfertigen, kann zunächst bei dem Mangel an deutlichen Aufschlüssen
nicht mit genügender Sicherheit behauptet oder verneint werden.
c. Oberrotliegendes. Zur Frage der Wüstenbi Iduug.
Ebenso wie die Gerolle der unterrotliegenden Konglomerate, tragen
auch die der oberen, wie besonders südlich von Barzdorf-Weckersdovf zu
beobachten ist, die charaktei-istische Rundung der im flieJäenden Wasser
bewegten Geschiebe. Nirgends wurde bisher ein Kantengeschiebe oder
sonst etwas, was an die Arbeit des Windes erinnert, aufgefunden.
Auch für den deutschen Buntsandstein, dessen Wüstenursprung Wo it-
hofer als bewiesen annimmt, ist inzwischen von E. Philipp i in der
Lethaea mesozoica gezeigt worden, daß nur Huviatile Entstehung in Frage
käme. Ein trockner und kälter Werden des Klimas ist, wie Frech ver-
schiedentlich erwähnt, für das Rotliegende Böhmens erwiesen; aber für
die Hypotliese einer reinen Wüstenbildung des Eotliegende»
reichen die bisherigen Beweise nicht aus.
Diese oberrotliegenden Konglomerate^) setzen die langwelligen Höhen-
rücken im Südwesten, so z. B. zwischen Barzdorf und Scheibau zusammen.
Sie werden von roten milden Tonschiefern und Schiefertonen überlagert,
in deren tieferen Horizonten, stellenweise direkt an der Grenze gegen die
Konglomerate -bunte Knollcnkalke sich in Nestern einstellen.
Das Gelände steigt allmählich weiter an und kulminiert in den
schroffen Kreidefelsen^) der Heuscheuer und des Braunauer Sternes. Den
Abhang bedecken zahllose TrUmmer des weißgelben Quadersandsteines,
der durch die bei der Transgression umgearbeiteten Rotiiegendschicliten
in seinen unteren Partieen gelb bis rot gefärbt ist.
.1) Das FlöU der „Selbsthilfe -Grube" gehört zu II.
^) Die schon auf der alten Karte meist richtig kartiert sind.
3) Die Bearbeitung der Kreide von K. Flegel erscheint demnächst.
L.
k
II. Abteilung. Naturwi.s^enschaftliche Sektion.
Ergebnisse:
1. Das Mittelsteiner Carbonvorkommen stellt einen auf den südlich
anstehenden Möhltener Urschiefern aufsitzenden keilförmigen Horst dar,
der gegen NNO und gegen SW von divergierenden Brüchen begrenzt
wird.
2. Das Mittelsteiner Carbonvorkommen gehört den Reichhennersdorfer
Schichten an (= Sattelflötzhorizont).
3. Die Eckersdorfer Carbonmulde ist zwischen zwei Brüchen ein-
gesenkt: Eckersdorfer Flötzgraben. Analogie: Der Lähner Graben.
4. Die hangende Plötzpartie der Wenceslausgrube, die hangenden
Flötze bei Waidenburg (Amalienrösche) gehören ebenso wie die hangenden
Partien der Rubengrube der oberen Saarbrücker Stufe an.
5. Das Carbon der Wilhelminagrube bei Zdiarek steht dem Alter
nach zwischen den Xaveri- und Idastollener Schichten, dürfte also etwa
dem Piesberg-Carbon und dem von Ibbenbüren gleichzustellen sein.
6. Die Rotliegendschichteu von Neurode sind mittelrotliegenden
Alters. Das ünterrotliegende fehlt infolge einer Diskordanz.
7. Die nordwestlichen Ausstrahlungen des Neißegrabens haben bei
Neurode das Rotliegende verworfen.
8. Durch 3 parallele nahezu im Streichen liegende widersinnig
einfallende Staffelbruche ist bei Neurode eine viermalige Wiederholung
des gleichen Mittelrotliegend-Schichtenkomplexes bedingt.
36
Jahresbericht der Sohles. Gesellschaft für vaterl. Cultiir.
111. obere Sandsteine mit
roten Kalken (Brau-
naue r)
IL graue oder schwarze
,,Anthraco8."-Scliiefer
und schwarze Kallie
(Ottendorfer)
1. untere Sandsteine (z. t.
tonig) U.Konglomerate
IlL
11.
Oegeuüberstellung der Gliederung Datlie's'!
Oberrotliegendes.
14. Rötheischiefer, dunnbänkige grauröt-
liche Sandsteine und Kai klager (Brau-
nauer Kalke)
13. Graue Walcliienschiefer u. Sandsteine
mitKalkstcinflötzen(Ottendorfer
Kalk)
12. Eruptivstufc (Melaphyr, Porphyr) g_A
Walchienschiefer und Kalkstein- S^ '
flötze. £-
Rathen-Tuntschendorfer 0-
Porphyrgang. 'S
Obere Bausandsteine mit rotbraunen ^ 1
Kalksteinflötzen (Braunauer Kalk)^/
11
1) Für die Dathesche Glied ei
gewählten Nummern I — III.
10. Oberste braunrote Schiefertone
9. Graue Arkosesandsteine mit Kohlen-
flötzen u. schwarzen „Anthracosin"-
Schiefer (Ottendorfer Kalk)
b. Rotbraune Schiefertone, graue Arkose-
sandsteine u. grauschwarze Walchien-
scliiefer (Walchia).
Steinetalsprung.
7. Porphyrtuife
6. Hellrotbraune Bausandsteine mit Kalk-
steinflötzen (Braunauer Kalke)
5. Rotbraune Konglomerate und Sand-
steine m. scliwarzen „Antbracosien"-
Schiefer (Ottendorfer Kalke).
Kontakt.
4. Lyditkongl. , graue Arkosesandsteine,
Kohleschmitzen.
Walditzer Porphyrgang.
3. ,,Anthracosien"- Schiefer mit dünnen
Kalksteinflötz. (Zweischaler u. Pllanzen)
(Ottendorfer Kalke)
2. Botbraune Schiefertone und diinn-
plattige Sandsteine (Walchia, Odon-
topteris)
1. Kotbr. Sandsteine und Konglomerate
m. Porphyrgeröllen (Walchia „Saurier' )
die 7 + 4 + 2 + 1 Stufen ausscheidet, ist
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
"'Hl des neuen (xliederungsversuches.
ÜI,
Hellrotbr. Bausand-
steine m. KaUfsteinflötz.
jl _ (Braun. Kalke)
' ^- niitschwarzen„Anthra-
cosien"-Schief.(Otteu-
j dorfer Kalke)
■ ^' Rotbr. Kongl
U. Sandsteine.
i, j Kontakt,
r .i^yditkonglomerate, grai
(Kose - Sa - ■ " ■ ■
'ttiUzen
' 11. Obere Bausandst. m.
j rotbr. Kalksteinflötz.
) 10, Oberste braunrote
Scliiefertone
9. Graue Arkosesand-
steine m. Kohlenflötz.
u.schwarzen„Anthra-
cosien"-Schiefern
8. Rotbr. Schiefertone,
graue Arkosesand-
steineu.grauschwarze
Walchienschiefer
7. „Porphyrtuffe"
Oberrotliegendes
(Diskordanz?)
14. Rötheischiefer, dünn-
bänk. Sandsteine u.
Kalklager (B r a u n a u.
Kalk)
13.Gra.ueWalchienschief.
u. Sandsteine m.Kalk-
steinflötzen (Otteu-
dorfer Kalk)
12. Eruptivst. (Melaphyr,
Porphyr) Walchien-
sohief. u. Kalkstein-
flötz. (Ottend. Kalk)
Ziffern gewählt, die andere entspricht den in der Arbeit
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
Über Steinkohlenformation und Rotliegendes bei Landeshut,
Schatzlar und Schwadowitz.
Joh. Herbing.
Einleitung.
Die ältere Literatur über das Karbon und Rotliegende der nieder-
sclilesisch- böhmischen Steinkohlenmulde ist durch die Aufnahmen von
Beyrich, Rose, Roth und Runge^) und namentlich durch die Arbeiten
Schützes überholt worden. Es soll daher auf jene älteren Erscheinungen^)
nicht eingegangen werden, da Schütze sie in seinen Werken ausführlich
bespricht.
Bereits 1865 veröffentlichte Schütze als Mitarbeiter vonGeini tz") einen
kurzen Aufsatz über das ,,Niederschlesisch-böhmische Steinkohlenbecken".
Durch den Verkehr mit Stur und Weiß und eine 17jährige Forschungs-
und Sammeltätigkeit wurde es ihm möglich, in seinem Hauptwerke'^) eine
genaue Stufeneinteilung des produktiven Karbon in Niederschlesien und
Böhmen kartographisch sowohl wie pflanzenpaläontologisch durchzuführen,
die im wesentlichen noch heute Geltung hat. Er gibt folgende Gruppierung-"^)
der Flözzüge:
V. Stufe. Der Radowenzer Flözzug (Obere Ottweiler
Schichten Weiß, Radowenzer Schicliten Oberes
Stur) mit der 5. Flora.
IV. Stufe. Der IdastoUner Flözzug (Untere Ottweiler
Schichten Weiß, Schwadowitzer Schichten Mittleres
Stur) mit der 4. Flora.
III. Stufe, üer Waldenburger Hangendzug (Saar-
brücker Schichten Weiß, Schatzlarer
Schichten Stur) mit der 3. Flora.
II. Stufe. Der Waldenburger Liegendzug (Waiden- Unteres
burger und Ostrauer Schichten Stur,
Ober-Kulm Stur) mit der 2. Flora.
Ober-
' karbon.
1) Geognostische Karte vom Niederschlesischen Gebirge und den umliegenden
Gegenden 1865 und die von Roth zusammengestellten Erläuterungen von 1867 mit
einer bis dahin vollständigen Literaturangabe.
2) Werke von Zobel und v. Garn all (lU. u. IV. Band von Karstens Archiv
1831 u. 1832), von v. Wavnsdorf, Semenow, Göppert u. Beinert.
3) Geinitz, Steinkohlen Deutschlands und anderer Länder Europas, München
1865 Bd. 1, Kap. 8 S. 209—237.
*) Schütze, Geognostische Darstellung des niederschl.-bohnusch. Steinkohlen-
beckens, Berhn 1882.
■') 1. c. S. 13.
II. Abteilung. Niitnrwissensohaftliche Sektion.
I. Stufe, Kolilenkalk und Kulm (Unter-Kulm Stur) Unler-
mit der 1. Flora. karbon.
Als Weiterführung der Schütz eschen Angaben gelang esPotonie,')
den 5 Floren 2 neue hinzuzufügen. Er wies 2 Mischfloren nach, von
denen er eine, die „Reichhennersdorf-Hartaucr Schichten''^) zwischen
Liegend- und Hangendzug als Flora 3^) und die andere als Flora 5 =
Xaveristollner- Schichten zwischen die Schatzlarer und Schwadowitzer
Schichten Sturs einfügte. Diese letzteren waren schon von älteren Autoren'')
als „steilstehender Flözzug von Schwadowitz" dem „flach fallenden"
(= Idastollner Pot.) gegenübergestellt, floristisch jedoch noch nicht abge-
trennt.
Weithofer^) endlich schied auf der seiner Abhandlung beigegebenen
Karte zwischen Idastollner und Piadowenzer Schichten den Zug der ,,Hexen-
stein-Arkosen" aus und stellte ihn der mittleren Ottweiler Stufe gleich.
Auf österreichischem Gebiet ist die weitere Teilung der Saarbrücker Stufe
bisher durchzuführen noch nicht gelungen. Daher faßt auch Weithofer
Schatzlarer s. str. -\- Xaveristollner als „Schatzlarer Schichten" im weiteren
Sinne zusammen. Ebenso verwies er das Unter-Rotliegende der alten Karte
ins Karbon bis auf einen kleinen Gebietsteil nord- nordwestlich Werners-
dorf, in dem die zu behandelnden Kupferlager gelegen sind. Seine Arbeit
ist die beste, die bisher über den österreichischen Anteil an der Nieder-
schlesisch-böhmischen Karbonmulde erschienen ist.
Die Aufnahme tätigkeit des Verfassers beschränkte sich zunächst auf
das produktive Steinkohlengebirge und das Rotliegende der Exkursions-
karte") westlich der Kreideausfüllung der Mulde und reichte etwa von
Zbecnik bis Reichhennersdorf. Interessante einem glücklichen Zufall zu
dankende Funde fossiler Pflanzen veranlaßten aber eine Ausdehnung der
Arbeit nördlich über das Gebiet der Exkursionskarte hinaus bis in die
1) Potonie, Die floristischi! Gliederung des deutschen Karbon und Penn.
Glückauf 1896.
2) Dathe nennt (Zeitschr. d. D. geol, Ges. 1902) dieses tlözleere Mittel „Weiß-
steiner Schichten", ein Name, welcher aus Prioritätsrücksichten hier nicht gewählt
worden ist. Wir nennen dieses Mittel hier der Kürze halber immer nur „Reich-
liennersdorfer Schichten".
3) Potonie, Die floristisclie Gliederung des deutschen Karbon und Perm.
Berhn 1896, S. 14/15.
i) Vgl. Jokely, Steinkohlenablagerungen von Sohatzlar, Schwadowitz etc.
Jahrb. der k. k. geol. Reichsanst. 1862. Verhandl. S. 169 ff. imd Schütze 1. c. S. 5.
6) Weithofer, Der Schatzlar-Schwadowitzer Muldenflügel des Niederschles.-
böhmischen Steinkohlenbeckens, Jahrb. d. k. k. geol. Reichsanst. 1897, S. 454—478.
6) Geolog, Exkursionskarte des [leuscheuer- und Adcrsbaidi-Weckelsdorfer
Gebirges. Breslau 1904
40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
Umgegend von Landeshut,. i) Außer diesem neuen Oberkarbo n 2) bei
Landeshut soll die iVrbeit des Verfassers neuere Beobachtungen aus dem
eben begrenzten Gebiete der Exjiursionskarte bringen. Die Reihenfolge
ergibt sich von selbst aus dem Alter der Schichten, die behandelt werden
sollen vom Liegenden zum Hangenden, vom Unterkarbon zum Rot-
liegenden.
ievor
■ die Ergebnisse der Aufnahmen im folgenden niedergelegt werden,
sei es gestattet, allen den Herren zu danken, die dem Verfasser bereit
willigst ältere Aufzeichnungen und Fossilien überlassen haben. Ihnen allen
namentlich zu danken verbietet mir der beschränkte Raum dieser Zeilen.
Besonders aber bin ich Herrn Bergwerksdirektor a. D. Schönknecht-
Landeshut verpflichtet, dessen Sammlung so manches wertvolle hier ver-
wendete Stück von Landeshut und aus Albendorf (Bez. Liegnitz) entstammt;
ebenso auch Herrn Rentner Thomas-Landeshut, der in selbstloser Weise
mich auf einem Teil der Aufnahmen und ßcgeliungen in Landeshuts näherer
und fernerer Umgebung begleitete.
Vor allem aber möchte ich meinen hochverehrten Lehrern, Herrn
Professor Dr. Fr. Frech, der mich auf dieses Gebiet aufmerksam machte
und mich im Verein mit Herrn Professor Dr. Milch S) in liebenswürdigster
Weise bei der Anfertigung der Arbeit unterstützt hat, an dieser Stelle
meinen aufrichtigsten Dank aussprechen.
Rundblick vom Einsiedelberge.
Nicht so deutlicli wie in der Grafschaft Glatz heben sich die Schichten-
folgen topographisch in dem zu behandelnden Gelände ab. Auf dem West-
abhang des Einsiedelberges nördlich von Liebau vom Bethlehemer Wege
aus sieht der Beschauer zu seinen Füßen den raittelrotliegenden Porphyr mit
seinem westlichen Steilabfall. Darunter lagern sich ziemlich am Fuße des
Berges an der Chaussee die Schichten des Rotliegenden an, die durch eine
oberflächlich nicht wahrnehmbare Diskordanz von den Schatzlaror Schichten
getrennt sind. Eine nord-süd verlaufende Reihe von Schürfhalden des
ehemaligen Bergbaues markiert den Verlauf der Reichhonnersdorfcr Schichten,
die mit den Schatzlarer Schichten zusammen das im Bobertale abgelagerte
Oberkarbon dieser Gegend darstellen.
1) Von der geplanten Fortsetzung der Exkursionskarte nordwärts wurd<3 Ab-
stand genommen, weil es den Anschein hatte, als ob die im yonimer 190-3 durch
die ICrankheit des Herrn Landesgeologen Dr. E. Dathe unterbroclieiien Aufnahmen
im Sommer 1904 fortgesetzt werden sollten.
2) Vergl. des Verf. briefliche Mitteilung im „Zentralblatt für Min. etc," 1004,
S. 403—405.
3) Bei den petroKrapiuscIien Bestimmungen der Gesteine.
11. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 41
Man erblickt hier hart an der Grenze rler Unterkarbonsedimente die
Sandgrube, aus der der für die ßetonarbeiten der Buchwaldcr Talsperre
nötige Sand gewonnen wird. Das IJnterkarbon hebt sicli mit seineu sleilen
Konglomeralhülien scliarf von diesem unter den Boberalluvien verborgenen
Oberkarbon ab, und den Westrand des Gesamtbildes bilden die krystallinen
Scliiefer des Riesengebirges. So haben wir hier ein vollständiges Bild
der nachstehend behandelten Schichten erhalten, dem nui' das hier nicht
entwickelte Oberkarbon der höheren Horizonte fehlt.
I. IKis Uiiterkarboii von Landeshut^) und die HeicliheiiTiersdorfer
Schichten Pot.
Unterkarbon.
Die Masse der Unterkarbonsedimente, unterkarbonischer Pflanzengrau-
wacke, sogenannten Kulms, ^) im ganzen behandelten Gebiete besteht der
Hauptsache nacli aus mehr oder weniger groben Konglomeraten, zwischen
denen nuf vereinzelt Sandsteine und Tonschiefer auftreten. Beyrich
unterscheidet petrographisch zwei besonders hervortretende Konglomerat-
zijge,''') deren liegender, im wesenthchen am Rande der krystallinen Schiefer
von Kunzendorf an verläuft. Der hangende Konglomeratzug bildet etwa
die Grenze der produktiven Steinkohlenformation, soweit das Gebiet der
Exkursionskarte in vorliegender Arbeit in Frage kommt. Er beginnt bei
Tschöpsdorf, erreicht im Schartenberge bei Buchwald mit 723,7 m seine
höchste Erhebung und verläuft im Kartengebiete über die Höhen westlich
von Blasdorf. Weiter bilden die Konglomerate des Zuges ,,die niedrigen
Höhen zwischen Nieder-Schreibendorf und Landeshut, und gehen zwisclien
Vogelsdorf und Ruhbank auf das rechte Boberufer ülser".
Einen besonders guten Aufschluß bietet der Bau der Talspeii-e bei
Buchwald am südlichen Abhänge des Schartenberges. Die Schichten
streichen hier N 35 W und fallen mit ca. bO '^ gegen SO ein. Es steht
im Gegensalze zu den Konglomeraten des Oberkarbon hier ein überaus
festes dunkelbraunes, etwas ins siennafarbene spielendes Konglomerat an,
in dem weiße Gangquarze*) zurücktreten, während Phyllite und Quarzite
vorwiegen. Eingelagert sind nicht wie in den oberkarbonischen Konglo-
meraten weiße bis graue Sandsteine, sondern grünlichgrau gefärbte Grau-
1) Bis zur Landesgrenze nördlich Bober bei öcliwarzwasser.
ü) Frech, Lethea geognostica 2.'Band. Stuttgart 1897—1902 S. 323 (Tabelle)
gliedert das Unierkarbon in der Grafschaft Cllatz in 3 Zonen: Oben Schiefer,
Pflanzengrauwacke und Konglomerate mit eingelagerten Kalkbänken, Kalke mit
Productus sublaevis und unten die Gneiskonglomerate.
3) Roth, Erläuterungen 1867 S. 323—324.
*) Im Oberkarbon wiegen in scharfem Gegensatze dazu diese Gangquarze vor.
i
42 Jaliresbericht der Scbles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
wackensandsteine. Das Gefüge ist ebenfalls wie am später zu behaiidelnden
Leuschnerberge, östlich Landeshut, ein schuttkegelartiges.
Dieses feste Gestein ist für die Pundierung einer Talsperre und als
Stützpunkt für die große Sperrmauer derselben überaus geeignet, ganz ab-
gesehen davon, daß die Härte dieses Konglomerates hier gleichzeitig eine
Verengung des Bobertales veranlaßt, und die Sperrmauer so gewissermaßen
eine Brücke zwischen den Konglomeraten der südlichen Höhen und dem
Schartenbergzuge herstellt. Eine gleiche Anlage in den weicheren Kon-
glomeraten des Oberkarbon wäre undenkbar gewesen.
Eruptivgesteine.
Wenn von dem Sattelwaldporphyr abgesehen wird, tritt als einziges
bisher auf den geologischen Karten abgegrenztes Eruptivgestein der Por-
phyrzug zwischen Alt- und Neu -Weißbach auf,i) der hier den Mühl-,
Zinnseilen-, Buch- und Bärberg zusammensetzt. Seine höchste Erhebung
bildet der Bärberg mit 766,3 m; am westlichen Fuße des Mühlberges
schießen die Schichten, wie schon Schütze betonte, dem, Hauptfallen der
ganzen Ablagerung entsprechend, ostwärts unter den Porphyr ein, während
am Ostabhange des Bärberges ein steileres Fallen nicht zu bemerken war.
Das Orthoklasporphyrvorkommen am westlichen Boberufer unweit
Ruhbank bei Merzdorf, das auf den geologischen Karten bisher fehlt, ist
schon von Schütze^) angeführt worden.
Gedacht sei noch eines Glimmerporphyrites mit kcrsanti tisch ern Ha-
bitus,''') der an einigen Stellen gangartig zutage tritt, beispielsweise am
Wege vom „Aurelienschacht" im Kreppelwalde nach Krausendorf und an
der alten Schreibendorfer Straße. Im Felde der Grube „Martin"'"') soll er
das Hangende des Fundflözes bilden. Dieser Porphyrit tritt immer im
Hangenden des erwähnten Beyrichschen hangenden Konglomeratzuges auf.
Organische Reste.
Die Fauna mid Flora des Landesliuter Kulm ist von Schütze
tabellarisch übersichtlich zusammengestellt,'^) so daß es sich erübrigt, hier
näher darauf einzugehen. Die auf Figur 1 wegen ihres guten Erhaltungs-
zustandes abgebildete Cardiopteris polymorpha Göppert entstammt der
Sammlung des Herrn Hauptlehrer Patschovsky in Dittersbach bei Liebau*")
und stimmt mit dem Göppertschen Originale vollständig überein.')
\ Schütze, 1. c. S. 37—39 u. Roth, Erläuterungen 1867 S. 324 f.
2) Schütze, 1, c. S. 238 unten.
•1) Nacli freundlicher Üntersueliung von Herrn Professor Dr. Milch.
't) Nach mündlicher Angabe des Herrn Thomas -Landeshut.
5) Schütze, \. c. S. 62—69.
") Gypsabguß des Originals im Museum des Breslauer geol. Inst.
') Herrn Patschovsky möcbic ich an dieser Stelle für die tTberlassung
dieses Prachtstückes nochmals verbindlichst danken.
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
43
J<'igur 1. Cui-flioplei'is pol.i (.Ii., mopp.) Schini. aus Oppau.
(gez. nach einet- Photngrnpliie vnm Vevf. u. Dr. Loeschmann) etwas verkleinert.
Das Gebiet übci- dem oberen Konglomeratzuge
wurde bislier allgemein dein Unterkarbon oder Kulm zugesprochen. Aus
diesen hängenderen Partien sind bisher bei Landeshut nur Asterocalamites
scrobiculatus (Göpp.) Pot. und Lepidodendron, namentlich Lepidodendron
k
44 Jahresbericht der Schles. Gesellschiift iui- vaterl. Cultur.
Veltheimianam Sternbg. in teilweise selir gut erlialtenen Riesenexemplaren
bekannt und beschrieben i) worden, dagegen gehörten Funde von Farnen und
SigiUarten bislang zu den Seltenheiten. Auch die mit großem Fleiße von
Oberlehrer Hög er -Landeshut zusammengebrachte Sammlung^) enthält aus-
schließlich Asterocalamites und Lepidodendron. Aus dem massenhaften
Vorkommen dieser Pflanzen war wohl der Schluß, gezogen worden, daß
das Landeshuter Gebiet dem Kulm angehöre.
Jedoch veranlaßte das häufige Auftreten von Flözausbisson in diesem
Gebiete den Verfasser, diese Anschauung auf ihre Richtigkeit zu prüfen,
zumal Asterocalamites scrobiculatus (Göpp.) Pol. und Lepidodendron Velthei-
mianum Sternbg. schon längst nicht mehr als Leitpflanzen des Kulm gelten,
sondern ihr Vorkommen auch in der sudetisohen Stufe bekannt ist. Dazu
kam noch, daß ein älteres, nicht veröffentlichtes Gutachten aus 1872') das
Landeshuter Kulmgebiet teilweise für Oberkarbon erklärte, und ein Ende
1903 begonnener Versuchsschacht auf Krausendorfer Terrain ein Profil
ergab, welches dem Czettritzschen Gutachten nicht zu widersprechen
schien. Der Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht konnte natürlich
erst erbracht werden, nachdem typisch oberkarbonjsclic Pflanzen auf-
gefunden waren.
Das ist dem Verfasser gelungen. Teils gab es Belegstücke für diese
Ansicht bereits in der Schönknech tschen Sammlung, teils wurden über-
einstimmende und andere Spezies auch vom Verfasser im Gelände selbst
im April bis Mai 1904 gefunden.*)
Vor langen Jahren war etwa 500 m nordnordwestlich des
Bahnhofs Landeshut ein tonnlägiger ,, flacher" Schacht ,,Albinus" an der
Reußendorfer Straße im Betriebe. In diesem liatte Herr Schön knecht
gesammelt :
Sphenopteris divaricata Göpp. (2 Exempl.),
= Larischi Stur spec. (3 Exempl.),
Mariopteris muricata (Schloth.) Zeiller (2 Exempl.),
Ovopteris typ. Brongniartii Stur.
Alloiopteris quercifolia (Göpp.) Pot. und
1) Stur, Kulmtlora des Mährisch-schlesisehen Dachsohiefers. Tiifel XXXIX,
Fig. 3a u. b bildet z. B. einen solchen Lepidodendron Veltheinaianum aus Landes-
hut ab.
2) Die Reste der Sammlung- werden jetzt im Realg-ymnasium Landeshut auf-
bewahrt und sind mir in dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt worden.
3) Das Nähere über die handschriftlichen Quellen, die ich Herrn Ulogner-
Freiburg zu danken habe, wird später erwähnt werdeii.
*) Vgl. des Verfassers briefliche Mitteilung im Zentralblatt für Mineral, etc.
1904 S. 403-405.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 45
Palmatojiteris n sp.')
Diese Funde l)]ieben nicht allein. Unter der Bezeichnung „Roland-
grube— Lenschnerberg" übersandte Herr Schöuknecht im Februar v. J.
noch folgende Spezies;
Cardiopteris cf. polymorpha (Göpp.) Schimper,
Sphenopteris Larischi Stur spec.,^)
= divaricata Göpp.,^)
Mariopteris muricata (Schloth.) Zciller (schlecht erhalten), ')
Ovopterls n. sp.,
Pecopteris dentata Brgt. (2 Excmpl.),
cf. dentata Hrgt.,
Neuropteris Schlehani Star (2 Exempl.).
Die Schiefer, auf denen diese Pflanzen erhalten waren, stimmten
genau mit denen von Reichhcnnersdorf und Concordiagruhe (östlich Landes-
hut bei Forst) überein und auch einzelne vorliegende Stücke vom Paul-
schacht der Schles. Kohlen- und Coakswerke, „Segen Gottes" bei Altwasser
und „Heddy"-MiLtelsteine zeigten in ihrer Struktur und ihrem Aussehen
keine Abweichung von den pflanzenführenden Schiefern der beiden Fund-
punkte „Albinusschacht" und ,, Rolandgrube".
JMehrtägige Exkursionen in dem fraghchen Gebiete unter Zugrunde-
legung der Aufnahmeblätter früherer Kartierübungen des Breslauer Institutes
brachten neue Beweise. Das Abklopfen der alten Halden von „Aurelie"
im Kreppelwalde und des alten verschütteten ,, Johannesschachtes" nördlich
von diesem auf Krausendorfer Gemarkung lieferte folgende Pflanzen:
1) Bei der Bestimmung von Sphenopteris divaricata hat mir das im Breslauer
Museum belindüche Stur sehe Original (Kulmflora Tafel XIII la u. b) vorgelegen.
Mit diesem stimmt der Abdruck aus dem Albinusschacht genau' tifaerein. Nach
freundlicher Untersuchung von Herrn Prof. Dr. Zeiller (Paris), für die ich von
dieser Stelle aus meinen verbiiidhchsten Dank auszusijreclien gestatte, ist die an
ilm gesandte, von mir als Splionopteiis cf. Boulayi Zeill. bestimmte Pflanze eine
Sphenopteris (Ovopteris) von dem Typus Heyriclii-Brongniartii. Es sei liieidurch
die Angabe der ersten Ausgabe 1004 berichtigt. Zur Ideulilizieiiiiit; der
Sphenopteris Larischi diente die Potoniesche Abbildung (Jahrb. d. k. geol.
Landesanst. 1890 Tat". VII) einer Sphenopteris Höninghausi Brgt. 1. Lanscliiformis
Pot. aus den Czernitzer Schichten. Auch mit einem Stursehen Originale stimmt
diese Sphenopteris Larischi vom Albinusschacht genau üborein, soweit der Erhal-
tungszustand des Sturschen Originales einen Vergleich überlian|it gestattel. Die
Bestimmung von Mariopteris muricata machte bei dem vorhandenen reichen Material
des Breslarier Institutes von gegen 50 Stück, darunter Originale verschiedener
Autoren, keine Schwierigkeit. Die Be.stiminung von AUoiopteris quercifoha nahm
ich nach dem Göppertschen von Frech in Lethea palaeozoica Atlas Taf. XXXVIIb
nochmals abgebildeten Stücke vor. Die vollkouniicne Übereinstimmung dieser
beiden Stücke war augenfällig. Palmatopteris ist vielleicht eine neue Spezies und
wird ebenso wie die später zitierten Spezies, falls sie sich als neu erweisen
sollten, in einem paläontologischen Anhange dieser Arbeit .abgebildet und be-
schrieben werden.
46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultn
von „Aureliengrube":
Sphenopteris cf. Honingliausi Brgt. (4 Exernpl.),
vom „Johannesschacht":
Sphenopteris cf. trifoliolata (Artis) Brgt.
Aus dem Bruch von Breitenau (südlich Landeshut) und dem Einschnitt
der Ziedertalbahn in seinem oberen Teile stammen :
Sigillaria spec. aus der Gruppe der SigiJlaria camp totaenia Wood i) n.sp.
Sphenopteris cf. trifoliolata (Artis) Brgt.
Mariopteris muricata (Schloth.) Zedier (Spitzentrieb).
Stratigraphische Beobachtungen des Verfassers in diesem
Horizonte.
Im Aufschluß am Leuschnerberge, an dessen westlichem Hang der
Schacht der Rolandgrube gelegen haben mag, wurde ein grobes graues
Konglomerat in sehr häufigem Wechsel mit grauem Sandsteine anstehend
gefunden, [nteressant ist hier das spitze Auskeilen der Konglomerate.
Eine ausgesprochene Schuttkegelstruktur und Andeutungen von Kreuz-
schichtung waren zu beobachten. Das Streichen bog entsprechend dem
Umbiegen der Mulde aus Nordost-Südwest (N 40 ".) nach OW um bei
38 — 45 0 Einfallen. Das Konglomerat selbst enthält häufige Kieselschiefer
und zerquetschte Quarze^) neben vereinzelt auftretenden, Phylliten.
Die Quarz- und Kieselschiefergerölle sind harnischartig (pseudoglacial)
mit deutlichen Rutschflächen geschliffen und sehen wie poliert aus. Der
Leuschnerberg kann wohl nach allem Gesagten dem {)roduktiven Steinkohlen-
gebirge zugesprochen werden.
Weitere gute Aufschlüsse bietet der Bruch an der Schreibendorfer
Straße, in dem besonders das Einfallen bemerkenswert ist. Ein hier an-
stehender plattiger pflanzenführender Sandslein fällt 25 — 30 " gegen S,
während östliches Fallen zu erwarten v^ire. Der Aufschluß befindet sich
also in der Nähe einer lokalen Störung.^) Solche lassen sich im fraglichen
Gebiete auch noch vereinzelt an einigen anderen Punkten konstatieren.
Im Aufschlüsse (Bruch) an der alten Schreibendorfer Straße findet sich
der grünliche grauwackenartige Sandstein ebenfalls, den der neue Versuclis-
schaclit ,,Aurelie" mit 6 — 10 m Teufe durchsank. Ca. 50 m westlich
1) Weiß, Sigillarien II Taf. 5. Die Breitenauer Spezies ist bisher noch nicht
beschrieben und wird von mir daher in einejii paläontologischen Anhange abgebildet
und beschrieben werden.
2) Gürioli, Erläuterungen zur geologischen Übersichtskarte von Schlesien.
Breslau 1890, S. 57 ist bezüglich des Vorkommens solcher Gerolle in der produk-
tiven Steinkohlenforniation zu vergleichen. Auch das Breslauer Museum besitzt
zahlreiche solcher zerquetschten Kiesel aus dem Oberkarbon.
■'') Gürich, Geologischer Führer in das Riesengebirge. Berlin 1900, S. 105.
II. Abteilung. Natuvwissensclioftliclie Sektiim.
vom alten Johannesschaclit sieben grünlicbgraue Konglomerate bei sehr
steilem Einfallen an, die in ihren liegenderen Partien denen des Bruches
an der alten Schreibendorfer Straße makroskopisch ziemlich gleichen.
Bei der verhältnismäßig sehr kurzen Zeit, die zur Orientierung in
diesem Gebiete dienen mußte, mögen diese Angaben genügen.
Alter der Schichten.
Die gefundenen Pflanzen zeigen, daß wir es hier mit der Po tonie-
schen 3ten Karbonflora, der Mischflora der Reichhennersdorfer Schichten,
zu tun haben. Dem widerspricht nicht das zahlreiche Auftreten von Astero-
calamiles scrobiculatus (Gopp.) Fol. und Lepidodendron Veltheimianura
Stur, da ja Potonie deren Vorkommen im Reichhennersdorfer Horizont
schon angegeben hat; auch Stur hat deren Vorkommen in Ostrau bereits
nachgewiesen.^)
Grenze.
Eine genauere kartographische Begrenzung der Ablagerung läßt sich
zurzeit nicht geben, aber wahrscheinlich dürfte der hangende Konglomerat-
zug die Grenze gegen das Unterkarbon darstellen. Auf Kosten des Unter-
karbon rückt nach den neuen Pflanzenfunden das Oberkarbon bei Landes-
hut etwa 2 — 3 km nach West, während bei Reichhennersdorf die Ver-
schiebung nur etwa 1—1,5 km betragen dürfte. 2)
Interessant und von einiger geologischer Wichtigkeit sind folgende
historische Angaben, die etlichen alten Manuskripten entnommen wurden.''')
Die 5 Grubenfelder „Aurelie", ,,Albinus", ,,Am Wehr", „Antonie im
Wald" und „Zum Bahnhof" wurden in den Jahren 1872 und 1873 ein-
gemutet. Sie erstrecken sich von Schreibendorf bis nördlich von Reußen-
dorf und Landeshut gegen Ruhbank hin und gehören unter dem Namen
,,Reuüendorfer Gruben" einer Gewerkschaft. Wie Bergmeister Czettritz
in seinen Gutachten von 1872 und 1873 angibt, durchziehen 2 Flözzüge
diesen Grubenkomplex, die durch ein 1100 m mächtiges Mittel getrennt
werden. Er unterstützt seine Annahme 1872 durch die Aufzählung
folgender Pflanzennamen: Stigmaria ficoides Brgt., Calamitcs distans Stern-
berg (?), Asterophyllites radiatus Brgt., Lycopodites , Ulodendron
punctatum Presl., Sigillaria Brongniarti Gein., Sphenopteris lanceolala Phill.,
1) Potonie, Lehrbuch der Pflanzenpaläontologie. Berlin 1899, S. 373/7,
Stur, Mähr.-schlesisch. Dachschiefer. Tai'. I, Fig. 3. — Taf. V, Flg. 2, Archaeo-
calamites radiatus.
2) Vgl. d. Verf. briel'liohe Milieilung iiu Zentralblatl lür Mineralogie eic.
1904, S. 403—405.
8) Die unveröffentlichten Manuskripte wurden mir von Herrn Maurermeister
Glogner-Freiburg in liebenswürdigster Weise zur Verfügung gestellt.
Jahresbericht der Schles. GeselJschafl, für vaterl. Cultur.
Sphenopteris Coemansi Andrae, Sphenopteris chaerophylloides Brgt., Spheno-
pteris (Mariopteris) acuta Brgt., Sphenopteris formosa v. Gutb., Sphenopteris
Bronnii v. Gutb., Pecopteris polymorpha Brgt., die fast sämtlich Schatzlarer
Arten bezeiclinen. Da die Belegstücke aber verloren, und eine Nachprüfung
deshalb ausgeschlossen ist, so unterliegt diese Bestimmung um so größeren
Zweifeln, als bei dem damaligen Zustande der Literatur die Sicherheit einer
Bestimmung keineswegs gewährleistet ist. Die unten zitierte Angabo des 1873er
C4utachtens^) hat durchdesVerfassersUntersuchungen ihre Bestätigung gefunden.
Ein neueres Gutachten von C. Hütter aus 1901 hält an der Czettritzschen
Ansicht fest und gibt auf Grund inzwischen stattgehabter Schürfungen den
„hangenden Zug" zu 7, den „liegenden Zug" zu U abbauwürdigen Flözen
an. Abzuwarten bleibt, ob man in diesem ,, liegenden Zug", den ,, Liegend-
zug", die Waldenburger Schichten Sturs vor sich hat. Hier seien sie auf
Grund der Flora In die Reichhennersdorfer Schichten hineingezogen, bis
das geplante Stollenprojekt^) auf den „liegenden Zug" Aufschluß darüber
gibt, ob wirklich die Reichhennersdorfer Schichten bei Landeshul noch
von Waldenburger Schichten unterlagert werden.
Nach neueren Ansichten fehlt der „Liegendzug" im fraglichen Gebiete
von Scliwarzwaldau bis zur Landesgrenze gänzlich, wenn auch Schütze^)
vorübergehend den Liegendzug bis an die Landesgrenze bei Tschöpsdorf
roichen ließ und die Flöze der Auroragrube bei Tschöpsdorf, Georggrube
bei Blasdorf, ") Friedrich -Theodorgrube bei Reichhennersdorf, Luisegrubo
und Concordiagrube bei Landeshut diesem Zuge zuwies. Von dieser An-
sicht ist er später^) wieder abgekommen und rechnet die Flöze der oben
genannten Gruben im Gegensatze zu Stur dem Hangendzugo zu, obwohl
sich einige Pflanzen, die sonst nur im Liegendzuge vorkommen, auf den
Flözen dieser Gruben ebenfalls fanden. Auf dieser Tatsache fußend, trat
Potonie zwischen beide Parteien und schied zwischen den beiden Flözzügen
die Reichhennersdorfer Schichten aus.
Bevor ich mich der Betrachtung dieser Schichten bei Reicldicnnersdorf
selbst zuwende, möclite ich noch auf die beiden Flöze des Versuchsschachtes
1) „Es wird daher wohl an der Zeit sein, in der Umgegend von Landeshul
eine anderweitige Grenze zwischen Kohlensandstein (gleich Oberkarbou — d. V.)
und Grauwacke zu ziehen und einen nictit unl;)edeutendeii Teil der letzteren dem
produktiven Steinkohlengebirge einzuverleiben."
''^) Herr Glogner-Freiburg teilte mir mündlich von dem Plane mit.
3) Zeitschr. d. D. g. G. 1879, S. 432—33.
'') Hier soll nach Angaben des Herrn Scbötiknecht-Landeshul Sphenopteris
Schönknechti, von Stur zunächst aus Vnlpersdorf bestimmt (Schlitze 1. c. S. l-lfi)
vorgekommen sein. Es muß also — die Richtigkeit der P.estimmung vnvausgesetzt
— vvie a,uch in der Tabelle S. 60 f. angegeben, ein Hinaufreichen dieser Spezies in
den Iteiclihennersdorfer Horizont angenoinmen werden.
») Schütze 1. c. S. 76.
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
„Aurelie" hinweisen. Die beiden Winter 1903/4 erschürften Flöze 1 und II
treten in etwas verdrücktem Zustande bei fast seigerer Lagerung (86") auf:
Flöz I 0,4 m mächtig (Lette + Kohle),
0,78 m Zwischenmittel.
Flöz II 0,38 m mächtig.
Das Flöz besteht aus:
Oberbank 0,15 m Kohle,
0,09 m Lette,
Unterbank 0,14 m Kohle.
Die Flöze gehören dem Hütterschen „liegenden Zuge" an, dessen Kohle
187,5 und 187G in Landeshut und Freiburg probeweise zur Gaserzeugung
verkokt wurde.
In Landeshut ergab 1 Zentner Förderkohle 384 Kubikfuß gutes Gas,
welches am Photometer im Schnittbrenner 15 Kerzenstärken Leuchtkraft
entwickelte bei einem stündlichen Verbrauch von 5 Kubikfuß. Erzielt wurde
dabei 0,(; Zentner Koks.
4 Zentner Steinkohle ergaben in Freiburg nach 4 stündigem Glülien
1580 Kubikfuß Gas und ca. 3 hl Koks von einer Beschaffenheit, die man
mit „gut" bezeichnen muß und die „sich bei einem so kleinen Quantum
von anderem Gaskoks nicht unterscheidet".
Ablagerungen bei Rei chhennersdorf.
Den besten Vergleich mit den Ablagerungen der eben beschriebenen
Reichhennersdorfer Schichten um Landeshut bieten die leider sehr lücken-
haften Reste aus den zahlreichen Reichhennersdorfer Bohrungen diesseit
und jenseit des Porphyrdeckenergusses. Es sind die Tabellen der einzelnen
Bohrungen, soweit sie sich überhaupt identifizieren lassen, >) am Schlüsse
dieses Abschnittes S. 62 ff. wiedergegeben. Die untersuchten Kerne ergaben
abgesehen von der später zu behandelnden Diskordanz zwischen Rothegen-
dem und Karbon, nur das schon von Schütze angegebene Resultat 2) Es
1) Herr Berginspektor Böhnisch-Mittel-Lazisk war so freundlich, dem Ver-
fasser bei der Identifizierung der einzelnen Bohrlöcher zu helfen, und hat auch
weitere wertvolle Beiträge geliefert. Trotz der Lückenhaftigkeit der einzelnen
Bohrproflle ist es doch möghch geworden, das Bohrloch XIU vollständig zu rekon-
struieren und auf der beigegebenen Tafel ein vollständiges Profil, das durch die
neueren Untersuchungen etwas verbessert ist, beizugeben. Durch die Liebens-
würdigkeit der Herren Bergrat S c li ü t z e - Görlitz, Kreisbauinspektor Schütze-
Landeshut, Oberbergamtsmarkscheider Ullrich-Breslau und des Direktors der
Waldenburger Bergschule Herrn Bergassessor Hülsen konnte Verfasser die verloren
geglaubten Profile Schützes verwerten.
2) Schütze 1. c. S. 140/44.
1904. 4
50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Ciiltur.
seien hier einige geschichtliche Angaben eingeschaltet, die auf Grund eines
unveröffentlichten Gutachtens des früheren Direktors Hermann und Er-
mittelungen des Verfassers 1) zusammengestellt sind.
Die Bohrungen begannen in dem ganzen, 33 Grubenfelder umfassenden
Gebiete des Liebauer Kohlenvereines vor dem Feldzuge 1870/71 zunächst im
südlichen, dem „Liebauer Reviere". Resultate aus den (Stoß-)Bohrungen in
diesem Gebiete sind nie bekannt geworden, wie ja überhaupt dieser ganze
Gebietsteil der Niederscldesisch-böhmischen Steinkohlenmulde südlich von
Landeshut bisher keine genauere Bearbeitung gefunden hat.^)
Die im nächsten Kapitel genauer beschriebenen 10 Flöze ^) mit einer
Mächtigkeit von 0,4 — 0,9 m (15 — 35 Zoll) veranlaßten den sich bald nach
dem Feldzuge entwickelnden Bergbau. „Die aufgeschürften Flöze enthalten
durchaus gasreiche und zum Teil auch gut backende Kohlen, die gern ge-
kauft wurden," sagt das Gutachten über die Beschaffenheit der Kohle.
Die Gewerkschaft richtete ihr Hauptaugenmerk aber nordwärts auf das
Reichhennersdorfer Revier, weil man hier beide Waldenburger Flözzüge
anzutreffen hoffte, jedoch „die durchgeführten kostspieligen Arbeiten haben
nur einige Repräsentanten des an Kohle ärmeren Flözzuges aufgeschlossen,
während von der hangenden reicheren Partie nichts erreicht wurde".
Zwei Bohrlöcher wurden hier dicht bei dem heuligen „Waldschlößchen"
südlich Reichhennersdorf getrieben. Das Resultat des einen Bohrloches
wurde — die Denkschrift gibt es ebenfalls an — durch den Bohrmeister
gefälscht und auf Grund dieses Ergebnisses wurden unter großen Kosten
die Zwillingsschächte ,, Müller" und „Fohr" niedergebracht bis zur pro-
jektierten Teufe von 200 m. Aber Kohle war nicht oder nur sehr wenig
erreicht worden.
Hand in Hand mit den Abteufungsarbeiten hatte sich eine rege Bau-
tätigkeit entfaltet: Maschinen- und andere Gebäude .zwischen den beiden
1) Für die Auffindung der Denkschrift und Überlassung anderen wertvollen
Materials sei Herrn Haupllehrer Patsohovsky-Dittersbach bei Liebau und Herrn
Obermarkscheider Schraidt-Gotl.esberg von dieser SLelle aus bestens gedankt.
Die Durchsicht der oborbert;aoillichen Aki.'ii hui, in [Geologischer tliiisichl, keinen
wesentlichen Anhaltspunkl, ebensowenig komile ich iius den iuif dein tJcigivvici'c
Waidenburg aufbewahrten Hissen dev l'ristenden üraben et.was üt)er die Lage
der einzelnen Bohrlöcher ermitteln.
2) Einzige dem Verfasser bekannt gewordene Literatur, abgesehen von einigen
Stellen bei Schütze: Steinkohlenscliürfungen bei Liebau, Wochenschr. d. Scldes.
Ver. f. Berg- und Hüttenwesen, Jahrg. l, 18.59, S. 305 u. 386. Und vonlJechen,
Die nutztiaren JVIineralien und Gebirgsaxten iin deutschen Reiche, Berlin L873
S. 391 f. (nur wenige Zeilen).
3) Auf der „Flözkarte" eingezeichnet. Ein 11. „Flöz mit 4f) Zoll etwas veP:
steinerter Kohle" wurde um 1880 kurz vor Auflassung des Betriebes nördhcb von
Tschöpsdorf erschürft.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
Schächten, ein Verwaltungsgebäude *) südlich dieser Anlage, Arbeiterhäuser
in Reichhennersdorf, Verwaltungsgebäude in Dittersbach bei Liebau etc. Die
Konkurrenz mit der eben in Betrieb gesetzten Concordiagrube^) bei Landes-
hut trieb zur Beschleunigung der Anlagen. Nur so wird es verständlich,
daß solche Summen — man spricht von 33 Millionen Taler oder Mark —
nutzlos dahingeopfert wurden. Die ganze stattHche Reichhennersdorfer Tief-
bauanlage, die allein nicht weniger als 9 Millionen Mark gekostet hat,
wurde, weil nutzlos angelegt, am 23.— 24. März 1893 bis auf wenige Reste
durch ein Kommando 6. Pioniere aus Glogau in die Luft gesprengt.
Die Schächte waren auf der projektierten Teufe angekommen, Kohle
in ausreichendem Maße nicht erreicht worden. ,,Um wenigstens etwas von
dem verbrauchten Kapital zu retten", suchte man querschlägig die weniger
mächtigen Flöze zu erreichen und abzubauen. Eine Zeit lang förderte man
auch tatsächlich von dem einen Schachte.')
Die Bohrungen, ihre Lage und ihre stratigraphischen
Ergebn isse.
Die Anlage war also zwecklos, statt aber sich ins Liegende auf das
,, Günstige Blick-Flöz"*) allein zu setzen, suchte man noch im Hangenden
nach Kohle und brachte unter anderen folgende 6 Bohrlöcher nieder, die
auf den beigegebenen Kärtchen (Textfigur 2) eingezeichnet sind:
Rohrloch XIII '^j am Ostabhange des Reichhennersdorfer (Langen)
Berges an der Porphyrgreuze bei der Wegkreuzung Scholtisei
Ober-Zieder nach Liebau und nach Reichhennersdorf.
Ein weiteres Bohrloch ebenfalls dicht am Wege etwa 400 m südlich
von diesem.
Bohrloch XXIV^) südlich des Angenelliberges im Porphyr an-
gesetzt.^)
Ein Bohrloch bei der Kapelle von Bethlehem.
Bohrloch XIX etwa südwestlich von diesem auf der Wiese am
Waldcsrand uild endlich
Bohrloch XXVe in der Lindenauer Ziegelei, angesetzt in der Ki'eide.
1) Das heulige Waldscblößchen bei Reichbonnersdorf.
2) Nach mundhchen Angaben von Herrn Schönknecht-Landeshul.
3) Nach freundUcher Mitteilung des Herrn Bühnisch-Mittel-Lazisk halte
man hier einzelne Partien des „Günstige BMck-Flözes" abgebaut.
"i) Längst bekannt und lange Jahre zuvor von der 1842 gemuteten „Friedrich
Theodor-Grube" gebaut.
B) Aus diesen Bohrlöchern liegen Kerne vor (nach Böhnisch, Mittel-Lazisk).
6) Eine genauere Lage kann für dieses Bohrloch nicht mehr angegeben
werden. Nach dein über dieses Bohrloch später gesagten er.scheint es zweifelhaft,
ob die Stelle des Loches riclitig eingetragen ist. Wahrscheinlich trägt das an
dieser Stelle befindliche Loch eine andere Nummer.
52 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
i) Die Begrenzung der Formationen nach den Ergebnissen der Karüerübungen
von 1003. Kreidegrenze nach der Revision von K. J'legel.
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 5g
Letzteres halte technisch die größten Schwieri[;keitcn zu überwinden.
Ursprünglich hatte man 1200 m ca. ostnordöstlich von XXVe herunterzu-
kommen versucht, war aber auf Betreiben Sturs^) weiter ins Hangende
gegangen, hatte zwei weitere kleine Versuche unternommen, begann 420 ni
ostnordösthch von XXVe ein Bohrloch XXVd, mußte aber wegen großen
Wasserzuflusses das Loch in fast N. S. -streichenden 18" östl. fallenden ,, Rot-
liegend-Arkosen" stehen lassen. Die, endgültige Bohrung XXVe mußte bei
rund 305 m Teufe aufgegeben werden, da wegen des vielen Wassers^)
trotz der Verrohrung des Loches ein Bruch der Rohre nach dem anderen
erfolgte und schließlich das Gestänge überhaupt abbrach. Leider sind von
diesem Loche keine Kerne in des Verfassers Hände gelangt, da das durch-
sunkene Gestein^) zu brüchig und milde war, und deshalb nur als Bohr-
mehl heraufkam. Es seien deswegen hier nur einige Angaben aus dem
Tagebuche des Herrn Böhniscli-Mittel-Lazisk angel'ührt, der seinerzeit die
Bohrungen dort leitete:
24 m ganz zerklüfteter Mergel, der nicht bis 30 ra hielt und ein
Verrohren des Loches nötig machte.
Rotei' Sand im Kernrohr. Unter dem roten Ton Sandstein, der aber
wieder nur Sand im Kernrohr abgab.
In die nun folgende große Lücke wäre wohl der in der Amnerkung 3
wiedergegebene Brief Sturs einzuschalten.
158 — 231 m grobkörnige rote Sandsteine mit feinkörnigen wechselnd.
Fallen 48".
1) Mündliche Mitteilung des Herrn Böhni.sch-Mittel-Lazisk.
2) 5 Quellen soll der Bohrer hier durchsunken haben, und tatsächlich sprudelt
auch heute noch ein klares Wässerchen aus dem Loch. Quellen sind auch noch
mehrfach angetroffen worden, so beispielsweise in Bohrloch XIX am Bethlehemer
Walde. In XXVe wurde eine Quelle bei 156 ni, eine andere von 80 R bei 279,5 m
angetroffen.
3) Die vorhandenen Kerne scheint Stur erhalten zu haben, denn Herr
Höhnisch stellte dem Verfasser einen an ihn gerichteten Brief Sturs vom
26. 1. 1880 zur Vei'fügung, in dem es heißt „Die Bohrzapfen reichen schon his in
die rohen Arkosen des Rotliegenden und ich bin nicht vrenig begierig zu erfahren,
ob Sie darunter gleich die Steinkohlenformation antreffen werden oder den Porphyr.
Die Beobachtung, da^ in diesen Arkosen keine Porphyrbruchstücke vorkommen,
dieselbe vielmehr aus Bruchstucken von krystallinischem Gestein, vielleicht Granit
und namentlich Gneiß mit roten großen Ortolvlaskrystallti'ümmern zusammenge-
backen ist, sollte man erwarten, daß die Arkose älter ist als der Porphyr, daher
die älteste Schichte (Ick itollieccnden darstellt, unter welcher gleich die Stein-
kohlenformation sich eirial.cMrii sullto."
Nach freundlicher Mitteilung des Herrn Höhnisch hatte Stur hier zunächst
ein „zweites Böliuüsctibrod" befürchtet (vgl. neben Krejoi, Geologie cili nauka o
litvarech zemskych, V. Praze 1879 Slavik a Borov^ S. B96 auch Katzer, Geol. von
Böhmen, Prag 1892 S. 1185). Bekannthch erreichte das dortige Bohrloch die
Steinkohlenformation nie, sondern blieb mit 700 ra immer noch im Rotliegenden.
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
(217,6 — 220,2 m roter Letten. Dann grobkörnige rote Sandsteine.)
231^239 m Tonstein in Sandstein übergehend. Fallen flacher.
(245 ''/iQ m fester roter Tonstein.)*)
274 Porphyrstücke folgend auf feinen Sandstein, unter dem Porphyr
wieder roter Sandstein mit gelbem wechselnd, mit eckigen
Porphyrstücken vermengt. (Forphyr-Breccie.)
273 rote und gelbe Sandsteinbreccie mit Porphyrstücken. Breccie
ähnlich der aus Bohrloch XIII, ^) worunter gleich Steinkohlen^
gebirge kam.
283,3 — 299 Sandsteinbreccie mit Porphyrbreccie wechselnd.
305 Ein Bruch der Rohre nach dem anderen. Bohrung eingestellt.
Aus diesen lückenhaften Angaben läßt sich irgendwelche Schluß-
folgerung nicht ziehen.
Ebenso mangelhaft sind die folgenden Notizen über Bohrloch XXIV. ■■■)
Ganze Teufe. 10,04 m grauer feiner Sandstein mit viel Fe. S.
110,64 -■> 1,49 m Schieferton mit Sandstein wechselnd bis
111.15 * 0,85 m gebänderter bituminöser Schieferton mit viel Fe. S.
121,10 = 3,43 ra feiner glimmerreicher Sandstein mit Schieferton
wechselnd.
124,53 = 2,75 m grauer Schieferion mit feinem Sandstein
wechselnd.
127,28 5 5,0 m grobkörniger Sandstein mit Fe. S.
132,28 = 6,5 m Schieferton mit gebändertem Standstein wechselnd.
138,75 =
201.16 (16. 7. 1879.) Total gestörtes Gebirge. Kein Resultat zu
erhoffen; Abdrücke fast gänzlich fehlend. Die letzten Schiefer-
tone hatten eine rötliche Färbung.
Als besonders bemerkenswert hat Herr Böhnisch aufgezeichnet die
Imprägnierung der Schiefertone und Sandsteine mit Schwefelkies und ihre
starke Zerklüftung.
Noch viel unvollständiger sind Angaben über weitere Bohrlöcher (XXII,
XXI, XIX, VII usw.), deren Lage sich nach so langer Zeit sogar nicht mehr
feststellen ließ. Diese Bohrungen werden deshalb hier auch gänzhch über-
gangen.
Ein weiteres Bohrloch im Hangenden der Reichhennersdorfer Schacht-
anlage im Querschlage angesetzt, ist mit ziemlich vollständigen Ergebnissen
tabellarisch auf S. 66 ff. wiedergegeben.
1) Die Bohrung hörte 1879 mit 173,5 m auf und aus 1880 schrieb Herr
Böhnisch „bei dem milden Gestein ist kein Kern zu erhalten; die Bohrung geht
sehr schlecht".
2) Vgl. d. Tab. d. Bohrloch XIII auf S. 62 ff.
•'') Siehe als Ergänzung zu diesen Angaben das vom Verfasser Seite 36 f, aus
den Bohrkernen zusammengestellte Profil.
Übersicht der Flöze, die von Landesiiut bis zur Landesgrenze bei Tschöpsdorf aufgeschlossen wurden.
(Namentlich nach Schütze.)
liedeckt vom Rotiiegenden
wurd, angefahren i. (^uer-
schlage d. Tief bauanlage
Rotliegend-
decke
vielleicht
Wiederholung
der „Alexander-*
flözgruppe''
F1Ö7.
in ;!
mit 0,6 m unreiner
Kohle.
Bänken- Alexanderll.
110 m
i Fll
/ mit 0.7 n
Kohle
^Fl(
•/ mit 0,4 11
1 KShliT
t"'
Flu
7. mit 0.5 n
1 Kohle
Ehemalige Gruben | u
„Friedrich Theodor" u. j g
„ßünstiger Blick" ^
I.lebaner
Flifxj^ruppe
umfassend :
0 Fliize
<)rrniiauer
Flözgruppe
Biipliwälder
Flözgrnppp
die G B\ichwald-
stollenllözc
Alexander-
ttiizgrnppe
(Reichhennerb-j
dorfer
Flözgruppe) 1
Leitfloz
„Alexander"
wischen Rotliegendem und Steinkohlenformation, (Diskordanz). _
i i6,Fl«7,0,9mKohlei.2Bänk.-«-
^ - --T
56 t
5. Flöz 0,^ m mächtig U- - -
22 m !
±
4. Flöz (),2 m mächtig
""" V
28 m
-«- —
3. Flöz 0,4 m mächtig
12 m
2. Flöz 0,6 m mächtig
I i
I 1. Flöz 0,0 m mächtig |-^
.¥\öt. 0,9m Kohle i.2Bänk. !
^""" ">__ """1
^V" !
5. nöz 0,3 m mächtig j
22 m I
__t I
4. Flöz 0,2 m mächtig
3. Flöz 0,4' m mächtig
:r !
12 m
t_ !
2.JFlöz_0,(i m mäclitig_
1. Flöz 0,6 m mächtig
3. Flöz 0,8 m mächtig
"2. Flöz 0,5 m mächtig
i. Flöz 0,4 m mächtig
6. Buchwälder Stollenflöz
0,7 m mächtig (3 Bänke)
t I
5. Buchw. S't.-Fl. 0,6 m mächtig
(2 Bänke)
17,5 m
4. Buchw.'St.-Fl. 0,5 m mächtig
(2 Bänke)
lli m
___±
3. Buchw. St.-Fl. 0,3 m mächtig
7,5^m
2. Buchw. St.-Fl. 0,4 m mächtig
9 m
l7 Buch wTs Ö^oVs^mächt [g
Flöz 0,3 m mächtig
5. Flöz 0,3 m mächtig;
(1*) +
4. Flöz 0,3 m mächtig
(13.)-'— ^ -
3. Flöz' 0,6 m mächtig
(12.) Alexanderflöz
Jtlasdoi'fri-
FHIJigruppe i
(3. Flözgruppe) '
vielleicht noch
.,zur Maximilian-,
gruppe gehörig"
2. Flöz 0,2 m mächtig
(110 :j,-
>)^260m Zwischenmittel ^
I m.ein.Zahlv. 0,1-0,2 m I
f mächt. Kohlenbesteg.f 4-
3. Flöz mit 0,6 m Kohle \
2. Flöz mit 0,3 m Kohle
i i. Flöz mit 0,0 m Kohle
C.robes
Conglomerat
Kohlen-
mächtigkeit
Maxlmillan-
grnppe
(Tschöpsdorfer
F'lözgruppe)
Leilflöz „Maxi- j._
milian" (David-,;
Concordia-, jconcordiiitll
Luise-, Günstiges "i^— J>*
Blick-Flöz)
SchützesTschöps-
ilorferFlöz!
Untere
Begrenzung der
Schichten zur Zeit
nicht bekannt,
auch Flöze
liegendzuges [
bisher nicht auf-
geschlossen.
Hangendflöz 0,3—0,4 m Kohle 1-«--
-«. 33( 0 m >
im Streichen
entfernt
grobes Conglomerat
X
Luise-Oberflöz 0,31—0,47 m Kohle
..5^m
_ _ ' t'" __
Luisc-MitteUlöz 0,36—0,52 m Kohle
\ II
_^.
\ ^
t
^
I.uise-Kiederttöz0,52-I,05m Kohle
grobes Conglomerat?
^
0,8 m Kohle
9 m
t
>
0,7 m Kohle in 3 Bänkei
10 m
t
•>-
0,2 m Kohle
50 m
grobes f Congloi
Oberflöz 0,1—0,2 m Kohle
10 m
t
Mitttlllöz0,6-l,0mKi
3 m
t_
Niederflöz 0,2—0,5
(r >
-->
Schieferkohle
V Uie 14 Flöze Hiitter.s
ca. 1100 m Mittel.
Die 7 Flöze HUtters bei
Reussendorf
|a
. und ^^l^vodv^
,, steinkoWenfot^alio?::^-
11. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 57
Bei 400 m traf man im Hangenden der Reichliennersdorfer Bohrung
auf das Rotliegendc, welches das Karbon diskordant überlagert. Der Unter-
schied der Fallwinkel beträgt nach einem Schülzeschen Profile i) 24". Der
Differenz des Fallwinkels entspricht auch die stratigraphische Lücke, weiche
hier einen großen Teil der Saarbrücker und die ganze Ottweiler Stufe
in Wegfall gebj-acht hat.
Flüzführung.
Dieser ganze groß angelegte Betrieb stützte sich auf einige Flöze, die
von Schütze bereits gruppiert sind, und hier tabellarisch wiedergegeben
und, soweit möglich, ergänzt werden.
Bei Reichhennersdorf ist im Querschlage, wenn von den unter Rot-
liegendbedeckung angefahrenen Flözen, deren Stellung mehr als zweifelhaft
ist, abgesehen wird, vom Hangenden zum Liegenden eigentlich nur die
Alexanderflözgruppe = Reichhennersdorfer Flözgruppe ^) angetroffen
worden, die wohl am besten zwischen die Blasdorfer und Buchwalder
Flözgruppe zu stellen wäre. Es würden dann, wie auf der Tabelle dar-
gestellt, noch rund 710 m Mittel zwischen den Flözen der Reiclihenners-
dorfer und denen der Buchwälder Flözgruppe auftreten.
Eine solche Menge von Flözen, wie sie im Hangenden des „Hangend-
flözes" der Tschöpsdorfer Flözgruppe auftreten, innerhalb dieses quer-
schlägig kleinen Raumes drängt dazu, sie irgend einer Flözgruppe von be-
nachbarten Gruben zu parallelisieren. Da aber kein sicherer Beweis ej'bracht
werden kann, weil die Flöze über der Tschöpsdorfer Flözgruppe regelrecht
eigentlich nie im Bau gewesen, sondern nur in Schürfungen angetroffen
sind und Pflanzen so gut wie ganz felilen, ist man nur auf Vermutungen
und Schlüsse angewiesen.
Schütze stellt die hängendste ,,Liebauer" Flözgruppe des Hermann-
stollens den liegendsten Schatzlarer Schichten gleich, und schließt seine
Untersuchungen über die Reichbennersdorfer Anlagen^) mit dem Resultate:
„der bei Gottesberg und Waldcnburg so viele bauwürdige Flöze enthaltende
Hangendzug ist in der Strecke von Tschöpsdorf bis Landeshut nur aus
wegen ihrer geringen Stärke unbauwürdigen Flözen zusammengesetzt, und
dieselben sind außerdem in dei' Richtung vom Liegenden nach dem Han-
genden zu durch mehrfach wiederholte streichende Sprünge in solche
Tiefen versetzt, wo ein lohnender Abbau auf denselben nicht geführt
worden kann". Auf Grund der wie in Schatzlar oft jäh und plötzlich
eintretenden Störungen glaubte Hermann^) seine bauwürdigen 10 Flöze
1) Dieses Profil wurde in dieser Arbeit nicht wiedergegeben, da ich seine
Lage niiiht genau mehr feststollen konnte.
2) Der Name „Reichhennersdorfer Scliichton" ist also auch geographisch voll
berechtigt und deshalb zur weiteren Verwendung geeignet.
3) Schtitze 1. c. S. 141.
i) unveröffentlichte manuskri|)tliche Denkschrift. 1S90 (21. Febr.).
58 Jaliresberioht der Schles. Gesellschaft für vatcrl. Cultur.
hmsiclitlich der Koblenmächtigkeit als Scliatzlarer ansprechen zu müssen.
Verfasser glaubt nun, daß man die ganze Ablagerung von der Reich-
hennersdorfer Flözgruppe aufwärts den Schatzlarer Schichten zuteilen
muß. Beweisen läßt sich diese Annahme wahrscheinlich nie, da alle Auf-
schlüsse fehlen und die lückenliaften Bohrprofile auch keinen Anhalt dafür
oder dagegen geben. Es ließe sich dieses nur durch eingehende mikroskopisc!,-
petrogjaphische Untersuchung der Kerne in Verbindung mit Fossilien nach-
weisen. Die Pflanzen aber fehlen gänzlich.
Ausgegangen ist diese Behauptung davon, daß Verfasser in dem Con-
cordia-, Louise- und Günstigen Blick- dasselbe Flöz sieht, und es den
Maxmidmn - Flözen der Fuchsgrube bei Weißstein gleich setzt Das
Maximilian-Flöz besitzt nach dem Profile der Fuchsgrube ') eine Kohlen-
machUgkeit von 1,6 m, eine Zahl, die der mittleren Mächtigkeit des
Uncordia-Flözes (1,8) ebenso nahe kommt, wie südwärts die des Louisen-
flözes mit im Mittel 1,0 m und dos Günstige Blick-Flözes mit 1,7 m
Das Hangende des Concordia-Flözes und seiner westlichen, sowie
nachher südlichen Fortsetzungen bildet ein grobes Konglomerat. Autor
Identifiziert nun das Davidflöz der Davidgrube mit den Maximilianflözen und
somit wäre eme fortlaufende Verbindung zwischen dem Maximilianflöze
und der Landesgrenze nördlich Bober konstruiert. Im Gegensatze zu
Schütze schlage ich nun für die ganze Tschöpsdorfer Gruppe den Namen
„Maximihan- Gruppe" vor, um die Verwirrung, welche durch Lokalnamen
in die Literatur hinemkommen kann, zu mildern. 2)
Fossilführung.
V\^ie schon gesagt, ist die ganze vorgeschlagene Einteilung der Reich-
hennersdorfer Flözablagerungen eine noch rein hypothetische. Von Pflanzen
aus der Zone des „Großen Mittels" entstammen von Concordia- Grube der
Sammlung Schönknecht folgende sicher bestimmte Reste:
1) Durch die Liebenswürdigkeit des ehemaligen Direktor Stolz dem Verfasser
zur Verfügung gesteflt. Frech gibt im Jahreaber, der Sohlcs. Ges. für vaterl. Cultur
ST'l^o"!,!t"''f ''';''";'■'■': l~'^''''' """•=' ■^'^ *^"^' ™^«"-«^<^ig. ^«gen
vest (,UoO . eu Davulgrul.o hm) bauwürdig werden. Dies sei als literarischer
Beleg angeführt. Das dund.gehcnde Maximilianflöz, welches man so mit Recht
a s das Leitth« dieser Flözgruppe ansprechen darf (Tschöpsdorfer Gruppe), erfährt
i'" '"«„?' Da^idgrabe eine Anreicherung, die nach West in der Concordiagrube
Ihre größte Ausdehnung erfälirt. Weiter nach Westen „innnt die Bauwürdigkeit
wieder ab, verschwindet bei Tschöpsdorf fast ganz, um anscheinend bei S.hatzlar
wieder emzutreten. (Vgl. unter Schatzlarer Schichten R. 74.) Wir haben hier also
eine Anreicherung und Abschvvachung zu beobachten, welche denen der Flöze in
Uberschlesien .ihnelt,
IWl VllVtrl^^'f' in Michael (Jahrb. der k. geol. Landesan.st., XXIL Bd.,
iWl, b. 317-340). Im übrigen vgl. zur Frage der Leitflöze den vor, Herrn Bern-
assessor Geisenheimer im „geologischen Führer für die Exkursion na.ti Ober.chlet
lind die Breslauer Gegend" bearbeiteten Teil über das Steinkohlengebirge (Z.d.D g G)'
11. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 59
Cardiopteris cf. polymorpha (Göpp.) Schiinper.
Sphenopteris cf. trifoliata (Artis) Brgt.
= spec.ä)
AUoiopteris quercifolia (Gopp.) Pot. (2 Exempl).
Mariopteris latifolia Brgt.
Neuropteris gigantea Sternbg.
Asterocalamiteä scrobiculatus (Göpp.) Pot.
Stigmaria ficoides (Sternbg.) Brgt.
Lepidodendron.aculeatum Sternbg.
dichotomum Sternbg.
Sigillaria alternans L. a. H.
tessalata Brgt.
= cf. elliptica Brgt.
= spec.
Artisia aproximata Brgt.
Trigonocarpus spec.
= Schultzianus Göpp,
Carpolithes spec.
Von Louise-Grube war in derselben Sammlung vorhanden:
Neuropteris Schlehani Stur.
Herr Schönknecht übersandte vom Haberschaeht-Reichliennersdorf:
Neuropteris Schlehani Stur.i) (2 Exempl.)
Mariopteris latifolia Brgt.
Pecopteris dentata Brgt. 2)
Von der großen Anlage:
Mariopteris latifolia Brgt. 2)
Stigmaria ficoides (Sternbg.) Brgt.
Sigillaria spec.
Trigonocarpus Schultzianus Göpp.
Die Bohrkerne endlich ergaben:
Neuropteris cf. gigantea Sternbg. und
Stigmaria cf. Eveni Lesqu.
Rechnet man zu diesen Pflanzen noch die von Potonie für seine
3te Karbonflora angeführten Reste, die wesentlicli der Fuchsgrube ent-
stammen dürften,-'') die von Schmidt und Frech'') angeführten und die
2) Vielleicht n. sp.
1) Figur 3 und 4 geben diese beiden Stücke wieder.
2) Von diesen beiden Stücken stellte mir liebenswürdiger Weise die Direktion
der k. k. geol. Reiohsanstalt Stur sehe Originalbestimmungen aus „Reiclihennevs-
dorf" zur Verfügung.
8) Glückauf 1896, S. 122, Anm.
*) Schmidt in der Festschrift zur Tagung der deutschen geolog. Gesellschaft
„Zur Geologie des böhm.-schles. Grenzgebirges", Breslau 1904, S. 9. Frech im
Centralbl. 1900, S. 340.
60
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
von mir bereits erwähnten, aus den Schachtanlagen bei Landeshut bestimmten
Pflanzen hinzu, so erhält man ein klares Bild über die in den wenig bekannten
Reichhennersdorfer Schichten vorkommenden Pflanzen, die ich, nach den
einzelnen Fundpunkten geordnet, hier tabellarisch zusammengestellt habe.
Durch die neuen Pflanzenfunde hat die 3 te Karbonflora eine wesentliche Be-
reicherung erfahren. Ein Vergleich der Reste von den verschiedenen Fund-
punkten spricht auch für die von mir vorhin vorgeschlagene Identifizierung
des Maximilian-, (David-), Concordia-, Louise- und Günstigen Blick-Flözes.
Übersicht der Flora der Reichhennersdorfer Schichten.
Nach den verschiedenen Fundpunkten geordnet.
Autoren Potonie (Pot.), Schütze (Seh.), Stur (St.), Schmidt (A. S.)
und dem Verfasser (Hbg.).
Namen der Pflanzen.
ja
c3
j
J3
5
<
4J
ii
M
ö
ja
m
ja
s
1
t4
Autoren :
CL,
j=f
ji
r/i
m
jq
ja
m
m
ja
ja
<
Adiantites sessihs (v. Röhl pro var.) Pot.
oblongifohus Göpp
Cardiopteris cf. polymorpha(Göpp.) Schimp.
Falraatopteris geniculata (Stur, em.) Pot.
+
+
+
+
+
+
+
+
-
+
+
+
+
+
+
+
+
+
_
+
+
+
+
+?
i
-
+
spec
Sphenopteris v. Typ. elegantiforrnis (Stur.)
divaricata Göpp
„ Larischi Stur, spec
cf. Hoeninghausi Brgt
,, cf. trifoliolata (Artis) Brgt. .
+
,, Schönknechti Stur
Alloiopteris quercifolia (Göpp.) Pot
grypophylla (Göpp.) Pot. . . .
Mariopteris muricata (Schloth.) Zeil
„ „ forma typica Zeil. . .
„ latifolia Brgt
Ovopteris typ. Brongniartü Stur
,, spec ,
+
n. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
Namen der Pflanzen.
o
XI
'B
"3
ÖD
Ö
Cd
^
0
<
^
^
M
s
xi
X,
1
3
oa
ja
Autoren:
s,
1
X
33
J3
J
J3
Pecopteris dentata ßrgt
cf. dentata Brgt
Alethopteris decurrens (Artis) Zeil
„ lonchitica (Schlotli.) Ung. . . .
Lonchopteris Eschweileriana Andr
Neuropteris Schlehani Stur
„ gigantea Sternbg
of. gigantea Sternbg
Sphenophyllum tenerrimum v. Ett
„ cuneifolium(Sternbg.)Zeill.
Asterocalamites scrobiculatus (Göpp.) Pot.
Stylocalamites Suckowi Brgt
„ acuticostatus W
Annularia radiata (Brgt.) Sternbg
Palaeostachya spec.
Stigmaria flcoides (Sternbg.) Brgt
cf. Eveni. Lesqu
Lepidodendron aculeatum Sternbg
dichotomum Sternbg
„ Veltheimii Sternbg
Volkmannium Sternbg. .. .
Lepidophyllum Waldenburgense Pot. ....
Sigillaria alternans L. a. H
cf. elliptioa Brgt.
,, tessalata Brgt
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
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+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
„ spec . . .'
„ spec. aus derGruppe derSigillaria
camptotaenia Wood
(Favularia) elegans Brgt. em. . .
(Rhytidolepis) undulata Göpp. . .
Artisia approximata Lindl
+
und Reste von Cordaiten (borassil'olius) und Früchte.
Jabresbericht der Scbles. Gesellschaft für vaterl. Cultnr.
Tabellen der Reichhennersdorfer Bohrungen.
Bohrloch XIII.
Nach einem Schützeschen Profile (der Bergschule Waidenburg).
67,4/)
7,36
74,76
1,13
75,89
0,57
76,46
2,83
79,29
3,12
82,41
2,27
84.,68
5,09
89,77
0,88
90,65
0,24
90,89
0,86
91,74
1,42
93,16
4,53
97,69
1,02
99,11
11,33
110,44
0,28
110,72
0,65
111,37
1,90
113,27
2,26
115,53
2,55
118,08
2,83
120,91
0,33
121,24
1,65
122,89
1,13
124,02
Beschaffenheit der Gesteine.
(Humusschichten, Verwitterungen des
Dammerde und Gerolle.
Porphyr.)
Porphyrlconglomerat und Porpliyrbreccie.
Porphyrkonglomerat mit größeren Prophyrstücken.
(Von 33,98—34,41 Rollstück von rotem feinem Sandstein,
42,48—42,91 roter Letten.)
Rotliegendes ('?).
Brauner konglomeralischer Sandstein mit größeren Sandstein-
stücken.
(Von 56,64—51,21 Porphyrrollstück. Bei 62,31 ein Rollstück
von Porphyrkonglomerat.)
Gelbweißer körniger arkosiger Sandstein.
Röthch-grauer Schiefer.
Grobkörniges graubraunes Konglomerat.
Brauner Sandstein mit Quarzkörnern.
Grobkörniger graubrauner Sandstein mit Grünsandstein.
Wechsel von grauem Sandstein und rotem Scbiefei-.
0,08 m grobkörniger graubrauner Sandstein; 0,63 m Schiefer;
0,57m grobkörniger graubraunerSandstein; 0,41m Schiefer:
0,58 m körniger graugelber Sandstein.
Grau-braungelber groljkörniger arkosiger Sandstein.
Rötlicher Sandstein.
Oberkarbon (?).
Feiner graubrauner Sandstein.
Graues Konglomerat.
Grauer Schiefer.
Feiner grauer Sandstein mit sandigen Schieferschichlen.
Grauer Schiefer.
Grauer Sandstein und Schiefer abwechselnd.
Grauer melaphyrartiger Sandstein.
Grauer feiner Sandstein übergehend bei 111,29 m in graues
Konglomerat.
Feiner grauer geschichteter Sandstein.
Rötlich gefleckter grauer Sandstein.
Letten- und Schiefer-Kluft (Verwerfung).
Feiner grauer Sandstein mit verwittertem Sphärosiderit.
Kohlenflözchen.
Braungelber grobkörniger arkosiger Sandstein.
Weißes Konglomerat mit Porphyrkörnern.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
schaffenheit der Gesteine.
124,02
28,03
152,05
3,68
155,73
0,85
156,58
9,62
166,20
1,21
167,41
0,77
168,18
4,52
172,70
2,83
175,53
1,69
177,22
6,81
184,01
8,49
205,51
0,85
206,36
2,55
208,91
7,92
216,83
9,62
226,45
3,14
229,59
2,30
231,89
1,06
232,95
3,39
236,34
5,09
241,43
3,11
244,54
4,53
249,07
0,63
250,70
2,89
253,59
1,13
254,72
1,42
256,14
0,85
256,99
9,06
266,05
5,94
271,99
2,83
274,82
0,28
275,10
5,38
280,48
1,42
281,90
0,57
282,47
3,97
2S(i,44
0,85
287,29
2,55
289,84
2,26
292,10
0,85
292,95
Braungelber grobkörniger arkosiger Sandstein,
Grauer Schiefer mit schwarzen Rutschflächen und Neuropteri,^
gigantea Sternberg.
Grauer geschichteter Sandstein.
Sandiger grauer Schiefer mit Cordaites und Calamiten.
Braungraues Konglomerat.
(iVIelaphyrartiger) nngeschichteter dichter Sandstein.
(Melaphyrartiger) geschichteter Sandstein.
Graues Konglomerat.
Feinkörniger Sandstein.
Feinkörniger Sandstein mit verwittertem Sphärosiderit.
Sandiger Schiefer und schiefriger Sandstein abwechselnd, mit
Cordaites und Calamiten.
Sandiger Schiefer mit häufigen Sandsteinmitteln und Cordaites
und Calamiten.
(Melaphyrartiger) dichter fester Sandstein.,
Brandschiefer mit Cordaites und Calamiten.
Brandsandstein.
Vertikal zerklüfteter grauer Schiefer mit Cordaites und Calamiten.
Vertikal zerklüfteter Sandstein.
(Melaphyrartiger) dichter fester Sandstein.
Brandschiefer mit Cordaites und Calamiten.
Brandsandstein.
Geschichteter feiner Sandstein.
Vertikal zerklüfteter Brandschiefer mit Cordaites und Calamiten.
Sandiger Schiefer mit Cordaites und Calamiten.
(Melaphyrartiger) dichter fester Sandstein.
Brandsandstein.
Feiner Sandstein.
Feiner geschichteter Sandstein.
Brandsand.stein.
Brandschiefer mit Cordaites und Calamiten,
Feiner grauer Schiefer mit Cordaites und Calamiten.
(Melaphyrartiger) un geschichteter Sandstein.
Sandstein.
Feiner grauer Schieferund Sandstein mit Cordaites und Calamiten.
(Melaphyrartiger) dichter fester Sandstein.
Zerklüfteter Sandstein.
Geschichteter Sandstein.
Weißgiauer körniger Sandstein.
Brandschiefer mit Cordaites und Calamiten.
Sandstein.
Brandschiefer mit Cordaites und Calamiten
Jahresbericlit der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
S .£.
Beschaffenheit der Gesteine.
292,95
1,13
294,08
1,69
295,77
1,63
297,40
21,85
319,25
5,38
324,63
0,57
325,20
4,20
329,40
6,23
334,63
5,67
340,20
2,26
342,46
0,28
342,74
0,28
343,02
7,85
350,87
6,01
356,88
0,57
357,45
0,28
357,73
0,57
358,30
1,13
359,43
2,27
361,70
0,57
362,27
1,13
363,40
0,85
364,25
8,78
373,03
2,55
376,58
23,50
399,08
2,83
401,91
1,13
403,04
3,68
406,72
0,28
407,00
1,69
408,69
2,74
411,43
0,09
411,52
1,41
412,93
2,28
415,21
0,55
415,76
0,28
416,04
3,40
419,44
1,13
420,57
0,61
421,18
0,01
421,19
0,24
421,43
Sandstein mit verwittertem Sphärosiderit.
Brandschiefer mit Stigmaria ficoides (Sternberg) Brgt.
Braungiauer ungeschichteter Sandstein.
Gelbweißer arkosiger Sandstein mit weißen Prophyrgeröllen.
Gelbweißer arkosiger Sandstein mit einzelnen Kieseln.
Graues Konglomerat mit Urgestein und Quarz.
Schiefer mit Kohle und Cordaites und Calamiten.
Zerklüfteter sandiger Schiefer mit schwarzen Kluftflächen. Kohle
in schwachen Lagen und feiner Sandstein.
Grauer Schiefer mit Cordaites und Calamiten.
Grauer körniger schiefriger Sandstein.
Graues Konglomerat.
Brandsandstein.
Körniger (melaphyrartiger) grauer Sandstein.
Glimmerreicher dunkelgrauer geschichteter Sandstein, stellen-
weise dünn gesciiichtet mit Pflanzenabdrücken (?).
Brandsandstein.
Dichter quarziger grauer Sandstein.
Brandsandstein mit schwarzen Schieferschichten.
Grauer feiner geschichteter Sandstein.
Ungeschichteter grauer feiner quarziger Sandstein.
Brandsandstein.
Ungeschichleter grauer feinkörniger Sandstein.
Brandsandstein.
Grauer zerklüfteter Schiefer mit glänzenden Kluftflächeu.
Feiner grauer wenig geschichteter Sandstein.
Glirnmerreicher mehr geschichteter Sandstein.
Ungeschichteter quarziger Sandstein.
Lichtgrauer Brandschiefer.
Körniger dichter grauer Sandstein.
Körniger geschichteter grauer Sandstein.
Zerklüfteter blauer Schiefer.
Graugrüner tonigor feiner Sandstein.
Schwarzer Schieferton.
Dunkelgrauor feiner Schieferton mit Bleiglanz.
Gelbgrauer Sandstein.
Dunkelgrauer fester Schieferton mit Bleiglanz.
Unbezcichnete Schicht (?)
Dunkelgrauer fester Schieferton mit Calamiten.
Feiner grauer Sandstein.
Lichtgrauer sehr grobkörniger Sandstein.
Feinschichtiger grauer Sandstein.
Licht.grauer sehr grobkörniger Sandstein.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
t/3 ö
Beschaffenheit der Gesteine
421,43
429,64
429,72
429,92
432,18
440,39
441,24
444,92
450,58
457,93
458,49
459,61
463,29
464,98
466,10
470,34
473,17
474,86
478,81
489,28
498,62
8,21
0,08
0,20
2,26
8,21
0,95
3,68
5,66
7,35
0,56
1,12
3,68
1,69
1,12
4,24
2,83
0,69
3,95
10,47
9,34
Grauer Sandstein mit grobkörnigen Einlagerungen.
Quarzit.
Grauer Sandstein mit grobkörnigen Einlagerungen.
Grauer grobkörniger Sandstein mit schwarzen Streifen.
Dichter gebänderter Sandstein mit Pflanzen (?).
Körniger grauer Sandstein.
Grauer grobkörniger Sandstein.
Weitigraues feines Konglomerat mit Quarz.
Bräunlicher feinkörniger grauwackenartiger Sandstein.
Weißgraues feines Konglomerat mit Quarz.
Bräunlicher feinkörniger Sandstein.
Grauer fester Schiefer.
Gebänderter feiner grauer Sandstein.
Weißgraues feines Konglomerat mit Quarz.
Gebänderter feiner grauer Sandstein.
Grobkörniger grauer Sandstein.
Gebänderter körniger Sandstein.
Grobkörniger Sandstein mit Kolilenpflanzen ('?).
Gebänderter Sandstein mit grobkörnigen Lagen.
Grobkörniger grauer Sandstein mit Schiefernüttel.
?
?
21,96
—
24,93
1,13
26,06
1,54
27,6
1,99
29,59
1,10
30,69
3,45
34,14
Bohrloch XXIV. >)
Rötlich-graues feinkörniges Arkosekonglomerat, stellenweise in
feinen Sandstein übergehend mit vereinzelten Phyllit- und
großen QuarzgeröUen.
Grauer feiner Arkosesandstein mit größeren QuarzgeröUen.
Grober dunkelgrauer Sandstein, ganz schwach schiefrig.
Grauer grobkörniger Arkosesandstein, anscheinend in mäßig
grobes Konglomerat übergehend.
Toniger mittel- bis grobkörniger Arkosesandstein mit gelegent-
lichen QuarzgeröUen.
Roter mittelkörniger Arkosesandstein. Eingelagert anscheinend
ein grobes Konglomerat, da v. 30,9—31,76 große QuarzgeröUe
vertreten.
1) Den dm-cbsunkenen Schichten nach kann die für Bohrloch XXIV auf dem
Kärtchen (Fig. 2 S. 52j angegebene Lage unmöglich richtig sein. Es ist anzunehmen,
daß Bohrloch XXIV an anderer nicht mehr zu ermittelnder Stelle gelegen hat und
XXIV des Kärtchens eine andere Nummer trägt. Vgl. auch die Angaben des
Böhnisch'sclien Tagebuches S. 25.
66
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
^ "^
0 'S
3 1
Beschaf fenlieit der Gesteine.
1 ^ 1
in Metern.
34,14
0
Grobes grünlich-graues, toniges Arkosekonglomerat mit Quarz
^
bei 34,19.
38,58
2,22
Fein- bis mittelkörniges, toniges Arkosekonglomerat, mit Quarz
und Glaukonitkörnchen in gröberes Konglomerat übergehend.
40,8
5,69
Rötliches Arkosekonglomerat mit schwarzem Glimmer und Quarz-
geröllen in etwas gröberes Konglomerat mit dunkler Grund-
masse übergehend.
46,49
2,0
Grau-grünliches mittelkörniges Konglomerat, anfänglich etwas
gröber.
48,49
2,0
Feines grünhch bis rötliches Arkosekonglomerat mit Quarz. Bei
60,49 gröbere Quarzgerölle.
50,49
1,80
Feines rötlich-grünliches Konglomerat mit größeren Quarzen.
52,29
15,70
Graues bis rötlich-grünliches Arkosekonglomerat mit wechselnder
Größe der Gerolle.
67,99
1,61
Grobes grünliches Konglomerat, nach der Teufe zu größere
Quarzgerölle.
69,60
72,9
1,0
Grobes rotes Konglomerat, sehr fest.
73,9
?
Steinkohlengebirge. (?)
82,99
4,29
Grünlicher grober glimmerreicher Sandstein mit größeren Quarzen.
87,28
2,31
Gliminerreicher grauer Arkosesandstein, übergehend in Konglo-
merat.
89,59
15,19
Ghmmerreicher grauer konglomeratischer Arkosesandstein.
104,78
Teufe unbekannt (vielleicht cf. S. 57 = 201,16 m).
Bohrloch im Querschlage.
3,3
7,5
13,2
Rotes Arkosekonglomerat.
36,19
2,09
Grauer bis grünlicher und rötlicher etwas sandiger Tonschiefer.
38,28
39,8
33,6
Ziemlich grobes rötliches Arkosekonglomerat mitPliyllitgeröllen,
nach der Teufe zu gröber werdend.
73,4
4,7
Grauer bis roter Sandstein.
78,1
3,7
Grauer glimmerhaltiger Sandstein (schiefernd).
81,8
3,2
Graues Arkosekonglomerat mit gelegentlichen Kieselschiefer-
geröllen, anfänglich feiner. Fallen 28".
85,0
3,7
Grau-grüner glimmerreicher mittel- bis grobkörniger Arkosesand-
stein mit schiefernden Lagen, mit zunehmender Teufe kon-
88,7
glomeratisch.
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
88J
3,3
92,0
94,6
"2,4
97,0
5,4
103,4
4,3
107,7
108,6
0,9
1,6
110,2
111,3
118,8
120,8
121,5
124,2
130,4
133,9
14fl,6
141,0
175,0
179,1
7,5
0,7
2,7
6,2
3,5
0,4
4,1
1,9
Beschaffenheit der Gesteine.
Graues, stellenweise grünliches grobes Arkosekonglomerat mit
Quarz-, Kieselschiefer- und Phyllitgeröllen, nach der Teufe hin
Einlagen eines giUnlichen glimmerreichen Tonschiefers.
Grünlich graues glimmerreiches Arkoselconglomerat mit Phyllit-
und QuarzgeröUen (mittelgroß bis klein). Nach unten zu bläu-
hch-schwarzer Tonschiefer mit etwa 30» Einfallen eingelagert.
Grauer bis schwarzer glimmerhaltiger Tonschiefer, stellenweise
sandig.
Grauer mittelkörniger glimmerreicher schiefriger Arkosesand-
stein, Einlagen eines blaugrauen Tonschiefers mit Kohlen-
häutchen, üljergehend in grauschwarzen Tonschiefer mit
Stigmaria.
Grauer schiefriger Sandstein mit Kohlenhäutchen.
Grauer glimmerhaltiger schiefriger Sandstein mit Kohlen-
schmitzchen. Einfallen 270.
Glimmerreicher grauschwarzer Tonschiefer, mehi' oder weniger
sandig mit Kohlenhäutchen und Coi'daites und Calamites.
Sandiger glimmerreicher grauschwarzer Tonschiefer.
Gi'au-grünliches mittelkörniges Arkosekonglomerat mit Kiesel-
schiefer- und QuarzgeröUen und Glimmer, nach der Teufe zu
feiner.
Dasselbe wie vorher, nur feiner, nach unten glimmerreicher
Tonschiefer.
Grauer feinkörniger Sandstein mit Kohlenhäutchen.
Grünlich-graues feinkörniges Arkosekonglomerat mit Phyllit- und
QuarzgeröUen, Ghmmer und Kohlenschmitzchen. Nach unten
zu Sandstein mit Kohlenhäutchen.
Grünlich-grauer sandiger Tonschiefer.
Glimmerreicher feiner Sandstein mit Kohlenhäutchen.
Fester grauer feinkörniger Sandstein. Calamites. Fallen 20 — 400.
Dasselbe mit Kohlenschmitzchen, nach der Teufe zu in Ton-
schiefer mit Kohlenschmitzchen übergehend.
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
L Metern.
Beschaffenheit der Geste
181,0
184,1
199,7
201,7
202,6
204,1
214,8
216,7
218,6
222,6
224,0
228,0
228,0
230,0
272,6
2,3
274,9
1,9
276,8
1,9
278,7
1,3
3,1
2,0
0,9
1,5
10,7
1,4
4,0
Sandiger glimmerreicher fester Tonschiefer.
Bläulich-grauer glimmerreicher Tonschiefer mit Cordaites. Nach
der Teufe zu geht er über in grauen glimmerreichen sandigen
Tonschiefer.
Glimmerreicher Tonschiefer mit Calamites und Kohlenschmitzchen.
Grauer feinkörniger Arkosesandstein.
Grauer feinkörniger schiefriger Sandstein mit Kohlenschmitzen
und Kohlenhäutchen. Bei 212 m ein mittel- bis grobkörniges
Arkosekonglomerat mit Glimmer, Quarz- und Phyllitgeröllen
eingelagert.
Bläulich-grauer Tonschiefer mit undeutlichen Pflanzenresten und
Kohlenhäutchen. Eingelagert feinkörniger grünlich-grauer Ar-
kosesandstein mit größeren Quarzkörnern.
Bläulich-grauer glimmerreicher Tonschiefer mit undeutlichen
Resten einer Sphenopterisspezies (etwa der Gruppe Höning-
hausi) im Wechsel mit schiefrigem tonigem feinkörnigem
Sandstein und feinkörnigem gxauem Arkosesandstein mit
größeren Quarzkörnern.
Feinkörniger grünhch-grauer schwach schiefernder Sandstein mit
Kohlenhäutchen.
Grauer feinkörniger glimmerreicher Arkosesandstein mit Phyllit-
geröllen und Kohlenhäutchen sowie grauer sandiger Ton-
schiefer.
Blaugrauer, mitunter sandiger und ghmmerreicher Tonschiefer
nach der Teufe zu durch festen grünlich-grauen schwach
schiefernden Sandstein vertreten. Fallen 30—400.
Grauer ghmmerreicher Tonschiefer, nach unten zu in graublauen
Tonschiefer übergehend.
Grünlich-grauer und bläulich-grauer Tonschiefer mit Resten von
Cordaites und Calamiten; feinkörniger grauer Sandstein mit
Kohlenhäutchen.
Glimmerreicher feinkörniger grauer Sandstein. Nach der Teufe
schwarzgrauer Tonschiefer mit Cordaitenresten.
Dunkelgrauer glimmerreicher schwach schiefernder feinkörniger
Sandstein. Sandiger glimmerreicher Tonschiefer. Zu unterst
fester grauer feinkörniger glimmerreicher Sandstein.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
69
chaffenheit der Gesteine.
280,0
284,0
310,0
313,0
317,7
323,1
2,9
326,0
3,1
329,1
4,0
333,1
7,4
340,5
2,5
343,0
346,4
353,0
354,9
357,9
361,7
364,7
368,1
373,1
3,0
4,7
6,6
1,9
3,0
3,0
3,4
Blaugrauer Tonschiefer.
Grauer toniger glimmerreicher feinkörniger Sandstein und
schwarzgrauer Tonschiefer.
Grünlich-grauer Arkosesandstein mit Phylhtgeröllen von wech-
selnder Korngröße und Kohlenhäutchen; anfangs feinkörnig,
nach der Teufe Konglomerat.
Grauer Sandstein im Wechsel mit grauem grobem ghmmer-
reichen Konglomerat mit Einlagerung glimmerreichen
schiefrigen tonigen Sandsteins. Fallen 50 — 60".
Grobes graues Konglomerat mit Phyllit- und Kieselschiefer-
geröUen.
Mittelkörniger grauer Sandstein.
Bläulichschwarzer Tonschiefer.
Grünlich-graues Arkosekonglomerat mit Phyllit- und Kiesel-
schiefergeröllen und kohligen Sohmitzen. Hiernach glimmer-
reicher bläulicli-grauer Tonschiefer.
Schwarzgrauer Tonschiefer.
Scliwarzgrauer sandiger Tonschiefer und fester grauer fein-
körniger Sandstein.
Fester grauer feinkörniger toniger Sandstein mit Kohlenhäutchen,
eingelagert grobes Konglomerat und blaugrauer glimmerreicher
toniger schiefriger Sandstein.
BläuUch-grauer glimmerreicher sandiger Tonschiefer, schwarzer
bis schwarzgrauer Tonschiefer und grauer glimmerreicher
feiner Sandstein mit Kohlenhäutchen, gelegenthch tonig und
sohiefrig.
Grünlich-grauer etwas sandiger Tonschiefer.
Schwarzgrauer Tonschiefer und dunkelgrauer feinkörniger
glimmerreicher schiefriger Sandstein.
Schwarzgrauer glimmerreicher Tonschiefer. Fester grauer
glimmerreicher feiner Sandstein, nacli der Teufe grünlich-
grau mit Calamites und Kohlenhäutchen.
Grauer kohliger Sandstein in feines Konglomerat übergehend.
Feiner grauer Sandstein und schwarzgrauer glimmerreicher
Tonschiefer.
Schwarzgrauer ghmmerreicher Tonschiefer.
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
ohaffenheit der Gesteine.
375,0
379,7
391,0
394,6
397,1
400,3
402,4
404,4
412,9
416,6
420,B
3,2
3,7
3,9
Hellgrauer fester glimmerreicher Sandstein und schwarzgrauer
sandiger Tonschiefer.
Feinkörniger grauer Sandstein mit Kohlenschmitzchen in grobes
Konglomerat mit gelegentlichen PhyllitgeröUen übergehend.
Fester grauer Sandstein, sohwarzgrauer ghmmerreicher sandiger
Tonschiefer und feiner grauer toniger Sandstein. Nach der
Teufe in feinliörmges Konglomerat übergehend.
Grauer Arkosesandstein mit größeren QuarzgeröUen; schwarz-
grauer Tonschiefer. Graues feinkörniges Arkosekonglomerat
mit Phyllit- und KieselschiefergeröUen.
Schiefriger toniger Sandstein. Fallen: 28».
Grauer Sandstein mit Kohlenschmitzchen.
Glimmerhaitiger feiner Sandstein mit Kolilenhäutohen.
IL Die Schatzlarer Schichten (Stur) Weit hofer.
Bei Schwarzwasser überschreiten diese Schichten, die wir eben bei
ReichhennersdorfundLiebau verlassen hatten, die Landesgrenze und führen
hier zunächst bei Schatzlar in ihrer größten Breitenausdehnung wieder eine
große Zahl abbauwürdiger Flöze.
Unter „Schatzlarer Schichten" versieht Weithofer „die Schatzlarer
Schichten Sturs + den Xaveristollener Schichten Potonies". Auch der
Verfasser sieht sich genötigt, wenigstens kartographisch diese beiden
Schichtenkomplexe zusammenzuziehen, da eine Trennung dieser beiden
bisher noch nicht möglich geworden ist.')
1) Auf der Exkursionskarte sind deshalb die Schatzlarer Schichten und die
XaveristoUner Schichten mit demselben Farbenton wie die Reichhennersdorfer
Schichten gehalten. Auch die eventuelle Verschiebung der Unterkarbongrenze im
Bereiche der Exkursionskarte westvfärts ist unberücksichtigt gelassen worden, da
sich, wie bereits gesagt, eine sichere Grenze zurzeit noch nicht geben läßt.
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 71
Begrenzung der Scliatzlarer Schichten Weithofers.
Die Nordbegrenzung dieses Scliichtenkomplexes bilden von der Landes-
grenze gegen Südwest die nicht an jedem Punkte sicher abzugrenzenden
Sedimente des ünterkarbon. Gegen Westen stößt das Flözgebirge an die
Phyllite und Hornblendeschiefer des Rehorngebirges, die auf der Settmacher-
sclien Karte wohl ziemlich richtig geschieden sind.^) Eine kleine Ver-
schiebung der Grenze gegenüber der Weithoferschen Karte wird durch
das Anstellen von Konglomeraten des Schatzlarer Typus am Ostabhang der
Reissenhöhe an der Straße Schatzlar-Traulenbach bewirkt. 2) Südwärts von
diesem Punkte trifft die Grenze der Schatzlarer Schichten auf den Trauten-
bacher Melaphyr, dessen Hauptmasse hier auf einer dem Streichen der
Schichten parallelen Spalte emporgedrungen ist. Weiter bildet bis Hronov
der altbekannte Parschnitz-Hronover Bruch die Begrenzung des Palaeo-
zoicums. Westlich dieses Bruches folgt zunächst Rotliegendes, dann Kreide
und hiernach wieder Rotliegendes.
Schwieriger ist die Abgrenzung der Schatzlarer Schichten im Osten.
Eine Reihe von gangartigen Porphyrvorkommen entspricht hier ungefähr
der stratigraphischen Grenze. Das nördlichste Vorkommen ist der Porphyr
des Schanzenberges, sodann der des Heidenberges, der durch die Lokal-
bahn Schatzlar-Königshan angeschnitten wurde und dessen Ausdehnung auf
dei- Karte nach Bohrungen der Schatzlarer Grubenverwaltung eingetragen
werden konnte. Bei der alten Halde des Josefistollens am Strumpfbache
erscheint ein kleines Porphyrlager, dessen Begrenzung ebenso wie die des
Porphyrs beim alten Schulhause in Lampersdorf leider nicht raögHch war.
Der Porphyr des Heidenberges ist auf der ExkursionskarLe zum ersten Male
abgegrenzt worden.
Nach der Untersuchung von Herrn Professor Milch ist das Eruptiv-
gestein des Heidenberges ein Quarzporphyrtuff, der sehr stark gequetscht
ist. Es muß also nach dem Empordringen des Eruptivmagmas eine starke
Faltung der Gebirge stattgefunden haben. Südlich des Strumpfbachtales
l)ildet dann der große Krinsdorfer Porphyrerguß die Begrenzung gegen die
ostwärts sich auflagej'nden Sedimente der Ottweiler Stufe. Nördlich Drei-
häuseln setzt der Porphyr anscheinend^) aufs linke Ufer des Litschebaches
über und stellt, der Bahnlinie folgend, eine Verbindung mit dem Gabersdorfer
Melaphyr her. Weiterhin finden sich kleinere Porphyreinlagen noch an
der Straßenbiegung nordöstlich von Gabersdorf am Wege nach Döberle.
Ferner sind zu nennen die beiden kleinen Porphyre des Burger Waldes
1) Bezirkskunde von Trautenau, herausgegeben vom Trautenaucr Bezirks-
lehrerverein 1901. (Verlag des Trautenaucr Bezirkslehrervereins.)
2) Leider konnte diese Grenzversohiebung auf der Exkursionskarte niclit niehr
berücksichtigt werden.
^) Diese Annahme fehlt tiuf der Exkursionskarte noch.
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für valerl. Cultur.
und der südwärts dieser beiden am linken Ufer des Glaserbaches. Zwei
wenig ausgedehnte Mclaphyrvorkommen finden sich bei Hertin und nörd-
lich ßohdaschin. Die kleine Grenzverschiebung gegenüber der Weithofer-
schen Karte zwischen Klein-Krinsdorf und dem Schanzenberge ist lediglich
durch den neuabgegrenzten Porphyr des Heidenberges bedingt worden.
Eine Ostbegrenzung dieser Schichten wird auch noch durch das Rot der
Idastollner Schichten im Gelände erleichtert, die sich überaus deutlich von
den Verwitterungsprodukten der Schatzlarer Schichten und ihrer graueren
Färbung abheben.
Die südliche Begrenzung der Schatzlarer Schichten gegen die Xaveri-
stollner Schichten Potoniegi) wird nach Ansicht des Verlassers durch das
Diagonaltal des Litschebaches gebildet, da sich eine Verschiedenheit in
der Färbung der Felder auf der Goldenölser Seite des Bolkenberghöhen-
zuges gegen die Felder südöstlich des Trautenbacher Melapbyrs bemerkbar
macht. Außerdem sucht auch Weithofer die Begrenzung in ungefähr dieser
Gegend. Freilich tritt im linksseitigen Melaphyrsteinbruche des Gabersdorf-
Goldenölser Quertales 3—4 m über der Bachsohle ein kleines Lager grauer
Konglomerate^) auf, welches aber im rechtsseitigen Steinbruche nicht mehr
zu konstatieren war. Das Streichen dieser etwa 1 m mächtigen, auf kurze
Erstreckung ausbeißenden Konglomerate ist N 20 W und das Fallen ca.
40 0 g^ NO.
Orographisches. Die Schatzlarer Schichten sind im allgemeinen
tiefer gelagert zwischen höheren Randgebirgen, nur nach Nord gehen sie
allmählich sanfter in die steileren ünterkarbonhöhen über. Ihre Schichten-
köpfe erreichen im Galgenberge mit 634 m und dem Berge Östlich Bahnhof
Schatzlar mit 629 m Seehöhe ihre höchsten Erhebungen. Ihre größte
Breite erlangen sie mit ca. 4500 m zwischen Bober und Königshan.
Petrographisches. Wie die Reichhennersdorfer Schichten, so kenn-
zeichnet auch die Schatzlarer Schichten die typische Entwickelung der
grauen feineren bis groben Konglomerate, die auch mehrfach die Decken
der Flöze bilden. Am gröbsten sind diese Konglomerate, in welchen man
bisweilen über kopfgroße Gerolle antrifft, westlich des Krinsdorfer Porphyres
entwickelt. Wesentliche Bestandteile dieser Konglomerate sind Gerolle der
umhegenden Gebirge, namentlich Phyllite und Hornblendeschiefer. Unter-
geordnet, meist nur in der Begleitung der Flöze, finden sich auch
gelegentlich helle bis dunkelgraue Schiefertone.
Flözführung und Lagerung der Flöze. Die Flözführung der
Schatzlarer Schichten ist eine überaus reiche. Die Zahl der Flöze beträgt
1) Den „stejlstehenden Flözzug" der ftlteren Autoren bei Markausch.
2) Weithofer 1. c. S. 466.
II. Abteilung. NatuTwissenschaftliche Seliliou. 73
im allgemeinen 28,') von denen jedoch nicht alle Flöze bauwürdig sind.
Die Miieliligkeit der bauwürdigen einzelnen Flöze wechselt von 0,5 — 3 m.
Auf dem hier beigegebenen Profil über die Flözablagerungen im vierten
Horizont^) des Marienschachtes ist die JVIächtigkeit der einzelnen Flöze
durch die Stärke der Linien gekennzeichnet. Indes sind die Flöze
keineswegs immer rein, sondern werden durch Zwisehenmittel häufiger
in mehrere Bänke zerlegt. Die Flöze sind in einem Schiciitenkoin|)lex
von etwa 250 m wahrer Mächtigkeit verteilt.
Durch mannigfache Störungen und Verwerfungen bekommt die Lage-
rung des FJözgebildes etwa die Form eines S.*j Bei Schwarzwasser streichen
die Flöze im wesentlichen NO — SW und machen dann plötzlich eine
scharfe Wendung nach SO. Mit diesem Streichen durchziehen sie den
Elisabeth- und Marienschacht, wenden sich dann sofort gegen WSW und
werden hier durch die sog. ,, Johannakluft", die den südlichen Teil ab-
sinken läßt, ,,ca. 1 30 m^ horizontal anscheinend ins Liegende verschoben".
Endlich verlaufen die Flöze ziemlich nach Süd gegen Groß-Krinsdorf hin.
Ihr Fallen beträgt im allgemeinen 15^45" gegen SO.
Nördlich dieser ,,.lohannakluft" streicht ziemlich parallel der Lampers-
dorfer Straße eine zweite Hauptverwerfung, die sog. ,,Fannykluft", über
deren Wesen man sich aber bisher noch nicht recht hat klar werden
können, da sich der Abbau fast nur südlich dieser Kluft bewegt und
Bohrungen im Kluftber*eiche noch nicht stattgefunden haben. Auch sonst
sind lokale Störungen, Verwerfungen, Sprünge und Verdrückungen ebenso
wie im Reichhennersdorf-Liebauer Revier zahlreich vertreten, eine Tatsache,
auf Grund deren Her mann die Flöze des Reichhennersdorf-Liebauer Re-
vieres den Schatzlarer Flözen gleichsetzen zu müssen meinte, wie schon
anderwärts betont ist. Diese kleinen Störungen (Sprünge) dislocieren die
Flöze meistenteils analog den gleich alten Bildungen im preußischen Teil
der Mulde vom Liegenden zum Hangenden, während die großen Verwer-
fungen (Klüfte) hier die Flöze vom Hangenden ins Liegende verschieben.
Über Groß-Krinsdorf hinaus ist der Schatzlarer Flözzug mit Sicherheit
nicht mehr bekannt, denn es läßt sich heute nicht mehr feststellen.
Welchem Flözzugo die Flöze des Stollens am linken Ufer des Litschebaches
zuzurechnen sind, die in der Literatur mehrfacli Erwähnung linden, weil
Pflanzeureste von dort nicht bekannt sind.
Die Resultate des verunglückten Bohrloches bei Schwarzwasser und
der Krinsdorfer Bohrung können leider liier nicht wiedergegeben werden,
weil der westböhmische Bergbau -A kli en-Ver ein seine Bohrtabellen
1) Miueralkohlen Österreichs. Wien 1903 S. 203.
3) Die Schatzlarer Verwaltung (Ingenieur Haberfeiner, jetzt Pergine) hat mir
freundlichst dieses Profil überlassen.
s) Siehe die Schülzesche Karte.
it^ht dev So,h]ps. finsellscha.l't für vaterl. Cultur.
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'r^i.dr.^^n. geheim hält und so eine Prü-
fung von deren Ergebnissen
für die Wissenschaft augen-
blicklich nicht möglieh ist.
In neuester Zeit lenkt eine
Bohrung in Schatzlar selbst
das Interesse auf sich. Durcli
Bohrung im Marienschachte
ist anscheinend eine neue
Plüzgruppe erteuft worden.
124,86 m tiefer als die Sohle
des Marienschachtes (S35 ni)
hatte man mhtulst Stoßbohrers
10 Flöze konstatiert. Von
diesen 10 Flözen sind bisher
4 querschlägig 100 m west-
■ lieh vom Julienschacht (335 m
Seigerteufe)') angefahren. Das
Streichen dieser Flöze ist
SW— NO und ihr Fallen
beträgt 45" gegen 0. Ihre
Mächtigkeit soll bis 1 m be-
, tragen und die Kohle eine
recht gute sein. Eines dieser
Flöze hat nach Angaben des
Herrn Oberingen. Sandtnor
ein grobes Konglomerat zur
Decke. Die Identifikation mit
Flözen benachbarter Gruppen
läßt sicli erst durchführen,
wenn Pflanzen vorHegen. Es
ist wahrscheinlich, daß diese
Flöze als Reichhennersdorfer
Schichten anzusprechen sind,
insbesondere wäre dieses Flöz
dem Maximilian - Concordia-
Flöz gleichzustellen. Jeden-
falls deutet das von Weisstein
bis TschÖpsdorf verfolgte Auf-
treten der Konglomeratdecke
auf eine solche Ulentiflzierung
hin.
Beschaffenheit der
Kohle. Der kalorische Wert
der Schatzlarer Kohlen beträgt
nach Schwackhöfer^) 6000
bis 6800 hei oiiiera Aschen-
gehalt von 10,a — 19,0 %.
Zum Vergleiche sei nach dem-
selben Autor'') der kalorische
Wcrtvon46niederachlesischen
Proben angeführt. 20 Proben
1) = 248 m tiber dem Spiegel
des adriatischen Meeres.
») Sciiwuckhöfer, die
Kohlen Österreich -Ungains und
Preiißiscli-Sclilesiens. Wien t'JOl
S. 55. 55. Tabellarische Ober-
sielit der Analysen S. 138— l^d.
3) Ebenda S. 68.
/sr/>f-^/<yj^z.
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 75
ergaben 6500 — 7000 Kai, 24 Proben 7000—7500 Kai. und 2 sogar über
V500 Kai. Der Heizwert der Schatzlarer Kohlen ist also geringer als der
der niederschlesischen Kohlen. Verbrennlichen Schwefel enthalten die
Schatzlarer Kohlen 1,2 bis 1,7 o/^, im Mittel 1,3—1,5 "/o-
Fossilführung.
Bereits 1885 — 87 veröffenthchte Stur sein bekanntes 2 bändiges Werk
über die Karbonflora der Schatzlarer Schichten. Durch Zeiller^) wurden
dann die im französischen gleich alten Karbon vorkommenden Pflanzen der
ötage houiller moyen (bassin de Valenciennes) beschrieben und abgebildet.
So erscheint die Flora dieses Flözzuges wohl als die bestbekannte. Des
Verfassers Tätigkeit in Schatzlar bezweckte in erster Linie eine Unter-
suchung über die Häufigkeit der einzelnen Pflanzenreste in den verschiedenen
Flözen, eine Aufgabe, die leider nur sehr unvollkommen geglückt ist. Das
Ergebnis sei im folgenden tabellarisch mitgeteilt.
1) Zeiller, Description dela Acre fossile du bassin houiUer de Valenciennes.
Atlas 1886. Text 1888.
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
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zwischen
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Liegend.
Zweckmäßig sollten hier die Bohrungsergebnisse von Petersdorf, die
zwischen oben begrenztem Schatzlarer Flözzuge und dem bei Markausch
beginnenden Xaveristollner Flözzuge im Petersdorfer Tale stattgefunden
haben, angeführt werden. Leider muß ich mich hier auf meine etwas
unvollständigen Ermittelungen beschränken. Es war nicht möglich, von
zuständiger Seite (Schatzlarer Gruben) genauere Angaben zu erhalten.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
Auf beiden Seiten des Petersdorfer Tales, nicht weit östlich der großen
Parsohnitz-Hronover Dislokation, ist von bis 0,6 m mächtigen Flözchen
lange Zeit hindurch aus Stollen gefördert worden. Auch aus den am
rechten Ufer des Glaserbaches im Burger Walde nördlich der Straße
liegenden alten Stollen soll in früheren Zeiten gefördert sein, wegen Wasser-
zufluß mußte der Betrieb aber eingestellt werden. Der später unternommene
Versuch, das Lager wieder aufzufinden, scheiterte gänzlich.
Ein von der Schatzlarer Gesellschaft niedergebrachtes Bohrloch an
dem rechten Bachufer ergab bei ca. 300 m Teufe das Vorhandensein von
4 Flözen, dessen stärkste? im Mittel 2,3 m Mächtigkeit besaß. Von diesen
angeljüch 3 — 4 Flözen sind 2 bauwürdig gewesen, ein drittes zeigte sich
unrein!) und das vierte Flöz endlich war unbauwürdig. In nördlicher
Richtung von diesem Bohrlochc wurde von derselben Gesellschaft im Tale
von Döberle am Nordhang des Burger Waldes ein weiteres Bohrloch ge-
stoßen, welches mehrere schwache Flöze nachgewiesen^) hat.
in. Die Xavorislolluer Scliicliten Foto nie.
Schon vor Markaiisch finden sich östlich der Bergkoppe die ersten
Ausgehenden der Flöze dieses Zuges. Ihr weiterer Verlauf bis Schwado-
witz wird durch eine Reihe alter Anlagen gekennzeichnet, wie Ignatzi-
schacht, Petrischacht, Xaveri(erb)stollen, Hugostollen und zahlreiche Schurf-
halden.
Grenzen und Petrographisches.
Durcli die älteren Bergwerksaufschlüsse ist die Mächtigkeit dieses Flöz-
zuges ziemlich genau bekannt geworden. Der 796 m lange Xaveristollen
durchfuhr zunächst NW einfallende Kreideschichten, hernach rote Schiefer
Und Sandsteine mit Konglomeraten, die sich immer steiler stellten, um
etwa 130 m vom Stollenmundloch Nordostfallen anzunehmen. Auf diese
Schichten des Rotliegenden lagern sich dann die XaveristoUner Schichten
ßiit ihren graueren Konglomeraten, schwarzgrauen Schiefern und 11 Flözen.
Das Fallen der Flöze beträgt 65 — 70 Grad gegen NO, während ihr Streichen
dem Hauptstreichen (N 30 W) des gesamten Muldenflügels ziemlich genau
^olgt. Hinter diese Schichten wurde der Stollen noch 250 m weiter ge-
führt, ohne ein Ergebnis zu bringen.^) Gegen SO verschwächt sich diese
ochicht, die im Idastollen nur noch 250 m an Mächtigkeit mißt, immer
'^lehr, bis sie schließ] icli (nach den Mineralkohlen) ganz verschwindet.
■Veithofer und mit ihm die vorliegende Aufnahme, läßt diese Schichten
1) Nach dortiger Ausdrucksweise „unreif".
2) Auch das Ergebnis dieser Bohrung kann niolil nälier angegeben werden.
3) Mineralkohlen Österreichs. Wien 1903. S. "203.
78 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cullur.
in gaBZ schmalem Zuge bis Zbecnik durchstreichen, da östlich dieses
Dorfes wieder eine Flözanreicherung und Zunahme der Mächtigkeit der
Schichten erfolgt. Etwa 370—380 m vom Mundloch des ostwärts in den
Berg hineingehenden Xaveristollens haben wir an einer vermauerten Stelle
den Parschnitz-Hronover Bruch zu suchen, der auch im Idastollen-Klein-
Schwadowitz nur noch durch Mauerung gekennzeichnet ist. In dem 1800 m
langen Hugostollen nördlich Klein-Schwadowitz liegt diese Dislokationskluft
etwa 600 m vom Mundloche entfernt. Dieser Bruch stellt die Ostgrenze
der Xaveris tollner Schichten vor. Leider ist auficr dem Idastollen keine
dieser alten Anlagen mehr zu befahren, und sind diese Angaben daher nur
den Profilen der Schwadowitzer Gesellschaft^) entnommen.
Die westliche Begrenzung der Schichten läßt sich heute nicht mehr
genau feststellen. Beide Horizonte bestehen vorwiegend aus rötlichen bis grauen
gröberen und feineren Konglomeraten, während die rötlichen Schiefertone
und rötlich grauen Sandsteine zurücktreten. Es ist daher an der Weit-
hoferschen Grenze festgehalten worden, die durch schon früher genannte
Ergüsse von Eruptivgesteinen (Porphyre bei Petersdorf und Melaphyre bei
Bohdaschin und Hertin) gekennzeichnet wird.
Flözführung. Bei Markausch und im Erbstollen sind 8—11 Flöze
bekannt. ä) Hier beträgt die qucrschläglge Entfernung vom liegendsten
2. Flöz bis zum 11. hängendsten 130 m. Das 2. Flöz war 2—5 m stark,
das 4., 5., 7., 8. und 9. bis über 1 m mächtig. Die Flöze, die im Streichen
auf 3 km aufgeschlossen waren, verflachen sich an den genannten Orten
mit 65—70 0 gegen NO, weshalb die älteren Autoren diesen Flözzug als
,, steilstehenden Flözzug bei Markausch"'') bezeichnet haben. Gegen Süd
verringert sich die Breite des Flözzuges wie oben gesagt immer mehr.
Bei Bohdaschin ist nur noch ein einziges Flöz weit ab im Liegenden der
Idastollner Flöze erschürft worden. 2) Erst bei Zdiarek in der Wilhelminen-
grube treten dann wieder 5 Flöze auf, deren nähere Beschreibung bereits
früher durch Schmidt erfolgt ist."^)
1) Herrn Oberingenieur Karlik und Herrn Markscheider Irr mann bin ich für
die freundliche tjljerlassung der Profde zu Danke verpflichtet.
2) Minei'alkohlen. S. 203. — Vgl. Schütze 1. c. S. 221.
3) Vgl. Jokely, Steinkohlenablagerungen von Schatzlar, Schwadowitz etc.
.Jahrb. d. k. t. g. Reich.sanst. 1862. Verhandl. S. 169 ff. und Schütze 1. c. S. 5.
*) Dr. A. Schmidt hat in seiner Inaugural-Dissertation „Oberkarbon und
RotUegendes im Braunauer Lilndchen und der nördlichen Grafschaft Glatz"
Breslau 190*. (S. 16—19) durch die Flora nachgewiesen, daß die Flöze der
Wilhelminagrube nicht ident mit den XaveristoUner Flözen sind, sondern eine
Zwischenstellung zwischen Xaveri.stollner und Idastollner Schichten einnehmen, so
daß sie, wie ich auch in der vergleichenden Übersicht (S. 107) angegeben habe, den
Ablagerungen von Piesberg-Ibbenbüren gleichzusetzen sind. (= Wilhelmina-
schiohten S. 108—113.)
IL Abteilung. Naturwissenschaitliche Sektion. 79
Beschaffenheit der Kohle. Die Kohle dieser Flöze war bedeutend
besser als die der Idastollner Flöze und wurde hauptsächlich zur Koks-
erzeugung verwandt.
Fossilien. War kartographisch und petrographisch eine genaue
Abgrenzung dieser Schichten nicht möglich, so ist floristisch eine solche
doch schon seit langem geglückt. Potonie stellte die Ergebnisse früherer
Autoren zusammen und schaltete auf Grund erneuter Beobachtungen zwischen
Schwadowitzer und Schatz'larer Schichten s. str. die Flora des Xaveristollen
als 5. (Misch-) Flora ein. Leider war es mir nicht möglich, hier neuere
Beobachtungen zu machen, da der gesamte Bergbau auf den Xaveristollner
Schichten schon seit langem ruht.
Eruptivgesteine. Außer den bei'eits erwähnten Melaphyrvorkommen
von Hertin und Bohdaschin sind im ganzen Gebiete dieses Schichten-
komplexes Eruptivgesteine nicht aufgefunden worden, die auch der jüngeren
Ottweiler Stufe in Böhmen fast gänzlich fehlen, i)
IV. Ottweiler Stufe Weiß.
a. Idastollner Schichten,
Potoniö — Schwadowitzer Schichten, Stur.
Grenzen, Im ganzen Gebiete unserer Arbeit, in dem die Schwadowitzer
Schichten überhaupt entwickelt sind, lagern sie den Schatzlarer Schichten
s. str. bezw. den Xaveristollner Schichten auf und werden von den hernach
zu behandelnden Hexensteinarkosen konkordant überlagert. Ihre größte
querschlägige Breite erreichen sie mit etwa 3,7 km in der Linie Bolkenberg-
Bernsdorf (Richtung auf den Kutschenberg). Bei Königshan verschwinden
die Schichten unter den AUuvionen, so daß sich ein Hinüberreichen auf
preußisches Gebiet^) nicht nachweisen und eine genaue Nordgrenze zur
Zeit nicht ziehen läßt.
Orographisches. Ihre höchste Erhebung erreichen die Idastollner
Schichten mit 618 m im ,, Kreuzweg" südlich der Bernsdorfer Kirche und
öiit 644 m nördlich Döberle.
Petrographisches. Die kartographischen Aufnahmen werden
Wesentlich erleichtert durch die schon oben erwähnte intensiv rote Farbe
der Konglomerate, Sandsteine und Schiefer dieser Schichten, die nur in
*ier Nähe der Flöze eine graue bis grauschwarze (Schiefer) Färbung
1) Schütze gibt 1. c. S. 232 Porphyr von sehr geringer Ausdehnung an, den
'Ißr Ida- und Benigne- Stollen durchfahren hat, der aber kaum über die Stollen-
sohlo hinaufsteigt.
2) Weithofer und Dathe nehmen ein Durchstreichen der Scluclilen im
preußischen Anteile der niederschlesischen Kohlenmulde an. Vgl. Weithofer 1. c.
^' 4G8 und Dathe an mehreren Stellen.
Jaliresbericht der Schles. Gesellschaff, für valerl. Cullui-.
annehmen. Auch hier sind Konglomerate das vorherrschende Gestein.
Die rote Färbung der Schichten veranlaßte wohl auch die Herausgeber
der Beyrischschen Karte und nach ihnen Schütze und Dathe,^) den Teil
der Schwadowitzer Schichten um Bernsdorf, Krinsdorf, Goldenöls, Döberle,
Petersdorf bis Bösig dem Rotliegenden zuzusprechen, eine Annahme die
durch Weithofer wohl als völlig überwunden anzusehen ist. Bemerkens-
wert und petrographisch interessant ist im Idastollen und Bohdaschin
ein häufiges Auftreten von Kaliglimmer in den Sandsteinen.
Kupfer führung. Ehe der Idastollen südlich Schwadowitz den
Plözzug erreichte, durchfuhr er eine Sandsteinschicht, die mit Malachit
(CuCO^) imprägniert war, ähnlich wohl dem später zu beschreibenden
Albendorfer Vorkommen. Es ist dies die älteste Kupferablagerung, die sich
im Kartengebiete beobachten laßt, gleichsam ein Vorläufer der ausgedehnten
Kupferlagerstätten des Rotliegenden, die sich in unserem Gebiete teilweise
sogar zur Abbauwürdigkeit anreichern. Ein Versuch, diese Idastollner
malachithaltigen Sandsteinschichten technisch zu verwerten, scheiterte an
ihrer völligen Unbauwürdigkeit.
Flözführung und Lagerung der Flöze.
Der einzige Bergbau auf diesem Zuge, der 1660 m lange Idastollen
bei Klein- Schwadowitz, besitzt folgende 4 Flöze (vom Hangenden zum
Liegenden) :
1. Das Hangendflöz 0,6 — 0,7 m mächtig.
18 m Zwischenmittel.
2. Das Hauptflöz mit 1,0 — 1,3 m Kohlenmächtigkeit.
Im westlichen Teile tritt es in 2 Bänken auf:
Oberbank 0,6—0,8 m,
Mittel 1,0—2,8 m,
Unterbank 0,4—0,5 m,
2,0—4,1 ra,
während sich nach Osten zu dieses Mittel auskeilt und das Kohl
dann in einer mittleren Mächtigkeit von 1,0 — 1,2 m auftritt.
10 m Zwischenmiltel.
3. Putzenflöz von einer Mächtigkeit bis zu 3 m. Tritt es regelmäßig
auf, so beträgt seine mittlere Mächtigkeit 0,45 — 5,0 m.
210 m Zwischenmittel.
4. Pulkrabekflöz, im Mittel 0,3 m mächtig. Angefahren wurde es
etwa 1400 m vom Stollenmundloch entfernt.
Der Abbau bewegt sich nur auf dem ersten und zweiten Flöz und
gegenwärtig sogar fast ausschließlich auf dem Hauptflöze.
1) Dathe Geol. Beschreibung d. Umgebung v. .Salzbrunn. Berlin 1892 Taf. !•
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 81
Gegen Vodolov zu wird dieses Flöz plötzlich durch eine N 52 0
(hör. 3.5) streichende mit 44" gegen NW einfallende Verwerfung abge-
schnitten. Beim Ausrichten derselben und dem Versuche, das Flöz wieder
zu erlangen, gelangte man zunächst in grauen Sandstein. Darauf folgten
dann rote Sandsteine und auf diese wieder die zuerst angetroffenen grauen.
Jetzt ist man endlich wieder in das gesuchte Hauptflöz gekommen, welches
von der ehemaligen prinzlich Schaumburg-Lippeschen Anlage im Eisflußtale
ijJibkaschacht" südlich Jibka in Bau genommen werden soll; zu diesem
Zwecke wird gegenwärtig dieser Schacht tiefer geteuft, eine Arbeit, bei der
der Bergmann ziemliche Schwierigkeiten infolge Quellenzufluß zu über-
winden hat.
Leider ist über die eben beschriebene Verwerfung, die Verfasser trotz
ihrer in der Grube genau festgelegten Lage über Tage nicht hat auffinden
können (unter Tage 270 m vom Jibkaschacht entfernt angefahren), bisher i)
noch zu wenig bekannt, um genauere Angaben über diese Verwerfung
und die dahinter noch angetroffene zweite machen zu können.
In früherer Zeit wurden noch im Benigne-Stollen und Josephi-Schacht
bei Bohdaschin die Flöze dieses Zuges abgebaut. Die Flöze dieser beiden
Anlagen identifiziert Schütze mit den Idastollner Flözen wie folgt:^)
Ida-Stollen Benigne-Stollen Josephi-Schacht.
Hangend (Letten) Flöz — —
Haupt-Flöz = Haupt-Flöz = Friedrich-Flöz.
Putzen-Flöz =: Benigne-Flöz := Barbara-Flöz.
— — Adolph-Flöz.
— Dorothea-Flöz = Josephi-Flöz.
— — Franziska-Flöz.
Das Barbara-Flötz enthielt^) 0,3 — 4 m sehr gute Kohle. Die anderen
"löze wechseln in ilu-er Mächtigkeit bis 1,5 m in maximo. Hier im
ßenigne-Stollen und Josephi-Schacht sollen die Flöze in einem Schichten-
komplex von 270 m querschlägiger Breite verteilt gewesen und 38 " gegen
NO eingefallen sein. Weiterhin erscheinen die Flöze, deren Verlauf durch
^churfhalden gekennzeichnet wird, ziemlich mächtig, sind aber stark ver-
^chiefert. Bei Hronov*) treten noch 3 Fiöze auf, die aber wegen ihrer
Verschieferung unbauwürdig sind.
Interessant ist auch, daß der Verfasser des Kapitels in den Mineral-
kohlen bereits die oben erwähnte Verwerfung anführt; freiUch gibt er nur
^in anscheinendes Auskeilen des Haupt- und Lettenflözes (= Hangend-
1) Ende Mai 1904.
2) Schütze 1. c. S. 234.
3) Mineralkohlen, S. 206.
*) Mineralkohlen, S. 206.
ih
82 Jahresbericht der Hehles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
flöz d. V.) an in der gedachten südöstlichen Richtung zwischen Vodolov
und Bohdaschin.
Durch den ehemaligen Bergbau sind die Flöze auf 8 km streichende
Länge aufgeschlossen, während die ganze Ausdehnung im Streichen von
Königshan bis Zdiarek 36 km an Länge mißt. Nördlich des Petersdorfer
Tales sind Flöze dieses Zuges bisher nicht bekannt geworden.
Beschaffenheit der Kohle. Die Flöze dieser Idastollner Schichten
treten keineswegs immer rein auf, auch das Hauptflöz enthält bis über
2 m taube Einlagerungen. i) Im allgemeinen ist die Kohle eine milde
backende Glanzkohle von guter Qualität, die viel zur Kokserzeugung ver-
wendet wurde. Wenig willkommen jedoch ist ein größerer Schwefelgehalt,
wie er namentlich im Hangendflöz sehr stark vertreten ist. Nach
Schwackhöfer ^) gibt gewaschene Förderkohle 6312 Kalorien ab; sie
enthält 2,45 "/(, hygr. Wasser, 16,44 »/q Asche, 3,53 % verbrennlichen
Schwefel und 67,10 % Kohlenstoff.
Die Qualität der Kohle in dem Hauptflöze hinter den oben erwähnten
Verwerfungen hat sich nach Mitteilung des Herrn Karlik wesentUch ge-
bessert.
Kürzlich wurde sie, wie folgt, analysiert;
C = 67,66 %
H = 4,03 o/o
0 = 13,31 o/„
N = 0,23 o/o
S = 2,30 o/o
Asche = 10,45 o/^
hygr. Wasser = 2,02 o/q
100,00 o/o
Brennwert = 6 408,29 Kai.
Es zeigt sich namentlich eine Verminderung des unbequemen Schwefel-
gehaltes und eine beträchtliche Abnahme des Aschengehaltes.
Die Kohle des Benig neflözes enthält nach einer Bestimmung von
C. F. Kapaun-Karlowa (1869) 3,57 o/„ Malachit, was einem Gehalte
von 2,4 "/o Cu entspricht.
Fossilien. Hinsichtlich der organischen Reste wird auf die ver-
gleichende Florenübersicht S. 76 ff. hingewiesen. Die Schwadowitzer Schichten
kennzeichnet Stur*) durch das erste Auftreten der Pecopteris (Alethopteris)
Pluckenetii (Schloth.) Brgt.
1) Ebendort.
2) 1. c. S. 138—141 (Analyse aus 1899).
3) Stur, Verhandl. der k. k. geol. Reichsanst. 1874, S. 207. Vgl. auch
Katzer, Geol. von Böhmen, Prag 1892, S. 1142.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 83
Geplante Neu anlagen. Sollte das Hauptdöz durch den Jibka-
Schacht wirklich in der angenommenen Mächtigkeit und Güte anhalhend wieder
aufgeschlossen werden, so dürfte dieser Anlage voraussichtlich binnen kurzem
auf Dfewizer Terrain eine zyveite folgen und so der Betrieb der Schwado-
witzer Aktiengesellschaft die doppelte, ja vielleicht dreifache Größe erreichen.
Ferner plant man^) weitab vom Mundloch des Idastollen etwa in dem
Dreieck Vodolov-Batnowitz-Schwadowitz ein Bohrloch anzusetzen, um zu unter-
suchen, ob der Xaveristollner Flözzug sich nicht unter der Rotliegend-
bedeckung westlich des Parschnitz - Hronover Bruches noch vorfindet. Die
Bohrung würde sicherlich auch der Wissenschaft manchen Aufschluß über
die Tektonik des Parschnitz -Hronover Bruches bringen.
b. Hexenstein-Arkosen, Weithof er =
Mittlere Ottweiler Stufe, Weiß =
Potzberger Schichten, Gümbel.
Grenzen. Die Hexenstein-Arkosen mit teilweise rotem, teilweise grauem
Bindemittel finden wir im ganzen österreichischen Anteile an der nieder-
schlesisch-böhmischen Steinkohlenmulde von Berggraben im Streichen süd-
wärts bis gegen Hronov hin den IdastoUner Schichten konkordant aufgelagert.
Die Westgrenze des Arkosenzuges kann mit ziemlicher Deutlichkeit von Peters-
dorf ab südwärts am Westabhaug des Zaltmanrückens gezogen werden,
Während die Westgrenze nördlich des Petersdorfer Tales bis Berggraben
hin, wo sie unter den Alluvionen gänzlich verschwindet, nicht so deutlich
hervortritt. Ebensowenig scharf ist die Ostgrenze, indem zwischen Jibka
und Wüstrey die Höhenzüge inmitten der Radowenzer Schichten und des
Rotliegenden von ihnen gebildet werden. Verwischt und undeutlich zeigt
sich diese Grenze ferner bei Preußisch-Albendorf und nordwärts, wo die
Hexenstein-Arkosen in arkoseartigen roten konglomeratischen Sandstein
übergehen, der den Höhenzug im Osten des Johannesberg-Zuges bildet und
hier an einer Stelle namentlich verkieselte Hölzer-) führt. Eine genaue
kaitograpliische Abgrenzung dieser Schichten ist dem Verfasser bis zur
Drucklegung der Exkursionskarte ^) noch nicht möglicli gewesen. Jedenfalls
bilden sie auch hier die Höhenzüge bis ans (5te) 4te Flöz herauf, bilden
aber wahrscheinhch auch noch das Mittel zwischen diesem und dem (4 teil)
3ten Flöz der Albendorfer Flöze der Radowenzer Schichten. Es ist daher
vorläufig auf der Exkursionskarte die Weithofersche Grenze noch bei-
behalten worden. Als Nordgrenze ist das Verscliwinden dieses Zuges unter
den Alluvionen bei Königshan angegeben. NördHch dieser Linie wurden
1) Herr Obenngenieur Karlik teilte dies freundUchst mit.
2) Die Hölzer bestimmte Dr. Gothan-Berlin als cf. Dadoxylon spec. Eine
genauere Bestimmung ist nach den vorliegenden Stücken und deren Schliffen
nicht möglich.
S) Anfang März 1904.
84 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
im Bereiche der Exkursionskarte typische Hexenstein-Arkosen nicht wieder
angetroffen und auch über dem Nordrande der Karte im ganzen Gebiete
unserer Arbeit nicht aufgefunden. Die südliche liegrenzung bei Hronov
liegt außerhalb des Aurnahmegebietes.
Ein Blick auf die Karte zeigt deutlich die durch Erosion bedingte
lappenförmige Auflagerung auf die Schwadowitzer Schichten südlich des
Petersdorfer Tales. Den Gipfel des Türkenberges südlich Wüstrcy bilden
Ablagerungen der oberen Kreide (Cenoman-Quader), während sich sonst auf
seinen Hängen die Hexenstein-Arkosen in typischer Entwickelung finden.
Ihre mittlere Breitenausdehnung beträgt südlich des Petersdorfer Tales
etwa 3,5 km.
Einteilung. Es lassen sich im ganzen Bereiche der Hexenstein-
Arkosen im allgemeinen 2 Zonen, eine liegendere und eine hängendere Partie
unterscheiden. Die liegendere Partie keilt etwa südUch des Petersdorfer
Tales aus. Bei Wüstrey und Jibka lagert sich ihr die hängendere Partie
auf, die hier ihre höchsten Erhebungen erreicht und dann nordwärts allein
das Glaserbachtal überschreitet, sich in ihrem Streichen den Porphyren des
Rabengebirges nördlich vom Johannisberge immer mehr anschmiegt und
schließlich bei Berggraben unter den Alluvionen verschwindet.
Orographisches. Ihre mächtigste Ablagerung haben die Hexenstein-
Arkosen ungefähr in der Linie ,,Bohdaschin-Radowenz" erhalten, wo gleich-
zeitig auch die höchsten Erhebungen liegen. Südlich sowohl wie nördlich des
738 m hohen Hexenstein werden diePIöhen immer geringer. NaPerny nördhch
Bohdaschin (6.38 m), Schwedenberg mit 659 m, der Kühberg mit 631 m,
Koluerkö mit 689 m, der Brenden mit 733 und 688 m und der Johannes-
berg mit 696 m Seehöhe sind einige seiner bemerkenswertesten Erhebungen.
Hervorzuheben ist, daß sich diese höchsten Berge in der liegenderen Partie
der Hexenstein-Arkosen im Zaltmanrücken finden.
Petrographisches. Vom Hexenstein gegen Nordwest schalten sich
nach Weithofer') bereits mehrfach rote Schiefertone ein, die an
Mächtigkeit in gedachter Pachtung immer mehr zunehmen und den ganzen
liegenden und mittleren Teil des Zuges allmähUch verdrängen.
Fossile Pieste. Der berühmte versteinerte Wald von Radowenz, der
die Bewunderung jedes Forschers, jedes Laien ül)erl.iaupt erregte, hat infolge
der rücksichtslosen Sammeltätigkeit desMenscheii fast aufgeliört zu existieren.^)
Nur veiliältnismäßig wenige Bruchstücke der einstigen Herrlichkeit trifft man
an weniger begangenen Stellen des dichten Hochwaldes, von dem diese
Hexenstein-Arkosen meist bestanden sind, noch an. Göppert untersuchte
als Erster die hier verkieselt vorkommenden Stämme genauer und beschrieb
1) Weitliofcr 1, 0. S. 4G2/63.
'■') Der Breslauei- botanische Garten liesitzt gUlcklicIierweise einige der besten
und schönsten Exemplare.
II. Abteiluup;. Naturwissenschaftliche Sektion.
II
1904.
8(5 Jaliresbcrichl der Sohles. GeseÜscliaCt für valer). Ciiltuv.
die gefundenen Araucarlten als Arancaiites Schrollianusi) und Araucari-
oxilon Ri'andlingn. Bruchstücke dieser beiden Pflanzen llndel, man aucli
jetzt nooli gelegentlich, jedoch relativ selten. Um so mehr bin ich dem
prinzlich Schaumburg-Lippeschen Forstrale Herrn Baron von Ulmenstein
zu Danke verpflichtet, der mir mitten im Hochwalde auf steiler Bergeshöhe
südlich des Kühberges zwei solcher Araucariten zeigte. Ihre Bestimmung ist
aber nicht ausführbar, ohne das jetzt selten gewordene Vorkommen zu
zerstören. Das hier beigegebene Bild (Fig. 4) zeigt das Vorkommen des
Araucariten im Muttergestein ziemlich deutlich. Der größte Stamm ist
3,70 m lang, von ovalem Querschnitt mit 0,57 m größtem Durchmesser
und vollständig eingelagert, ja fast verborgen in den fcldspatreichen Sand-
steinen dieses Zuges.
Alter. Allgemein wird jetzt diese Ablagerung den mittleren Ottweiler
Schichten gleichgestellt und speziell den ganz gleichartigen Ablagerungen
des Siebigeröder Sandsteines, der hangenden Partie (ß) der Mansfelder
Schichten^) des Wettiner Revieres pärallelisiert. So alle deutschen Forscher
und österreichischerseits Wcithofer und Jan Krejci.^) Nur Katzer*) hält
noch an der Auffassung Jokelys und der beiden Feistmantel fest und
rechnet diese Schichten, sowie das ,,R.adowenzer Flöz" seinem ,, Post-
karbon" zu.
c. Radowenzer Schichten Stur = Obere Otlwei 1er Schichten Weiß.
Konkordant finden wir diese Schichten im ganzen Kartengebiete den
Hexensteinarkosen aufgelagert. Eine stratigraphische Abgrenzung gegen
das Unterrotliegende zu ziehen, soll der Zweck nachstehender Zeilen sein.
Es sollen deshalb zunächst die gesamten Sedimente zwischen Kreide und
Hexensteinarkosen zusammen betrachtet werden.
Grenzen. Im Norden reicht die Ablagerung bis Berggraben und ver-
schwindet hier zusammen mit den Hexensteinarkosen unter den Älluvionen.
Gegen Westen bildet der Hcxensteinzug die nicht immer scharfe Grenze, die
westliche Begrenzung bildet die obere Kreide, die K. Flegel in seiner „Studie
über die obere Kreide im böhmisch-schlesischen Gebirge. Heuscheuer
und Adersbach-Weckelsdorf Breslau 1904" eingehend bearbeitet hat.
und als Südgrenze tritt die außerhalb unseres Gebietes liegende Hronov-
Zdiareker. Kreidelransgression auf.
1) Göpperi, Jahrb. d. k. k. 5,'eol. R.-Anst. 1857, S. 725 ff.
Göppert, Über die versteinten Wälder im niirdl. Böhmen und iu Schlcs. —
36. Jalu-esber. d. Schles. Ges. f. vaterl. Cultur. 1859.
a) Abhandl. der kgl. geol. Laudesanst. Neue Folge Heft 10. Berlin 1899. S. 1(>2
und Lethea palaeozoica 2. Bd. Stuttgart 1897—1902. S. 341 u. 354.
3) Jan Krejci,' Geologie cili nauka o ütvarech zemskych. V Prazo 1869.
4) Katzer, Geologie von Böhmen, Prag 1892, S. 141. — Auf eine neuere
Arbeit Katzers (1904) werde ich bei Besprechung der Radowenzer Schichten ein-
gehen und dabei nochmals auf seine irrige Altersbestimmung zurückkommen.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Selition. 37
Orographisches. Das gesamte an manchen Stellen nur wenige
100 m breite Bereich des Flözzuges ist im allgemeinen flach abgelagert.
Die größeren Erhebungen finden sich erst weiter im Hangenden, welches,
wie hier gezeigt werden soll, bei'eits postkarbonen, rotliegenden Alters ist.
Die höchsten Erhebungen sind der Berg zwischen Qualisch und Radowenz
mit 589 m und die beiden Erhebungen westlich von Potschendorf mit 583
und 584 m über dem adr. Meere.
Zusammenvorkommen von Kohle mit Kalk, Kupfer- und
Eisenerzen an der Grenze von Karbon und Dyas.
Die ganze Ablagerung bis zur Kreide wird außer durch das Auftreten
von Flözen noch durch das erste Vorkommen von Kalk und Kupfererzen
in ihren Schichten charakterisiert. Als Hängendstes finden wir im Rot-
liegenden Kalkbänke, Kupfererze und Eruptivgesteine, in der
mittleren Lage Kalkbänke, Kupfererze und Kohle neben Eisenerz,
während die untere Lage, die eigentlichen Radowenzer Schichten,
vornehmlich durch die Ablagerung von Kohlenflözen, zwischen denen
gelegentlich auch Eisensteinflöze vorkommen, bezeichnet wird. Zu-
letzt soll hier der Kupferlager, die samtlich dem Rotliegenden angehören,
gedacht werden.
Flöze des Radowenzer Horizontes.
Es dürfte sich empfehlen, jetzt erst die liegenderen Schichtenkomplexe
mit den Kohlenflözen hier vor den hängenderen wesentlich durch Kalkzüge
charakterisierten Partien zu besprechen. Leider sind die Grubenbaue zum
weitaus größten Teile so verbrochen, daß, eine Befahrung absolut aus-
geschlossen ist und südwärts über Radowenz hinaus fehlen künstliche Auf-
schlüsse überhaupt ganz. Erschwert wird die Beschreibung und vor allem
eme identifizierende Gruppierung der Flöze noch durch den Umstand, daß
es ungeheuer schwierig ist, Pflanzen von den verschiedenen Punkten
emstiger Bergbauaufschlüsse zusammen zu bringen. So fehlen solche aus
Qualisch und Radowenz gänzlich und aus Jibka Hegen nur wenige, sehr
Schlecht erhaltene kaum bestimmbare Reste vor. So war die Sammlung
Schönknecht eigentlich die einzige Quelle, aus der Verfasser wenigstens
emige Anhaltspunkte für eine Flözgruppierung schöpfen konnte. Liegen
erst vollständigere Sammlungen vor, so lassen sich die etwa hier gemachten
'Jngenauigkeiten ausgleichen. Vielleicht muß man dann sogar fast den
ganzen Flözzug als Rotliegendes ansprechen, soweit der preußische Gebiets-
teil in Frage kommt.
Petrographisches. Die Sedimentgesteine sind, wie schon oben
'^''Wiihnt, neben roten Konglomeraten rote Schiefer- und Sandsteine, die erst
6*
88 Jahresbericht der Sciües. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
unmittelbar bei den Flözen eine graue bezw. schwarzgraue Färbung
annehmen. Durch das vorherrschende Rot wird es fast zur Unmöglichkeit,
die Gesteine dieser Schichten vom Rotiiegenden zu trennen, wenn l<eine
fossilen Reste erhalten sind.
Beschreibung der Radowenzer Flöze.
Dicht über den Arkosen finden wir die 9 — 10 Flöze dieses Zuges
abgelagert, die auf eine streichende Länge von rund 3 Meilen von Berg-
graben l)is zum Türkenberge durch zahlreiche Schürfe aufgedeckt sind,
indessen nur bei Berggraben, Potschendorf, Teichwasser, Albendorf,
Qualisch, Radowenz und Jibka für längere oder kürzere Zeit der Gegen-
stand eines kleinen Abbaubetriebes waren. Gegenwärtig sind nur das
St. Gülestin-Steinkohlenwerk (Völkel) bei Qualisch und die ehemals Drechsel-
l'.zehakschen Gruben bei Radowenz im Betriebe, von denen letztere nur
für den Bedarf der eigenen Spinnerei fördern und Völkel je nach den Ab-
satzverhältnissen fristet.
Infolge dej- starken Verschieferung haben sich in Österreich bisher
von den Flözen kaum 3 als bauwürdig erwiesen.^) Da von den Flözen
nur das weißmittelige im Streichen ziemlich weit bekannt ist, kann man
dieses vielleicht als Leitflöz bezeichnen. Verfolgt man die alten Baue von
Nord nach Süd, so treten zunächst bei Berggraben 2 Flöze auf, die durch
einen Stollen gebaut wurden. Näheres über die Ablagerungen in diesem
Stollen konnte nicht ermittelt werden, so auch nicht, mit welchen Flözen
die beiden hier einst gebauten zu identifizieren sind.
Bei Teichwasser finden wir den nächsten Betrieb vor, der sicli ledig-
lich auf den Abbau des Walchienflözes (Karlsröschen) = ersten Albendorfer
Flözes beschränkte.^) Geht man von hier aus etwa 1 km im Streichen
nach Süd, so trifft man auf den alten Walzeischen tonnlägigen Schacht im
Potschendorfer Gebiete. Dieser hat ein 230 m querschlägig im Hangen-
den des Karlsröschenflözes befindliches Steinkohlenflöz gebaut, welches sich
durch geringen Kupfergehalt auszeichnet. Die auf der Halde lagernden
Kohle- und Schieferreste tragen einen leichten Malachitanflug, eine Tat-
sache, die sich ebenfalls, freilich in viel geringerem Grade, beim 5. Alben-
dorfer Flöz wahrnehmen läßt. Im Hangenden des unten zu behandelnden
Zemenlkalkflözes ist beim Auffahren eines Kalkstollens in Potschendorf ein
nur wenige Zoll mächtiges Flözchcn durchfahren worden, welches man als
das hängendste der gesamten Flözablagerung anzusprechen hat.
1) Mineralkohlen, S. 206/7.
ä) Die Angaben über Potschendorf, Teichwasser und Albeiidorf füllen auf
einer im Manuskripte vervielfältigten Denkschrift aus 1889, die uns ihr Verfasser
Herr Scbönkneoht-Landeshut, freundlichst zur Verfügung gestellt hat.
IL Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 89
Ein genaueres Bild der Ablagerung erhält man durch die Albendorfer
Gruben „Neue Gabe Gottes", „Bergmannshoffnung" und „Ida Robert'-.
Dazu zu rechnen ist, weil ursprünglich derselben Gewerkschaft gehörend,
der jetzt aufgelassene Freischurf ,, Johanna", hart an der Landesgrenze auf
Qualischer Gebiet beim sog. Felsenkeller. Sind die Gruben auch gegen-
wärtig in Fristen, so datieren die Aufschlüsse doch immerhin aus jüngerer
Zeit, so daß man unter Führung ortskundiger Herren eigentlich alles das
findet, was das ,, Expose" angibt, und noch etwas mehr.
Vom Hangenden angefangen, tritt uns hier das Karlsröschenflöz oder
erste Flöz in einer Mächtigkeit von 0,5 — 0,7 ra^) entgegen. Durch die
Karlsrösche der ,, Neuen Gabe Gottes" ist es 900 m und im Almastollen
der ,,Bei'gmannshoffnung- Grube" weitere 2<S0 m Streichen untersucht
worden.
Nach 8 m Zwischenmittel folgt im Liegenden ein Kohlenbesteg von
8 — 10 Zoll und 24 m weiter das 0,3 m starke zweite Flöz, das auf beiden
Gruben bekannt, aber nie zum Abbau gelangt ist.
50 m unter diesem lagert, wenn ein ToneisensteinOöz übergangen wird,
das ,, leitende" dritte oder ,,weißmittelige" Flöz, das beständigste der ge-
samten Ablagerung mit einer mittleren Mächtigkeit von 0,8 — 1,75 m, voo
welcher 0,4 — 1,0 m auf das Zwischenmittel entfallen.") Die mittlere
Mächtigkeit in Albendorf beträgt 1,5 m. Schütze gibt die Stärke auf
1,35 m an, wovon 0,78 m auf die Oberbank, 0,47 m auf das Mittel und
0,1 m auf die Niederbank entfallen. Das Interessanteste an diesem Flöze
ist das weiße Mittel, welches schon auf größere Entfernung die Halde der
„Bergmannshoffnung" u. a. Grubenbaue kennzeichnet. Ein Versuch, dieses
Mittel, einen feuerfesten Ton, zu Schamotteziegeln und Schamottemörtel zu
verarbeiten, ist nach dem vorliegenden Schönknechtschen Manuskripte
zur größten Zufriedenheit ausgefallen. Deshalb sei die bisher unbekannte
Analyse dieses Mittels, wie sie die Handschrift enthält, hier beigefügt.
Dr. Koßmann- Breslau bestimmte darin:
Kieselsäure . . 54,83 %,
Tonerde . . . 22,17 =
Eisenoxydul . . 6,82 -
Manganoxydul . 0,81 =
Kalkerdc . . . 1,32 =
Magnesia . . . 1,40 --
Transport 87,35 7o,
1) BezügUch der Mächtigkeitsangaben, die von den Untersuchungen früherer
Autoren etwas abweichen, sei auf Schütze 1. c. S. 237— 4-0 zum Vergleich hin-
gewiesen.
3) Mineralkohlen, S. 207.
90 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cullur.
Kalium
Natrium
Wasser
Kohlensäure
Titansäure
Übertrag 87,35 7„,
1,51
1,00
6,66
2,51
0,96
Sa. 99,99 »/q.
Umgerechnet auf Verbindungen ergibt das:
Tonsubstanz . . 46,48 «/g,
Feldspat . . . 27,70 ..
Sand (Quarz) . 18,12 »
Spateisen . . . 6,ül =
Titansäure . . 0,96 =
Sa. 99,87 %.
Die Niederbank dieses Flözes ist unrein. Da sie indessen in Radowenz
rein auftritt, wäre es nicht ausgeschlossen, daß man diese Bank des Flözes
in größerer Teufe auch hier in Albendorf rein antreffen würde.
Etwa 40 m querschlägig im Liegenden dieses Flözes trifft man auf das
4. Flöz mit einer Mächtigkeit von 1 m. Bisher ist nur sein Ausgehendes
bekannt und der Betrieb von 1898 auf der ,, Neuen Gabe Gottes" hat es
durchfahren. Man weiß aber dadurch nur von ihm, was bereits Schütze
angab, daß es aus mehreren Bänken von 0,15 — 0,21 m Kohle besteht.
Das ca. 50 m unter dem 4. Flöz lagernde,, bisher als liegendstes der
Albendorfer Gruben auf ,, Johanna" aufgeschlossene 5. Flöz wird im Gegen-
satze zu Schütze von vorliegender Denkschrift zu 1,5 m Mächtigkeit an-
gegeben und soll auch Bauwürdigkeit zeigen.
Flöze bei Qualisch und Radowenz.
Die Völkelsche Grube St. CöIesLin und das Radowcnzer Kohlenwerk
besitzen vom Hangenden zum Liegenden folgende 6 Flöze:
1. das ,, muldige Flöz", 0,8 m mächtig mit 0,15' — 0,46 m Kohle,
20 m Zwischenmittel ;
2. das ,, große Flöz", 1,4 rn mächtig, mit 0,65 — 0,7 m Kohle,
4 m Zwischenmittel;
3. das ,,weißmittelige Flöz", 1,3 m mächtig, mit durchschnittlich
0,75 m Kohle,
80 m Zwischenmittel ;
4. das ,, kleine Flöz", bestehend aus 0,32 m reiner Kohle,
12 m Zwischenmitte];
5. das ,,Putzenflöz", 0,78 m mächtig, davon 0,16 m reine, 0,32 m
unreine Kohle,
50 m Zwischenmittel;
6. das ,,Baltliasarnöz", 1,3 — 1,8 m mächtig, mit 0 42 m reiner Kohle.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 91
Alle diese Fiüze streichen im wesentlichen N 30 W und verflachen
sich in n. o. Richtung mit 18 — 32".
Um vorerst die Albendorfer Ablagerungen zu Ende zu führen, seien
hier noch die Eisenerzlager besprochen.
Die aus sandigem Schieferton und Sandstein bestehenden Zwischen-
mittel führen in Albendorf mehrfach Eisenerze, die bereits früher zum Teil
abgebaut und verhüttet' wurden. ' Zwischen dem 3. und 4. Flöze tritt
ein etwa 3 m mächtiges Sphärosideritlager auf mit 19,81 "/q Fe.,') welche
seinerzeit von der ,,Fried«nshütte" durch den Eugenstollen abgebaut wurde.
Sein Ausgehendes trifft marT mehrfach auf der nördlichen Talseite an.
3 rn im Hangenden des ersten Flözes soll ein 0,6 m mächtiges Black-
band abgelagert sein, d. i. Tonschiefer, der Sphärosiderit in feinverteiltem
Zustande führt; dieses wurde kurze Zeit hindurch ebenfalls verhüttet.
Toneisensteinablagerungen finden sich in Albendorf auch mehrfach, so
ein ToneisensteinQüz") zwischen dem zweiten und dritten und eines zwischen
dem vierten und fünften Flöz.
Interessant ist ferner ein Vorkommen von Koteisenstein, welcher, ohne
daß man sein Anstehendes bisher näher kennt, etwa 75 — 100 m im Hangenden
des ersten Flözes häufig auf den frisch gebauten Feldern zu finden ist.
Im Laboratorium der Fürstlichen Bergwerksdirektion Ober-Waldenburg
wurden zwei Proben dieses Minerales in diesem Jahre analysiert und
folgender Eisengehalt bestimmt:
I. 48,33 »/o und II. 40,74 »/q Fe.'')
In etwa demselben Schichtenhorizont fand der Verf. am Südwestabhang
des Radowenz-Jibkaer Höhenrückens ebenfalls auf frisch gepflügten Feldern
mehrere Stücke Roteisenstein. Es erscheint also nicht ausgeschlossen, daß
sich das Roteisensteinlager bis Jibka fortsetzt.
In der folgenden tabellarischen Vergleichung sei der Versuch gemacht,
die Flözablagerungen von Albendorf und Qualisch zu identifizieren:
1) Neue Analyse freundlichst mitgeteilt durcli das Chemische Laboi'atorium
der Fürsthohen Bergwerksdirektion zu Waidenburg.
a) Nach einer Analyse des chemischen Laboratoriums der Fürstlichen Bergvverks-
Jirektion aus dem laufenden Jahre enthält dieser ToneLsenstein 25,55 O/o Fe.
3) Für die freundliche (Überlassung der Analysenergehnisse sei es gestattet
iler Fürstlichen BergwerksdirekLion von dieser Stelle aus zu danken.
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultu
Preuß. Albendorf.
Qualisch (Cölestingrube).
Walchienflöz 0,5 — 0,7 m mit
Walchia piniformis,
8 m Mittel;
erstes Flöz (Kohlenbesteg) 0,21
bis 0,26 m
24 m Mittel;
[Oben.
zweites Flöz 0,3 m
50 m Mittel;
= Muldiges Flöz, 0,8 ni (Kohle 0,1.5
bis 0,46 m),
20 m Mittel;
=^ großes Flöz, 1,4 m (Kohle 0,65
bis 0,7 m),
4 m Mittel;
drittes Flöz 0,8—1,75 m (0,88 m = weißraitteliges Flöz, 1,3 m (Kohle
Kohle)
40 m Mittel;
viertes Flöz 1 m mächtig (mehrere
schwache Bänkchen Kohle)
50 m Mittel;
fünftes Flöz, 1,5 m (Kohlernächtig-
keit?) mit der typischen Rado-
wenzer Flora
0,75 m),
80 m Mittel;
= kleines Flöz, 0,32 m (reine Kohle),
12 m Mittel;
= Putzenflöz, 0,78 m (0,48 m Kohle),
50 m, Mittel;
' — Balthasarflöz, 1,3—1,8 m (0,45 m
reines Kohl). [Unten.
Die Richtigkeit der Gruppierung kann nur geprüft werden, wenn durch
bergmännische Aufschlüsse die Albendorfer Flöze noch einmal näher unter-
sucht worden sind. An der Identität des weißmitteligen Flözes kann wohl
kaum gezweifelt werden, es fragt sich nur, ob der kleine Kohlenbesteg
bei Albendorf wirklicli identisch mit dem „muldigen Flöz" von Qüalisch ist.
Aus der Flora der Radowenzer Schichten liegen nur wenige
Reste vor.
Vom 5. Flöz der Johanna-Grube, Qualisch, stammen aus der Sammlung-
Schön k n e c h t ;
Pecopteris hemitelioidcs Brgt. (2 Exempl.)
Annularia sphenophylloides (Znk.) Ung. (brevifolia Brgt.)
Neuropteris (Mixoneura) gleichenioides. (Göpp.) Stur.
Die Sammlung des hiesigen Institutes besitzt vom selben Fundpunkte
noch folgende von Dr. Kirchner bestimmte Reste:
Sigillaria (Subsigillaria) Defrancei Brgt
Annularia stellata (Schloth.) Wood.
— sphenophylloides (Znk.) Ung.
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion.
Callipteridiura pteridium (Schlolh.) Zeil.
Calamites Suckowii Brgt.
— cruciatus Sternbg.
Asterophj'llites equisetiformis (Schlolh.) Brgt.
Stigmaria flcoides (Sternbg.) Brgt.
Das in der vorangegangenen Tabelle unter „Albendorf-' isoliert stellende
Walchienflöz gehört, wie die nachfolgend erwähnten fossilen Reste dargetan
haben, einem höheren Horizonte an. Inwieweit etwa die liegenderen Flöze,
vor allem das muldige Flöz (= Kohlenbesteg) ebenfalls dem Rotliegenden
angehören, das kann erst auf Grund zahlreicher vorliegender Pflanzenreste
klargestellt werden. Herr Schönknecht gab nun freundlicher Weise
an, es habe kein Unterschied bestanden in der Struktur und dem Aus-
sehen der Schiefer und der Sandsteine aus dem Bereiche sämtlicher Flöze
einschließlich des Walchienflözes. Es erscheint demnach noch lange nicht
ausgemacht, ob nicht die gesamte Albendorfer Flözablagerung dem Rot-
liegenden einzubeziehen ist, wenn sich aucli freilich vorläufig eine solclie
Annahme nicht beweisen läßt.
Flözablagerungen südlich lladowenz.
Südöstlich von Radowenz wurde vor Jahren bei Jibka ein etwa 0,3 m
mächtiges Flöz') abgebaut. Das Abklopfen der Halde ergab nur eine
Pecopteris vom Typus oreopteridia, die wegen ihres schlechten Erhaltungs-
zustandes nicht näher bestimmt worden ist. „Bei Wüstrey wurde ein
Flöz von 1,25 m (einschl. 0,47 in Mittel) erschürft und zur Verleihung
gebracht." 1)
Der genau östlich Jibka am westlichen Talhang gelegene ,, Franziska-
stollen" hat bei seinem kurzen Betriebe auch kein besonderes Ergebnis
gehabt.
Eine Identifizierung dieser letztgenannten Flöze wird vielleicht möglich
sein, wenn die Ergebnisse einer Tiefbohrung, die, wie mir Herr Hofmann -
Jibka freundlichst mitteilte, auf seinem Freischurgebiet in Aussicht genommen
'St, geologisch bearbeitet sein werden. Die im allgemeinen ruhige Lagerung
dieses Flözgebirges wird nur an einer einzigen Stelle stärker unter-
brochen, wenn von den kleinen Verwerfungen, Flözverdickungen etc. ab-
gesehen wird.
Im Kaspnrstollen des Völkelschen Kohlenwerkes in Qualisch ist das
^eißniittelige Flöz durch einen widersinnigen Sprung etwa 100 m von
West nach Ost ins Hangende verworfen. Im Streichen südlich gegen
f^adowenz vom Kasparstollen bricht das weißmittelige Flöz (hier „Albendorfer
^eißmitteliges" genannt) plötzlich ab und 120 m gegen Nord vom selben
1) Mineralkolilen, S. 207.
94 .lahvesbericht der Sohles. Gesellschaft, für vaterl. Cultur.
Stollen keilt das ,,Radowenzer weißmittelige" Flöz aus. Die Beobachlung,
daß sich die Flöze hier wie im ganzen behandelten österreichischen Oe-
bietsteii, abgesehen von den beiden Schatzlarer Klüften, vorn Liegenden zum
Hangenden verwerfen, kann luan überall im ganzen preußischen Gebiets-
teile der Waldenburger Steinkohlenmulde machen.
Durch diesen Sprung soll sich auch die Beschaffenheit des Mittels ge-
ändert haben. Während in Albendorf, wie oben gesagt, bei dem Versuche,
dieses Mittel zu Schamotteziegeln zu verarbeiten, ein günstiges liesultat er-
zielt wurde, zeigt sich beim ,,Radowenzer" weißmitteligen Flöz keine der-
artige Eigenschaft mehr, und wird es deshalb einfach in der Grube ver-
setzt, auf die Halden gestürzt oder günstigen Falles zur Straßenausbesse-
rung verwandt. Indes sind hier weder in Qualisch noch in Radowenz Ver-
suche mit dem weißen Mittel angestellt worden, und deshalb möchte ich
diese Beobachtung doch etwas anzweifeln. Mit dem weißmitteligen Flöz
sind natürlich die übrigen Flöze auch mit verworfen, jedoch hebt sich,
eben vermöge des weißen Mittels, die Verwerfung bei diesem ,,Leilflöz der
Radowenzer Schichten" besonders gut ab.
Beschaffenheit der Kohlen. Die Kohle ist eine schwach backende
Glanzkohle von milder Beschaffenheit, ihr Bruch ist im. allgemeinen muschelig.
Der Stückkohlcnfall ist verhältnismäßig hoch (in Albendorf, Walchienflöz
40%). Der Schwefelgehalt ist ungefähr derselbe wie bei den vorerwähnten
älteren Flözen der Xaveri- und IdastoUner Gruppe. Vom 3. Flöz in Qualisch
liegen 2 Analysen vor, die ich beide anführen möchte: Schwackhöfer,^)
untersuchte Kleinkohle vom 3. Flöz und fand 1,57 "/o verbrennlichen
Schwefel, 22,92 ^o Asche, 6,14 "/p hygroskopisches Wasser. Den Ver-
dampfungswert gibt er zu 8,18 und den kalorischen Wert zu 51.54 an. Die
aschen- und wasserfreie Kohle enthält 78,99 o/» Kohlenstoff.
Die andere, ältere Analyse^) von Steinkohle II, Großkohle des 3. Flözes
ergab, daß diese 88,0 "|^, brennbare Substanz, 4,4 "/o Wasser und 7,6 7o
uuverbrennbare Stoffe enthält. Der kalorische Wert stellt sich in dieser
Analyse wesentlich höher, beträgt .5642 Kalorien und erreicht so fast den
Wert der Schatzlarer Kohlen. Indes erscheint mir dieser Wert doch etwas
hoch zu sein. Bei der Verkokung wurden 60 "/g Koks erzielt. Schramm
bezeichnet diese Kohle als Gas- und Schmiedekohlen.
Hinsichtlich der Beschaffenheit der Kohle des Walchienflözes sei das
Schönknechtsche Manuskript zitiert.
Die Kohle ist Kokskohle und wurde in der Kulmizschon Koksanstalt iu
Rothonbach einer Probe unterzogen, ferner gute Gaskohle, wie ein Ver-
such in der Landeshuter Gasanstalt ergab. Ein Zentn. Kohle gab 360
Kubikfuß gutes Gas und 63 "/„ Koks.
1) Scbwackböfer 1. c. S. 14-0/41.
2) Carl Schramm, Scliacht dem Koldenwucher. Wien 1876
II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 95
Vergleich der Otlweiler und Saarbrücker Stufe mit den
Ablagerungen bei Semil.
Versuchen wir auf Grund der vorhandenen Literatur^) und namentlich
nach Weithofer eine Parallelisierung, so ergibt sich folgende Tabelle:
Jokely. Semil. Böhmischer Muldenflüge].
Obere Etage: Intensiv rote Schiefertone •_! 0" , f^ S
mit ^ ^" -^ ^•
Mergel- u. Brandschieferflözehen, rg 'rß §" § fc '"
Cu-Gehalt g =^ | "= S S
und dem 4. Melaphyrstrome. -S. ^ ^ t S, ^,
Starke Diskordanz Konkordanz
Mittlere Etage: Rote, oft grün geflammte Sand- o g Ö "£ S a
steine und Schiefertone stellen- 2 o 'S S , 'ft
^ -o ^ O S^ ■"
weise mit Mergelkalksteinen. s =5 9 ii -^ ■^
Arkosen mit häufigen Araucarites. Hexenstein-Arkosen.
Untere Etage: Brandschiefermit Schwarzkohlen- oj o 0 ^■
flözcheii und Mergelkalksteinen
(bei Slana, Hofensko, Nedwez
und nördUch Pohof ) und 3 Mela-
phyrströmen, in deren Liegendem
von Semil bis Mohren ein Brand-
und Mergelschieferflöz mit Cu-
Imprägnierung auftritt.
Zwischen- und angelagert sind
diesen Melapliyrströmen im Lie-
genden graulich bis grünlich-
braune oder graue Sandsteine
mit verschiedenen Bänken eines
gleichgefärbten Schiefertones, der
nach oben allmählich herrschend
wird. ^ <^
Graue und braune Konglomerate
mit wenigen Schiefertoneinlagen.
^ i=i -g
^
Schatzlarer Schichten.
J) Porth, Verh. der k. k. geol. R.-A. 1858 S. 37. — Jokely, Jahrb. d. k. k.
geol. R.-A. 12. Bd. 1861/62 S. 381—395. — O. Feistmantel, ebendaselbst 1873 S. 254.
~~ Krejci, Geologie cili nauka 0 ütvarech zemsky'ch. V Praze 1876 S. 594. —
^Veithofer, 1. c. S. 473. ~ Ders., Verh. d. k. k. geoL R.-A. 1897 S. 317. — Ders.,
«bendort 1901 S. 336. — Ders. ebendaselbst 1902 S. 399. — Ders., Sitzungsber!
^- tais. Akad. d. Wiss. Mathem.-nat. Kl. Bd. 107. Wien 1898 S. 53. — Katzer,
^erh. d. k. k. geol. R.-A. 1904 S. 1.50ff. — Helmhaoker, Über das Steinkohlen-
Vorkommen in der Pennformation in Böhmen, „Der Kohleninteressent" Tephtz
189B Nr. 4-7.
96 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.
Diese Ablagerungen bei Semil hatte man bereits früher schon mit den
Ablagerungen Östlich des Parschnitz-Hroriover Bruches in Zusammenhang
zu bringen versucht. Namentlich handelte es sich dabei ura die Alters-
bestimmung der beiden Flözablagurungen von Stepanitz und Koschtialow-
Hofensko. Po rth, Jokely und Feistmantel rechneten sie, letzterer unter
Aufzählung von 22 Pflanzen, ins Rotliegende*, Krejci trennte die beiden
Züge und setzte den von Stepanitz den oberen Ottweiler Schichten gleich,
während er dem anderen Flözzuge das mittelrotl legende Alter der Braunauer
Schichten zusprach. Stur sah die Stepanitzer Flöze (1874 und 1878)
auf Grund ihrer Flora als oberkarbonisch (= P>ossitzer Schichten) an
und Helmhacker verwies sie ins Rotliegende.
■In seiner neuesten Veröffentlichung führt Katzer folgende Pflanzen-
reste von den alten Halden der Stollen bei Cikvaska und Nedwez (vom
(Nadeje- und Rohan-Stollen) aus dem Hangenden der Kohle an:
Sphenopteris cf. tridactylites Brgt.
Pecopteris arborescens Brgt.
= den lata Brgt.
Alethopteris Serlii Brgt.
Neuropteris spec.
Calamites Suckowii Brgt.
Stigmaria ficoides Brgt.
Cordaites principalis Germar.
Poacordailes palmaeformis (Göpp.) Sterzel.
Auch durch diese wenigen Pveste ist die Altersstellung noch nicht
sicher. Da keine typische Rotliegendflora vorliegt, so kommt nur eine
Parallelisierung mit den Radowenzer oder Schwadowitzer Schichten in
Frage. Jedenfalls aber gehören die Radowenzer Schichten ebenso wie die
Hexenstein-Arkosen (Anm. 4 S. 86) zum Karbon, obwohl Katzer, wie
ich au anderer Stelle bereits hervorhob, diese Tatsache noch immer be-
zweifelt. Das Rotliegende beginnt erst, aber dann auch stets mit dem
Auftreten von Walchia, Callipteris, Calamites gigas, Gomphostrobus, Di-
cranophyllum und dem häufigen Vorkommen vonCallipteridium und Mixoneura.
Die Richtigkeit der Bestimmung obiger Pflanzen vorausgesetzt, sind wir der
Lösung der Altersfrage vielleicht einen Schritt näher gerückt, aber die end-
gültige Entscheidung ist erst von einer Neuaufnahme der Gegend zu erwarten.
Konkordanz und Diskordanz zwischen Karbon und Dyas.
Zwischen dem Radowenzer Flözzuge und den 'J'eichwasser Schichten
konnte im ganzen Gebiete nicht die kleinste Diskordanz, nur ein leiser
Fazieswechsel bemerkt werden. Wir müssen also eine völlige Konkordanz,
ein Übergehen der älteren Sedimente in die jüngeren annehmen. Tritt
aber wie bei Reichhennersdorf das Rotliegende als Hangendes der Schatz-
larer Schichten auf, so bemerkt man eine starke Diskordanz. Der Unter-
schied der Fallwinkel nach dem seinerzeit angefertigten Profile (Tafel D
IL Abteilung. Naturwissenschaftliclie Sektion.
97
beträgt 24". Die Untersuchung der Bohrkorne widerspricht dem keines-
wegs. Steilfallende Schichten (40 — 70") werden in den Kernen von Rot-
liegend-Sandsleinen mit meist geringerem Einfallen (ca. 18") überlagert.
Diese Diskordanz wurde bereits von Schütze*) erwähnt. Ebenfalls dis-
kordante Auflagerung nimmt er bei Porst östl. Landeshut an,*) A. Schmidt
hat in seiner schon mehrfach zitierten Dissertation die Diskordanz zwischen
Karbon und Rotliegendem festgestellt und im sächsischen Erzgebirge ist
dieselbe Diskordanz schon längst bekannt.
Diese und andere Beobachtungspunkte veranlassen mich, für den
größten Teil der Wäldenburg - Schatzlarer Mulde eine Diskordanz
zwischen dem Karbon und
Rolliegenden anzunehmen. Xy?\'/?a(yo,
Zwischen den Ablagerungen
des jüngeren Karbon der Ott-
Weiler Stufe und den Sedi-
menten des unteren Rotliegen-
den läßt sich bei Albendorf
eine Diskordanz nicht be-
merken; es ist hier nur ein
Fazieswechsel eingetreten.
Das Auftreten zweier ver-
schiedener Floren''') in dem
unteren und oberen Horizonte
der Flözablagerungen des bis-
herigen Radowenzer Zuges
veranlassen eine paläontolo-
gische Trennung des strati-
graphisch zusammenhängen-
deu Schichtenkomplexes.
1. Kupfererzlagerslätle von Unter -VVernersdorf in Böhmen.
Da seit einer Reihe von Jahren der Betrieb der Kupferstollen ruht und
eine Befahrung unmöglich war, so sei hier nur an der Hand der literatur")
das Ergebnis von Erkundigungen wiedergegeben, die Verfasser bei dem
'ä/fed-
Carbon
Obere Grenze dei
^Unteren Canglomeräte
Untere Grenze der
n Conglom
-^ Porphyr
l Gottfried -Stollen
Z, Johannen » "
3. Theresen « »
Kartenskizze der Unter-Wernersdorfer Kupfererz-
lagerstälte.
(Aus dein zit. Gürich'schen .Aufsatz.)
1) Schütze, Geognost.-bergmänn. Beschreib, der lieiden Waldenbiirger Berg-
'■eviere. Selbstverlag 1892. Festsclirift zum V. allgemeinen deutscheu Bergmannstage.
2) Von der Flora des Unteri-otliegenden wird in einem der folgenden Absätze
gehandelt werden.
3) Gilricb, die Kupfererzlagerstätte von Wernersdorf bei Radowenz i. B.
Zeitsclir. f. prakt. Geol. 1803, S. 370/71.
Dei'selbe, Geolog. Ftihrer in das Riesengeb. Berlin 1900, S. 101.
Fürth im Jahrb. der k. k. geol. Reir.hsanst. 1859.
Österr. Zeitschr. f. Berg- u. Hüttenwesen 1888. S. 676 f. (C. A. Hering,
f^ber die Kupfererzlager der Dyas im nordöstlichen Böhmen.)
C. A. Horin g, Bericht etc. Zeitsohr. f. Berg-, Hütten- u. SaHnenwesen im preuti.
Staate. Band 45, 1897. S. 52.
Jahresbericht der Schles. Gesellschaft,
früheren Betriebslei ler in
Unter- Wernersdorf anstellte,
und im übrigen auf das
beigegebene dem zitierten
Gü rlchschen Aufsatze Inder
Zeitschrift für prakt. Geologie
entnominene Profil (Textfig. 6)
verwiesen.
Lagerung d e r K u p f e r -
ei'ze. Gürich unterscheidet
inderSchicht über demKarbon
zun;ichst eine Zone „untere
Konglomerate", darüber „röt-
liche, seltener grünliche
Schiefertone, die stellenweise
etwas sandig werden", und
im Hangenden „obere Kon-
glomerate, die nach dem
Hangenden in mürbe Sand-
steine übergehen". Die
„unteren Konglomerate" sind
bis gegen Radowenz hin, wo sie
mächtige Felsen bilden, etwa
2 km weit verfolgbar. Die oben
genannten beiden liegenden
Zonensetzen denHöhenzug zu-
sammen, der dasWernersdorfer
Tal vom Radowenz -Jibkaer
Längstale trennt. Am West-
abhange dieses Rückens finden
wir die zwei sedimentären
Wernersdorfer Lager, die man
mit Kupferschieferflöz be-
zeichnen muß. Beide Lager
sind den unteren Konglo-
meraten im Hangenden und
fliegenden angelagert. Als
Hauptgestein treten In beiden
Lagern grünlich-blaue Schiefer
auf. Ein Stollen, Gottfried-
stollen, von der Radowenz -
Jibkaer Talseite aus in den
Berg hineingetrieben, schloß
IL Abteilung'. Naturwissenschaftliche Sektion. 91)
beide Erzlager auf, wälirend der von der Wernersdorfer Talseite aus in einem
tieferen Niveau angefahrene Joliannesstollen nur das hangende Erzlager löste. In
einem mittleren Horizont wurde durch denTheresienstollen, der nordwestwärts
also im Streichen, getrieben war, ebenfalls nur das obere Lager abgebaut.
Das obere Lager ist das reichere. Namentlich sind es hier handteller-
große Nieren, die inwendig aus feinkörnigem Kupferglanz bestehen, nach außen
aber Malachit- und aucli wohl Schwefelkies aufnehmen. Sie enthalten bis
14% Cu. Auch das zwischen beiden Erzlagern befindliche Konglomerat ent-
hält Erz in feinverteiltem staubförmigen Zustand, dessen Ag-Gehalt bis
2 "/g vom Cu beträgt. Auch soll hier Gold in Spuren gefunden sein.
Dein unteren Erzlager fehlen die Nieren, dagegen ist die Mächtigkeit
des Kupferglanz und Pyrit führenden Hauptgesteins etwas größer. Inwie-
weit sich ein Abbau dieser Erze gegen Nordwest, der Richtung ihrer An-
reicherung, lohnen würde, müßte erst durch eine Bohrung feslgestellt
werden. Die erzführenden Schichten streichen fast genau nordwestlich
(N 32 W) und fallen nach NO mit etwa 24" ein. Der angebliche Kupfer-
gehalt von 14 — 15 "/q ist unbedingt etwas hochgegriffen, we